Fragile Dreams: Farewell Ruins of the Moon25.03.2010, Jens Bischoff
Fragile Dreams: Farewell Ruins of the Moon

Im Test:

Tri-Crescendo hatte schon mit Eternal Sonata eine bezaubernde Traumwelt geschaffen, die im Kopf des im Sterben liegenden Frédéric Chopin auf charmante Weise zum Leben erwachte. Fragile Dreams präsentiert sich hingegen wesentlich düsterer: Hier liegt eine reale Welt in Trümmern, alle Menschen scheinen tot, nur ein kleiner Junge gibt die Hoffnung nicht auf, dass er nicht der letzte Mensch auf Erden ist. Es beginnt eine emotionale Zerreißprobe geprägt von Einsamkeit, Hoffnung und Verlust. Wir haben den kleinen Seto auf seiner ergreifenden Suche begleitet...

Plötzlich allein

So lange Seto denken kann, lebte er mit seinem Großvater in einem verlassenen Observatorium in den Bergen.

Video: Der Trailer gewährt einen kurzen Einblick in die melancholische Atmosphäre und das bezaubernde Artdesign.Doch vor Kurzem ist der alte Mann und einzige Mensch, den Seto je kannte, verstorben. Ein Schicksal, das scheinbar alle anderen Menschen mit ihm teilten. Doch Seto will nicht glauben, dass er der letzte Mensch auf Erden ist. Und so macht er sich auf in Richtung eines roten Turms am Horizont, den sein Großvater in einem Abschiedsbrief als Ziel für die Suche nach möglichen Überlebenden angab. Was wird er dort vorfinden? Was ist der Grund dafür, dass so viele sterben mussten? Warum bat sein Großvater mit seinen letzten Worten um Entschuldigung? Seto hat viele Fragen und taumelt einsam durch einst von Leben erfüllte Orte, die jetzt nur noch Ruinen im kalten Mondlicht sind.

Einsamkeit, Verlust und Hoffnung sind jedenfalls die tragenden Themen auf Setos Reise, die ihn immer wieder Mut schöpfen, aber auch Leid und Verzweiflung erfahren lassen. Zwar findet er früh einen Begleiter, aber selbst der ist nicht menschlich, sondern lediglich ein tragbarer Computer mit Kommunikationsmodul. Doch da war auch dieses scheue Mädchen mit silbernem Haar, dessen Wärme er kurz spürte, bevor sie im Dunkel der Nacht verschwand. Ob sie auch eine Überlebende ist? Zumindest scheint er da draußen nicht allein zu sein und er setzt alles daran, dieses Mädchen wieder zu sehen, dessen Gesang die unerträgliche Stille brach und dessen Zeichnungen so viele Trümmer verzieren.

Gewöhnlich Ungewöhnlich

Setos Schicksal wird angenehm zurückhaltend, aber ergreifend erzählt. Manchmal ist vielleicht etwas viel Pathos im Spiel, aber das Gesamtbild stimmt, der emotionale Faden schlängelt sich gekonnt um jedes Ereignis, ohne an erzählerischer Spannung zu verlieren. Darin eingebettet immer wieder als animierte Scherenschnitte präsentierte Monologe, in denen Seto aus ferner Zukunft melancholisch auf die gerade im Spiel erlebte Gegenwart zurückblickt. Dramaturgie und Artdesign sind teilweise wirklich famos, auch wenn das Spielgeschehen vergleichsweise gewöhnlich daher kommt: Im Schein seiner Taschenlampe durchkämmt Seto verfallene Bahnhofsgebäude, verwaiste Einkaufspassagen, einen verwitterten Vergnügungspark oder ein von der Natur zurück erobertes Hotel - stets auf der Suche nach dem geheimnisvollen Mädchen aus den Ruinen. Hier und da sammelt er von Glühwürmchen geleitet interessante Gegenstände ein oder setzt sich mit notdürftigen Waffen gegen feindselige Tiere und geisterhafte Erscheinungen zur Wehr.

