Virtua Tennis 200919.06.2009, Jörg Luibl
Virtua Tennis 2009

Im Test:

Gerade eben hat Grand Slam Tennis mit Wii MotionPlus aufgeschlagen, uns auf befriedigendem Niveau unterhalten und damit alles andere als begeistert. Zwar ist die simulationsfreudige Wirkung der bewegungssensitiven Schlagtechnik zwischendurch immer wieder spürbar, aber das große Versprechen der Präzision konnte nicht eingehalten werden. Jetzt ist mit Virtua Tennis 2009 (ab 6,99€ bei kaufen) für Wii die zweite Filzballschlacht erhältlich, die voll auf Körpereinsatz und Nintendos neue Handgelenkstechnik setzt. Gewinnt Sega das Duell gegen EA?

Virtua Tennis forever?

Spaniens Tenniscrack Nadal schlägt auch auf Wii auf - genau wie alle anderen Stars, die schon auf Xbox 360 und PS3 aktiv sind.
Damit meine Haltung von Anfang an klar ist: Ich liebe Virtua Tennis . Wir haben anno 2000, als 4Players.de gerade gegründet wurde, hunderte Matches in der Mittagspause auf Dreamcast gegeneinander ausgetragen - hitzige Duelle, hysterischer Jubel, coole Erinnerungen. Das Spiel hat uns deshalb so fasziniert, weil es trotz seines eher unrealistischen Arcade-Ansatzes unheimlich strategische Ballwechsel inszenierte. Man konnte während eines Schlagabtausches irgendwann mit diesem einen cleveren Slice das Tempo rausnehmen, danach den Druck auf seine Seite ziehen und einen verloren geglaubten Punkt einheimsen.

Doch meine Sympathie für das Spiel reicht nicht aus, die schleichende Ernüchterung zu ignorieren, die mit dem aktuellen Virtua Tennis 2009 auf PlayStation 3 und Xbox 360 Einzug hält: Zwar hat man die Spielmechanik im Detail verfeinert, sie sogar angenehm realistisch gestaltet, was übertriebene Hechtsprünge & Co angeht, aber die Statik hinsichtlich der Schlagtechniken, der Kulisse und der Karriere lässt sich nicht leugnen - das Erweiterungsgespenst schwebte bedrohlich über

Grand Slam Tennis liegt ein Wii MotionPlus-Zusatz bei. Man kann es aber auch ohne spielen. Alleine kostet er im Handel knapp 20 Euro.

Was kann Wii MotionPlus? Mehr dazu im Technik-Check!dieser Auflage. Deshalb konnte Sega dieses Jahr keinen Award mehr einheimsen, sondern "nur" noch eine gute Bewertung. Auf Wii hatte man jetzt die Chance, der Serie über die bewegungssensitive Steuerung wieder frischen Wind zu verpassen.

Kein Nachteil gegenüber PS3 und 360

Und die hat man leider verpasst. Obwohl man auf Nintendos Konsole nicht abspeckt, sondern inhaltlich alles anbietet, was die Sony- und Microsoft-Sportler bereits kennen: Man kann einen Spieler erstellen, eine Karriere in Form einer Welt-Tour starten, die man über 40 Schauplätze weit vom Anfänger bis zum Weltranglistenersten erlebt, man kann dieselben zwölf Minispiele absolvieren und es geht sogar online inklusive Rangliste sowie Freundeseinladung zur Sache. Das ist alles schon mal überaus lobenswert, obwohl man gerade bei den Minispielen etwas kreativer mit der Wii-Steuerung hätte umgehen können. Aber was ist wichtiger als das Drumherum der Spielmodi? Das Spielgefühl!

Dieses Tennis spielt sich zwei Klassen schlechter als die gute Variante auf Xbox 360 oder PlayStation 3. Das hat viele Gründe, aber der entscheidende Knackpunkt ist der, dass die Steuerung viel zu ungenau und unberechenbar ist, dass Schläge nicht markant genug ausgeführt werden können, als dass geplante Ballwechsel stattfinden können - und ich spreche nicht von fünf, sechs erfolgreichen Bällen, sondern von Dutzenden! Wer die Magie der gezielt initiierten Tempowechsel kennt, die dieses Spiel schon auf Dreamcast verströmte, der wird hier regelrecht schockiert.

