Im Test:
Reduziert = schlecht?
Dass es auf Wii entweder gar nicht oder nur mit massiven Abstrichen möglich gewesen wäre, das umfangreiche Open World-Szenario der HD-Varianten von Shaun White Snowboarding auf die Disc zu bringen, schien den Entwicklern bei Ubi Montreal von vornherein klar gewesen zu sein. Doch egal, ob diese Erkenntnis bereits von Anfang an feststand oder sich erst im Design-Prozess herausgebildet hat: Man muss der Entscheidung Tribut zollen, dass man keinen hässlichen, pardon: visuell an das System angepassten Multiplattform-Ableger mit aller Gewalt stemmen, sondern eine speziell auf Wii ausgerichtete Version produzieren wollte, die den Untertitel Road Trip (SWSRT) trägt.
Denn nicht zuletzt gibt es auf Nintendos Fuchtel-System deutlich mehr Konkurrenz als auf HD-Systemen, der man sich stellen muss. Als Snowboarder ist z.B. SSX Blur (4P-Wertung 75%) erhältlich und als Schneesport mit Balance Board-Unterstützung hat Namco mit Family Ski (4P-Wertung 72%) bereits seine Visitenkarte abgegeben. Trotz Comic-Stil bietet Shaun White Snowboarding auf Wii ähnlich eindrucksvolle Skigebiete wie die HD-Varianten - allerdings verzichtet man wohlweislich auf eine offene Welt.
Besser als in HD
Um es vorweg zu nehmen: SWSRT schafft es nicht nur, die systeminterne Konkurrenz Schneestaub schlucken zu lassen, sondern auch den großen Brüdern Paroli zu bieten - wobei ein direkter Vergleich nicht ganz fair ist, da die Wii-Boarder sich auf ein komplett anderes Spielkonzept verlassen. Weg vom Open World-Schnee, hin zu einem missions-basierten Ausflug rund um die Welt, in den sogar eine rudimentäre Story eingebunden wurde. Ihr folgt einer Einladung von Shaun White höchstpersönlich und auf dem Weg zu einem kanadischen Ski-Gebiet macht ihr Station in Chile, Japan, den europäischen Alpen und den USA, um dort Freunde aufzugabeln. Zugegeben: Nicht besonders umfangreich. Im Vergleich zu den noch seichteren Story-Schnippseln der HD-Versionen schafft es die Geschichte hier dennoch, mit zur Grundmotivation beizutragen. Denn mit den Zwischensequenzen im Comic-Stil, der auch als Basis-Konzept für Figuren- und Umgebungsdesign genutzt wurde, sowie E-Mails und anderen Benachrichtigungen findet immer im richtigen Moment eine Auflockerung bzw. Überleitung statt.
Die Entscheidung pro Comic-Stil hat noch einen anderen Vorteil: Die Pisten, auf denen ihr in den jeweiligen Schnee-Arealen eure Missionen erfüllt, benötigen weitaus weniger Detailreichtum, ohne dabei jedoch ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und das bedeutet auch nicht, dass es auf dem Bildschirm nichts zu sehen gibt. Ganz im Gegenteil: Sprünge, die euch einen weit reichenden Blick ins Tal offenbaren, gibt es ebenso zu bestaunen wie dicht bewachsene Waldstücke, die ihr vorsichtiger navigieren müsst. Nur sind die Bäume eben nicht mit ultrarealistischen Texturen beklebt, sondern mit sich auf wenige Farben konzentrierenden Tapeten.
Doch egal ob hoch oder niedrig aufgelöst: Was zählt, ist der Gesamteindruck. Und der kann sich mit der teils Atem beraubenden Geschwindigkeit, den guten Animationen, die nur selten merkwürdig anmutende Ausreißer zeigen sowie den kleinen Details wie dem am Körper klebenden Schnee bei einem Sturz sowie kleinen Entdeckungen am Rande wie erschreckt zur Seite laufende Elche absolut sehen lassen.
