We Love Golf!10.07.2008, Benjamin Schmädig
We Love Golf!

Im Test: Die Macher von "Everybody's Golf" schnappen sich die Remote

Seufz! Dabei macht We Love Golf doch alles richtig: Das Büro wird zum Golfplatz, Schwingen und Schlagen fühlen sich fast real an, Siege schalten neue Charaktere und Kurse frei. In den ersten Stunden stimmt es: Ich liebe dieses Golfen! Etliche Stunden später stehe ich noch immer auf dem fast realen Golfplatz. Schwingen und Schlagen fühlen sich fast real an. Siege schalten Charaktere und Kurse frei - immer noch. Immer wieder. Wieder. Und wieder. Das einfallslose Golfen kann mir inzwischen gestohlen bleiben. Seufz!

Erst für "Jedermann", jetzt für "Uns"

Ganz ehrlich: Die zusätzlichen Charaktere der westlichen Version hätte sich Camelot sparen können. Die Erfinder von Everybody's Golf und Mario Golf hätten ihrer Lokalisierung lieber einen abwechslungsreichen Turniermodus verpassen sollen - damit westliche Golfer nicht einschlafen, während sie stundenlang das gleiche tun. Es gibt weder eine Karriere, in der ihr euch an verschiedenen Herausforderungen versucht, noch sind die Minispiele so zahl- und einfallsreich, dass sie den Alltag der Turniere und Matches lange auflockern. Ja, in einer Runde mit bis zu drei Freunden ist We Love Golf ein leicht zu erlernender, ausgesprochen witziger Partyspaß. Solisten lässt Camelot allerdings im Regen stehen. 

 

Knuddeliges Äußeres, forderndes Inneres - die Everybody's und Mario und Golf-Macher kennen die Erfolgsformel. Sollte man meinen...

Und das, obwohl es hier nicht einmal regnet...

Am Anfang war der Spaß

Am Anfang ist die Welt des Hobbygolfers noch in Ordnung. Ich habe mich jedenfalls pudelwohl gefühlt, als ich für We Love Golf die Remote in die Hand nahm. Denn auch, wenn ich nie (wissentlich) auf einem echten Golfplatz stand, hatte ich meine Körperteile schnell wie ein Profi sortiert - so sehr das die sorgfältige Beobachtung aus 30 Fernsehjahren eben zulässt... Nein, man wird nicht dazu gezwungen, die Remote wie ein echtes Eisen zu halten. Dass man sich nach einigen Schlägen aber fast von selbst wie Herr Woods zum "Ball" stellt, spricht aber für die gelungene Umsetzung des Sports.

Wer sich unsicher fühlt, kann dabei jeden Schlag beliebig oft einstudieren - haltet während Schwung und Schuss einfach die B-Taste gedrückt. Erst wenn ihr die A-Taste drückt, zählen Timing und Fingerspitzengefühl. Für den richtigen Schwung zieht ihr die Remote dabei so nach oben, wie ihr es mit einem 3er-Holz oder 9er-Eisen tun würdet. Eine zuvor eingestellte Markierung zeigt euch, wie weit ihr den Controller heben müsst, um die gewünschte Weite zu erzielen. Dreht ihr ihn zu Beginn des Schwungholens zudem nach rechts oder links, führt ihr Draw oder Fade aus. Haltet ihr Taste 1 gedrückt, 

Drollige Charaktere, kunterbunte Golfplätze - typisch Camelot.

verpasst ihr dem Ball Top Spin, Taste 2 sorgt für Back Spin.

Die limitierte Wirklichkeit

Auf diese Art sind alle bekannten Varianten möglich - selbst wenn deren Ausführung beim genauen Hinsehen unglaubwürdig wirkt. Vor allem wegen des funktionierenden "Nachahm-Effekt" kommt dieses Golfen dem echten Sport an nächsten. Weil man es im Handumdrehen beherrscht, fühlt es sich sogar besser an als EAs realitätsnahe Tiger Woods-Tour. Aber wo es im echten Sport auf den Winkel beim Zusammentreffen von Ball und Schläger ankommt, müsst ihr hier nur zu Beginn des Ausholens die Remote zur gewünschten Seite kippen, spätestens das Halten einer Taste ist alles andere als real. Schade auch, dass der Rückschwung lediglich aus einem ruppigen Dreh der Remote bestehen muss - anders als beim Ausholen könnt ihr die Position des Schlägers hier praktisch vernachlässigen. Nicht zuletzt ist das Timing so nachgiebig, dass sich aufmerksames Spielen kaum bezahlt macht. Präzise Treffer werden zudem kaum mit besonders spektakulären Schüssen belohnt. Mich ärgert auch, dass ich eine Hilfslinie, welche die Flugbahn des Balls vorhersagt, nicht immer abstellen kann und dass das Einlochen auf fast allen Grüns zu einfach ist. Insgesamt fordert We Love Golf auf Dauer so wenig, dass es ermüdend wird.        

