Harvest Moon: Baum der Stille21.10.2009, Jan Wöbbeking
Harvest Moon: Baum der Stille

Im Test:

Das Leben auf dem Dorf besitzt sein eigenes Tempo: Da ich irgendwo im Nirgendwo zwischen Hannover und Bielefeld aufgewachsen bin, weiß ich, dass ein gutes Stückchen Wahrheit in diesem Sprichwort steckt. Trotzdem ging es in meiner Kindheit nie und nimmer so lethargisch zu, wie sich der japanische Entwickler Natsume das Hofleben vorstellt. In Harvest Moon: Baum der Stille (ab 79,98€ bei kaufen) schlüpfe ich wieder einmal in die Gummistiefel eines Bauernjungen (oder einer kleinen Bäuerin), der auf einer verwaisten Insel ein Paradies erschaffen will.

Täglich grüßt das Nutztier

Wer schon einen Teil der Serie gespielt hat, wird sich sofort zurechtfinden. Anders als im rollenspielartigen Rune Factory läuft das Leben als Landwirt ganz klassisch ab: Zunächst einmal ackere ich stundenlang auf dem Feld,

Och wie putzig: Die Tiere und menschlichen Inselbewohner besitzen ein niedliches Design, welches sich aber nicht mehr ganz so stark am typisch japanischen Kindchenschema orientiert.
um mir ein Grundkapital für einen Hühnerstall zu erwirtschaften. Habe ich ein wenig Reichtum angehäuft, kann ich auch Kühe, Ziegen, Schafe und Enten oder sogar Seidenraupen züchten, die Erzeugnisse z.B. zu Käse verarbeiten und dann verkaufen.

Auch abseits meiner täglichen Pflichten als Landwirt gibt es wieder jede Menge zu tun: In der Mine baue ich Erze ab, lasse diese beim Schmied in hübsche Broschen verarbeiten, mit welchen ich wiederum potentielle Heiratskandidatinnen beeindrucke - sofern sie eine Schwäche für Schmuck haben. Wer die richtigen Geschenke verteilt und regelmäßig mit der bzw. dem Angebeteten spricht, darf nach der Hochzeit eine Familie aufbauen. Auch andere Dorfbewohner, wilde Schildkröten und andere Tierchen können als Freunde gewonnen werden. Leider muss man sich dazu durch jede Menge öde Smalltalk-Texte klicken - Sprachausgabe gibt es nicht. Stattdessen werden westliche Ohren von ödester Fahrstuhlmusik malträtiert, die sich zum Glück austellen lässt.

Freizeittipps für die Insel

Außerdem darf ich in meiner Freizeit z.B. angeln gehen sowie Muscheln, Kräuter und andere Dinge sammeln. Des Weiteren werden ab und zu diverse Feste veranstaltet, bei denen ich mich an Minispielchen wie einer kleinen Schießbude versuche. Wie die Festlichkeiten besitzt auch der Rest des Spiels einen festen Zeitplan:

Habt man sich Land dazugekauft, könnt ihr die Früchte der Arbeit direkt vor Ort in eine Versandkiste gelegt werden.
Früh morgens lasse ich meine Schützlinge aus dem Stall, rupfe das wuchernde Unkraut und gieße die Pflanzen. Die Entwickler haben dem Spiel wieder eine aufgesetzte Rahmenhandlung rund um die verschwundene Erntegöttin, ihre Wichtel und eine mysteriöse Decke verpasst; im Wesentlichen geht es aber darum, sich seine Existenz als Landwirt aufzubauen. Nach getaner Arbeit darf der Rest des Tages auch mit Nebenjobs im Fischerladen oder auf anderen Höfen verbracht werden. Seltsamerweise steht mein Landwirt dabei einige Sekunden lang gestikulierend im Raum herum, verliert kein bisschen Ausdauer, streicht aber abends seinen Lohn ein.

Auf dem eigenen Feld muss ich mehr Fleiß aufbringen: Wenn die Werkzeuge im Rucksack noch nicht aufgelevelt oder beim Schmied verbessert wurden, muss ich jedes kleine Quadrat Boden eigenhändig umgraben und gießen. Neuerdings darf man zum Glück frei durch seine Pflanzen laufen und kann den knappen Boden so besser nutzen. Außerdem wird das Saatgut jetzt nicht mehr breit gestreut, sondern in langen horizontalen Linien auf das Feld geworfen. Alle Arbeiten gehen leichter und weniger hakelig von der Hand als in Harvest Moon: Magical Melody . Die Entwickler sind keine Experimente eingegangen, denn die Bewegungssteuerung der Wii wird kaum genutzt. Nur wenn man versehentlich die Fernbedienung nach oben richtet, benutzt man das ausgerüstete Werkzeug und verschwendet dadurch wertvolle Ausdauer.

