Gran Turismo Sport18.09.2017, Michael Krosta

Vorschau: Motorsport für jedermann

Mit Gran Turismo Sport (ab 17,89€ bei kaufen) schlagen Sony und Polyphony Digital einen neuen Weg für die beliebte Rennspielserie ein: Der Ableger verabschiedet sich von der Solo-Kampagne für Tuning-Fans, sondern legt seinen Fokus auf kompetitive Online-Rennen mit offiziellem FIA-Reglement. Wir konnten bei Sony eine weit fortgeschrittene Version für die Vorschau anspielen.

Mehr Technik-PS

Zunächst springt die mächtig aufpolierte Grafik ins Auge: Erinnerte die Kulisse bei der Vorstellung im vergangenen Jahr noch an den PS3-Vorgänger, hat man nicht nur bei den Details an der Strecke sowie bei den aufwändig modellierten Fahrzeugen, sondern auch hinsichtlich der Beleuchtung zwei Gänge nach oben geschaltet. Vor allem bei Sonnenuntergängen begeistern die Ausflüge auf die Rennpisten mit einem wunderschönen Farbenspiel am Himmel und sehenswerten Lichteffekten. Kurz gesagt: Gran Turismo ist technisch endlich auf der PS4 angekommen, auch wenn man auf Dinge wie ein dynamisches Wettersystem verzichten muss.

Auch auf unebenen Pisten wird wieder gerast.
Darüber hinaus hat man sich einem der größten Kritikpunkte der Vorgänger angenommen: Endlich röhren, dröhnen und schreien die Motoren aus den Lautsprechern, wie es sich für ein modernes Rennspiel gehört! Die Zeiten, in denen sich die Autos wie generische Staubsauger angehört haben, scheinen also endlich vorbei zu sein. Zumindest in der gezeigten Fassung überzeugten die Boliden mit individuellen und gelungenen Motorenklängen, auch wenn sie nicht ganz so kernig ausfallen wie bei der Forza-Konkurrenz. Schön auch, dass das penetrante Reifenquietschen zurückgefahren hat und das nervige „Plong-Geräusch“ bei Unfällen von differenzierteren sowie realistischeren Soundeffekten ersetzt wurde. Insgesamt wirkt die Tonabmischung deutlich runder, moderner und professioneller – ein erfreulicher Fortschritt, der mehr als überfällig gewesen ist.

Zugänglich und trotzdem anspruchsvoll

Nach den "Ruf-Jahren" befinden sich jetzt auch Modelle von Porsche im Fuhrpark.
Neben der aufpolierten Technik überzeugt GT Sport aber vor allem in der Parade-Disziplin der Reihe: dem Fahrgefühl. Kazunori Yamauchi und sein Team wollen bewusst keine Hardcore-Simulation abliefern und sehen den Ableger trotz des Mehrspieler-Fokus nicht als reinen eSport-Titel. Die Fahrphysik ist darauf ausgerichtet, sowohl dem Gelegenheits-Rennfahrer als auch dem ambitionierten Motorsport-Profi ein tolles Fahrerlebnis zu bescheren. Anfänger können sich zum einen mit einer Auswahl an Hilfen unter die Arme greifen lassen, darunter die mehrstufige Traktionskontrolle oder sogar eine aktive Lenk- und Bremsunterstützung. Außerdem wird man in der altbekannten Fahrschule mit zahlreichen Lektionen an die Kunst des Rennenfahrens heran geführt und lernt dabei wichtige Aspekte wie die Suche nach dem idealen Bremspunkt, das perfekte Anfahren von Kurven sowie die spürbaren Unterschiede zwischen Fahrzeugen mit Front-, Heck- und Allrad-Antrieb. Letztere kommen vor allem auf den staubigen Offroad-Pisten zum Einsatz, in denen man mit spektakulären Drifts auch seine Rallye-Fähigkeiten unter Beweis stellen kann, wenn auch leider nur in recht langweiligen 1-gegen-1-Duellen.

Polyphony meistert den angestrebten Spagat zwischen Anspruch und Zugänglichkeit: Die Fahrphysik wirkt authentisch, bleibt im Grenzbereich aber recht gutmütig, so dass man selbst PS-starke Boliden von Porsche & Co immer noch relativ gut bei hohem Tempo abfangen kann, sobald man mal ins Schleudern gerät. Trotzdem wird man immer noch genügend gefordert, wenn man die Fahrzeuge beim Rasen am Limit auf der Ideallinie halten will.

