Disaster: Day of Crisis27.10.2008, Jörg Luibl
Disaster: Day of Crisis

Im Test:

Die Welt steht mal wieder am Abgrund. Die Welt muss mal wieder gerettet werden. Langweilig? Abwarten: Das Besondere an dieser Mission ist nicht nur, dass ihr es gleichzeitig mit Naturkatastrophen und Terroristen zu tun habt, sondern auch, dass ihr sie exklusiv auf Wii meistern müsst. Hinter der Mischung aus Survival- & Shooter-Action steckt nicht Nintendo selbst, sondern Monolith Soft. Der japanische Entwickler ist bisher für seine PS2-Rollenspielreihe Xenosaga bekannt und entwickelt zum ersten Mal für Remote & Nunchuk. Eine gelungene Premiere?

Einstieg wie in alten Zeiten

Dieser Vulkanausbruch hat es in sich: Die Renderfilme können sich sehen lassen und setzen auf Wii neue Maßstäbe. Hier zum Video!
Renderfilme auf höchstem Niveau? Ein orchestraler Soundtrack? Ein Actionthriller à la Michael Bay? Menschen vor dem Tod retten? Gefechte mit Sturmgewehr, Schrotflinte & Co? Dazu eine B-Movie-Story mit Popcornreizen? Habe ich die falsche Konsole angeschlossen? Man muss sich schon die Augen reiben, wenn die erste Welle von Eindrücken die Mattscheibe flutet: So etwas hat man lange nicht gesehen. Jedenfalls nicht über Nintendos Konsole. Man atmet in der ersten Stunde regelrecht auf, macht es sich auf der Couch gemütlich und genießt endlich wieder mit Nunchuk & Remote klassische Action aus der Schulterperspektive.

Die kann sogar mit einer ungewöhnlichen Ausgangslage neugierig machen: Denn in einer fiktiven amerikanischen Ostküstenmetropole à la New York treffen zwei denkbar schlechte Umstände aufeinander. Als ob es nicht reichen würde, dass Erdbeben und Feuerstürme die Bevölkerung in Panik versetzen, droht eine Gruppe namens Surge auch noch damit, irgendwo in Amerika eine Atombombe zu zünden. Der Präsident verzweifelt auch deshalb, weil die Terroristen nicht aus einem Schurkenstaat Bush'scher, sondern aus einem Moore'scher Prägung stammen: Es sind tatsächlich Amerikaner.

Der gut gemeinte Terroranschlag?

Wenn es zur Sache geht, wechselt das Spiel in die Perspektive eines Lightgun-Shooters. In der Deckung könnt ihr nachladen und per Steuerkreuz zwischen den Waffen wechseln.
Die Story erinnert in ihren Grundzügen an den Film The Rock - Fels der Entscheidung (1996): Tapfere Veteranen einer Spezialeinheit stehlen nukleare Sprengköpfe und verlangen nicht nur die Auszahlung von hundert Millionen Dollar an die Familien ihrer Kameraden, sondern auch die Veröffentlichung geheimer Unterlagen, die sich mit dem internationalen Treiben des US-Elitetruppe beschäftigen. Das ist natürlich eine angenehm frische Ausgangslage für Freunde interessanter Bösewichte, die mal nicht gegen maskierte Araber, separatistische Russen oder Nazis kämpfen wollen.

Das Ganze kommt zwar nicht über B-Movie-Flair hinaus, wird aber packend und knackig inszeniert - hier siegt der Erzählrhythmus über die Erzählqualität. Zumal über die gekidnappten Meteorologen noch die Neugier geweckt wird: Haben etwa die Terroristen die Naturkatastrophen herbei geführt? Haben sie die Panik gar bewusst eingeplant? Das verrate ich nicht, aber das könnt ihr als ehemaliger US-Soldat und aktiver Rettungsexperte in diesem abwechslungsreichen Abenteuer herausfinden. Denn zufälliger Weise haben die Terroristen auch die Schwester eures Freundes als Geisel genommen - also heißt es: Hinterher! Bloß wer?

Die Frage des Helden

Ihr schlüpft in die Rolle des Lebensretters Ray, der hier nach Opfern ruft - wenn irgendwo jemand in Not ist, schwenkt die Kamera dort hin.
Ihr schlüpft in die Rolle eines jungdynamischen und - natürlich - hoch dekorierten Ex-Soldaten namens Ray, der mittlerweile als Rettungsspezialist im Katastrophenschutz seine Dollars verdient. Kein Wunder also, dass gewisse Behörden auf euch aufmerksam werden, als in der Stadt nicht nur die Tsunamis, sondern auch die Terroristen anklopfen. Eine interessante oder gar tiefgründige Charakterzeichnung sollte man nicht erwarten. Ihr vereint als stereotyper Held einfach die Fähigkeiten, die das Spiel kennzeichnen und die von Beginn an für Widersprüche sorgen: Auf der einen Seite rettet man Leben, auf der anderen Seite vernichtet man Leben. Auf der einen Seite bandagiert und heilt man, auf der anderen Seite ballert und zerstört man.

