Pro Evolution Soccer 201103.11.2010, Jörg Luibl
Pro Evolution Soccer 2011

Im Test:

Im März 2008 überraschte Konami auf Wii mit einer neuen Art Fußball: Der klassische Kick wurde um einen strategischen Ansatz erweitert, der fast für ein Gefühl von Rasenschach sorgte und nur knapp an Gold scheiterte. Seitdem sind schon zwei weitere Spiele erschienen, die das Prinzip zwar en detail verfeinern, aber auf dem Platz nicht mit großem Fortschritt begeistern konnten. Wie schlägt sich diese vierte Auflage?

Die neue Freiheit

 

Wie auf PS3 und 360 gibt es bis auf Bayern und Bremen die Lizenzlücke Bundesliga, aber dafür sehr ansehnliche Profigesichter und einen starken Editor für eigene Spieler, Vereine und Embleme.

Ausdauer und Freistöße - ist das alles, was sich getan hat? Letztes Jahr war Pro Evolution Soccer 2010 nicht mehr als ein Update, das Konami auch gut als Download für einen Budgetpreis über den Wii-Shop hätte anbieten können.

Aber dieses Jahr wollen die Japaner mit einem frischen Spielgefühl punkten: Ähnlich wie auf PS3 und 360 soll es eine offenere Steuerung, eine bessere KI und mehr individuelle Klasse geben. Außerdem soll man noch mehr Komfort im Online-Modus finden sowie Laufwege für Standards bestimmen können. Das hört sich in der Theorie alles gut an. Zumal auf der Boxrückseite steht, dass Shingo "Seabass" Takatsuka das Ganze produziert hat. Müsste es nicht Akiyoshi '"Greyhound" Chosogabe heißen? Er hat diesen neuen Fußball schließlich konzipiert. Egal, vielleicht ist das auch nur eine Formalie.

Wichtig ist bekanntlich auf'm Platz. Und in der Praxis bemerkt man einige Änderungen gegenüber dem Vorgänger. Zu den offensichtlichen gehören Kleinigkeiten im Umfeld: Man kann bei Ecken die Kamera über den linken Analogstick schwenken und zoomen, um sich eine bessere Übersicht zu verschaffen. Außerdem lassen sich für Standards mehrere Laufwege für Spieler festlegen, so dass z.B. bei einem Freistoß vier, fünf Mann exakt nach Vorgabe in den Strafraum sprinten - ideal, um spezielle Anspiele einzustudieren. Diese Funktion, die es in etwas komplexerer Form seit FIFA 10 gibt, würde übrigens auch dem großen PES gut zu Gesicht stehen.

Zu den subtilen Änderungen

Zu den subtilen Änderungen gehört die etwas größere Spielintelligenz der Gegner, denn sie bauen cleverer auf und passen tödlicher in den Raum. Allerdings bleibt es bei einigen Totalaussetzern vor dem Tor, wenn einige Stürmer der KI einfach nicht abschließen wollen - immerhin ist das nur selten der Fall. Zum anderen läuft das Gerangel um den Ball etwas körperbetonter ab, weil massige Verteidiger schon mal einen leichten Flügelflitzer abdrängen, so dass neben der Ausdauer jetzt auch die Physis etwas wichtiger ist. Und man kann dank der neuen 360-Grad-Freiheit auch auf Wii etwas filigraner die Richtungen wechseln und dribbeln. Hab ich jetzt dreimal "etwas" gesagt? Ja, ganz bewusst.

Spielerisch hat sich nur wenig getan: Die Physis ist etwas relevanter im Zweikampf und man kann bei Standards individuelle Laufwege festlegen.
Denn die wichtige Frage lautet: Führt das alles zu einem frischen Spielgefühl wie etwa auf PS3 und 360? Jein. In erster Linie führt es dazu, dass man konzentrierter spielen muss. Dass man also in der Meisterliga, der zurückgekehrten UEFA Champions League oder der neuen südamerikanischen Copa Santander Libertadores auch die defensiven Manöver besser beherrschen muss; es gibt ansonsten quasi alle Spielmodi, die man von PC, PS3 und 360 kennt, sowie die für Wii spezifische Champions Road, in der man mit seinem Team auf einer Turnierkarte reisen und zusätzlich zum Sieg spezielle Herausforderungen wie "Spielen sie 20 Kurzpässe" meistern kann.

