Donkey Kong Country Returns03.12.2010, Jörg Luibl
Donkey Kong Country Returns

Im Test:

Passt der Jugendschutz überhaupt noch auf? Warum gibt es keine geschnittene Version von Donkey Kong: Country? Eigentlich müsste man es indizieren. Vielleicht sogar beschlagnahmen. Es macht aggressiv und gewalttätig, man schreit und brüllt wie ein Affe, es geht um Drogenmissbrauch und Tierquälerei. Jedenfalls gehört es nicht in Kinderhände! Auch Greise werden akut gefährdet, denn die Herzen werden hier im Sekundentakt vernichtet.

Friedhof der Casualzivilisten

Zwei Affen, eine Mission: Bananen zurück holen! Das erste Donkey Kong erschien übrigens 1981.
Auch Videospiele können Kollateralschäden verursachen. Ich weiß nicht, ob sich Nintendo der vielen Opfer bewusst ist, die dieses Dschungelabenteuer verursachen wird - der Herzklabaster auf der Couch ist jedenfalls garantiert. Ich höre das Wimmern und Jammern der Casualzivilisten bis nach Hamburg rauf: Wieso ist der Affe wieder tot, Papa? Warum beißen Haie so feste, Friedhelm? Wieso ist das Puzzelteil so böse versteckt, Gertrud? Warum ist das alles so schwer, Mami? Ist Nintendo der Bullemann?

Das ist kein Spiel für Kindergärten, Halmastrategen und Seniorenheime. Nur hart gesottene Veteranen mit Hüpferfahrung sollten sich an diese grausame Mission durch acht Welten wagen, bevor in einem goldenen Tempel abgerechnet wird - die Szenen kann man kaum beschreiben. Schon die Story hat es in sich, denn es geht um Drogenmissbrauch, Diebstahl und den Tod einer vom Aussterben bedrohten Spezies, die kaum noch Nachwuchs bekommt. Es geht um die Hardcore-Affen aka Jump'n Run-Primaten.

Dschungeldarwinismus

Fluch der Karibik: Egal ob Riesenkraken oder Wal - die Kulisse ist klasse und es passiert ständig etwas im Hintergrund.
Donkey und Diddy Kong müssen die Bananen finden, die von grausamen LSD-Maskenfreaks gestohlen wurden. Was haben diese hypnosegestählten Terroristen damit vor? Für ihr Überleben und eine Antwort kämpfen sich beide entweder mit waagerecht gehaltener Remote oder der Nunchuk-Unterstützung durch monsterverseuchte Dschungel, Strände, Ruinen, Höhlen, Wälder, Klippen, Fabriken und Vulkane. Der kunterbunte Stil der 90er wird hier verdächtig offensichtlich mit moderner Technik verknüpft, wenn Wellen aus dem Hintergrund heran rauschen und sich mächtig im Vordergrund brechen.

Auch die riesigen Wale, die plötzlich durch sichere Holzplanken brechen oder die perfiden Perspektivwechsel, wenn man die Affen über explosive Kisten von vorne nach hinten schießt (manchmal durch Piratenschiffe), lassen nur auf eines schließen: Effekthascherei, um auch die kleinen oder greisen Spieler zu beeindrucken. Vielleicht will Nintendo sogar alle Generationen mit dieser herrlich animierten Kulisse vor den Bildschirm locken. Denn es gibt Monster, die fast schon frech putzig erscheinen - man muss die Zähne fletschende Pelzpyramide oder die miesen Taschenkrebse einfach mögen. Und wer pustet nicht gerne eine Kerze aus oder trommelt mal auf den Boden, indem er die Remote schüttelt? Ja, Nintendo hat auch einige bewegungssensitive Neuerungen eingebaut - auch die Rolle in den Gegner verlangt nach Geschüttel.

