Kirby und das magische Garn16.12.2010, Paul Kautz
Kirby und das magische Garn

Im Test:

Er ist klein, er ist rosa, er ist ein laufender Ballon, der Gegner sowie lecker aussehende Dinge einfach in sich hinein saugt - Kirby, einer von Nintendos ältesten, wenn auch nicht gerade bekanntesten Helden. Wie viel bleibt von diesem Heldentum noch übrig, wenn man den Knirps um den größten Teil  seiner Eigenschaften beraubt?

Das glückliche Herz

 

Video: Kirby's Epic Yarn steckt nicht nur voller wundervoller Ideen, sondern sieht auch einfach wunderschön aus.Es gibt Spiele, da spürt man sie - die Liebe. Ist ganz ähnlich wie im richtigen Leben: Bei dem einen spürt man sie sofort, bei dem anderen stellt sie sich einfach nicht ein. Komisches Ding, diese Liebe. Ganz besonders im Spielebereich, wo ja viel zu oft der Polycount ein Indikator für die Qualität ist. Und dann gibt es Spiele wie A Boy and His Blob , Braid , Plants vs. Zombies oder Muramasa - bei denen man von Anfang an weiß, dass dahinter Entwickler standen, für die (zumindest in mancher Hinsicht) nicht der große kommerzielle Erfolg oder die technisch aufregendste Grafik im Vordergrund standen. Sie investierten ihr Herzblut, um das bestmögliche Ergebnis abzuliefern. Genau wie bei Kirby's Epic Yarn.

Es ist eine Sache, ein Spiel niedlich zu gestalten - und eine ganz andere, das Ganze zum Verrücktwerden niedlich zu machen. Epic Yarn (nachfolgend KEY abgekürzt) ist so ein Fall: Schwingt man sich in Melody Town an einer Harfe entlang, ertönt nicht nur ein harmonischer Akkord, sondern heraus purzeln auch bunte Noten, die einen kleinen Regenbogen ergeben, der von Kirby eingesammelt werden kann. Verwandelt sich das rosa Knäuel in einen Wüstenbuggy, entstrickt sich auf einmal ein schnelles Rennen gegen gegnerische Piloten - an dessen Ende man je nach Platzierung auf dem Treppchen steht und statt einer Champagner- eine Edelsteindusche verpasst bekommt. Ein Bossgegner ist ein fieser Zauberer, der seine gemeinen Tricks vor einem atemlos mitfiebernden Publikum auspackt. In einem Spielzeug-Level sitzt ein großer, sehr traurig aussehender Teddy herum - flickt man seinen aufgerissenen Fuß, grinst er auf einmal wieder ganz breit. Yay, ein Glücksbärchi! Und Oberbösewicht Yin-Yarn beschwört seine Schergen nicht einfach so in die Welt - nein, er strickt sie hinein! Und das war wirklich nur ein Bruchteil der wahnwitzig liebevollen Ideen, die in KEY stecken - das Spiel ist so inspiriert und zuckersüß, dass man dahinter eine Attacke der 

Gesteppt, gestrickt, geknotet, geflochten, genäht, geklöppelt - in Kirby's Epic Yarn steckt all die Weisheit der Näherinnen dieser Welt. Sowie eine kaum meßbare Extraportion Liebe!
Zahnarztlobby vermuten könnte! Auch die eigentliche Geschichte wird wie von einem Märchenonkel vorgetragen. Was wörtlich zu nehmen ist, denn die Figuren selbst kommen nicht zu Wort - der Sprecher variiert einfach seine Stimme, während er die Geschichte vorliest.

Der Stoff, aus dem die Helden sind

Würde KEY all diese Ideen haben, aber aussehen wie Ottonormal-Jump-n-Run, wäre es trotzdem schon ein Gewinner. Aber das ist nicht der Fall, denn zum cleveren Spieldesign gesellt sich eine extravagante Präsentation, die im Spielebereich ihresgleichen sucht: Alles, aber auch wirklich alles sieht so aus, als würde es Omas Strickkiste entspringen! Die Umgebung, Freund, Feind, alle Objekte, einfach alles besteht aus Wolle, Fäden, Knöpfen, Reißverschlüssen oder Stofffetzen. Okay, LittleBigPlanet ging in eine ähnliche Richtung, aber nicht mal ansatzweise so konsequent wie Kirby! Denn hier ist die Präsentation nicht nur die Visualisierung eines bestimmten Stils - nein, das ganze Spiel ist um dieses Thema herum gestrickt! Gegner werden nicht getötet oder aufgesaugt, sondern aufgedröselt. Der Stoffboden gibt bei jedem von Kirbys Schritten ein ganz klein wenig nach, so als würde er auf einem Teppich laufen.  Betritt man ein Haus, verschwindet Kirby dahinter - klettert er nach oben, bewegt sich einfach ein Knubbel unter der Grafik, als würde sich eine Katze unter einer Bettdecke austoben.  Neue Levels werden nicht einfach geöffnet, sondern teilweise bemerkenswert aufwändig frei animiert: Mal boxt ein Riese eine weitere Welt frei, mal pustet ein Lampengeist mächtig, mal wird ein riesiger Stoffkuchen Stück für Stück zusammengestellt. Und nicht zuletzt besteht sogar eine Trivialität wie ein Lensflare nicht einfach nur aus hellen Objekten, sondern aus hellen Stoffresten. Brillant!       