Von einigen Aspekten in Sachen Steuerung haben die Japaner mit der Wirklichkeit natürlich ohnehin nicht viel am Hut. Die Golfplätze orientieren sich zwar am Aufbau echter Links - das irgendwo zwischen farbenfroh und kunterbunt eingetauchte Bild erinnert aber eher an interaktive Pop-Art. Kulleraugen freuen sich über präzise Treffer, kleine Füße trampeln verärgert ein Loch in den Boden, das lilafarbene Piratennest lädt zum Putten ein, ein Blumenmeer aus Primärfarben ziert anderswo den Fairway und eine animierte sowie sprechende Remote erklärt die Grundlagen der Steuerung: Mir gefällt die überschwängliche Naivität! Schade, dass man sich nur schwer satt sehen kann - die hakelige Kamerasteuerung (B-Taste plus Digikreuz) steht zu oft dem umfassenden Überblick im Weg. Mit der Spritzigkeit der aktuellen Vertreter ihres Babys können die ehemaligen Everybody's Golf-Väter ohnehin nicht mithalten. Dazu fehlen We Love Golf sowohl die drolligen Caddys als auch die anfeuernden Zuschauer: Auf die hilfreichen Schläger-Träger verzichtet Camelot komplett und die nicht sichtbaren Zuschauer melden sich nur per Applaus zu Wort - 

Würde die hervorragende Steuerung noch mehr Finessen zulassen, käme man sich nicht schnell unterfordert vor.
den lebendigen Kulissen fehlen die Nebendarsteller.

Zu viel von zu wenig

Wäre das doch das einzige, das We Love Golf fehlen würde... Ja, es gibt Minispiele. Ja, es gibt Online-Matches. Ja, es gibt Partyspaß für vier Mitgolfer. Aber das Herzstück, eine Karriere oder ein Turniermodus, fehlt. Und zwar komplett.

Abwechslungsreiche Herausforderungen mit unterschiedlicher Turnierlänge, verändertem Regelwerk oder bunt gemischter Loch-Abfolge? Es gibt Turniere, die stets über 18 Löcher gehen und später kaum herausfordernder werden.

Neue Klamotten, neue Kameraperspektiven, neue Schläger, neue Schwierigkeitsklassen, neue Fähigkeiten, die man nach Turnieren und Matches gewinnt? Mit gewonnenen Turnieren und Matches schaltet man neue Kurse und Figuren frei.

Selbst zusätzliche Outfits der sich stark ähnelnden Figuren, u.a. die Kleider berüchtigter Capcom-Täter wie Antizombie-Heroine Jill Valentine, Rätselpirat Zack oder Handkanten-Schlitzer Ryu, erhaltet ihr immer nur dann, wenn ihr ein Match gegen den gewünschten Charakter im gewünschten Outfit gewinnt. Weil ihr dafür jeweils zehn Löcher gewinnen müsst, quält ihr euch eine gefühlte Ewigkeit durch den Freispiel-Mechanismus, anstatt die witzigen Extras quasi nebenbei zu gewinnen. Das gilt auch fürs Freischalten der Kurse: Anstatt ein Turnier seiner selbst willen zu wählen, steckt ihr im eintönigen Freispiel-Mechanismus fest - und vermisst einen abwechslungsreichen Turniermodus oder Herausforderungen, sobald ihr endlich auf allen Links antreten dürft. Das Verhältnis von Spielgefühl zu Inhalt verhält sich ähnlich wie in der Wii-Fassung von Top Spin 3: Während Ersteres beinahe die Wirklichkeit einfängt, scheint Letzteres das Ergebnis fauler Entwickler zu sein. Mehr als eine Sammlung von Minispielen ist Camelots Golfen unterm Strich jedenfalls nicht.