KI als Sorgenkind

Im Kampf gegen die KI gilt dies leider nur bedingt: Genau wie im Vorgänger ist selbst auf der höchsten der drei Stufen der deutliche Gummibandeffekt nicht zu übersehen. Selbst nach schweren Abflügen kann man sich oft locker wieder vom letzten Platz zurück an die Spitze kämpfen, weil das Feld mit angezogener Handbremse weiterfährt. Umgekehrt kann man sich kaum von seinen Verfolgern absetzen, sobald man die Spitze erobert hat. Mit echtem Motorsport hat das nicht viel zu tun, was die KI da im Arcade-Modus aufführt! In diesem Zusammenhang machen sich auch wieder Faktoren wie das derzeit noch fehlende Schadensmodell bemerkbar: Es ist weiterhin kein Problem, andere Fahrzeuge ungestraft als Bremsklotz zu missbrauchen oder sich auf Stadtkursen wie Tokio mit Vollgas in die Kurven zu legen, da einen die Banden ohne große Geschwindigkeitsverluste in der Spur halten. Allerdings sollen sich in der finalen Version die Schäden durchaus bemerkbar

Bei der KI setzen die Entwickler weiterhin auf den ausgeprägten Gummiband-Effekt.
machen und auch auf die Physik auswirken. Gesehen hat man davon allerdings noch nichts. Wir sind gespannt, bleiben nach den Erfahrungen der letzten Jahre aber skeptisch...

Wenig Motivation für Solisten

Für Einzelspieler hat GT Sport ohnehin nicht besonders viel zu bieten: Mit dem Wegfall der klassischen Kampagne mit ihren Veranstaltungen und Tuning-Optionen findet sich hier neben der Fahrschule und dem Arcade-Modus lediglich eine Ansammlung von Mini-Herausforderungen, in denen man seinen Fahrstil sowie die Streckenkenntnis perfektionieren kann. Das alles wirkt wie ein XXL-Tutorial, das zwar durchaus umfangreich ausfällt, aber im Prinzip nur eine Vorbereitung auf die Online-Rennen darstellt. Ein Fragezeichen steht aktuell noch hinter dem Belohnungssystem, das sich in vier Bereiche aufteilt: Zum einen gibt es neben Erfahrungspunkten die üblichen Credits, die man vermutlich in den Kauf von neuen Fahrzeugen investieren muss. Darüber hinaus erhält man aber auch so genannte Mileage-Punkte und Belohnungen, wenn man die tägliche Mindest-Fahrtstrecke absolviert. Wie diese aussehen und was man dafür bekommt, ist derzeit noch nicht ganz klar.

Sportgeist versus Rowdy

Saubere Zweikämpfe und unfallfreies Fahren wird mit Sportsgeist-Punkten belohnt.
Im Rahmen des Vorschau-Events waren wir leider nur offline und ausschließlich im Arcade-Modus unterwegs, der neben Einzelrennen auch Zeitfahren und Drift-Wettbewerbe umfasst. In der geschlossenen Beta konnten wir allerdings schon Online-Erfahrungen sammeln und waren neben der zunehmend gelungenen Verbindungsqualität vor allem von der Sportgeistwertung angetan, bei der das Verhalten der Spieler berücksichtigt und entsprechend eingestuft wird. Das Matchmaking bringt demnach nicht nur Fahrer mit einem ähnlichen fahrerischen Können zusammen, sondern sortiert auch Pisten-Rowdys aus, um dadurch den anderen Piloten ein hartes, spannendes aber trotzdem faires Racing-Erlebnis mit tollen Positionskämpfen zu liefern. Nach den Erfahrungen aus der Beta geht der Plan weitestgehend auf, obwohl zwischendurch immer noch Störenfriede in der Startaufstellung landen. Alternativ kann man selbst eine Lobby für ungewertete Partien mit Freunden eröffnen oder sich lokal am geteilten Bildschirm duellieren, wobei die Bildrate dort  manchmal noch ins Straucheln gerät. Ansonsten überzeugt das Renngeschehen aber mit einer durchweg flüssigen Darstellung und einem sehr guten Geschwindigkeitsgefühl.    