An dieser Stelle würde ich sogar so weit gehen, dass Shaun White Snowboarding Road Trip in seiner Gesamtheit als Paradebeispiel dafür gelten kann, was man alles aus Wii herausholen kann, wenn man seiner Kreativität freien lauf lässt und sich einen Kehricht um Texturvergleiche mit HD-Systemen schert. Seit SSX auf der PS2 konnte kein Snowboard-Spiel dermaßen überzeugend Geschwindigkeit vermitteln wie der Road Trip auf Wii.
Board oder Remote?
Ich muss offen zugeben: Ich hasse den Winter - und viel, was damit zusammenhängt. Kälte geht mir auf den Keks und abseits von Schneemännern kann mir die so genannte weiße Pracht gestohlen bleiben. Und ich muss mich auch als Nicht-Snowboarder outen. Dennoch muss ich eingestehen, dass die Kontrolle meiner Figur auf dem Bildschirm per längs aufgestelltem Balance Board (BB) ein weitestgehend überzeugendes Gefühl vermittelt - das sich allerdings auch teilweise auf die rudimentären Skateboard-Kenntnisse meiner späten Jugend und das Studium einschlägiger Videokurse stützt. Doch egal, ob die BB-Steuerung jetzt realistisch ist oder nicht: Hinsichtlich Geschwindigkeitseinstellung (Verlagerung nach vorne, um schneller zu werden) sowie Steuerung (über Gewichtsverlagerung auf dem hinteren Fuß) funktioniert sie. Da für die Tricks neben dem Druck beider Füße sowie bei der Carving-Modifizierung für enge Kurven allerdings auch noch der Einsatz der Remote verantwortlich ist und ausgerechnet hier das BB zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Sensibilität neigt (obwohl sie in verschiedenen Stufen einstellbar ist), kann ich die Kombo-Steuerung nur Snowboardern empfehlen, die sich auch von wiederholten Stürzen nicht abschrecken lassen und die gewillt sind, etwas Zeit in den Lernprozess und in das Einfühlen in die BB-Sensibilität zu investieren.
Alternativ kann SWSRT auch pur mit Remote-Einsatz (ohne Nunchuk) gespielt werden. Über leichte Neigungen nach rechts und links könnt ihr die Richtung der Abfahrt beeinflussen, der A-Knopf sorgt für die Geschwindigkeits-Hocke und über B wird das Carving zugeschaltet.
Eine Bewegung nach oben lässt die Figur springen und im Sprung könnt ihr dann über Schwenks nach links und rechts im Zusammenspiel mit A- oder B-Taste Tricks starten.
Doch auch wenn die Kollisionsabfrage nachsichtiger arbeitet als bei Simulations-Snowboardern und auch wenn man bei Rail-Grinds nicht akkurat den Landepunkt im Visier haben muss, um auf dem gewünschten Objekt zu landen und entlang zu gleiten, ist auch die reine Remote-Variante nur suboptimal.
Vor allem bei den Tricksprüngen kann es leicht passieren, dass neben dem kleinen Ruck nach rechts oder links auch eine leichte Drehung des Handgelenks stattfindet, die den Fahrer eine Drehung um die Längsachse machen lässt. Achtet man nicht auf die veränderte Position, sondern konzentriert sich nur auf den Trick, ist ein Sturz nahezu sicher. Hier hätte ein etwas größerer Toleranzbereich Wunder gewirkt.
Und auch, wenn beide Steuerungsvarianten nicht optimal sind und jede für sich andere Stärken und Schwächen offenbart, funktionieren sie unter dem Strich besser als die der Wii-Schnee-Konkurrenz. Und sie zeigen dass der Spagat zwischen Einsteigerfreundlichkeit und leicht gehobenem Anspruch durchaus möglich ist. Auf Wii können bis zu vier Boarder am Splitscreen um die Wette den Schnee durchpflügen.