Das fehlende Online-Echo

Wie erwähnt gibt sich We Love Golf zudem nur bedingt Mühe, vom faden Turnieralltag abzulenken. Zugegeben: Selbst die unüberschaubare Minispiel-Flut der letzten Tiger Woods-Simulationen zeigt anschaulich, wie wenig sich die Formel "Golf spielen" variieren lässt - mehr als unterschiedliche Zählarten beim Match mit bis zu drei Gegnern sowie das Schießen durch 

Egal, ob für einen oder für vier Spieler: Die Auswahl an Spielvarianten könnte größer sein.
vorgezeichnete Ringe oder auf markierte Zielfelder ist nicht drin. Ganz zu schweigen davon, dass selbst der fast bierernsten EA-Simulation mehr Varianten einfallen&

Im Gegensatz zu Meister Woods und zu allen anderen Wii-Golfern, dürft ihr mit den Comic-Figuren allerdings im Internet abschlagen. Und das stellt sich als erfreulich unkompliziert heraus - falls ihr einen Partner findet! Denn ihr werdet wohl nur mit Freundescode in den Genuss eines Online-Matches kommen. Schließlich gibt es kaum willige Mitspieler, wofür sich Camelot auch an die eigene Nase fassen muss. Ohne Freundescode dürft ihr nämlich nicht eure eigenen Regeln bestimmen, sondern werdet über die automatische Suche in ein vom Zufall erstelltes Match geschoben. Das ist alles andere als zeitgemäß. Immerhin: Wer sich in einem Match mit bis zu drei Bekannten misst, (ganze Turniere dürft ihr leider nicht spielen), freut sich über eine flotte Verbindung. Das ist zeitgemäß - aber wie so vieles auch nur Pflichterfüllung.    

Fazit

"Kurze Ladezeiten" war der erste Pluspunkt, den ich nach etlichen Spielstunden unter "Pro" vermerkt habe. Nicht, weil es der einzige ist. Es ist aber der erste, der mir spontan in den Sinn kam - die anderen haben zu viel Mühe, unter der schweren Einfältigkeit dieses Spiels hervorzukriechen. Da steht man auf der einen Seite wie ein Profi am Tee, holt aus wie Tiger Woods, schlägt ab wie Bernhard Langer: Entwickler Camelot erweckt mit Abstrichen bei der Spieltiefe die Wirklichkeit zum Leben - großartig! Dazu kommen die farbenfrohe Umgebung, die putzigen Charaktere - als leidenschaftlicher Everybody's Golfer kann ich mich bei We Love Golf fast pudelwohl fühlen. Der titelgebenden Prämisse kann ich mich allerdings nicht anschließen. Ich liebe es nämlich nicht, ständig ein langes Turnier nach dem nächsten spielen zu müssen, nur um Charaktere und Kurse freizuschalten. Ich liebes es einfach nicht, dass mir Camelot abgesehen davon kaum etwas zu tun gibt und dass ich keine Fähigkeiten aufwerten, keine neuen Schläger oder Accessoires sammeln kann. We Love Golf ist zu wenig Simulation, als dass es sich den trockenen Turnieralltag leisten könnte. Auf der anderen Seite sind die wenigen Minispiele sowie beschränkten Online-Möglichkeiten aber zu wenig, um lange an den Remote-Schläger zu fesseln. Camelots Golfen ist wie ein gelungener Abschlag - der anschließend auf dem Fairway liegen bleibt, weil ihn niemand aufs Grün spielt. Schade.

Pro

Ausholen und Schlagen fühlen sich fast real an
farbenfrohe Plätze
zahlreiche Figuren...
glaubwürdige Flugbahnen
auf Wunsch Linkshänder-Steuerung

Kontra

nur 18-Loch-Turniere & Matches zum Freispielen von Plätzen & Charakteren/Outfits
... die sich wenig unterscheiden
keine sonstigen Gewinne als Anreiz
unhandliche Kamera beim Einstellen des Schlagziels
keine Karriere, keine Fähigkeiten zum Aufwerten, keine sonstigen Gewinne
Putten wird zu einfach gemacht
keine Caddies, keine Zuschauer
vorhergesagte Flugbahn lässt sich nicht immer abschalten
Winkel des "Schlägers" spielt bei Abschlag keine Rolle (für Draw, Fade, Top & Back Spin)

Wertung

Wii

Die erstklassige Steuerung wird von spielerischer Langeweile erdrückt.

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