Deadly Creatures20.02.2009, Benjamin Schmädig
Deadly Creatures

Im Test:

Ein finsteres Loch irgendwo unter der Erde. Argwöhnisch fingern die dicken Beine einer Tarantel an der fremden Kamera herum. Doch plötzlich zuckt der Schatten im Hintergrund zusammen - eine Sekunde später ist der haarige Körper schon im Maul des Geckos verschwunden! Nur die Beine zucken noch verzweifelt, der Rest wird längst lebendig verdaut. Brutale Grausamkeiten und morbide Machenschaften in einem finsteren Milieu: Weil man sehen darf, was man sonst nicht sehen darf, üben Tierfilme eine fast schon magische Anziehungskraft aus. Wo es kreucht und fleucht ist das Schreckliche ganz normaler Alltag. Wo es kreucht und fleucht sind die Deadly Creatures (ab 19,89€ bei kaufen) zuhause.

Ungewöhnliche Duos

Die beschriebene Szene spielt sich ab, noch bevor das Spiel mit Leben und Tod überhaupt beginnt. Schon im Menü stellen sich die Protagonisten und Antagonisten der Reihe nach vor: Eine Gottesanbeterin zischt vor der Kamera, eine Heuschrecke springt ins Bild. Keine Musik, nur ein unheilschwangeres Wabern begleitet die Schauspieler auf ihrer kleinen Bühne. Jetzt beginnt ihr großes Abenteuer. Protagonisten und Antagonisten? Beides gibt es in der Tierwelt nicht. Helden und Schurken sind diesmal allein dadurch getrennt, dass ihr die einen selbst steuert

So spielt das Leben: Das Video zeigt einige der gnadenlosen Finisher.und die anderen eben nicht. Auf die Eingeweide der jeweils anderen sind beide scharf. Ihr regeneriert mit leblosen Spinnen, Skorpionen, Heuschrecken, Maden oder Ratten Energie, und eure Widersacher sind - wohl aus ähnlichen Gründen - an eurem "Game Over" interessiert.

Gleich zu Beginn macht Deadly Creatures deutlich, wie ernst es ihm damit ist, seine Geschichte ausschließlich aus der Sicht der Tiere zu erzählen: Die wenigen Dialoge werden von Billy Bob Thornton (Struggs) und Dennis Hopper (Wade) bzw. deren deutschen Synchronstimmen gesprochen. Zwei einfache Südstaatler, die irgendwo in der Wüste einen Schatz ausgraben wollen. Aber das geschieht nur im fernen Hintergrund, während ihr abwechselnd als Tarantel und Skorpion durch insgesamt zehn Levels krabbelt. Die beiden "Helden" begegnen sich zunächst, gehen allerdings schnell getrennte Wege, nachdem ihr feindseliges Aufeinandertreffen unentschieden ausgeht. Nein, dies ist nicht die Geschichte einer gutherzigen Tierwelt, die sich gegen den Sammeltrieb des Hobby-Zoologen Wade zur Wehr setzt. Die beiden Protagonisten stolpern an diesem ganz normalen Nachmittag nur rein zufällig über das morbide Schauspiel der zwei Menschen, während sie in ihrer eigenen Welt einen abscheulichen Krieg ums Überleben führen.

Fürchte mich!

Ungewöhnlich ist dabei nicht nur der Blick auf den fast nebensächlichen roten Faden, sondern auch die Darstellung des unmittelbaren Geschehens. Denn auch während ihr durch das Erdreich krabbelt, begleiten euch meist nur sphärische Schwingungen. Nur wenn ihr auf Feinde trefft - meistens zwei, drei oder ein halbes Dutzend - geben anfeuernde Rhythmen den Ton an. Doch obwohl die Kämpfe wunderbar martialisch inszeniert werden, um die krasse Gewalt in der Tierwelt widerzuspiegeln, musste ich mich wesentlich seltener gegen die aggressive Fauna wehren als ich erwartet hatte.

Deadly Creatures begibt sich nämlich nicht mit bettelndem Blick in die Hände einer Generation mit Aufmerksamkeitsdefizit, die auf Teufel komm raus alle drei Sekunden etwas Neues erleben muss. Es schleicht auch nicht behäbig voran. Aber es nimmt sich eben die Zeit, die ein Spinnentier braucht, bis es vom Anfang einer Lichtung bis zu deren Ende benötigt. Je länger ich so auf allen Achten über

Vor allem im Sprung rufen die acht Beine der Tarantel einen angenehmen Ekel hervor.
Felsen, Kakteen und Schrottplätze gekrabbelt bin, desto intensiver empfand ich das Gefühl, tatsächlich als Spinne oder Skorpion in meinem eigenen Reich unterwegs zu sein. Erstaunlich, wie viel es in einem umgekippten Kleinwagen zu entdecken gibt...