Allein, zu zweit, zu viert
Was die Modi betrifft, gibt sich Road Trip spartanisch. Für Solisten steht der Story-Modus im Vordergrund, dessen nach und nach freigeschaltete Missionen mit ihren jeweils zwei zu erreichenden Zielen auf Dauer nur ein Manko haben: Gleichförmigkeit. Natürlich ist es schwer, in einem Snowboard-Spiel abseits vom üblichen "Schaffe des Rennen in dieser oder jener Zeit", "Erreiche so-und-so-viele Grindpunkte", "Erledige Tricks für mindestens X Punkte" oder "Sammle X Symbole" Aufgaben zu stellen, die nicht zu weit vom Schuss sind. Allerdings hätte es nicht geschadet, die trotz ihrer einfachen Natur unterhaltsamen Aufgaben um ein paar ungewöhnlichere zu erweitern, die noch mehr auf das integrierte "Team-Feature" zugeschnitten sind. Dahinter verbirgt sich das Konzept eines mit euch fahrenden Kameramannes. Sein eingefangenes Bild von euch gibt mit leichten Verzerrungen nicht nur Aufschluss darüber, wie gut ihr eine Landung nach einem Sprung bewerkstelligt habt. Je nach ausgewähltem Partner werden bestimmte Fähigkeiten wie Sprungkraft, Geschwindigkeit etc. verstärkt, so dass ihr ab und an gut wählen müsst, um die Aufgabe zu erledigen.
Sehr positiv ist auch zu bewerten, dass es die Möglichkeit gibt, die gesamte Story-Kampagne kooperativ per Splitscreen zu erleben. Bedauerlich hingegen ist die Entscheidung, dass es keine "In-and-Out"-Option gibt. Das bedeutet, dass ihr die Kampagne nicht solo anfangen könnt und wenn ein Freund zu Besuch ist, mal "so eben" kooperativ weiter spielt und dann wiederum alleine fortsetzt. Dadurch wäre Road Trip für spontane Mehrspieler-Sessions geeigneter gewesen. Obwohl auch die Splitscreen-Duelle gegeneinander sowie die Hotseat-Auseinandersetzungen für vier Spieler durchaus einen gewissen Unterhaltungswert besitzen.
Fazit
Ja: Shaun White Snowboarding hat Schwächen. Dazu gehört z.B. die Steuerung, die zwar insgesamt gut und durchdacht ist, aber weder in der Remote-Variante noch in der Board-/Remote-Kombo vollends überzeugt und in heiklen Momenten Probleme mit der Gestenerkennung zeigt. Auch die sich auf Dauer ähnelnden Missionen lassen Luft nach oben. Und dass man die kooperative Kampagne nicht mit ihrem Gegenstück für Solisten verbunden hat, um so ein runderes Spielerlebnis ohne unnötige Dopplungen zu ermöglichen, ist beinahe schon sträflich. Dafür bekommen Fuchtel-Snowboarder aber schnelle, unkomplizierte Abfahrtsaction mit spektakulären und einfach zu initiierenden Tricks - auch, wenn die angesprochenen Steuerungsmankos ab und an für einen unfreiwilligen Sturz sorgen. Doch selbst die Stürze sehen innerhalb der eindrucksvollen, stilsicheren und teils rasend schnellen Comic-Kulisse so dermaßen gut aus, dass ich darüber hinweg sehen kann. Es stimmt: Im Vergleich zu HD-Brüdern von SWS bietet Road Trip weder Open World-Szenario noch Hochglanz-Kulisse. Im Gegenzug bekommt ihr hier aber einen deutlich höheren Spaßfaktor, einen leichteren Einstieg und das insgesamt rundere Spielerlebnis.
Pro
Kontra
Wertung
Wii
Mit einer blitzsauberen Comic-Kulisse, einer guten Steuerung samt Board-Unterstützung und Story-Missionen lässt Shaun White auf Wii die HD-Versionen hinter sich.
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