Splinter Cell: Double Agent20.12.2006, Benjamin Schmädig
Splinter Cell: Double Agent

Im Test:

Da steht er: Mit Gadgets überladen, den Restlichtverstärker auf der Stirn und zwei Funkverbindungen im Ohr. Die eine geht ins Büro der regierungsnahen NSA, die andere ins Hauptquartier der JBA. Sam Fisher wartet schon wieder auf seinen Einsatz, zum sechsten Mal in diesem Jahr. Aber diesmal soll er nicht nur die Seiten wechseln, sondern muss sich auch vom- Gamepad-, Maus- und Tastatur-Schleichen verabschieden. Ist der Wii geschickt im Dunkeln?

New Current Gen?

Ich habe geflucht - wahrscheinlich das erste Mal in einem Spiel, das den Namen Splinter Cell trägt. Als ich loszug, um mit Sam Fisher nach den 360-, Xbox-, PS2-, GameCube sowie PC- auch die Wii-Terroristen zu infiltrieren, konnte ich kein gutes Haar an dem Doppelagenten lassen. Die intuitive Steuerung aller bisherigen Versionen fiel einer unglücklichen Übersetzung in die Sprache der infraroten Freihändigkeit zum Opfer. Sam Fisher war  für mich gestorben, jedenfalls in den Sphären der "New Generation". Wie nahm das Unheil seinen Lauf?

Zunächst einmal zeigt die von Nintendo verkündete New Generation nicht nur in Call of Duty 3 ihr Gesicht. Auch die futuristische Stealth-Action (Double Agent spielt wenige Jahre in der Zukunft)

Ist die Action auch mit Nunchuck und Wiimote zu meistern? Gleich könnte es heiß her gehen.
findet in der Bildsprache von Xbox und PS2 statt. Immerhin: Damit schleicht ihr auf dem Wii durch Schatten - die fehlende Dunkelheit der GameCube-Fassung plagt euch hier nicht. Atmosphärische Lichtkegel unter Fensterbänken, spiegelnder Glanz auf metallenen Oberflächen sowie Echtzeitschatten heben die Umsetzung in etwa auf das Niveau ihres Xbox-Gegenstücks. Kommende Titel können die neue Technik hoffentlich stärker ausreizen, doch Splinter Cell wirkt in sich stimmig und darauf kommt es mir an.

Fehlersuche

Wer die Geschichte des Doppelagenten bereits auf Konsolen der aktuellen Generation erlebt hat, darf übrigens "Fehlersuche" betreiben: "Finde die zehn Unterschiede" heißt es in vielen Abschnitten, denn Ubisoft hat einigen Oberflächen einen frischen Anstrich verpasst, Kisten anders gestapelt und einzelne Räume sogar geometrisch verändert. Allerdings sind die Umbauten so unbedeutend, dass sie keinen nennenswerten Unterschied machen. Dafür erlauben sich die Entwickler an anderer Stelle einen Fehltritt, der sich deutlich auf das Schleichen von Schatten zu Schatten auswirkt: Auf dem Wii könnt ihr kaum noch Lichtquellen zerstören, um Sam einen dunklen Pfad  zu bahnen. Die meisten Lampen sind unkaputtbar, was besonders vorsichtigen Agenten einen Strich durch ihr gewohntes Vorgehen macht. Wurde die Konvertierung überhastet fertig gestellt? Die Vermutung liegt nahe, denn an einigen, leider meist Gegner-freien Stellen lassen sich die Glühbirnen durchaus zerschießen. Dort wo es nicht geht, funktioniert dafür nicht einmal das alternative Feuer eurer Pistole. Sprich, nicht einmal die EMP-Geschosse schalten das Licht kurzzeitig aus. Es scheint so, als fehlte die Zeit, um veränderliche Helligkeit in die Räume zu integrieren. Gerade das ist für gelernte Spione aber wichtig!

