Tomb Raider: Underworld15.12.2008, Jörg Luibl
Tomb Raider: Underworld

Im Test:

Mit reichlich Verspätung ist das Testmuster zu Tomb Raider: Underworld (ab 4,33€ bei kaufen) für Wii bei uns eingetrudelt. Warum uns Lara weder auf PC, 360 noch PS3 begeistern konnte, kann man in diesem Test nachlesen. Aber jetzt geht es um den akrobatischen Auftritt mit Nunchuk und Remote. Und gerade in diesem Jahr konnten einige Spiele auf Wii besser abschneiden als auf den HD-Konsolen. Gelingt auch Lara ein überraschender Coup?

Positive Überraschungen auf Wii

Was hier noch elegant wirkt, leidet in der Spielpraxis unter Clippingfehlern und Rucklern - Lara enttäuscht auf ganzer Linie.
Manchmal entwickeln Spiele auf Nintendos Konsole ganz eigene Reize. Obwohl man grafisch nicht gegen die große HD-Konkurrenz anstinken kann, sorgen ihre inneren Werte wie eine intuitivere Steuerung oder ein unterhaltsameres Spieldesign dafür, dass sie teilweise eine Note besser abschneiden. In diesem Jahr gehören u.a. Shaun White Snowboarding , Crash: Herrscher der Mutanten , Top Spin 3 , Sonic Unleashed und selbst Need for Speed: Undercover  dazu. All diese Spiele haben uns positiv überrascht.

Aber manchmal werden Spiele nicht nur lieblos, ohne die kreative Nutzung der bewegungssensitiven Möglichkeiten auf Wii übertragen, sondern auch noch inhaltlich beschnitten und technisch verschlimmbessert. Tomb Raider gehört leider in diese Kategorie. Konnte das Spiel auf 360 und PS3 noch auf befriedigendem Niveau unterhalten, rutscht sie hier in den mangelhaften Bereich ab. Dass dieses Spiel noch nicht einmal für Kids oder Neuspieler empfehlenswert ist, die erste Laraluft schnuppern wollen, liegt natürlich nicht daran, dass einige Abschnitte verkleinert, Licht- und Schatteneffekte verringert und Rätselelemente abgeschwächt wurden - damit hätte man leben können. Wieso, weshalb, warum also?

1:1-Umsetzung mit Beschneidungen

Ja, es gibt andere Rätsel und auch etwas mehr, aber die Lösung derselben bleibt auf Kindergarten-Niveau.
Das Abenteuer der Archäologin wirkt auf den ersten Blick wie eine 1:1-Umsetzung - inklusive aller erzählerischen und spielerischen Stärken und Schwächen, die man in diesem Test nachlesen kann. Man startet im brennenden Herrenhaus, man steuert Lara in altbekannter Manier aus der Schulterperspektive, man verwendet einen Kletterhaken, bekommt ab und zu Textbrocken aus einer hanebüchenen Story zwischen Avalon und Nilflheim, sammelt immer gleich aussehende Schätze und ballert Feinde vom Gangster bis zum Königstiger nieder. Auf den zweiten Blick offenbaren sich aber deutliche Unterschiede und Beschneidungen, die das Spielerlebnis stark beeinträchtigen.

Zunächst bemerkt man unwesentliche Kleinigkeiten wie die fehlende manuelle Lichtaktivierung - die Funzel ist quasi immer an, ich kann sie nicht selbst bedienen. Lara findet auch keine Munition oder Heilpakete mehr, sondern gesundet mit der Zeit automatisch, was den ohnehin leichten Schwierigkeitsgrad theoretisch noch weiter nach unten treiben könnte - in der Praxis ist das Spiel aber aufgrund seiner Designfehler sogar unfreiwillig schwierig. Warum stirbt Lara z.B. wie eine Holzpuppe nach einem Elektroschock, wenn sie den Kraken berührt? Und was hat man sich mit dieser "Übersichtskarte" gedacht? Anstatt in einer 3D-Karte der Umgebung zu zoomen, muss man sich auf Wii mit ein paar statischen (!) Blickwinkeln in einem PDA zufrieden geben.              

Zickiges Action-Adventure

Egal ob Mexiko oder Thailand: Ihr erforscht dieselben Schauplätze wie auf 360 und PS3. Manchmal wurde das Leveldesign etwas geändert.
Wer einmal auf Wii Metroid Prime 3 gespielt hat, wird sich schon hier wie in der Steinzeit des Action-Adventures vorkommen und des Öfteren wie der Ochs im Walde stehen. Dieser Eindruck entsteht aber vor allem aufgrund der Kamera: Diese sorgte zwar schon auf PS3 und Xbox 360 für nervige Perspektivprobleme, aber auf Wii artet sie schlichtweg in ein frustrierendes Gezappel aus - man kommt beim Hangeln und Klettern selten in eine ruhige Aussicht. Hinzu kommt, dass sich beim Drehen und Neigen des Blickwinkels über das Steuerkreuz immer wieder böse Clippingfehler zeigen, die es in dieser Fülle bisher auf keinem System gab - die Kulisse wirkt einfach nicht rund. Überhaupt hat sich grafisch gegenüber Tomb Raider: Anniversary nichts getan; Spiele wie Disaster: Day of Crisis oder Metroid Prime 3 sehen eine Klasse besser aus.

Wer großes Pech hat, wird auch einem Bug begegnen, der das Weiterspielen unmöglich macht (hier im Video ) und das Laden eines vorherigen Spielstandes erzwingt: Es kann sein, dass in Thailand an einer Stelle ein Hebel fehlt - Eidos hat diesen Fehler erkannt und bietet einen Spielstand zum Download an.