Hätten sich die Entwickler da nicht auf einen Pfad konzentrieren können und dann vor allem die Rettungsmaßnahmen in den Vordergrund stellen können? Dann hätte man ein reineres Survival-Spielerlebnis der Marke SOS - The Final Escape inszenieren können, das auf PS2 bereits den Nervenkitzel eines Erdbebenausbruchs simulieren konnte. Ja, hätte man. Aber selbst wenn man im Bereich der Survival-Action keine reinen Zeichen setzen kann und das Ganze mit Lightgunaction verwässert, haben sich die Entwickler doch einige interessante Elemente einfallen lassen, die teilweise an Trauma Center auf dem DS erinnern; auch, wenn man hier nicht chirurgisch mit Nadel und Faden unterwegs ist.

            

Wunden verarzten & Opfer finden

Erst die Wunde waschen, dann verbinden - diese Maßnahmen gehören zu den einnfacheren.
Abgesehen davon, dass man neben der Lebensenergie auch eine Ausdaueranzeige hat, die das Sprinten und Tragen betrifft, gibt es z.B. verschiedene Hilfsmaßnahmen, wenn man Opfer in den Trümmergebieten trifft - falls man sie nicht findet, kann sie auch rufen, um einen Richtungshinweis zu bekommen. Neben dem einfachen Verabreichen von Pflastern oder Heilpaketen gibt es das aktive Auswaschen und anschließende Verbinden von Wunden, was teilweise gegen Zeitdruck abläuft. Zudem geht es auch um Timing beim Anheben von Felsen über einem halb verschütteten oder dem Greifen eines baumelnden Opfers: Nur, wer hier rechtzeitig die Remote schwenkt, kann die Hand des Hängenden erreichen und ihn retten - eine der wenigen Stellen, wo ich etwas mehr Präzision vermisst habe.

Da es auch überall brennt, muss man auch mal zum Feuerlöscher greifen und an Hausfassaden das Ausbreiten der Feuerherde verhindern. Außerdem ist manchmal Mut angesagt, wenn man durch Flammen sprinten muss, um Opfer dahinter zu erreichen - danach fängt zwar die Kleidung Feuer, aber über rhythmisches Bewegen von Remote & Nunchuk kann man es ausklopfen. Erwähnenswert ist auch, dass man beim Betreten verrauchter und schwelender Gebiete in Atemnot gerät. Hier muss man entweder schnell sein oder durch rhythmisches Ein- und Ausatmen die Lunge von der Vulkanasche reinigen.

Etwas schwerer ist es da schon, jemanden vor dem Absturz zu retten - hier helfen nur Timing und eine starke Hand.
Schade ist, dass die Gebiete selten mehr als Levelschläuche bieten, die man einfach zu schnell erklettert und erforscht - etwas mehr Open World hätte dem Abenteuer mehr Erkundungsfaszination einimpfen können. Für Hektik und Spannung sorgen jedoch spektakuläre Veränderungen innerhalb der Levels: Da brechen plötzlich Häusermauern ein, Flammen breiten sich aus oder ganze Brücken stürzen in sich zusammen, so dass Krater oder Sackgassen entstehen. Mal ist man in einer U-Bahn unterwegs, mal in einem Park, mal in einem Gebäude, mal in verwinkelten Gassen. Auch wenn all das linear abgegrast wird: Es sind diese ständig wechselnden Szenen, die für Stimmung und eine gewisse Unberechenbarkeit sorgen.

Action wie im Lightgun-Shooter

Sobald es gegen die Terroristen zur Sache geht, wechselt das Spiel in die Perspektive eines Lightgunshooters der Marke Resident Evil: The Umbrella Chronicles : Ihr könnt aktiv über das Nunchuk-Schütteln nachladen, auf Knopfdruck hinter einer Deckung verschwinden und nach dem Auftauchen mit Pistole, Sturmgewehr oder Schrotflinte losfeuern. Schön ist, dass es immer wieder Überraschungen wie zerschossene Deckung, heran fliegende Raketen oder von oben herab stürzende Teile gibt, die zur schnellen Reaktion zwingen - so kommt selten Langeweile auf. Auch das Heranstürmen der Gegner sorgt für unberechenbare Situationen.