Die schreckliche Bombenpute

Von Fass zu Fass: Wie in alten Zeiten braucht man gutes Timing beim Tonnenschießen.
Was aber vermutlich keiner in der Vorweihnachtszeit ahnt: Die Entwickler verbergen unter dieser kunterbunten Oberfläche knallharten Dschungeldarwinismus - wer falsch springt, verliert. Ich frage Nintendo ganz direkt: Muss man diesen punktgenauen Absprung im erholsamen Zeitalter von Fuchtelmainstream und Fitnessstretching wieder auspacken? Muss man sich dieser archaischen Hardcorezeit so anbiedern, dass man fast schon Angst vor dem Absprung hat? Will man etwa ohne Rücksicht Jump'n Run-Spannung erzeugen? Will man etwa Schweiß und Schwielen? Ich habe selbst hartgesottene Männer schreien hören.

Nein, sie quiekten in einem Bosskampf so panisch wie Ferkel im Angesicht des Adlers, als die hässliche Bombenpute mit dem blutroten Hals ihre bösen Bomben schmiss! Ihr glaubt mir nicht? Schaut euch die YouTube-Videos oder die Berichte auf DonkeyLeaks an! Oh, das sind schreckliche Szenen, wenn die Affen da immer wieder, ohne jegliche moralische Reflexion von Napalm vernichtet werden. Ja, richtig gehört: Die Mörderpute schmeißt nicht nur einfache Bomben, sie zündet sogar Pershings mit flächendeckendem Schaden und miesen Brandsprengstoff, der die Affen nach der Detonation verfolgt. Wer überleben will, muss nicht nur im Stakkato springen und rennen, sondern sich auch rechtzeitig ducken, weil die alte Pute noch zum Tiefflug ansetzt!        

Multiple-Choice-Sadismus

Die Bosskämpfe verlangen gute Reflexe und die richtige Taktik.
Hier wurden gute Männer, die ich seit Jahren kenne, unerhörter Spannung und perfidem Druck ausgesetzt. Das war ein tödlicher Grabenkampf, gegen den Verdun ein Witz ist. Da fallen dann natürlich auch deutliche Worte wie "Scheißvogelvieh!" oder gar "Fuckbitchturkeyshit!" - ist sich Nintendo dessen bewusst? Aber das ist ja nur die Spitze eines Eisbergers, denn noch bevor es zu diesen gnadenlosen Bosskämpfen kommt, die teilweise in Taktik und Timing ausarten, müssen die Affen um ihr Leben rennen, rollen, springen, klettern, reiten und fliegen. Da wird ihnen im Jahr 2010 alles abverlangt, was ein Jump'n Run der Steinzeit ausmachte! Warum gibt es dann nicht auch konsequenter Weise die Unterstützung des Classic-Controllers?

Das geht ja so weit, dass man mit den armen Affen in explosive Tonnen gesetzt wird, die sich schnell drehen und nur zu einem perfekten Zeitpunkt in die Freiheit geschossen werden - und das immer wieder. Hat man aus der grausamen Geschichte von Donkey Kong Country nichts gelernt? Nein! Denn sie werden wieder, sechzehn Jahre nach dem Continuecaust ohne Bremsfunktion oder Cockpitansicht (!) in Loren gesetzt, die im Höllentempo teilweise zerstörte Schienenstränge hinab rasen, die sich auch noch teilen (!) - das ist nichts anderes als übler Multiple-Choice-Sadismus, damit das Herz rast! Und im Gegensatz zum Klassiker setzt man diesmal zwei Spieler gleichzeitig diesem Terror aus: Dann muss der eine mit Donkey, der andere mit Diddy Kong durchhalten.

Kranke Bonitaktik

Im Mehrspielermodus ist man gleichzeitig unterwegs: Einer als Diddy mit Peanutswurf, der andere als Donkey mit Trommelwirbel.
Richtig krank wird es dann, wenn es um die Boni geht. Die Entwickler haben tatsächlich die Chuzpe besessen, diese tödlichen Level auch noch mit schwer erreichbaren Ködern zu schmücken, damit man sie mehrmals spielt. Da sind zum einen die vier goldenen Buchstaben, die ein KONG ergeben; zum anderen diverse Puzzleteile. Beide liegen entweder irgendwo versteckt, so dass man erst Wände aufbrechen oder geheime Kammern finden muss, oder so gefährlich, dass man auf dem Weg zum Ziel sein Leben verliert. Nur wer die Level perfekt kennt, wird sie alle ergattern - soll das motivierend sein? Ich sage, das ist Bonimasochismus für psychisch kranke Perfektionisten!