Und natürlich gibt es erneut einen Online-Modus, der Spiele gegen registrierte Freunde oder anonyme Matches ermöglicht; darüber werden auch Statistiken geführt - schön ist, dass man nach Verbindungsqualität ordnen und Abbrecher auf eine schwarze Liste setzen kann, allerdings vermisst man immer noch eine Ligafunktion oder einen Sprach-Chat. Ein wichtiger Kritikpunkt des Vorjahres ist dafür passé: Endlich kann man sowohl offline als auch online mit verschiedenen Steuerungsbelegungen gegeneinander antreten - sehr schön! So lassen sich Duelle zwischen strategischen Pfeilmalern und Oldschoolkickern austragen.       

Rasenschach wie gehabt

Auch auf Wii debütiert der südamerikanische Wettbewerb inkl. aller Clubs.
Inhaltlich tut sich mehr als letztes Jahr, was auch nicht schwer war, aber man erreicht auf Nintendos Konsole lediglich einen Status, der auf anderen Plattformen längst Normalität ist. Immerhin kann man die 1-gegen1-Situationen dank einiger neuer Finten etwas kreativer ausspielen, so dass tatsächlich je nach Dribbelfähigkeit des Kickers mehr individuelle Klasse zu spüren ist. Aber wo sind spektakuläre Überkopflupfer oder Kombinationen aus Dribblings? Und müsste man für dieses Spiel nicht ein ganz eigenes Dribblingkonzept entwickeln? Man kann auf Wii, bis auf ein, zwei Ausnahmen, lediglich bekannte Tricks vom Übersteiger bis hin zur Matthews-Finte nutzen.

Natürlich liegt der Schwerpunkt hier auf der großen Strategie, aber in diesem zentralen Bereich der Pfeilmalerei auf dem Feld gibt es gegenüber der Premiere aus dem Jahr 2008 kaum Entwicklungen - und das ist Segen und Fluch zugleich. Man nutzt immer noch das intelligente und motivierende Grundprinzip, wenn man seine Laufwege direkt per Remote auf den Platz malt. Man kann nicht nur dem Ball führenden, sondern auch jedem anderen Spieler direkt Bewegungsanweisungen mit einem Ziel geben - in der Abwehr, im Angriff als auch bei Standards, wo man seine Stürmer schnell mit ein paar Pfeilen in den Strafraum schickt, bevor man das Leder gen Torwart schlenzt. Ist man in Tornähe, kann man immer noch entweder das Nunchuk für einen automatischen Schuss schütteln oder versuchen die Richtung zu bestimmen, indem man mit der Remote auf die betreffende Stelle des Tores zeigt und B drückt - wie gehabt mit allen Fehlern hinsichtlich der Genauigkeit, denn der Ball landet nicht immer da, wo man ihn haben wollte.

Bei der Bewegung und den Pässen bleibt alles beim guten und präzisen Alten: Mit der Remote auf einen Spieler zeigen, den A-Knopf gedrückt halten und den Pfeil ziehen oder einfach in den freien Raum klicken - schon spurtet Özil dorthin. Mit der Remote auf einen Punkt nahe der Außenlinie zielen, den B-Knopf drücken, damit der Pass nach vorne geschlagen wird und der Flügelflitzer bewegt sich automatisch dorthin, um den Ball anzunehmen - will man einen hohen Ball spielen, klickt man zweimal den B-Knopf oder lässt das automatisch regeln.