Ein Schritt zu wenig

Es sind vor allem die späteren Kapitel, wenn der Himmel dieses einen Nachmittags von einem dämmrigen Orange überflutet wird, in denen das Spiel verblüffende Ansichten zeigt. Denn so interessant ein riesiges umgekipptes Motorrad zwischen den Felsen und dem Gestrüpp meiner Wüste auch sein können: Spannend waren erst die völlig neuen Ansichten, die ich unter vermeintlich Vertrautem entdeckt habe. Diesen Mikrokosmos aus jeder Perspektive zu erkunden macht den eigentlichen Reiz des Spiels aus. Als ich z.B. zwischen die Federn eines alten Sofas gekrochen bin. Oder als ich den stillen Kampf eines T-Rex' gegen grüne Spielzeugsoldaten beobachtet habe. Oder als ich das Röhrensystem unter einer alten Tankstelle endlich hinter mir ließ, um mitten in der Kloschüssel aufzutauchen. Faszinierend eklig! Apropos: Die Spinne selbst trägt so lebensechte Züge, dass ich tatsächlich zurückgeschreckt bin, als sie einmal zischend in Richtung Kamera auf den Boden fiel.              

Doch leider hat Deadly Creatues scheinbar Angst vor seiner eigenen Courage, denn erst viel zu spät durfte ich als Tarantel kopfüber in jeden Winkel krabbeln. Als Skorpion laden hingegen lediglich ein paar steile Wände zum Entdecken ein. Erinnerungen an Aliens vs. Predator  wurden wach, in dem ich als Alien auf jedes Objekt geklettert bin. Hier war mein Wunsch nach spielerischer Freiheit leider größer als die Wirklichkeit. Denn auch das Erkunden der Umgebung, immerhin einer der zeitlich intensivsten Aspekte des Abenteuers, wird kaum belohnt und lässt mich nur wenig Neues entdecken. Hier und da vernasche ich eine versteckte Heuschrecke, um meine Lebenskraft zu erhöhen und an vielen Ecken sind Maden versteckt - zum Freischalten von Konzeptzeichnungen. Ansonsten werde ich allerdings schnurgerade durch die Wüste gescheucht. Dass

Der Skorpion ist weniger wendig - greift als Kampfmaschine dafür umso härter durch.
die Tarantel mithilfe ihrer Spinnenfäden zwischen Spinnennetzen umher springt, während der Skorpion Tunnel frei gräbt, ist meist schon das höchste der Gefühle. Ich war an diesem Nachmittag wirklich gerne als Spinne und Skorpion unterwegs. Doch als der Abspann lief, ließ mich ein ungewöhnlich leeres Gefühl im sprichwörtlichen Regen stehen.

Widerliches Schauspiel

Hat sich meine Flucht in die Tierwelt denn gelohnt? Ja. Besonders als Spinne habe ich jeden Schritt mit vollen Zügen genossen! Es ist so ungemein befriedigend, sich die Dreistigkeit dieser widerlichen acht Beine zu Eigen zu machen, um jeden noch so kleinen Winkel zu durchforsten. In einer Ecke nahe der Lampe, unter einem finsteren Felsvorsprung - ich krabbele dorthin, weil ich es kann. Besser noch: Ich töte, weil ich es kann! Mit gierigem Heißhunger mache ich mich über Maden und Heuschrecken her, setze argloses Futter mit einem Netzfaden außer Gefecht und stürze mich in einem hohen Bogen auf das Opfer. Und wenn es mir im Kampf gelingt, einen Gegner auf den Rücken zu werfen, reicht ein Druck auf die A-Taste und schon kann ich den armen Tölpel durch Schütteln von Remote und Nunchuk einfach fressen. Als Mensch ekle ich mich vor den achtbeinigen Räubern; als Spinne liebe ich dieses widerliche Schauspiel!

Überhaupt ist den Entwickler die Einbindung der bewegungsempfindlichen Steuerung richtig gut gelungen. Sie erfinden die Remote-Attacke zwar ebenso wenig neu wie das Ausführen angezeigter Bewegungen unter Zeitdruck. Aber dass sich der Skorpion beim Drehen der Remote um die Längsachse in den Sand eingräbt, um beim Hochziehen des Controllers anzugreifen, wird einem exklusiven Wii-Titel gerecht. Seine unbarmherzigen Finisher, für die ihr die Attacken des Achtfüßlers nachmachen müsst, ebenso. Trotzdem schöpft Deadly Creatues auch im Kampf nicht sein ganzes Potential aus, denn nach spätestens fünf Kapiteln trefft ihr immer wieder auf die immer gleichen Tiere. Besondere Zwischengegner heizen euch viel zu selten ein und neue Angriffe lernt ihr dann ebenfalls kaum noch. Laufen, Absuchen, Kämpfen - und wieder von vorn: Die Rainbow Studios füllen ihre fantastische Fassade leider mit zu wenig Eigenleben. Ihr Spiel arbeitet auf das Treffen mit Wade und Struggs hin; man will endlich die Welt der Menschen erforschen!

