Dead Space: Extraction26.10.2009, Mathias Oertel
Dead Space: Extraction

Im Test:

Wenn es eine Konsole gibt, die für die so genannten "Lightgun-Shooter" wie geschaffen scheint, ist es Nintendos Wii. Das Problem: Viele dieser Titel erscheinen hierzulande nur über Importkanäle und landen häufig kurz darauf auf dem Index. Diesem Schicksal wird Dead Space Extraction glücklicherweise entgehen, denn der Wii-Ableger des SciFi-Horror-Universums überzeugt nicht nur visuell...

Damals und heute

Als vor gut einem Jahr Dead Space erschien, war die Verwunderung groß: Selbst mit dem angepriesenen Element des "Strategic Dismemberment", also dem gezielten Abtrennen von Körperteilen der angreifenden Monster, um sich einen Vorteil zu verschaffen inkl. eindrucksvoller Spuren hat es der futuristische Survival-Horror ohne Schnitte durch die USK geschafft. Und das hat uns gefreut.

Herzlich willkommen bei Dead Space Extraction, der technisch beeindruckenden Vorgeschichte zum letztjährigen Action-Shocker.
Der Wii-Ableger Dead Space Extraction (DSE)  hat ebenfalls das 18er-Siegel bekommen, musste aber leichte Einschnitte in Kauf nehmen. Diese betreffen bei menschlichen Gegnern zwar auch das "Strategic Dismemberment", halten sich ansonsten in sehr überschaubaren Grenzen und beeinflussen das Spielerlebnis in keiner Form. Aber warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Liegt es an der Egosicht, die einen auf Wii noch stärker ins Geschehen zieht als mit der Schulterperspektive der HD-Versionen?

Das 'andere' Dead Space

Als EA seinerzeit ein Dead Space für Wii ankündigte, hing eine Skepsis-Wolke im Raum: Immerhin konnte das futuristische Abenteuer auf den HD-Systemen nicht nur mit einer beklemmenden Atmosphäre und einer imposanten Soundkulisse punkten, sondern sah auch noch verdammt gut aus. Und diese visuelle Pracht will EA auf der technisch schwächeren Konsole replizieren?

Doch mit jeder neuen Info, die durchsickerte, wurde deutlich, dass die Kollaboration zwischen Visceral und dem eher als Lizenzschlächter bekannten Team von Eurocom durchaus viel versprechende Früchte tragen könnte.

Denn es geht in DSE weder darum die bekannte Geschichte mit Remote-Unterstützung zu erzählen noch darum, das Spielerlebnis von PC, PS3 oder 360 auf Wii zu quetschen. 

Figurendesign, Umgebungen, Lichteffekte: Alles vom Feinsten. Nur die Explosionen wirken erschreckend schwach.
Stattdessen hat man die sich anbietende Chance genutzt und erzählt, was auf dem Planeten Aegis VII sowie der Ishimura passiert ist, bevor der HD-Einsatz losgeht. Man erfährt, was der Auslöser der tödlichen Ereignisse ist und schafft mit geschickt eingefügten Anspielungen auf Figuren, die Spieler des Original-Dead Space bereits kennen, einige interessante Ansatzpunkte, um die Geschichten zusammenzuführen. Doch auch ohne Vorkenntnisse kann man DSE wunderbar genießen.

Auch inhaltlich wendet man sich von der Schulterperspektive sowie der freien Erforschung ab und bietet dafür die so genannte "Guided Experience", also die "geleitete Erfahrung" oder auf Neudeutsch: Einen waschechten Lightgunshooter mit Ego-Ansicht!

Klassisch mit modernen Ansätzen

Dabei bedient man sich zahlreicher bekannter Elemente, baut diese behutsam ins bestehende Universum ein und reichert diese mit ein paar frischen Ansätzen an, die aber zumeist an der Oberfläche stecken bleiben.

Was die Waffenauswahl betrifft, orientiert man sich natürlich an dem Arsenal, das man vom großen Bruder kennt: Der Plasma-Cutter feiert sein Comeback, das Impulsgewehr ebenso und auch der Ripper (eine lenkbare Kreissäge) ist ein gern gesehener Freund in Krisensituationen. Gleiches gilt für den Flammenwerfer, der allerdings hinsichtlich des Balancing viel zu mächtig ist und selbst größere Gruppen schnell dezimiert. Und natürlich darf auch die Stasis-Möglichkeit, also das gezielte 

Das Gegnerdesign orientiert sich natürlich an den Vorgaben der HD-Action, ist aber gleichermaßen bedrohlich wie überzeugend.
Verlangsamen von Objekten oder Gegnern nicht fehlen, die hier auch für das eine oder andere Umgebungsrätsel genutzt wird.