Schlaftablette vom Lande

All das klingt eigentlich ganz entspannend, oder? Wäre es auch, wenn die Entwickler sich nicht dazu entschieden hätten, den Spielablauf diesmal unerträglich in die Länge zu ziehen. Alleine eine Tour zu einem Dorffest, zum Schreiner oder zum Kaufen von Saatgut wird zum nervtötenden Gewaltmarsch.

Die pflegeleichten Seidenraupen am hinteren Bildrand dürfen im Hühnerstall gehalten werden. 
Einerseits dauert es neuerdings deutlich länger, mit meinem langsamen Alter Ego über die langgezogenen Pfade zu schlurfen. Zusätzlich wird der Ausflug jedes mal durch eine zehn Sekunden lange Ladepause unterbrochen, wenn ich ein neues Areal betrete.

Bin ich endlich am Ziel angekommen, muss ich mich noch durch langsam überblendende Menüs klicken. Sogar Details wie das Anfreunden mit einem frei laufenden Äffchen werden schrecklich träge inszeniert: Drücke ich den A-Knopf, stellt sich mein Bauer einige Sekunden lang beinahe regungslos vor das Tier, um schließlich den erleuchtenden Kommentar »Es ist ein kleiner Affe!« vom Stapel zu lassen. Im Laufe des Spiels können manche Laufwege z.B. durch Saatgutbestellung per Telefon umgangen werden. Oder man schafft sich flotte Reittiere wie ein ein Pferd oder einen Strauß an. Trotzdem wurde das Spiel viel zu sehr gestreckt und mit unnötig langen Ladezeiten versehen.     

Fazit

Der Untertitel der englischen Fassung bringt es auf den Punkt: »Tree of Tranquility« heißt der aktuelle Harvest-Moon-Ableger in den USA und wirkt tatsächlich so einschläfernd wie ein »Tranquilizer«, also ein Betäubungsmittel. Ja, ich weiß: Für Natsumes Mischung aus Lebenssimulation und Aufbaustrategie musste man schon immer eine gehörige Portion Zeit und Muße mitbringen. Trotzdem ist mir diesmal der Geduldsfaden gerissen. Ähnlich wie im PSP-Ableger Innocent Life: A Futuristic Harvest Moon musste ich mich erst einmal stundenlang durch fade Introsequenzen und Tutorials quälen, bis ich endlich damit beginnen durfte, meinen Hof aufzubauen. Die größten Stimmungskiller sind die unnötig weiten Laufwege und die ständigen, unverschämt langen Ladezeiten, welche beim Wechsel von einem Inselabschnitt zum nächsten auftreten. Im Laufe des Spiels erleichtern zwar ein Telefon für Saatgutbestellungen und ein Reittier die Arbeit - trotzdem muss man erst einmal viele Stunden lang auf dem Feld ackern und sich durch träge Menüs klicken, bis endlich die ersten Hühner im Stall scharren. Dabei hätte das Spiel richtig nett werden können. Der Titel bietet zwar kaum Neues und bedient sich an allen Ecken und Enden bei den Vorgängern, besitzt aber einen beachtlichen Umfang und jede Menge Möglichkeiten, sich einen hübschen schönen Hof samt Familie aufzubauen. Wer viel Zeit und eine Engelsgeduld besitzt, kann sich den Titel trotzdem einmal anschauen - alle anderen greifen lieber zum Vorgänger Harvest Moon: Magical Melody. Der Wii-Titel leidet zwar unter hakeliger Steuerung und schlichter Grafik, quält den Spieler aber nicht mit unnötigen Wartezeiten. Vielleicht findet irgendwann auch die Wii-Version der Bauernhof-Hack'n'Slay-Mischung Rune Factory ihren Weg nach Deutschland.

Pro

<P>
jede Menge unterschiedlicher Aufgaben
enormer Umfang
putzig gestaltete Tiere
zahlreiche Versandkisten auf der ganzen Insel</P>

Kontra

<P>
wieder nur das recycelte Ur-Prinzip
ermüdend&nbsp;weite Laufwege
lange Ladezeiten
langsame Laufgeschwindigkeit
allgemein zu träges Spieltempo
Bild nur im 4:3-Format
belanglos vor sich hin plätschernde Fahrstuhlmusik
nur Text statt vertonter Dialoge</P>

Wertung

Wii

Die umfangreiche, aber schrecklich träge Neuauflage des klassischen Bauernspiels stellt die Geduld der Spieler mit weiten Laufwegen und langen Ladezeiten auf eine harte Probe.

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