Ja, man kann hier wesentlich schneller als in Grand Slam Tennis lange Ballwechsel spielen, aber das auch nur, weil es

Auf den ersten Blick sieht die Wii-Fassung sehr gut aus, aber auf den zweiten offenbaren sich große Probleme mit der Bildwiederholrate sowie brüchige Animationen.
nahezu keine Fehlerquellen wie Aus oder Doppelaufsetzer gibt, sondern alles hinsichtlich Reichweite & Co automatisiert ins Feld gedroschen wird.

Da die Entwickler aber prinzipiell dem rasanten Arcade-Ansatz treu bleiben, der schnelle und präzise Entscheidungen fordert, wird dem Spieldesign hier schnell das Genick gebrochen. Und das Knacken hört man schon im ausführlichen Tutorial, wenn man zehn Versuche braucht, um einen Slice zu schlagen und beim Stopp regelrecht verzweifelt.  Und wer zur Hölle ist dafür verantwortlich, dass man bei jeder (!) neuen Übung auf Wii MotionPlus wechseln muss, obwohl diese vom Start weg das benutzte Gerät ist, dass man bei jedem (!) neuen Schlag innerhalb einer Übung auf eine Markierung deuten muss und bei jedem (!) Aufschlag innerhalb eines Matches ebenfalls? Dieses blöde Dauergezeige unterbricht den Spielfluss und nervt unheimlich.            

Die klassische Remote-Steuerung

Auch im direkten Duell spielt man auf einem Bildschirm. Man kann zwischen manuellem und automatischem Laufen wählen.
Aber langsam mit den frustrierten Pferden: Wie steuert man das Ganze überhaupt? Die erste Variante benötigt lediglich die klassische Remote und/oder ein Nunchuk. Ähnlich wie in Grand Slam Tennis kann man die Bewegung der Profis auch automatisch ablaufen lassen, wenn man Letzteres entfernt. Theoretisch ist das für Einsteiger der bessere Weg, weil man sich dann auf die Schläge konzentrieren kann. Allerdings ist dieses Laufen wesentlich fehleranfälliger als beim Konkurrenten von EA: Manchmal spurten Nadal & Co einfach ins Leere oder positionieren sich denkbar unglücklich. Es empfiehlt sich also, selber Hand an den Analogstick zu legen, um die Laufwege zu kontrollieren.

Wenn der Ball kommt, darf die Remote geschwungen werden. Allerdings wirkt diese Variante überaus unnatürlich, denn es erscheint eine Leiste über dem Spieler, in der ein Balken von links nach rechts läuft. Will man nach links spielen, muss man die Remote frühzeitig schwingen, will man nach rechts, muss sie etwas später geschwungen werden. Das funktioniert zwar ansatzweise gut, aber gehört in die Mottenkiste der Motiontechnik, weil es keine natürlichen Bewegungen simuliert, sondern ein Reaktionsspiel verlangt. Schaltet man die Anzeige der Leiste aus, kann man sich wenigstens so hinein steigern, dass die Ballwechsel natürlich wirken.

Aber das ändert nichts daran, dass die Remote-Haltung nur bedingt relevant ist: Mal schlägt man eine Vorhand, obwohl man klar die Rückhand nachahmt, mal kommt der Ball kräftig, obwohl man nur leicht schlägt, mal gibt es Slice, mal Stopp - obwohl man etwas ganz anderes vorhatte. Und auch das Balkensystem ist nur in der Theorie sowie auf der Grundlinie tauglich, denn spätestens beim Serve & Volley kann man es vergessen, da man am Netz nur noch wild um sich schlägt und keine Zeit für Richtung oder Schlagart hat. Man kann ohne Wii MotionPlus nur einen Schlag auf Knopfdruck erzwingen: den Lob. Warum kann man nicht auch Topspin und Slice erzwingen, obwohl doch genau diese Wahl ganz entscheidend für die Taktik ist?

Die modernde Wii MotionPlus-Steuerung

Spielt man ohne WiiMotionPlus, erscheint auf Wunsch eine Anzeige über dem Kopf des Spielers: Ein Balken läuft von links nach rechts und muss rechtzeitig getroffen werden.
Mit Wii MotionPlus spielt sich Virtua Tennis ganz anders. Hier ist der Unterschied wesentlich deutlicher als in Grand Slam Tennis und man kann alle Schläge in einem ausführlichen Tutorial üben. Aber kann man das Spielgefühl dadurch verbessern und präziser gestalten? Ja, aber nur eingeschränkt. Denn mal abgesehen davon, dass man den Topspin nicht bewusst einleiten kann, sondern quasi immer wie einen normalen Ball schlägt, sorgen der Slice und der Stopp schnell für Frust. Diese beiden wichtigen Schläge werden nämlich viel zu ähnlich ausgeführt, indem man die Remote von oben nach unten bewegt und den Ball quasi schräg oder seitlich trifft, so dass er Unterschnitt bekommt.