Vier der insgesamt zehn projektilen Gleichmacher, von denen die Metallbolzen verschießende Rivet Gun ein ständiger Begleiter ist, können gleichzeitig mitgeführt werden. Sammelt man eine frische an strategischen Punkten verteilte Waffe auf, muss man sich entscheiden, welche man (wenn überhaupt) dafür aufgibt.

Vor jedem der zehn Abschnitte bekommt man eine Übersicht, welche Waffen man gerade dabei hat, aber ein eventueller Austausch findet hier nicht statt. Das ist insofern schade, da es schon hin und wieder passieren kann, dass man eine Waffe unnütz mit sich rumschleppt, beispielsweise, weil sie gegen die auf einen zustürmenden Gegner im jeweiligen Abschnitt denkbar ungeeignet ist. Eine zumindest eingeschränkte Auswahl ist nur beim "freien" Wiederbetreten bereits erledigter Abschnitte möglich.

    

Die üblichen Lightgun-Shooter-Mechanismen werden von Zeit zu Zeit immer wieder aufgebrochen: Dabei kann es sich um zeitlich begrenztes freies Umschauen handeln, damit man reaktionsschnell Gegenstände, Gesundheitspacks, Waffenupgrades oder Munition einsammeln kann. Oder auch um alternative Routen und Geheimnisse, die einem an bestimmten Stellen angeboten werden und den Wiederspielwert des gut sechseinhalb bis acht Stunden dauernden Überlebenskampfes anheben. Nicht zu vergessen, das von Epics Kriegs-Shooter entliehene Nachladesystem, das mit einem

Die düster-klaustrophobischen Abschnitte, in denen man mit dem "Glühwürmchen"-Leuchtstab unterwegs ist, gehören zu den intensivsten Momenten, die man derzeit auf Wii erleben kann.
gut getimten zweiten Klick ein schnelleres Auffüllen der Munition ermöglicht, bei einem Scheitern aber die Zeit unerträglich verlängert.

Vorbildlicher Remote-Einsatz

Und vor allem in der Art und Weise, wie die Remote abseits des Zielens, Feuerns sowie Gegenstand-Aufsammeln genutzt wird, geht DSE erfrischend neue Wege, ohne jetzt den Bezug zur Dead Space-Welt zu verlieren: Dass man sie für sporadisch eingestreute Rätsel nutzt, in denen man Lötspuren (teils mit Hindernissen und während man angegriffen wird) nachziehen muss, ist ein beinahe normaler Einsatz.

Dass man bestimmte Audiologs nur über den Remote-Lautsprecher hören kann, ist hingegen ungewöhnlich und ein enormer Atmosphäre-Bringer.

Und nahezu grenzgenial ist der Einsatz der so genannten "Glühwürmchen": Diese Leuchtstäbe müssen durch Schütteln aktiviert werden - klasse!

Wenn man in späteren Abschnitten in einem Gefecht steckt, um einen herum die auch auf Wii verdammt gelungene Akustik für Schrecken sorgt und plötzlich das Glühwürmchen flackernd seinen Geist aufgibt, setzt richtige Panik ein. Ein zwei Schüsse auf Verdacht in die Dunkelheit abgeben, plötzlich realisieren, dass man nachladen muss und gleichzeitig so schnell wie möglich Schwärze im wahrsten Sinne des Wortes abschütteln, nur um dann im fahlgrünen Licht eine weitere Nekromorphen-Ausgeburt der Hölle vor sich zu sehen - in diesen Momenten ist Dead Space Extraction ganz großes Kino und eines meiner intensivsten Wii-Erlebnisse.

Aber manchmal machen sich die Designer das Leben selbst zu schwer: Die Leuchtstab-Idee ist zweifellos gelungen. Doch wieso kann man sie nur an bestimmten, von den Entwicklern vorgesehenen Stellen einsetzen? Es gibt genügend andere dunkle Punkte in DSE, in denen ich mir diese Möglichkeit gewünscht hätte, mich aber der vorgegebenen Spannungskurve beugen muss. Dabei hätte der freie Einsatz der Glühwürmchen die Spannung nicht beeinflusst.