Dass ich dieses Spiel nicht in Den Haag verpetze, liegt nur daran, dass es sich beim Speichersystem an einige Menschenrechte hält. Ja, man erreicht regelmäßig Checkpoints. Ja, man kann in einem Shop auch Continues kaufen, die allerdings als rote Ballone getarnt sind - über die gefährliche politische Symbolik muss ich an dieser Stelle wohl nichts sagen. Und ja, selbst Kinder und Rentner werden einigermaßen aufgefangen, wenn sie nach dem totalen Verlust ihrer Leben nochmal mit vier Continues gelockt oder gar auf den optionalen Super-Assistenten verwiesen werden. Ich frage mich: Warum wird diese Hilfe nicht von Anfang an allen Spielern ohne Wenn und Aber zur aufgezwungenen Verfügung gestellt? Was ist mit den Leuten, die sie vielleicht zu spät oder gar nicht entdecken? Hier werden ganze soziale Spielergruppen erst schikaniert und unnötig diskriminiert!   

Fazit

Als Nintendo verkündet hatte, dass die Retro Studios an einem modernen Donkey Kong arbeiten, habe ich bei aller Liebe zum Klassiker gedacht: Was soll das denn? Die Metroid Prime-Macher sollen sich zum Affen machen? Das ist doch Perlen vor die Säue werfen! Will man eines der besten hauseigenen Teams an kunterbuntes Familiengehüpfe verschwenden? Und genau das hat man nicht gemacht: Dieses Donkey Kong ist kein Kniefall vor dem Mainstream. Es ist eine moderne Hommage an eines der besten Jump'n Runs aller Zeiten. Es ist kunterbunt und knallhart, es ist skurril und witzig, es ist verdammt ansehnlich, abwechslungsreich und vor allem für Sammelperfektionisten motivierend. Wer schon in den 90ern mit Schweiß auf der Stirn und Schwielen an den Händen durch den Dschungel gehüpft ist, wird sich sofort in diese Wiedergeburt verlieben. Spätestens, wenn man sich aus explosiven Tonnen schießt und in halsbrecherischen Lorenfahrten auf einen Abgrund rast, pocht das Herz wieder im wunderbaren Takt der Absprung-Spannung. Und damit verpufften meine einzigen Kritikpunkte, also der Verzicht auf die pure Classic Controller-Steuerung sowie die ab und zu etwas schwammig wirkende Abfrage - zumal sich das Bananenduo zu 99% sehr präzise steuern lässt. Und man darf nicht vergessen: Diese Perfektion eines klassischen Jump`n Runs alter Schule gibt es weder auf PlayStation 3 noch auf Xbox 360 oder PC. Es gibt auch keinen Independent-Hüpfer, der auch nur ansatzweise an diese klassische Klasse heran kommt. Kurzum: Nintendo und die Retro Studios haben ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Pro

ausgezeichnetes Jump'n Run alter Schule
witziges und skurriles Figurendesign
klasse Leveldesign mit Geheimnissen
knackige Bosskämpfe & motivierende Bonijagd
komfortables Speicher- & Continue-System
teilweise klassische Musiken und Sounds
neue Bewegungen und Fähigkeiten
Mehrspielermodus für zwei Hüpfer
sehr ansehnliche Animationen
im Großen und Ganzen präzise Steuerung

Kontra

keine Classic-Controller-Unterstützung

Wertung

Wii

Wer in den 90ern mit Schweiß auf der Stirn und Schwielen an den Händen durch den Dschungel gehüpft ist, wird sich in diese Wiedergeburt verlieben.

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