Silent Hill: Shattered Memories18.12.2009, Mathias Oertel
Silent Hill: Shattered Memories

Vorschau:

Nach dem ernüchternden Silent Hill The Room hat Konami mit Homecoming einen viel versprechenden Neuanfang auf HD-Systemen gemacht. Mit einem ganz anderen Konzept versucht man, die Remote-Horrorfans in die düstere Stadt der Albträume zu locken: Ohne Kampf und mit psychologischem Profil. Herzlich willkommen zurück in Silent Hill - einer Stadt, die man nicht so einfach vergessen kann.

Psycho-Trip

"ACHTUNG! Dieses Videospiel erstellt während des Spiels ein psychologisches Profil von Ihnen. Es findet heraus, wer Sie wirklich sind und verwendet diese Informationen dann dazu, sich zu verändern. Es setzt diese Informationen gegen Sie ein - und schafft damit ihren ganz persönlichen Albtraum. Dieses Spiel spielt mit Ihnen genauso wie Sie mit ihm."

Shattered Memories erzählt zwar die Geschichte des Ur-Silent Hill, ist aber dank neuer Mechaniken und einiger Änderungen weitaus mehr als ein Remake. 
Wenn ein Spiel mit solchen Worten beginnt, ist Skepsis angesagt - sie sollen verunsichern, aner meist steckt nichts dahinter. Doch bei Silent Hill Shattered Memories (SHSM) folgen diesen Worten auch Taten.

Dementsprechend sollte man Fragebogen in der von einem Therapeuten geleiteten Privatsitzung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn wie ich bei verschiedenen Startversuchen feststellen musste, verändert sich das Spiel je nach den gegebenen Antworten - sowohl kurz- als auch langfristig.

Man bekommt je nach Entscheidung Zutritt zu unterschiedlichen Gebieten oder Gebäuden, Personen stehen einem mit anderer Gesinnung gegenüber, teilweise verändert sich sogar ihr Aussehen  - nach Angaben der Entwickler sollen sogar bestimmte Gegnertypen abhängig von Antworten und Verhaltensweisen sein.

Davon war in den ersten Episoden und bei zahlreichen Wiederholungen zwar bis auf zwei Ausnahmen nur in geringem Umfang etwas zu spüren und vielleicht war dies auch nur ein Wunschdenken meinerseits, das durch die anfängliche Warnung induziert wurde, aber in jedem Fall wird man mit einem unguten Gefühl zurück gelassen, das einen immer wieder zur Selbstreflektion anregt: Was wäre passiert, wenn ich diese Frage anders beantwortet hätte? Gibt es eine Möglichkeit, diesem oder jenen Konflikt zu entgehen? Welche Rolle spielen die Erinnerungsfragmente, die man finden kann? Kann man durch sie vielleicht den Schlüssel zu seinen eigenen Problemen finden?

Willkommen zurück

Doch worum geht es erzählerisch? Kenner der Serie werden vermutlich etwas mit den Namen Harry Mason, seiner verschwundenen Tochter Cheryl oder der Polizistin Cybil Bennett anfangen können. Dies waren zentrale Figuren des allerersten Ausfluges in die nebel- und schneeverhangene Stadt des subtilen Grauens, seinerzeit auf PSone veröffentlicht. Shattered Memories erzählt die Geschichte erneut, allerdings ohne sich als plumpes Remake mit zeitgemäßer Kulisse zu präsentieren.

Statt des rauschenden Funkgeräts als Warnmelder im original Silent Hill gibt es jetzt ein Mobiltelefon als Allzweckgerät.
Stattdessen wird ein großer Fokus auf Psycho-Spielchen gelegt, die vor jedem Abschnitt in einem Gespräch mit einem Therapeuten gipfeln, das genutzt wird, um bestimmte Parameter für die nächste Episode festzulegen.

Manchmal sind das subtile Änderungen wie Türen, die beim einen Durchlauf geöffnet werden können und im nächsten verschlossen bleiben. Mal sind sie offensichtlicher wie die Häuserfarbe oder die Kolorierung von Kleidung bei Gesprächspartnern, die dem entspricht, was man in einem Kinderbild mit Buntstiften markiert hat.

Aber in jedem Fall wird man das Gefühl nicht los, dass jede Antwort, so beiläufig sie auch sein mag, eine Auswirkung auf das Spiel hat. Und das wiederum führt dazu, dass die Wahrnehmung deutlich sensibler auf das reagiert, was sowohl akustisch als auch visuell auf einen einprasselt. Sprich: Die nicht selten auftauchenden und zumeist gut platzierten Schockmomente wirken umso intensiver.