Und die grundsätzlich gut gemeinte Nahkampfattacke, die durch Schwingen des Nunchuk initialisiert wird, ist abseits des sporadischen Zerstörens von Hindernissen auch sinnfrei. Für den Kampf zumindest zeigt das minimale Zurückwerfen der Gegner nahezu keine Auswirkung und gibt einem ein nur kleines Erholungs-Zeitfenster, das zumeist nicht einmal zum Nachladen genutzt werden kann. 

"Gehen Sie bitte weiter. Es gibt hier nichts zu sehen!" Noch nicht - doch der Schrecken naht mit Riesenschritten und sorgt für wohlige Schockmomente.
Dem gegenüber steht die ebenso simple wie überzeugende Lösung hinsichtlich des alternativen Feuermodus jeder Waffe: Wer die Remote um 90 Grad dreht, macht aus einem horizontalen Plasmageschoss ein vertikales, kann die Bolzen aufladen oder bei der P-Sec-Pistole drei Geschosse auf einmal abfeuern - sehr schön und sehr intuitiv.

Wohl temperiert

Wie schon das Original zeigt sich auch das Prequel erzählerisch von seiner Schokoladenseite, wobei das Genre Lightgun-Shooter alle Trümpfe in die Hände der Entwickler gespielt hat. Da sie von vornherein wissen, wo sich der Spieler gerade befindet und nicht auf eventuelle Erforschungstriebe Rücksicht nehmen müssen, haben sie die Gunst der Stunde genutzt und DSE mit einem alle Register ziehenden Drehbuch versehen.

Ruhige Momente, in denen man in den Gesprächen über die sehr gut, aber Englisch synchronisierten und bis auf wenige Ausnahmen sauber übersetzten deutschen Texte viel über die Figuren und ihren Hintergrund erfährt, wechseln sich ab mit filmreifem Spannungsaufbau, der dann wiederum in Gegnerwellen seinen Höhepunkt findet. Und dann kehrt wieder etwas Ruhe ein, bevor der ganze Zyklus wieder von vorne losgeht und natürlich auch vor dem einen oder anderen gut inszenierten Bosskampf nicht halt macht.

  

Die Variationen im Erzähltempo werden punktgenau gesetzt und zwischen Ruhe, Spannung und atemloser Action stets eine interessante Balance gefunden, die auch glücklicherweise unvorhersehbar bleibt.

Die Unvorhersehbarkeit wird auch durch die Figurenwechsel forciert: Zwar ist man die meiste Zeit mit dem Sicherheits-Experten Nathan McNeill unterwegs, doch wenn es die Dramaturgie erfordert, ist man auch mit ein paar anderen Figuren im Einsatz, um deren Seite der Geschichte noch intensiver kennenzulernen oder zu erfahren, was in der Zeit passierte, als man mit Nathan auf der Überlebenspirsch war.

Der Flammenwerfer sieht nicht nur gut aus, sondern ist eine (über-)mächtige Waffe im Kampf gegen die Nekromorphen.
Sparen können hätte man sich allerdings die Geschützturm-Sequenz, die zwar gut eingeleitet wird, die sich inhaltlich aber weder in die Spannung noch in die Action einreihen kann, die DSE sonst bietet.

Wii-Grafik 2.0

Die größte Überraschung von Dead Space Extraction ist jedoch, dass die Kulisse mit ihren düsteren und klaustrophobischen Umgebungen, den punktgenau eingesetzten Lichteffekten, Rauchschleiern, Spiegelungen in Helmen sowie nicht zuletzt dem Figurendesign, das dem der großen Kollegen kaum nachsteht, beinahe restlos überzeugen kann.

Nach Spyborgs ist DSE ein weiterer Beweis dafür, dass Wii eindeutig in der Lage ist, eindrucksvolle Welten abseits von High Definition zu inszenieren. Ein Kollege brachte es auf den Punkt, als er meinte, wenn man nur flüchtig draufschaue, gäbe es viele 360- oder PS3-Titel, die schlechter aussähen.

Bei genauem Hinsehen kann die Wii natürlich nicht mit der Texturmacht der HD-Systeme mithalten und auch die überzeugend designten und detailliert animierten Gesichter der Protagonisten wirken im direkten Vergleich mit Dead Space auf PS3, PC oder 360 grobschlächtiger.

Doch was Eurocom hier mit Visceral aus Wii rauskitzelt, nötigt einem vor allem unter Nutzung des Komponentenkabels und HDTV-Modus Respekt ab. Aufwändig, technisch sauber, atmosphärisch dicht, schlichtweg eine Pracht zum Zuschauen.