Es sind weitere offensichtliche Schlampigkeiten, die stören: Lara versinkt manchmal halb in Wänden und Böden, ihre Hände verschwimmen beim schnellen Hangeln an Simsen und manchmal fällt sie unter einen Felsen, bleibt dann dort zappelnd stehen, erschossene Feinde bleiben manchmal wie angewurzelt stehen, das Motorrad rauscht halb in eine Felswand und bleibt stecken - das sieht nicht nur alles verdammt blöd aus, das sorgt auch dafür, dass das Spiel unnötig nervend wird. Man fällt nicht in einen Abgrund, weil man zu spät den Sprungknopf bedient hat, sondern weil man die Umgebung einfach nicht komfortabel genug auskundschaften kann.

Schatzsuche in Wackelworld

Mit dem Kletterhaken könnt ihr auch auf Wii Gegenstände bewegen oder umstoßen; leider kann man ihn nur umständlich wieder entfernen und nicht mit ihm Wände hinauf klettern.
Hinzu kommt, dass Lara trotz der grafischen Bescheidenheit selten ruckelfrei unterwegs ist und dass ihre akrobatischen Manöver auf Wii deutlich hölzerner wirken. Die anmutige Eleganz, die man von Xbox 360 und PS3 kennt, geht hier verloren - die Vorwärtsrolle kann sich zwar sehen lassen, aber viele Animationen wie der Kopfsprung ins Wasser tauchen gar nicht erst auf, so dass das Klettern alles andere als ansehnlich, sondern fast plump wirkt. Die einzige positive Neuerung: Man hat ein multifunktionales Werkzeug mit Druckluftdüse, Zange, Meißel und Schweißbrenner, um in manchen Situationen Dreck oder Bruchstücke, zu schmelzen oder zu schweißen. Hört sich gut an, wird aber in der Praxis viel zu selten und immer auf die gleiche stupide Art eingesetzt - da hat man viel Potenzial verschenkt.

Je länger man sich mit Lara auf Wii herum treibt, desto mehr Unterschiede bzw. Beschneidungen fallen auf: Warum kann ich mich z.B. nicht am Kletterhaken hochziehen? Man kann zwar die Ringe beschießen und Säulen umreißen wie im Vorbild, aber man kann sich nicht an Wänden hinauf ziehen. Auch das ohnehin schwache Kampferlebnis wurde noch mal kastriert. Nicht nur, dass deutlich weniger und im Verhalten erschreckend dumme Gegner auftauchen, so dass der Anspruch gegen Null sinkt: Warum kann ich unter Wasser nicht mehr die Harpune nutzen? Warum wurde die Betäubungspistole gestrichen? Warum kann man nicht mehr aus der Kletterposition feuern? Warum wird der Adrenalinmodus nur automatisch aktiviert? Warum gibt es keinen Nahkampf mehr? Die Krux ist ja: Eine Streichung schwacher Kampfelemente hätte dem Spiel ja sogar gut getan - ich kann auf die Haie gut verzichten! Aber als Antwort hätte man wenigstens kreativen Ersatz wie eine intelligentere Schatzsuche oder bessere Rätsel im Spieldesign parat haben müssen. Aber als Ausgleich bekommt man auf Wii nichts.

        

Fazit

Was ist das denn für ein Umsetzungsmüll? Und kann es sein, dass die späte Veröffentlichung vor Weihnachten System hatte? Sorry, aber so schlecht wurde ich auf Wii selten unterhalten. Wenn ihr Tomb Raider: Underworld spielen wollt und die Wahl habt: Besorgt euch das Abenteuer für PC, Xbox 360 oder PlayStation 3, denn das ist mindestens zwei (!) Klassen unterhaltsamer. Aber macht einen großen Bogen um diese Wii-Version - am besten holt man sich hier Tomb Raider: Anniversary. Nach der enttäuschenden DS-Version erleidet Lara leider auch auf dem zweiten Nintendo-System einen spielerischen Absturz. Anstatt das Abenteuer kreativ und intelligent an Nunchuk und Remote anzupassen, vielleicht sogar das Spieldesign positiv zu ändern oder die Kulisse gegenüber Anniversary noch zu verschönern, serviert man eine in vielen Details kastrierte und technisch schwache Version. Die Kameraschwäche der großen Vorbilder wurde noch verstärkt, mit zahlreichen Clippingfehlern angereichert und es gibt einen schweren Schalter-Bug: Zwar tritt er nicht immer auf, aber das Weiterspielen kann unmöglich gemacht werden. Eidos hat darauf reagiert und eine Lösung in Form eines Speicherstandes parat. Aber das ist ein Unding auf Konsole! Haben wir jetzt schon PC-Verhältnisse auf Wii? Viele Entwickler haben dieses Jahr bewiesen, wie man die grafisch überlegenen Systeme Xbox 360 und PlayStation 3 mit Spielspaß auf Wii schlagen kann. Eidos demonstriert, wie man ein befriedigendes Erlebnis noch so verschlechtern und eine Ikone so ramponieren kann, dass man unterm Strich gar keinen Spaß mehr hat.

Pro

neues Archäologie-Werkzeug

Kontra

schwerer Schalter-Bug
sehr nervige Kamera
viele böse Clipping
& Grafikfehler
permanente Ruckler
keine kreative Wii-Nutzung
viel weniger Kletteranimationen
stark beschnittene Kampfmechanik
strunzdumme Gegner

Wertung

Wii

Finger weg: Eine mangelhafte Umsetzung mit zickiger Kamera!

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.