Vorbildlicher Remote-Einsatz

Selbst das harmlose Klingeln des Mobiltelefons, das als Allzweckhandy mit GPS und Kartenfunktion sowie Fotoapparat eingesetzt wird und mit seinen Interferenzen das Funkgerät/Radio des Originals ersetzt, sorgt dafür, dass man kurz im Sofa zusammenzuckt.

  

Und wenn dann noch aus der wunderbar als Handy eingesetzten Remote nicht nur atmosphärische Störungen, sondern auch die weinende Stimme der Tochter ertönt, die eine Warnung ausspricht, wächst das Grauen und schleicht sich die Wirbelsäule hinauf, bis sich die Nackenhaare  aufrichten - wunderbar. Diese Art des subtilen Horrors, der weniger auf die offensichtliche Visualisierung auf dem Bildschirm aus ist, sondern sich im Kopf abspielt, wurde viel zu lange vernachlässigt.

Die Kulisse mit akkuratem Schattenwurf ist eine Atmosphäre-Garantie und gehört mit zum Besten, was auf Wii derzeit zu sehen ist.
Überhaupt scheint Climax die Steuerungs-Möglichkeiten der Wii verstanden zu haben und setzt auf eine gut durchdachte Mischung aus Gestensteuerung plus Nunchuk-Einsatz. Die Remote wird dabei nicht nur als aktive Taschenlampe eingesetzt, sondern dient auch immer wieder im richtigen Moment zur leider etwas zur kurz kommenden Interaktion mit der Umgebung, die meist nur für Rätsel eingesetzt wird.

Um z.B. den Schlüssel für eine Tür zu finden, müssen erst Dosen geschüttelt werden, damit man herausfindet, in welcher sich der gesuchte Gegenstand befindet. Oder man muss aktiv den Reißverschluss von Jacken öffnen, um zu entdecken, was sich darunter versteckt.

Die gesamte Gestenerkennung wirkt immer authentisch, natürlich und in keinem Fall aufgesetzt oder als Mittel zum Zweck. Allerdings blieb in den ersten Stunden die Rätsellast sehr überschaubar - ebenso die Möglichkeit zur Interaktion mit der Umgebung, die wenig freie Erforschung zulässt und dadurch etwas Spannung raubt.

Ich hoffe, dass vor allem in dieser Hinsicht der erneute Ausflug nach Silent Hill Fahrt aufnimmt, denn mit mehr und vor allem knackigeren Kopfnüssen sowie weiteren Möglichkeiten, die Umgebung zu untersuchen oder zu beeinflussen, könnte die Spannung und vor allem Authentizität der Atmosphäre noch weiter gestärkt werden.

Kampf-Ansage

Und in einem Punkt entfernt man sich sogar sehr deutlich nicht nur von der Vorlage, sondern von den übrigen Survival Horror-Titeln: Man kann nicht kämpfen. Das bedeutet nicht, dass man mit den aus der Serie bekannten Ausgeburten psychotischer Sado-Maso-Fantasien keinen Kontakt hat. Ganz im Gegenteil: An bestimmten Punkten in den Gebieten ändern sich sowohl Umgebung als auch Atmosphäre schlagartig. Die gesamte Stadt wird von blauem Eis überzogen, das Häuser und Straßenzüge hermetisch abschließt. Gesichtslose Albtraum-Gestalten durchforsten das Gebiet und machen aktiv Jagd auf Harry, der den Weg aus dieser düster-klaustrophobischen Welt finden muss, bevor er überwältigt wird.

Aktiver Kampf ist ausgeschlossen - es zählt nur die Nerven aufreibende Flucht durch immer verschachteltere Areale, die durch zahlreiche Versteckmöglichkeiten zusätzliche Spannung gewinnt. Wenn man sich in einen Schrank stellt und die Wesen suchend weiterziehen, während Störstreifen durchs Bild wabern und die Remote zu rauschen oder kreischen beginnt, geht der Puls steil nach oben. Noch größer ist allerdings der Schock, wenn unvermutet die Schranktür aufgerissen wird und die Wesen in den Angriff übergehen, um einen zu Boden zu reißen. Dem kann man nur entgehen, wenn man mit Remote und Nunchuk eine Wurfbewegung simuliert, um den Gegner abzuschütteln und weiter zu laufen - uff!

Offene Fragen

In Shattered Memories kann man die Albtraum-Wesen nicht bekämpfen. Statt dessen ist Nerven aufreibende Flucht angesagt.
Die Episodenstruktur mit den verbindenden Therapiesitzungen erinnert an Quantic Dreams Fahrenheit: Anfang und Ende scheinen fest zu stehen, doch was man mit welchen Personen man auf dem Weg dorthin erlebt und welche Geheimnisse einem die Stadt offenbart, scheint von vorhergehenden Entscheidungen abzuhängen. Ob die dadurch entstehende Spannung bis zum Ende aufrecht erhalten bleibt, muss der Test im nächsten Jahr klären. Denn so interessant sich SHSM auch nach den ersten Episoden darstellt, deutet sich bereits eine kleine "Vorhersehbarkeitsstörung" im Design an: Bislang folgte alles dem Schema "Therapiesitzung-Erforschung und minimale Rätsellösung-Flucht aus Albtraum."