Kirby kann sich in verschiedene Vehikel verwandeln - hier ein Feuerwehrwagen. Dessen Stoffwasserstrahl wird über die Neigung der quer gehaltenen Wiimote kontrolliert.
Eine der Besonderheiten von Kirby-Spielen war schon immer, dass der Held mit dem Einsaugen von Gegnern auch deren Eigenschaften in sich aufnahm. Nun, mittlerweile kann er nicht mehr saugen - aber hey, er besteht aus Garn! Und damit kann man doch so viel machen, wie man gerade wieder im Winter sieht. So kann sich Kirby an bestimmten Stellen (zum Teil auch jederzeit) in eine Vielzahl von Vehikeln verwandeln: Da wäre z.B. das UFO, das mit eingebautem Beam-Strahl und Elektrobratzer daherkommt. Oder das niedlichste Feuerwehrauto, komplett mit bewegungskontrolliertem Stoff-Wasserstrahl. Für den schnellen Spurt wird er zum Auto, zum Durchbrechen von stabilen Platten zum Gewicht, sanft zur Erde geht's mit dem Kirby-Schirm. Mal wird aus ihm ein großer, kugelrunder Panzer, dann eine schnappende Buddelmaschine, später sogar eine Lokomotive, der man mit der Wiimote eine Schienenstrecke auf den Fernseher malen muss. Ideen- und Abwechslungsreichtum der Designer scheinen hier keine Grenzen zu kennen, genauso wie bei der Thematisierung der einzelnen Welten: Mal rennt man über knuffig-grüne Grasebenen, kämpft sich durch schummrige Lavahöhlen, weicht fallenden Stoffzapfen in einer Eiswelt aus, schult das feine Gehör in einer Melodienstadt, riskiert bleibende Zahnschäden im Süßigkeitenland oder blubbert als Kirby-U-Boot durch tiefe Gewässer. Bereits freigespielte Welten kann man entweder als Auto durchflitzen (was aber beim Wechsel jedes Mal mit  einer kurzen Ladepause quittiert wird), oder man wählt sie über eine Landkarte direkt an.

Kampf dem Strickmonster!

KEY ist im Grunde seines Herzens ein simples Jump-n-Run. Das bezieht sich in erster Linie auf das Design; es wird gesprungen, gerannt, Gegner werden zerpflückt, Hüpfpassagen gemeistert. Hier und wartet sogar das eine oder andere kleine Puzzle, diese dienen aber nur der Auflockerung. Besonders pfadfinderisch veranlagte Spieler sollten außerdem die Augen nach Bonusobjekten offenhalten - damit sind sowohl Designelemente als auch Teile

Jede Welt wird von einem Bosskampf beendet - der leider, wie auch der Rest des Spiels, geradezu kindisch einfach ist.
des Soundtracks gemeint, den man sich in einem gesonderten Menü immer wieder anhören kann. Und sollte, denn die über weite Teile von einem fröhlichen Klavier dominierten Stücke verbreiten ebenso gute Stimmung wie die Grafik.

Aber »simpel« hat auch eine weitere Bedeutung - nämlich »leicht«. Im Falle von KEY wäre sogar »supersimpel« angebracht, denn das Spiel ist wirklich verdammt leicht. Sogar so leicht, dass es für Kirby unmöglich ist zu sterben: Wird er getroffen, verliert er nur einen Teil seiner gesammelten Edelsteine, ähnlich den Ringen bei Sonic. Doch während für den Stachelkopf danach die Zitterpartie beginnt, geht es für Kirby ganz normal weiter - es gibt keine Game Over-Möglichkeit, nur die Chance, am Levelende ohne Juwelen in der Abrechnung doof da zu stehen. Selbst die Bossgegner machen da keine Ausnahme: Egal ob schnappfreudiger Drache, Strickfeuer spuckender Stoff-Phönix oder erwähnter fieser Magier - ihre Angriffsmuster sind problemlos zu durchschauen, nach drei erfolgreichen Attacken ist in der Regel Schluss und Draufgehen auch hier unmöglich. Kurz gesagt: Die Kirby-Spiele waren schon immer sehr einfach, aber so leicht wie in Epic Yarn wurde einem das Leben noch nie gemacht. Noch einfacher wird's, wenn ein zweiter Spieler einsteigt: Jeden Level darf man (nur lokal) gemeinsam angehen, Controller #2 übernimmt dann die Rolle des blauen Prinzen Fluff, dem die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen wie Kirby. Teilweise schlüpft man sogar gemeinsam in eine Haut - so kontrolliert der eine die Bewegungen des Panzers, während der andere feuert. Apropos Controller: KEY wird ausschließlich mit der Wiimote gesteuert, welche die meiste Zeit über quer gehalten wird. Nur in Ausnahmefällen (wie der Einrichtung des Zimmers oder der unnötig fummeligen Kontrolle der Kirby-Lokomotive)  muss die Fernbedienung auf den Bildschirm gerichtet werden. Diese paar per Bewegungskontrolle gesteuerten Abschnitte