In den Actionsequenzen könnt ihr auch Kombos erzielen, indem ihr mehrere Treffer hintereinander landet - manchmal kann man den wunden Punkt des Gegners auch nur für kurze Zeit treffen; hier als lila Ziel markiert.
Die Schießereien haben dennoch ihre Beschränkungen und leiden nicht nur unter den roboterhaften Verhaltensmustern der Gegner, sondern auch unter der Statik der fehlenden Bewegungsfreiheit. Aber sie bleiben unterm Strich unterhaltsam, zumal die manuelle Zielerfassung angenehm präzise ist - und das ist für Wii-Action umso lobenswerter: Man kann mit der waagerecht nach vorne gehaltenen Remote sehr gut Körper und auch Kopf anvisieren, um schwere Treffer bis zum Kopfschuss zu landen oder gar ganze Ketten an Treffern erzielen.

Fahrsequenzen & Vielfalt

Die Fahrsequenzen können da trotz einiger guter Fluchtszenen mit Granatenhagel nicht mithalten: Sobald es in ein Auto geht, benutzt ihr nur noch die waagerecht gehaltene Remote zum Lenken, Bremsen und Gas geben. Das funktioniert auch recht intuitiv, da die Vehikel auf jeden kleinen Schwenk reagieren, aber dennoch fehlt es hier an Nervenkitzel und Begeisterung. Das liegt nicht nur daran, dass die Wagen mit ihren schwachen Texturen eher auf durchschnittlichem GameCube-Niveau dahin rasen, sondern auch daran, dass die Fahrmanöver nicht besonders anspruchsvoll sind. Trotzdem verdaut man auch diese Action, weil sie immer nur häppchenweise serviert wird.

Und das ist ein kleines Geheimnis dieses Spiels: Es ist zwar in seinen Einzelteilen sehr klassisch, in manchen wie dem Fahren sogar schwach, aber in seiner Summe auch unheimlich abwechslungsreich - man schlägt immer wieder ein neues Actionkapitel auf und wird umgehend belohnt. Man rettet Menschen, man bekämpft Terroristen, man übersteht Verfolgungsjagden, man übt am Schießstand, man begegnet einer weiteren Naturkatastrophe. Nach jeder Mission erhält man umgehend eine Statistik sowie Erfahrungspunkte in zwei Bereichen. Das Motivierende ist, dass durch dieses Rollenspielelement auch eine Waffen- und Charakterentwicklung möglich ist.      

Waffen & Charakter entwickeln

Im Laufe des Abenteuers kann Ray sein Waffenarsenal aufstocken. Dabei muss er jedoch auch Minispiele bewältigen, um mächtigere Kaliber freizuschalten.
Zu Beginn hat man nur einfache Waffen wie eine Pistole zur Verfügung. Aber später kann man sich auf bestimmte Gattungen spezialisieren und dort andere Kaliber kaufen bzw. über knackige Minispiele freischalten: Wer im Spiel Gegenstände werfen will, muss erstmal beweisen, ob er eine minimale Punktzahl in einer Wurfübung mit bunten Holzklötzen trifft. Später kann man sich beim Westernshootout und anderen Arenaspielen beweisen. Erst, wer hier erfolgreich ist, kann weitere Bleispritzen erstehen. Es gibt also eine Art Waffenbaum, den man über Erfahrungspunkte, Geld und Geschick hinauf klettern kann - von der einfachen Schrotflinte über die durchschlagskräftigere Variante bis hin zum Granatwerfer.

Auch die körperliche und geistige Verfassung des Helden lässt sich entwickeln: Wer fleißig Menschen rettet, kann die dort gewonnenen Punkte in seinen Charakter investieren. Neben der reinen Stärke lassen sich auch Traglast, Konzentration sowie Stoffwechsel ausbauen. Sobald man Punkte investiert, erkennt man in einem Fünfeck à la Pro Evolution Soccer , welche Bereiche sich wie stark verbessert haben. Und so kann man seinem Helden einen Hauch von persönlicher Note geben, z.B: eher auf viel Munition statt Energie-Effizienz setzen, selbst wenn sich das Spielgefühl dadurch nicht stark verändert.