Die meisten Gegner sind zunächst unsichtbar und weisen lediglich durch leises Kichern, Wimmern oder Knurren auf ihre Anwesenheit hin. Leuchtet man allerdings mit der Taschenlampe in die Richtung der Geräusche, materialisieren sich deren Verursacher und man kann sie mit Waffengewalt zum Schweigen bringen. Anfangs muss Seto auf Stöcke, Steinschleudern oder Schmetterlingsnetze vertrauen, später kann er auch zu Katana, Armbrust oder Axt greifen. Auch die Taschenlampe lässt sich aufrüsten, um lichtempfindliche Kreaturen früher zu enttarnen oder mit Blitzlichtgewittern zu lähmen. 

Die erste flüchtige Begegnung mit Ren spendet Seto Trost. Jetzt weiß er, dass er nicht der letzte Mensch auf Erden ist. Doch wo hält sich das scheue Mädchen versteckt?
Das Kämpfen selbst ist allerdings eher simpel, fast primitiv: Auf Knopfdruck schlägt Seto in Blickrichtung zu, wobei Stichwaffen eine kurze Standardkombo erlauben, während Angriffe mit Hieb- und Stoßwaffen durch Aufladen besonders harte Einzeltreffer ermöglichen. Bei Schusswaffen muss Seto die Taschenlampe zur Seite legen - aggressive Raben oder Tauben lassen sich aber dafür schon aus sicherer Distanz aufs Korn nehmen.

Eine Ziel- oder Blickfixierung ist leider nicht möglich, was natürlich auch seitliche Bewegungen (Strafen) unterbindet. Blocken oder schnelles Ausweichen ist ebenfalls tabu. Allerdings sind die meisten Widersacher ohnehin extrem harmlos bzw. leicht zu bewältigen - selbst die Bossfights sind, sobald man die simplen Verhaltensmuster durchschaut hat, trotz teils interessanter Strukturen reine Formsache. Ein wenig Geschick ist teilweise trotzdem gefragt, auch wenn es in der Regel nur auf die Wahl der Waffe und das Timing der Angriffe ankommt. Genau da macht es das Spiel einem jedoch unnötig schwer, da Waffen jederzeit zu Bruch gehen und nicht so ohne weiteres ersetzt werden können. Das Handgepäck im Resident Evil -Stil ist nämlich sehr begrenzt, der grenzenlosen Stauraum bietende Rucksack nur an als Speicherpunkt dienenden Lagerfeuern verfügbar. Wer auf dem Trockenen sitzt, muss am Feuer auf einen fahrenden Händler mit Kinderwagen und Hahnenkopf hoffen, der aus einem Shin Megami -Spiel stammen könnte, sich aber nur sporadisch blicken lässt und nicht immer das feil bietet, was man gerne hätte.       

Fragwürdige Strapazen

Ernsthaft in Schwierigkeiten kommt man zwar nie und wer will, kann den meisten Gegnern auch einfach aus dem Weg gehen, aber der unvorhersehbare Waffenverschleiß gepaart mit Platzproblemen und lästigem Hin und Her zwischen Einsatzort und Lagerfeuer ist alles andere als angenehm und zieht das Spiel eigentlich nur künstlich in die Länge. Vor allem, da das obligatorische Entzünden des Feuers meist auch wieder alle bereits getöteten Gegner auf den Plan ruft. Das gleiche Problem macht sich auch beim Aufgaben- und Leveldesign bemerkbar:

Die Kämpfe gegen geisterhafte Erscheinungen sind sehr simpel, die clevere Nutzung der remote jedoch interessant.
Vielleicht unterstreichen teils minutenlange Gewaltmärsche durch trostlose, immer nur geradeaus führende Abwasserkanäle die Einsamkeit des Protagonisten, aber spielerisch sind sie genauso ermüdend wie hundert Meter lange Leitern, zwanzigstöckige Treppenhäuser oder ähnlich künstliche Streckungen. Besonders nervig war auch, mehrfach in längst hinter sich gelassene Areale zurückkehren zu müssen, um irgendwelche Dinge zu holen oder vorher versperrte Türen zu öffnen. Ich weiß nicht wie viel von den insgesamt 15 Stunden Spielzeit für belangloses Hin und Her drauf ging, aber es war definitiv zu viel.