Um es noch einmal deutlich zu machen: Die Wii-Fassung ist eine Umsetzung des Thrillers auf aktuellen Konsolen. Mit PC und Xbox 360 hat 

Ein herber Verlust: Ihr dürft leider kaum noch Lichtquellen zerschießen - was auf aktuellen Konsolen noch möglich war.
sie nur den Namen sowie die Handlung gemeinsam. Gut so, denn somit bekommt ihr eine spannend erzählte Story, das spielerisch sinnvollere Vertrauens-System und habt dank fehlender Ausflüge ins Tageslicht mehr Handlungsspielraum im Dunkeln. Dafür gleicht Double Agent auf Wii, Xbox, PS2 sowie GameCube dem dritten Teil noch mehr als die ebenfalls konventionelle Next Gen-Variante. Für einen ausführlichen Bericht werft einen Blick auf den Test für aktuelle Konsolen.

Call of Splinter Cell?

Aber vielleicht wollt ihr gar nicht wissen, wie Sam Fisher auf dem Wii aussieht. Wahrscheinlich ist es kaum der Rede wert, dass die Wartezeit beim Speichern und Laden angenehm kurz ist. Und womöglich könnt ihr auch über das Nintendo-exklusive Fehlen eines Online-Modus' hinwegsehen, weil euch die Koop-Variante im Splitscreen reicht. Die Frage der Stunde ist doch vielmehr: Welchen Eindruck macht die neue Steuerung? Laufen mit dem Analogstick am Nunchuck, Umsehen mit der Wiimote - wie sollte es anders funktionieren? Aber geht das denn flüssig von der Hand? Vermiest das freihändige Bewegen den Spaß so sehr wie in Call of Duty 3?

Zumindest habe ich diesen Test verschieben müssen, um ihn nicht im Gefühl der Rage zu tippen. Zwei Tage lang habe ich versucht, vom Kriegsfuß auf das gutmütige Bein umzusteigen - ohne Erfolg. Ich brauchte ein Wochenende zum Luft holen, musste mir den Frust über das ungenaue Zielen mit der Wiimote von der Seele reden, bevor ich die Wii-Steuerung für das nehmen konnte was sie ist: Ein notdürftig auf den Wii angepasster Mechanismus, der die Möglichkeiten von Remote und Nunchuck höchstens anreißt.      

Lethargische Umgucker

Auch wenn man sich daran gewöhnen kann: Es stört mich weiterhin, dass die Konsole den Bruchteil einer Sekunde braucht, um meine Eingaben zu registrieren. Es beeinflusst die Schnelligkeit, mit der ich beim Zielen auf den Fernseher eine Waffe oder den Blickwinkel ausrichten kann. Denn im Fall von Splinter Cell justiert ihr die Kamera per Wiimote. Allerdings reicht es nicht aus, den Controller nach links, rechts, oben oder unten zu bewegen. Stellt euch vielmehr eine breite Fläche an allen Rändern des Bildschirms vor. Diese müsst ihr anvisieren, um in die entsprechende Richtung zu schauen - zielt ihr außerhalb dieser Fläche, bleibt die Kamera wie sie ist. Warum darf ich die Sicht nicht einfach drehen, solange ich den Controller abseits der Mitte halte?  Dann könnte sich Sam auch in hektischen Situationen schnell umsehen und das wäre wichtig.

Aber die Steuerung birgt noch ein anderes Problem, denn der Toleranzbereich, innerhalb dessen sich der Blickwinkel nicht verändert, ist so

Um das Vertrauen der JBA zu gewinnen, muss Sam mit Jamie Washington aus dem Gefängnis fliehen.
gering, dass ihr die Wiimote ständig in einer Position halten müsst. Das ist nicht nur unangenehm, sondern belastet auch den Unterarm. Würde der Ausflug als Doppelagent mehr Körpereinsatz von eurer Wiimote-Hand fordern, könnten unterschiedliche Bewegungen den Arm entlasten. Doch so seid ihr ständig damit beschäftigt, die Kamera nicht aus Versehen in eine unerwünschte Position zu bringen. Die Mischung aus Sichtwechsel, Bewegen und Zielen hat bislang noch kein Wii-Titel gemeistert und Splinter Cell macht da keine Ausnahme.