Jeder Level ist lokal zu zweit spielbar. Ein Freund übernimmt die Kontrolle des blauen Prinzen Fluff.
sind dann wohl auch die Begründung für den Ausschluss von Classic- oder GameCube-Controller, obwohl sie völlig problemlos auch auf den Sticks liegen könnten.

Die Zimmereinrichtung ist eine Art Mini-Game: Mit den in den Levels gefundenen oder bei Händlern erworbenen Gegenständen darf man das Kirby-Haus verschönern - ein Froschsessel hier, eine Karotapete da, eine Pilzlampe dort. Alles sehr niedlich, aber im Grunde eigentlich Zeitverschwendung, zumindest für Kirby selbst. Denn in die Hauptstadt von »Patch Land« kommen immer neue Besucher, denen man ebenfalls die Zimmer verschönern kann. Die zeigen sich daraufhin insofern erkenntlich, als dass sie Herausforderungen freischalten - diese mit einem Zeitlimit versehenen Geschicklichkeitstests sind wenigstens ein klein wenig anspruchsvoller als das Hauptspiel.    

Fazit

Liebe. Liebe in jedem Pixel, Liebe in jeder Note, Liebe im Vordergrund, am Stoffhimmel, bei jedem kleinen Tritt auf den wabbeligen Boden und beim Auswickeln des bösen Magiers, der vor einer atemlos mitfiebernden Zuschauermenge seine fiesen Tricks aus dem Ärmel zaubert. Liebe. Wenn es gegenwärtig ein Spiel gibt, in das man sich völlig problemlos auf den ersten Blick verlieben kann, dann ist es ohne Frage, Diskussion oder Alternative Kirby's Epic Yarn! Der Strick-Stil ist nicht nur bemerkenswert kreativ, sondern auch hinreißend umgesetzt - einfach ein wunderwunderschönes Erlebnis; gleichzeitig auch eines der wenigen Wii-Spiele, bei denen man grafisch kaum vermutet, dass sie Wii-Spiele sind. Und es ist nicht nur Schein über Sein: Unerwartet viele, teilweise herrlich alberne Verwandlungen sorgen für Abwechslung im Strickalltag, das Design der Welten, allein schon das Entfalten neuer Levels ist zum Teil bewundernswert inspiriert. Ein klarer Wertungssprenger also, zückt schon mal die dreistelligen Noten? Nein, leider nicht, denn so liebevoll und ansprechend Kirby ist, so erschreckend anspruchslos ist es auch: Es ist (wie die meisten anderen Abenteuer der Reihe) von vorne bis hinten für eine sehr junge bzw. jung gebliebene Zielgruppe entwickelt - wirklich furchtbar leicht, man könnte es problemlos als den Anti-Donkey Kong bezeichnen! Okay, wenn man wirklich alle Boni finden möchte, muss man teilweise gut suchen. Aber es gibt außer dem Verlust der Edelsteine keinerlei Motivation zur Vorsicht, selbst die Bossgegner sind in erster Linie Schmuckstücke und weniger ernsthafte Bedrohung. All das macht Epic Yarn zum optimalen Spiel zusammen mit der Familie oder für den entspannten Feierabend. Wer eine Herausforderung sucht, der findet sie bei Donkey Kong Country Returns . Hier gibt es nur zuckersüße Leichtigkeit.

In Deutschland erscheint das Spiel unter dem Namen "Kirby und das magische Garn" am 25. Februar 2011. Wir werden den Test zeitnah aktualisieren. Anm. d. Red.

Pro

niedliche, hochkreative Präsentation
erstaunlicher Umfang
einfache Steuerung
wundervolle Musik

Kontra

sehr leicht
teilweise fummelige Fahrzeug-Steuerung

Wertung

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