Um Abwechslung zu gewährleisten, sollte dieses Muster irgendwann auch aufgebrochen und durch immer wieder eingestreute Kurzfluchten oder knackigere Rätsel ergänzt werden.

Denn ansonsten kann es schnell passieren, dass die Panik, die einen anfänglich eiskalt zu packen versteht, bedingt durch das vorhersehbare Design erstickt wird. Warum sollte ich mich fürchten, wenn ich weiß, dass die gefährliche Flucht immer am Ende steht und ich vorher kaum in Gefahr gerate?

 

Über alle Zweifel erhaben

Wenig zu makeln gibt es an der Kulisse: Während der Flucht-Sequenzen kann es zwar passieren, dass man beim Sprinten und Aufstoßen von Türen die Streaming-Mechanik in Bedrängnis bringt und die Engine ins Stocken kommt. Doch das ist ein Problem, das bis zum Release Mitte Februar behoben werden kann.

Das Figurendesign weiß ebenfalls zu überzeugen.
Denn am Rest der Grafik braucht Climax nicht mehr zu schrauben - sie überzeugt bereits jetzt und zeigt neben Titeln wie Resident Evil Darkside Chronicles oder Dead Space Extraction, dass Wii weitaus mehr zu bieten hat, als man dem weißen Familienkästchen zutrauen möchte.

Dank des grobkörnigen Filters verströmt SHSM eine eigenwillige, beinahe filmische Atmosphäre und das detaillierte Figurendesign kann auch mit überzeugender Mimik punkten.

Doch das alles wird im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten gestellt. Denn was Climax dank der in Echtzeit berechneten Schatten an Atmosphäre auf den Bildschirm bringt, sucht auf Wii seinesgleichen und lässt selbst EAs Schienenshooter hinter sich.

Wenn man durch einen dichten Wald stapft, dicke Schneeflocken herunter rieseln und die akkurat berechneten Schatten der Wahrnehmung immer wieder Streiche spielen und Bedrohlichkeit suggerieren, ist man völlig in der Welt gefangen.

Und daran wird auch die eindringliche Akustik einen großen Anteil haben: Saubere und sehr sparsam eingesetzte Effekte, mitunter unmerklich eingespielte Musik, die plötzlich an Fahrt aufnimmt und den Blutdruck nach oben schnellen lässt sowie der Einsatz des Remote-Lautsprechers als Warnmelder und Handy ziehen einen unaufhörlich in die düstere Welt von Silent Hill. 

Ausblick

Bereits auf der E3 konnte mich das Konzept von Shattered Memories überzeugen. Und nachdem ich einige Stunden in Silent Hill zugebracht habe, steht für mich fest: Das wird ein Highlight des Wii-Jahres. Nicht nur, weil die detaillierte Kulisse mit dem akkuraten Schattenwurf des Taschenlampenlichtes für eine bedrohliche Atmosphäre und viel atemlose Spannung sorgt. Oder weil Remote und Nunchuk nahezu vorbildlich genutzt werden. Sondern vor allem, weil die Rückkehr zur Geschichte aus Teil 1 gleichbedeutend ist mit einer Rückkehr zu den Wurzeln des Survival-Horrors. Zurück zu einer Zeit, in der Schock, Spannung, Bedrohung und Gänsehaut mehr Bedeutung hatten als Gore und Action. Dass man dabei sogar noch ein paar Schritte weiter geht und man mit Psychospielchen, subtilen Entscheidungen, die sich auf die Spielerfahrung auswirken können sowie der Abkehr von Kämpfen hin zu panischer Flucht neue Elemente anbietet, macht Silent Hill Shattered Memories zu einem Hoffnungsträger, der Award-Potenzial zeigt. Ob es dafür letztlich reicht, wird aber in erster Linie nicht von der in der Endversion hoffentlich optimierten Streaming-Technologie abhängen, die derzeit noch nicht ganz mit dem Fluchttempo mithalten kann. Vielmehr muss Climax beweisen, dass sie sich nicht nur auf das vorhersehbare Abspulen der interessanten Elemente verlassen und damit der schnell aufkommenden Spannung einen Strick drehen. Denn wenn Silent Hill in diesem Bereich auf lange Sicht ebenso zu überraschen und bedrohen versteht wie in der Anfangsphase, könnte Wii gleich zu Beginn des Jahres die Wiederauferstehung des klassischen Survival-Horrors feiern.

Eindruck:  sehr gut!

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