Eine Kiste für einen Burger

Auch Reaktionstests sind ab und zu gefragt, wenn Ray in kritischen Situationen flüchten muss.
Schön ist, dass es für jeden Geretteten reichlich Erfahrungspunkte gibt und dass die Opfer ähnlich wie in Dead Rising namentlich aufgelistet werden - so lohnt es sich, einen Level noch mal zu spielen. In manchen Situationen heißt es dann Augen auf und die Gegend nach Opfern absuchen, in anderen gilt es, so schnell wie möglich zu verschwinden - auch hier kommen Remote & Nunchuk beim Sprint zum Schütteleinsatz. Aber keine Bange: Wer eine Situation nicht meistert, kann dank des komfortablen Speichersystems kurz vorher noch mal starten. Man verliert unterwegs nicht nur ständig Lebensenergie, sondern auch Ausdauer. Um diese zu regenerieren kommt leider ein steinzeitliches Arcade-System zum Einsatz: Man zerdeppert Kisten, Tonnen, ja selbst Felsbrocken (!), um die darin "verborgenen" Power-ups wie übergroße Hamburger, Melonen oder Heilpakete einzusammeln. Dieses wenig intelligente, wenig logische System hätte man sich sparen können.

Genau so wie die Schrittgeräusche, die der Held auf dem Asphalt von sich gibt: Bei einem Spiel, das ansonsten eine derart markante Soundkulisse mit pompösem Titelthema aufbietet, sticht dieses unpassende Stöckelschuhgeklicke ganz besonders ins Ohr - das hätte die Qualitätssicherung einfach verhindern müssen! Die englischen Sprecher befinden sich hingegen auf Top-Niveau, allerdings werden viele Nebenfiguren stumm mit deutschen Texten abgespeist - es gibt leider keine interaktiven Dialoge. Die Kulisse leistet sich zwar im Texturbereich kleine Schwächen und die Animationen mancher Figuren wirken etwas hölzern, aber sie wirkt insgesamt sehr ansehnlich und nach Metroid Prime 3 kann endlich ein Actionspiel auf Wii auch wieder optische Zeichen setzen. Nicht nur die Renderfilme sorgen für gestochen scharfe Katastrophenstimmung, auch die Mimik sowie die Gesichtsdarstellung gehören in den sehr guten Bereich.

    

Fazit

Na also! Geht doch! Wann habt ihr das letzte Mal auf Wii Unterhaltung alter Schule genossen? Und zwar exklusive? Also ohne Gütesiegel für Familien, ohne Rücksicht auf die eigene Fitness oder den Intelligenzquotienten? Das ist verdammt lang her. Bei mir war es Metroid Prime 3: Corruption. An dieses Highlight kommt Disaster mit seiner Mischung aus Survival-Action und Lightgun-Shooter zwar lange nicht heran, aber es ist abwechslungsreich, spannend und zeigt einige der prächtigsten Szenen, die man bisher auf Wii sehen konnte. Und das tut Nintendos Konsole richtig gut. Vielleicht hätte es Disaster besser gestanden, wenn man sich ähnlich wie in SOS - The Final Escape auf die Herausforderungen einer Naturkatastrophe konzentriert hätte - denn in diesen Situationen ist das Spiel etwas Besonderes. Damit hätte man dem Abenteuer mehr Charakter geben können als mit belanglosen Fahr- und altbekannten Schuss-Sequenzen. Außerdem nerven die Schrittgeräusche sowie das primitive Kistenkloppen für Power-ups. Aber am Ende ist es dennoch die Mischung, die mich im wahrsten Sinne des Wortes auf Trab hält: Während die Stadt von Feuerstürmen, Erdbeben und Tsunamis bedroht wird, arbeite ich mich zum Zentrum der Terroristen vor, renne durch Feuerwände, rette Menschen und entwickle meinen Charakter. Unterm Strich ist Disaster ein gut geschnittener Thriller mit dem Popcornflair alter Zeiten. Auch wenn man aufgrund einiger Schwächen keine Wertungsgrenzen sprengen kann: Dieses Spiel füllt eine Lücke. Es tut verdammt gut, endlich mal wieder mit Remote und Nunchuk in ein ansehnliches Actionspiel abzutauchen - viel Spaß damit!

Pro

rasanter Action- & Survivalmix
gut inszenierte B-Movie-Story
komfortables Speichersystem
klasse Mimik & Gesichtsdarstellung
sehr gute Soundkulisse
spektakuläre Levelveränderungen
schöne Rauch- & Qualmeffekte
sehr ansehnliche Renderfilme
einige dramatische Situationen
Waffen- & Fähigkeitenentwicklung

Kontra

lineares Spieldesign
grauenhafte Schrittgeräusche
langweilige Fahrsequenzen
keine Bewegung in Schuss-Abschnitten
nur durchschnittliche Animationen
blödes Zerdeppern für Power-ups

Wertung

Wii

Naturkatastrophe trifft auf Terroranschlag, Survival trifft auf Shooter - endlich wieder actionreiche und exklusive Unterhaltung für Wii!

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