Ungenauer Schütze

Unglücklich finde ich auch das Ausnutzen sämtlicher Tasten auf der Wiimote. Es ist nämlich fast unmöglich, mit dem Daumen vom Fadenkreuz auf einen der unteren Knöpfe zu wechseln ohne den Controller zu bewegen. Im Klartext heißt das: Jedes Mal, wenn ihr Wachen durch Pfiffe anlocken oder die Waffe ziehen wollt, verändert ihr unfreiwillig euren Blickwinkel. Nur ein Vorschlag: Würden Bewegungen des Controllers die meisten Fähigkeiten auslösen, wäre doch Platz für eine Funktion der Schultertaste. Erst wenn man sie gedrückt hält, bewegt sich auch die Kamera...

Ja, ihr könnt die Empfindlichkeit für Controller-Eingaben einstellen. Aber wenn ihr sie weit nach unten schraubt, braucht Sams Pistole mehrere Sekunden für einen Schwenk von einer Ecke in die andere. Wieso können die beiden Perspektiven nicht ähnlich sensibel auf Eingaben reagieren oder sind zumindest separat einzustellen? Richtig ärgerlich finde ich allerdings erst, dass ich mit gezogener Waffe nicht direkt auf einen Punkt im Fernseher zielen kann, sondern lediglich das Fadenkreuz bewege, solange ich die Remote nicht mittig halte. Das indirekte Anvisieren widerspricht Nintendos Philosophie der spielerischen Freiheit. Es macht vor allem aber keinen Spaß und lässt Wii-Agenten eher sterben als ihre Kollegen auf anderen Systemen. Glück im Unglück: 

Akrobatisch wie eh und je: Sam hat zwar kaum neue Tricks gelernt, ist seinen Widersachern damit aber trotzdem haushoch überlegen.
Sam Fisher ist kein Actionheld, weshalb ihr nur selten Schusswechsel austragt.

Der reale Dietrich

Male ich zu schwarz? Immerhin konnte ich mich mit der Steuerung arrangieren und hatte auch auf der neuen Konsole Spaß am Maulwurf-Dasein. Fest steht aber, dass die Steuerung am Wii den eigentlich logischen Gedanken "Charakter-Bewegung links, Kamera rechts" nicht eins zu eins von ihren Gamepad-Pendants übernehmen sollte. Die Entwickler müssen sich Gedanken darüber machen, wie die Fähigkeiten der New Generation zu einem unkomplizierten Erlebnis führen. Konventionelle Mechanismen funktionieren hier nicht. Red Steel , ebenfalls von Ubisoft, deutet die Möglichkeiten ja bereits an und auch Splinter Cell schreitet vorsichtig auf neuen Pfaden.

So lehnt sich Sam gegen eine Wand, wenn ihr das Nunchuck zur Seite neigt. Mit der gleichen Bewegung wechselt er die Schulter, über die ihr zielt. Richtig klasse ist das Schlösser-Knacken: Dreht die Wiimote um ihre Längsachse und wenn sie in der richtigen Position ankommt, drückt Sam die Bolzen des Schlosses nach oben. Es wäre zwar schön, wenn man den Controller noch wie einen echten Dietrich vorsichtig nach oben bewegen müsste, aber auch so fühlen sich die Einbrüche angenehm echt an. Irgendwie fehl am Platz wirkt hingegen das Springen, weil ihr mit dem Hochziehen des Nunchucks die einzige größere Bewegung im gesamten Spiel ausführt. Apropos Nunchuck: Nach dem Laden einiger Abschnitte kommt es vor, dass Sam dauerhaft nach vorne rennt, obwohl der Analogstick mittig steht. Nur ein Herausziehen und erneutes Anschließen des Nunchucks löst das Problem. Da dies bei keinem anderen Titel bislang vorkam, gehe ich von einem Programm-Fehler aus und der wäre vermeidbar gewesen.      