Beim Slice führt man einen kräftigeren Schwung aus, beim Stopp nur einen leichten. Hört sich toll an, erweist sich aber als ungenau. Das Problem ist erstens, dass von zehn versuchten Slices, bei denen man exakt dieselbe Bewegung ausführt, nicht zu zehn erfolgreichen Slices kommt - und das in einem Tutorial, wo die Bälle schön langsam gespielt werden. Ja, man bekommt sie hin, aber für einen simplen Grundschlag des Tennis' ist die Fehlerquote bei der Bewegungsabfrage viel zu hoch.

Das Problem ist zweitens, dass der Stopp noch fehleranfälliger ist: Man kann ihn als taktisches Mittel der Tempoverzögerung quasi vergessen, weil er aufgrund der ähnlichen Bewegung entweder als Slice oder - und das ist noch schlimmer - als gar kein Schlag (!) gewertet wird. Sprich: Wer zu behutsam den Schläger nach vorne bringt, bekommt manchmal null Reaktion. Und das ist ehrlich gesagt eine Zumutung, denn Wii MotionPlus müsste selbst diese kleine Bewegung wenigstens bei der Figur nachahmen und es müsste einen Kontakt zwischen Schläger und Ball geben. Stattdessen steht der Profi dumm rum.

Wir haben hier einige Redakteure und auch Programmierer das Tutorial spielen lassen. Kein einziger kam zu einem positiven Ergebnis bei Slices und Stopps. Selbst bei einfachen Grundschlägen gab es oftmals Stirnrunzeln. Hier werden die Matches im Zweispieler-Modus übrigens nicht im Splitscreen wie bei EA, sondern auf einem ausgetragen. Das scheint zunächst besser, weil man ja mehr sieht. Aber das ist es praktisch nicht, denn es führt auch dazu, dass der oben platzierte Spieler unnatürliche, weil spiegelverkehrte Bewegungen ausführen muss.

Mit Wii MotionPlus macht das Spiel mehr Spaß, aber die Fehleranfälligkeit von Slice und Stopp sorgt für Willkür im Schlagabtausch.
Außerdem zeigte sich selbst bei optischem Weitblick die ganze Untauglichkeit der Schlagabfrage, denn es gab zwar viel schneller Ballwechsel als in Grand Slam Tennis, aber die Fehlerquoten hinsichtlich der Schlagtechniken und Richtungen sind zu hoch, als dass man wirklich strategisch spielen könnte. Lediglich zwei Schläge abseits des normalen lassen sich kontrolliert anbringen: Aufschlag und Lob. Bei Ersterem profitiert Wii MotionPlus davon, dass man nach dem Kontakt in die Richtung ausschwingen kann, die man haben will; bei Letzterem läuft es einfach so, dass man erst zu Boden zeigt und dann schnell nach oben zieht - auch das funktioniert einwandfrei und sauber.

Technisch schwache Umsetzung

Die Schwächen in der Bewegungsabfrage werden auch noch von technischen Unzulänglichkeiten begeleitet. Dieses Virtua Tennis für Wii sieht nur auf den ersten Blick gut und besser aus als Grand Slam Tennis, weil es das realistischere und polygongewaltigere Artdesign anbietet, das quasi 1:1 von den großen Konsolen übernommen wurde. Aber hier beginnen die Probleme: Es ruckelt in den Matches teilweise so stark, dass man unfreiwillig an Online-Lags denken muss - flüssig ist anders. Und der Filzball zittert sich nicht nur manchmal optisch lahm über das Netz, er kracht auch akustisch nicht; die Soundkulisse ist viel zu schwammig und undefiniert.