Immerhin bringt einem jeder Kampf neben gelegentlichen Beutestücken auch Erfahrungspunkte ein, die einem bei einem Stufenanstieg zusätzliche Angriffsstärke und Lebensenergie bescheren. Allerdings kommt einem dieser Rollenspielansatz ziemlich aufgesetzt und unnötig vor. Man freut sich nicht mal sonderlich über ein Level-Up, weil man sich sowieso nie unterlegen fühlt. Aber gut, die Kämpfe zählen bis auf wenige Ausnahmen ohnehin nicht zu den Stärken des Spiels. Vielleicht hätte man sogar lieber einen Fluchtansatz wie bei Shattered Memories in Erwägung ziehen sollen. Dadurch wäre womöglich auch der interessante Aspekt der Konfrontationen, nämlich das akustische Orten und optische Enthüllen oder Lähmen der Gegner mehr in den Vordergrund gerückt.

Bizarres Unbehagen

Auf die Atmosphäre wirkt sich diese verpasste Chance aber zum Glück kaum negativ aus: Spannung und Nervenkitzel bleiben zwar weitestgehend aus, aber die bedrückende Gesamtstimmung ist dafür umso prägnanter. Schließlich macht es nicht den Anschein als wollte einen tri-Crescendo das Fürchten vor blutrünstigen Kreaturen lehren, sondern viel mehr unbehagliche Gefühle wie Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit oder Trauer vermitteln und das ist ihnen in meinen Augen durchaus geglückt. Man hat einfach kein gutes Gefühl dabei, eine lautstark trauernde Geisterfrau, die einem stets nur ihren misshandelten Rücken zukehrt, kaltblütig zu erdolchen. Es berührt einen sogar, wenn Seto eine Maschine beerdigt oder um eine Puppe trauert.

Man erlebt wirklich einzigartige Momente. Auch die Erinnerungen, die Seto während seiner Reise aus den Habseligkeiten verstorbener Personen entgegen prasseln unterstreichen das Erlebnis. Manche mögen schlicht und belanglos erscheinen, andere wiederum erzählen über mehrere Fundstücke hinweg ausschweifende Geschichten über Freundschaft, Liebe, Rache oder Reue, die in ihren besten Momenten durchaus mit den aufwändigen Traumerzählungen eines Lost Odyssey vergleichbar sind. Schade ist nur, dass die deutschen Untertitel nicht immer glücklich wirken und in seltenen Fällen Überraschungen vorweg nehmen oder gewisse Dinge einfach unterschlagen. Wer des Englischen mächtig ist, kann die Texte auch ignorieren - die Synchro ist jedenfalls sehr ordentlich. Wer will, kann sogar dem japanischen Originalton lauschen. Insgesamt ist aber auch die deutsche Lokalisierung durchaus gelungen; zum besseren Verständnis wurden sogar japanische Liedpassagen elegant übersetzt.

Die musikalische Untermalung ist auf jeden Fall sehr stimmungsvoll. Auch, oder vielleicht gerade weil sie sehr akzentuiert eingesetzt wird. Die meiste Zeit herrscht unbehagliche Stille, die nur von dezenten Umgebungsgeräuschen unterbrochen wird. Dann mischt sich langsam eine ruhige Klavierpassage hinzu, verschwindet wieder oder wird von anderen Instrumenten ergänzt - unauffällig, aber eindrucksvoll.

Einige Texte werden bei näherer Betrachtung übersetzt, andere sind jedoch nur für Japanisch-Kundige verständlich.
Auch die Nutzung des Remote-Lautsprechers verdient Lob. Wer die entsprechende Option aktiviert, kann die Fernbedienung nicht nur als Taschenlampe, sondern auch als Ortungsgerät verwenden: Je nach Entfernung und Blickrichtung, die sich leider nur sehr träge schwenken lässt, ändert sich die Lautstärke verschiedener Geräuschquellen. Mal huscht höhnisch lachend ein unsichtbarer Dämon vorbei, mal schnappt man eine Warnung auf, ja nicht näher zu kommen und tut man dies doch wird die Stimme immer vehementer, ein andermal spielt man mit dem Geist eines kleine Kindes Verstecken, den man nicht sehen, nur hören kann und hält man die Remote kurz ans Ohr, meldet sich Setos tragbarer Computer zu Wort, der einem situationsabhängige Ratschläge gibt.