Fazit

Die neue Steuerung ist gewöhnungsbedürftig, keine Frage. Das spielt aber keine Rolle. Ich fluche nicht mehr, weil ich inzwischen Zähne knirschend mit ihr klar komme. Ich bin aber trotzdem unzufrieden! Denn viel schwerer wiegt die Tatsache, dass Splinter Cell die Möglichkeiten von Wiimote und Nunchuck nur im Ansatz nutzt. Statt Duftmarken in der New Generation zu hinterlassen, konvertieren die Entwickler mit Tunnelblick das Altbekannte und verrennen sich dabei in einem Wust aus hakeligen Eingaben. Schon das Umgreifen von den Wiimote-Buttons zum Steuerkreuz sorgt für frustrierende Momente, wenn ihr unfreiwillig die Kamera verzieht. Dass ihr den Controller ansonsten still halten müsst, weil sich euer Blickwinkel schon bei kleinen Bewegungen ändert, sorgt für einen steifen Arm. Rechnet hier noch die indirekte Kontrolle des Fadenkreuzes hinzu, die den Grundsätzen der freien Bewegung widerspricht und greift besser zu der Version für Xbox, PS2 oder GameCube. Double Agent ist auch auf dem Wii ein spannender Thriller, der nach einer Zeit der Eingewöhnung richtig gute Unterhaltung bietet. Er lässt sich allerdings nie so entspannt genießen wie auf Xbox oder PC, macht im Gegenzug sogar Ärger beim Anvisieren von Gegnern. Was mich aber erst richtig wurmt ist das Fehlen veränderlicher Lichtquellen. Das hier ist Splinter Cell – es geht um das Spiel mit Licht und Schatten und zu einem großen Teil um das Erschaffen von Schatten durch vorrübergehend oder dauerhaft verdunkelte Glühbirnen. Deshalb empfinde ich es als unverzeihlich, dass ich die meisten Lampen nicht zerschießen kann – was selbst auf aktuellen Konsolen möglich war. Ich hoffe sehr, dass Ubisoft dem nächsten Wii-Auftritt mehr spendiert als eine halbgare Konvertierung. Denn falls der Sam Fisher der Next Generation auch im fünften Teil keine neuen Fähigkeiten lernt und sich sein Abstecher in die New Generation nicht freier anfühlt als mit einem Gamepad, schleiche ich auch weiterhin auf aktuellen Konsolen.

Pro

Sam Fisher bekommt Charakter
glaubwürdige Geschichte
keine zähen Briefings
Vertrauensbalken fördert Konflikte auf Mission
Entscheidungsmomente mitten im Spiel
großartige englische/gute deutsche Sprecher
knackige Geräusche
spannende, situationsbedingte Musik
Koop-Modus mit speziellen Levels
mehrere Vorgehens-Möglichkeiten
Interaktion mit Team-Mitglied
intuitives Schlösserknacken
großartige Zwischensequenzen
intuitives Tutorial
fordernde Gegner
abwechslungsreiche Missionen
unterschiedliche Vorgehensmöglichkeiten
viele Infos auf Computern
schnelles Speichern/Laden

Kontra

unterschiedlich sensible Steuerung bei Schießen & Kamera drehen
Wii-Controller wird nicht ausgereizt
schlecht kontrollierbare Kamerabewegung
indirektes Zielen statt "Point&Shoot"
nach Laden wird Nunchuck falsch erkannt
keine nennenswerten Neuerungen zu Vorgängern
blasse Terroristen
Lichtquellen können nur selten zerstört werden
Gegner gehen im Dunkeln an Sam vorbei...
... und bemerken keine Verhöre
Verhöre bringen wenig Informationen
Vertrauen beeinflusst Spielverlauf kaum
kein Online-Modus
Ausrüstung wird vorgegeben
magere Statistik
nur ein Speicherplatz

Wertung

Wii

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