Zwischen Playmaker und Klassik

Endlich kann man sowohl offline als auch online mit den verschiedenen Steuerungen gegeneinander antreten - also Playmaker gegen klassischer Stil.
Der Spielaufbau ist wie schon anno 2008 angenehm taktisch, aber auch nicht gerade spektakulär hinsichtlich besonderer Aktionen, zumal gerade in einem Spiel mit einem Freund für Finessen die Übersicht fehlt: Immerhin tummeln sich da zwei dicke Fadenkreuze und zig Pfeile auf dem Platz, wenn beide den Playmaker-Stil nutzen. Wer es klassischer und einfacher mag, wechselt auf die seitlich gehaltene Remote oder zum Classic Controller und findet im ausführlichen Handbuch die kompletten Steuerungsbelegungen für alle, die auf das Malen von Laufwegen verzichten wollen. Einsteiger nutzen natürlich das vorbildliche Training, das situationsbezogene Übungen anbietet und sehr behutsam in die Möglichkeiten einführt.

Aber wo sind die grafischen und akustischen Fortschritte? Ja, die Profis sehen auch als Miis richtig gut aus, weil die Gesichter von Khedira & Co überaus authentisch wirken. Und auch die Animationen auf dem Platz können sich vor allem in den Wiederholungen sehen lassen. Aber der Rest der Präsentation, vor allem Stadien, Fans, Kommentare und Gesänge, lassen immer noch zu wünschen übrig.         

Fazit

Konami serviert hier immer noch den besten Kick auf Wii. Aber es ist der Fluch der kleinen Schritte, der dieses kreative Fußballspiel verfolgt. Denn zwei wichtige Dinge vermisst man seit dem Debüt im Jahr 2008: Echte Fortschritte im strategischen Spielgefühl und in der Präsentation. Im Gegensatz zu PES auf 360 und PS3, wo man hinsichtlich des Zweikampfverhaltens und des Aufbaus spürbar nachgebessert hat, sucht man derartige Qualitätssprünge hier vergebens. Man findet eher subtile Verbesserungen wie eine schwenkbare Kamera, ein paar weitere Finten, Laufwege bei Standards sowie etwas mehr Physis in den Zweikämpfen als ein wirklich frisches Spielgefühl - das werden Kenner des Vorgängers positiv bemerken, aber alle anderen werden mit PES 2008 genau so gut bedient, wenn es um Pfeilmaltaktik im Playmaker-Stil geht. Und genau das kann man weder von FIFA noch von PES auf den großen Plattformen sagen; da war 2008 eine andere Fußballwelt. Oder ist das Limit des Möglichen hier schon erreicht? Schade ist auch, dass es immer noch keine Online-Liga gibt und dass die für Wii-Verhältnisse gute Kulisse unter ähnlichen Schwächen leidet wie der große Bruder: Stadionumfeld, Fangesänge und Kommentare lassen zu wünschen übrig. Immerhin kostet diese Erweiterung nur 25 Euro, entwickelt sich deutlicher als der spartanisch ergänzte Vorgänger und ermöglicht endlich steuerungsübergreifende Spiele.

Pro

kein Vollpreis (25 Euro)
360-Grad-Freiheit in Bewegung
etwas effizientere Dribblings
eigene Laufwege für Standards
viele Spielstrategien möglich
manuell aktivierbare Abseitsfalle
situationsbezogenes Training
Verteidiger können Pässe antizipieren
starker Editor für individuelle Änderungen
guter Netzcode & Rivalenliste
kooperatives Spielen möglich
mit Classic-Controller oder Remote spielbar
verschiedene Steuerungen gegeneinander nutzbar
drei Steuerungsvarianten
 realistische Spielergesichter

Kontra

kaum Fortschritte in der Präsentation
es fehlt immer noch Richtungspräzision im Abschluss
Schuss & Pass auf dem B-Knopf führt zu Verwechslungen
Doppelpässe nicht intuitiv genug
Remote-Steuerung mit Schwächen
kein WiiSpeak für Sprach-Chat
keine Online-Liga möglich

Wertung

Wii

Immer noch strategisch guter Fußball, der sich inhaltlich und technisch seit der Premiere kaum entwickelt.

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