Ganz langsam nähern sich die ungewöhnlichen Protagonisten den Menschen. Diese Entfernung hier könnte ein kompletter Level sein.
Umso ernüchternder wirkt deshalb das schnelle Finale. Zumal im letzten Kapitel technische Probleme verärgern, wenn der Skorpion gelegentlich durch den Boden ins Designer-Nichts fällt.

Der legalisierte Ekel

Hinzu kommt die Tatsache, dass einige Abschnitte so wirken, als würden sie unnötig in die Länge gezogen. Erzählerisch ist es ein cleverer Kniff, dass sich Skorpion und Tarantel immer wieder über den Weg laufen. Spielerisch ist es allerdings mühsam, wenn man bereits absolvierte Gegenden ein zweites Mal abgrasen muss. Das kommt zum Glück zwar selten vor - in Anbetracht des ohnehin gemächlichen Tempos hätten die Entwickler solche Passagen aber lieber komplett vermieden. Ähnlich langatmig wirken die Ladezeiten, wenn ihr selbst mal zum Futter eurer Umwelt gestochen werdet: Bis der aktuelle Speicherpunkt wieder aktiviert ist, könnt ihr euch einen Kaffee holen. Und solltet ihr kurz vor dem folgenden Speicherpunkt das Zeitliche segnen, müsst ihr unter Umständen eine Viertelstunde Krabbelarbeit wiederholen - einschließlich kurzer Filmszenen, die ihr nicht abbrechen dürft sowie diverser Flüche in Richtung Kamera. Die zeigt nämlich nicht immer dorthin zeigt, wo ihr etwas sehen wollt oder springt in engen Räumen wie eine angestochene Heuschrecke immer im Kreis. Ein bisschen Frust, eine Prise spielerischer Kaugummi - schade.

Inhaltlich halten die Rainbow Studios dagegen konsequent an dem morbiden Bild fest, das sie schon im Menü aufbauen. Da wickelt eine Spinne gerade ein noch zappelndes Opfer ein, der Skorpion richtet seine Gegner im Stile von Kratos hin, überall hängen in Kokons eingewickelte Leichen und die beiden Menschen... seht es euch an. Zwischen all den makaberen Szenen schmatz es, knirscht es, knackst es - Deadly Creatures ist ein Paradebeispiel des legalisierten Ekels. Und irgendwann rächt es sich dann doch noch auf wunderbar schmerzhafte Weise an einem, der sich dem Tierreich haushoch überlegen wähnte...             

Fazit

Deadly Creatures ist ein finsteres Gruselkabinett - ein einzigartiger Abstieg in die morbide Dunkelkammer des Erdbodens. Der nüchterne Blick in das Tierreich vermittelt die alltägliche Gewalt der Natur mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. So sehr die Kamera dieses Geschehen aus der Nähe zeigt, so wenig mischt sie sich in die Vorgänge ein oder verklärt sie: Die Tiere sprechen nicht und die Action ist unbarmherzig, aber nie überzogen. Doch mit der Kamera, die gelegentlich unwillkommene Pirouetten vollführt, beginnen auch die Probleme. So kommt das Spiel nie dort an, wo es hinkommen müsste - bei abwechslungsreichen Kämpfen sowie großen Spielwiesen, in denen es viel zu entdecken gibt. Als geradliniges Action-Adventure tut Deadly Creatues leider nur das Nötigste. Sein bedrohlicher Mikrokosmos ist dafür umso faszinierender!

Pro

unglaublich faszinierender "Mikrokosmos"
ungewöhnliche Erzählweise
sympathische Protagonisten
martialische Attacken & coole Fähigkeiten
angenehmes Spieltempo abseits vom modernen Tempo-Wahn

Kontra

unnötige Wiederholungen einiger Abschnitte
sehr eingeschränkte Erkundungs-Möglichkeiten
einige sehr lange Wege zwischen Speicherpunkten
Höhepunkt ist zu schnell erreicht und zu schnell vorbei
Kameraprobleme in engen Räumen
fehlerhafte Kollisionsabfrage im letzten Level

Wertung

Wii

Ein faszinierendes Naturspektakel, ein morbider Mikrokosmos - der spielerisch nicht alle selbst gesteckten Erwartungen erfüllt.

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