Zumindest, bis die Hochglanzhülle erste Risse bekommt und man die ab und an auftauchenden Clippingprobleme wahrnimmt. Oder auch die meist eher unspektakulären Explosionen, die so gar nicht einhalten können, was der Rest der Kulisse verspricht.

Der Horror beginnt auf Wii: Die Extraction-Story erzählt, was bis zu den Ereignissen von Dead Space auf PC, 360 und PS3 passiert ist - zahlreiche Anspielungen inklusive.
Im Gegenzug jedoch gibt es Heerscharen sauber animierter Gegner, die im Falle von monströsen Feinden auch stilecht in bester Dead Space-Manier ihrer Gliedmaßen entledigt werden können.

Als besonderes Gimmick kann man sogar einstellen, wie heftig die Kamera bei der Bewegung wackelt und damit die von z.B. J.J. Abrams so gern genutzte Handkamera nachempfinden. Wer mag, stellt den Regler auf das Maximum und hat damit nicht nur ein Erlebnis, das an die demnächst erscheinenden Resident Evil Darkside Chronicles erinnert, sondern schraubt damit auch auf subtile Weise den Schwierigkeitsgrad etwas nach oben. Denn nach einer hektischen Laufsequenz die Ruhe zu finden, im nächsten Gefecht ohne Probleme zielen zu können, ist eine Kunst für sich.

Und danach?

Lightgun-Shooter kranken häufig am Wiederspielwert. Und nach gut sieben Stunden Story-Kampagne fragt man sich auch hier, was man jetzt machen soll? Darauf gibt DSE mehrere Antworten: Zum einen finden sich in vielen der zehn Abschnitte an bestimmten Punkten alternative Routen, die einen erneuten Besuch lohnenswert machen, insofern man nicht ohnehin gewillt ist, alle Abschnitte mit der Höchstwertung abzuschließen und damit auch das letzte der zahlreichen Extras wie z.B. einen interaktiven Comic freizuschalten. Oder aber man schnappt sich einen zweiten Spieler, der jederzeit ein- und aussteigen kann, um einem das Überleben zu erleichtern.

Und wem das nicht reicht, kann sich solo oder zu zweit an den so genannten "Herausforderungen" versuchen, in der man zwar die bekannten Abschnitte durchstreift, aber frei von erzählerischen Zwängen oder Tempowechseln Welle auf Welle an Nekromorphen besiegen muss. 

Fazit

Ich ziehe meinen Hut. Ich gehöre auch zu denen, die Dead Space Extraction anfänglich belächelten: "Wii will einen auf Dead Space machen? Ja, genau..." Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Nicht nur von der Kulisse, die bis auf wenige Ausnahmen nicht nur mit das Beste ist, was man auf Wii derzeit zu sehen bekommen dürfte, sondern darüber hinaus dem großen Namen Dead Space gerecht wird: Das Figurendesign ist ebenso überzeugend wie die Abschnitte düster oder klaustrophobisch sind und mit dem "Strategic Dismemberment" ist eines der prägnantesten Elemente auch in der leicht gekürzten deutschen Version enthalten. Klar: Im Kern ist der Kampf ums Überleben nur ein weiterer Lightgun-Shooter. Aber einer, dem der Nervenkitzel aus allen Poren trieft. Und einer, der mit zielsicherem Wechsel zwischen Erzählung, Spannungsaufbau, frenetischer Action sowie Bosskämpfen begeistern kann. Wenn die Remote samt Gestenerkennung häufiger so sinnvoll und bedacht eingesetzt würde wie hier, höre ich auf, Wii als "Fuchtelkonsole" zu bezeichnen. Mit einem ausgefeilteren Waffenbalancing sowie besseren Effekten,  z.B. bei den Explosionen, wäre noch mehr möglich gewesen. Doch auch so ist Extraction ein Erlebnis, das sich kein Lightgun-Shooterfan entgehen lassen sollte.

Pro

hervorragende Kulisse...
gute Steuerung
gute Einbindung der Remote-Funktionen
schön wechselndes Erzähltempo
spannende Story
sehr gute Akustik
Zwei-Spieler-Modus (drop-in/drop-out)
alternative Routen

Kontra

<P>-&nbsp;... aber extrem schwache Explosionseffekte
Flammenwerfer zu mächtig
freie Waffenauswahl eingeschränkt
nahezu nutzloser Nahkampfangriff
langweilige und anspruchslose Geschützturm-Sequenz</P>

Wertung

Wii

Technisch beeindruckend, erzählerisch stark: Auch als Lightgun-Shooter ist Dead Space ein empfehlenswerter Horror-Trip.

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