Praktisch ist auch die automatische Kartenfunktion, die Setos Umgebung auf sehr charmante Weise mit Buntstiften mitzeichnet. Die meisten handschriftlichen Zusätze wie der Hinweis auf brüchige Böden, über die man nur schleichen oder schmale Öffnungen, die man nur geduckt passieren kann, erscheinen sogar in deutsch. Trotzdem blitzen hier und da immer wieder japanische Schriftzeichen auf, deren Bedeutung im Verborgenen bleibt. Auch in der Spielumgebung selbst findet man einige Aushänge, Schilder oder Graffitis, die bei näherer Betrachtung nicht mit übersetzten Texteinblendungen versehen wurden. Die wichtigsten Dinge werden zwar verständlich zusammengefasst und mit einem speziellen Grünfilter an der Taschenlampe kann man sogar geheime Botschaften entschlüsseln, trotzdem hat man das Gefühl, dass einem einige womöglich interessante Details entgehen. Zugleich ist das aber natürlich auch ein Kompliment an die Entwickler, wenn sich das Verlangen nach mehr bereits anhand von Kleinigkeiten manifestiert.     

Fazit

Es gibt viele Spiele, die ausgezeichnet unterhalten, aber nur wenige, die wirklich berühren. Fragile Dreams ist für mich eines dieser wenigen. Ein kleines Kunstwerk, das man trotz aller Mankos in sein Herz schließt und nicht missen will. Das Kampfsystem mag plump, die Rollenspielelemente belanglos, der Schwierigkeitsgrad ein Witz sein. Aber Setos Suche nach Geborgenheit und Wärme in einer wie ausgestorben zu seinen Füßen liegenden Welt wird so ergreifend und liebevoll inszeniert, dass man bereitwillig über so manch spielerische Schwäche hinweg sieht. Die im fahlen Schein der Taschenlampe und des Mondlichts verfallenden Kulissen rund um Tokio werfen viele Fragen auf, das klägliche Wimmern verstorbener Seelen über den Lautsprecher der Remote erzeugt Gänsehaut und die an Habseligkeiten geknüpften Erinnerungen setzen atmosphärische Glanzpunkte. Die Qualität dieser wie Abschiedsbriefe wirkenden Geschichten mag zwar stark schwanken, Setos Leidensweg manchmal zu viel Pathos verströmen, aber insgesamt funktioniert das Spiel mit den Emotionen sehr gut: Man fühlt mit, will mehr über das Wie und Warum erfahren, keine noch so unbedeutende Information verpassen. Schade nur, dass viele Kleinigkeiten im Verborgenen bleiben, da nur die wichtigsten Graffitis, Schilder oder Aushänge übersetzt wurden und man am Ende nicht mehr an bereits besuchte Orte zurückkehren kann, um nach verpassten Erinnerungen zu stöbern. Am ärgerlichsten sind jedoch die teils fragwürdigen Längen und Wiederholungen im Aufgaben- und Leveldesign. Quälend lange und trostlose Gänge, schier endlose Leitern sowie nervige Bring- und Suchdienste zehren unnötig an den Nerven. Auch das umständliche Inventar sowie die scheinbar willkürlich zu Bruch gehenden Waffen sind dem Spielfluss nicht unbedingt dienlich. Doch auch wenn man vieles hätte besser machen können, ist Fragile Dreams ein ungemein charmantes und berührendes Kleinod, weit abseits tosender Fitness- und Minispiel-Ströme.

Pro

ergreifende Story
famoses Artdesign
bezaubernde Präsentation
beklemmende Atmosphäre
kreative Ton- & Lichteinbindung

Kontra

umständliches Inventar
unspektakuläres Kampfsystem
fragwürdige Längen bei Quest
& Leveldesign

Wertung

Wii

Charmant inszenierte und berührend erzählte Suche nach Zweisamkeit, dessen spielerische Mankos schnell in den Hintergrund treten.

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