Auch die stümperhaft abgestimmte Dynamik der Zuschauer, die uns schon auf Xbox 360 und PS3 störte, taucht hier wieder auf. Hinzu kommen allerdings noch üble Kantenbildungen und Texturtapeten, die dieses Tennis auf den zweiten Blick deutlich unattraktiver machen als Grand Slam Tennis. Man hat zwar mehr Details sowie lebendigere Spielermodelle, aber selbst die ernüchtern mit vielen unnatürlichen und abgebrochenen Animationen, die es so auf den großen Konsolen nicht gegeben hat: Man hat des Öfteren das Gefühl, dass Schläger und Ball gar nicht richtig aufeinander treffen und von Geschmeidigkeit bei Spurts oder Volleys kann keine Rede sein.

Während Grand Slam Tennis wenigstens noch kleine optische Schmankerl mit Wii MotionPlus anbietet, wie z.B. das Eindrehen des Handgelenks, das Wippen des Aufschlägers oder die aufrecht gehaltene Schlaghand beim Return, kann man hier über das Drehen des Handgelenks gar keine Animationen auslösen - und das ist richtig schwach. Schon bei unseren ersten Matches waren wir technisch enttäuscht, die Verkaufsfassung verfestigt diesen Eindruck noch mal.

     

Fazit

Gewinnt Sega das Wii MotionPlus-Duell gegen EA? Nein, Sega verliert es. Und zwar deutlich. Das liegt daran, dass es sich das Team von Sumo Digital trotz der lobenswerten Tatsache, dass man auf Wii nicht am Umfang gespart hat, sondern dieselbe Karriere, dieselben Minispiele und auch einen Online-Modus anbietet, scheinbar viel zu einfach mit der Kulisse und der neuen Bewegungstechnik gemacht hat. Erstere enttäuscht mit brüchigen Animationen und bösen Rucklern selbst im Offline-Modus sowie einer nervenden Zeige-Dauerabfrage vom Tutorial bis hin zu jedem Spiel. Wer hat sich diese Bremse im 20-Sekunden-Takt ausgedacht? Fataler ist, dass das absolut künstlich wirkende Balkenreaktionsspiel über die klassische Remote kein echtes Tennisgefühl vermitteln kann. Erst mit Nintendos neuem Aufsatz fühlt sich das Filzballduell authentischer an, scheitert aber in der Ausführung der Schlagtechniken. Ja, es kommen wesentlich schneller Ballwechsel zustande als in Grand Slam Tennis, aber dafür ist hier sowohl das automatische Laufen eine fehleranfällige Stolperei als auch die Schlagabfrage wesentlich schlechter als bei der Konkurrenz von EA. Die hat ja noch einen Simulationsansatz und wird diesem mit Einschränkungen auch gerecht, denn die Schlägerhaltung wird wenigstens direkt und sichtbar übertragen - hier sieht man nichts, wenn man das Handgelenk bewegt! Und wenn ich nicht immer dann einen Slice oder Stopp spielen kann, wenn ich es will, dann macht Arcade-Tennis in dieser Form nicht nur keinen Spaß: Dann wird die Magie dieser Sportspielreihe, die von dynamischen Tempowechseln und gezielt initiierten Kontern lebt, einfach mit Füßen getreten. Statt dynamischer Filzball-Strategie lieber gepflegtes Glücksspiel mit rhythmischer Sportgymnastik? Nein, danke - ich pack lieber meine Dreamcast aus. Oder ich spiel dasselbe Tennis in guter, ansehnlicher und packender Variante auf Xbox 360 oder PS3.

Pro

derselbe Umfang wie auf PS3 & 360
mit Wii MotionPlus besser spielbar
Online-Modus mit Rangliste
ausführliche s Tutorial
keine übertriebenen Hechtsprünge
manuelles oder automatisches Laufen
KI auf höheren Schwierigkeistgraden deutlich stärker
zwölf Minispiele

Kontra

schlechtestes Virtua Tennis seit 2000
Slice und Stopp zu fehleranfällig
reines Remote-Spiel = Reaktionsspiel
auch mit Wii MotionPlus zu unpräzise
langweiliger Karrieremodus
nerviges Dauergezeige zur Aktivierung
ineffiziente Stopp-Bälle
schwache Animationen
Publikum geht akustisch nicht nachvollziehbar mit
automatisches Laufen mit ärgerlichen Bugs
hektische Kamera in Wiederholungen
wächserne Profi-Gesichter
lächerliches Schlaggestöhne
kaum Partikeleffekte wie Staub

Wertung

Wii

Unpräzise und ruckelfreudig: Auf Wii serviert Sega das bisher schlechteste Virtua Tennis der Firmengeschichte.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.