Mageres VR-Programm

Das gilt auch für die VR-Tour, in der Besitzer von PSVR ausgewählte Strecken in der virtuellen Realität erleben dürfen. Die Immersion hinter dem Steuer dabei auch bei GT Sport einfach traumhaft: Es ist nicht nur das großartige Mittendrin-Gefühl, wenn man hinter dem Steuer sitzt und den Blick über das Armaturenbrett und den Innenraum schweifen lässt oder den Kopf zum Außenspiegel dreht. Auf einer Strecke wie der Nordschleife kommen die massiven Höhenunterschiede erst in VR richtig zur Geltung – da kann der vergleichsweise flache Eindruck auf der normalen Mattscheibe bei weitem nicht mithalten.

Aber so beeindruckend das VR-Erlebnis auch ist, hat es dennoch ein paar Schattenseiten: Zum einen die grafischen Abstriche, die man aufgrund der geringeren Auflösung, weniger Details und festgelegten Tageszeiten in Kauf nehmen muss. Diese lassen sich aber verschmerzen, weil im Gegenzug das Erlebnis hinter dem Steuer deutlich aufgewertet wird. Viel schlimmer wiegt die Tatsache, dass die Hardware-Ressourcen der PS4 offenbar nicht nur auf staubigen Rallye-Pisten, sondern auch in VR nur 1-gegen-1-Duelle erlauben. Echtes Renn-Feeling kommt bei diesem arg geschrumpften Starterfeld kaum auf. Ein Jammer,

Im Scapes-Modus greift man für ein Foto-Shooting auf professionelle Werkzeuge zurück.
denn die VR-Erfahrung an sich macht einen exzellenten Eindruck, bleibt in dieser abgespeckten Form aber leider nicht mehr als ein kleines Gimmick.

Professionelles Foto-Shooting

Das gilt in gewisser Weise zwar auch für den Scapes-Modus, doch bekommt man hier hochprofessionelle Werkzeuge für Fotografen, mit dem man die virtuellen Boliden in über 1000 reale Bildvorlagen einbetten kann, die bereits Daten für die korrekte Beleuchtung und Tiefeninformationen enthalten. Zusammen mit üblichen Foto-Einstellungen für Blende, Belichtung sowie einer Reihe an Effekten lassen sich kleine Kunstwerke erschaffen, die man anschließend in einer Qualität von bis zu 6K berechnen und abspeichern darf. Darüber hinaus bietet Gran Turismo mit dem Sport-Ableger erstmals einen Livery-Editor im Stil von Forza Motorsport, in dem man nicht nur auf zahlreiche Vorlagen zurückgreifen, sondern auch eigene Designs erschaffen darf, mit denen man seinen Boliden, Rennanzügen und Helmen einen individuellen Touch verpasst.

Ausblick

Zum 20-jährigen Jubiläum von Gran Turismo liefert Sony mit GT Sport leider keinen vollwertigen Nachfolger, sondern „nur“ einen Ableger, dessen Stärken beim Fahrgefühl vor allem auf den Online-Rennpisten zur Geltung kommen werden. Für Solisten wird mit Mini-Herausforderungen sowie dem Arcade-Modus dagegen nicht viel geboten, zumal Letzterer immer noch mit einer zu stark ausgeprägten Gummiband-KI bei Einzelrennen enttäuscht. Immerhin möbelt man für die PS4-Premiere nicht nur die Grafik, sondern vor allem die Motorenklänge ordentlich auf – eine Maßnahme, die längst überfällig war. Der Scape-Modus mit seinen mächtigen Foto-Werkzeugen und der Lackierungs-Editor stellen zudem willkommene Ergänzungen dar, mit denen man neben ambitionierten Rennfahrern auch Grafik-Künstler und Fotografen anspricht. Die VR-Unterstützung wirkt trotz der fantastischen Immersion mit der Beschränkung auf 1-gegen-1-Duelle auf ausgewählten Strecken dagegen zu halbherzig. Basierend auf den überwiegend positiven Erfahrungen aus der geschlossenen Beta wird GT Sport daher erst in den kompetitiven Online-Veranstaltungen mit FIA-Reglement sein wahres Potenzial zeigen und könnte sich tatsächlich als gelungenes Konsolen-Pendant zu iRacing erweisen.

Einschätzung: gut     

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