Im Test:
Kreativmeister
Meine Güte, was war das für ein Finale! Nicht nur, dass es sich kontinuierlich steigerte und mit immer neuen Überraschungen und Wendungen den Spannungs- und Aufmerksamkeitsbogen beinahe überzog. Es war zudem noch eines der längsten, das ich in meiner Zockerkarriere erleben durfte. Es ließ mich atemlos zurück, es hat mich gefordert, es hat mich zum Fluchen gebracht, es hat mich begeistert.
Doch wieso bin ich eigentlich überrascht? Immerhin steckt als treibende Kreativkraft hinter The Wonderful 101 (ab 45,82€ bei kaufen) (W101) Platinum Games. Um genau zu sein, handelt es sich hier um eine Kollaboration von Hideki Kamiya als Director und Atsushi Inaba als Produzent. Und schaut man sich an, was die beiden teils gemeinsam, teils einzeln oder auch mit anderen Entwicklern wie Shinji Mikami auf die Beine gestellt haben, wird einem schwindelig: Devil May Cry, Viewtiful Joe, Bayonetta, Vanquish, Resident Evil, Metal Gear Rising Revengeance, Okami - man könnte die Liste noch fortsetzen. Doch diese Titel sollten bereits reichen, um zu verdeutlichen, dass hinsichtlich Kreativität und japanischer Bosskampf-Tradition kein Weg an den beiden vorbei führt. Und das stellen sie hier eindrucksvoll unter Beweis. Denn es ist nicht nur der finale Kampf, der verkörpert, dass Platinum Games eine der gegenwärtig kreativsten Spieleschmieden im Land der aufgehenden Sonne ist. Auch der gut zwölf bis 15 Stunden lange Weg dorthin kann sich sehen lassen.
Wieder mal Alien-Invasion
Denn jede der Farben steht stellvertretend für eine Waffengattung: Rot z.B. schlägt mit einer glühenden Faust zu. Blau nutzt ein Schwert und Grün (ein stets essender übergewichtiger Franzose) eine Pistole, während die temperamentvolle transsylvanische Pink eine Peitsche schwingt, gegen die Ivys Kettenschwert wie ein harmloses Armbändchen wirkt. Der Clou: Der Befehl zum Personen- und damit Waffenwechsel wird über eine Geste auf dem Touchpad gegeben. Je größer man die Geste zeichnet, umso größer ist die Waffe an sich und damit auch der angerichtete Schaden - zumindest temporär. Denn die zusätzlichen Helden, die sich eindrucksvoll zu der Waffe formieren, müssen schließlich wieder abdocken, um Energie zu regenerieren.
Wandlungsfähige klassische Action
Nach den ersten Ankündigungen und Videos konnte man noch den Eindruck bekommen, dass die auf dem Bildschirm im Normalfall nur wenige Zentimeter großen Superhelden ähnlich den Pikmins mit strategischen Elementen aufwarten. Doch es wird schnell klar, dass "klassische" Strategie keine Rolle spielt.
Zumal mit zunehmender Spieldauer und vor allem bei den coolen mehrstufigen Bosskämpfen die Fähigkeiten immer stärker kombiniert werden müssen. Das betrifft jedoch nicht nur die Interaktion mit der Umgebung, die auch zahlreiche Geheimnisse, versteckte Helden sowie mitunter nur knifflig und mit viel Geschick erreichbare zusätzliche Zivilisten für die Truppe bereithält. Auch in den Kämpfen gegen die von Anfang bis Ende stets mit neuen, meist noch größeren Feinden gleichermaßen überraschende wie fordernde Gegner-Armada sollte man häufig die gut reagierende Gestenerkennung nutzen, um auf die Anfälligkeiten der Feinde reagieren zu können. Nur Pink kann z.B. mit der Peitsche stachelige Panzerungen von den Robotern abschälen, während Gelbs Hammer gegen die Schildkröten-Panzer am effektivsten ist.
Angenehme Hektik und erzählerische Ruhe
Da man zwangsläufig angesichts der Gegnermacht auch Verluste hinnehmen muss (die allerdings nicht endgültig sind), kommt mitunter viel angenehme Hektik auf: Man wechselt seine Waffe, attackiert, was das Zeug hält, weicht aus und kontert. Mitglieder der Truppe gehen K.O. und sind erst nach einer bestimmten Zeit wieder im "Waffenbau" einsatzfähig, es sei denn man sammelt sie durch Drüberlaufen wieder auf. Zudem muss man auch noch seine für Umwandlungen und Manöver nötige Heldenenergie im Auge behalten. Ansonsten kann man nicht auf Hilfen wie die definitiv Platinums Edelhexe entliehene "Zeitlupe bei knappem Ausweichen" oder den Projektile zurückweisenden Wackelpudding (!) nutzen. Diese Energie lädt sich zwar nach und nach wieder auf. Doch natürlich kann (und wird) es im ungünstigsten Moment passieren, dass man eine groß angelegte Geste zeichnen oder eine Verteidigung aktivieren möchte und nichts mehr geht. Und dann bleiben nur noch wenig effektive Angriffe mit der Standardwaffe oder die temporäre Flucht. Die Steuerung ist bei all der Hektik allerdings überschaubar. Groß angelegte Komboketten wie in Castlevania oder Bayonetta sind hier nicht möglich. Zwar schaltet man nach und nach neue Kombinationen frei, doch im Wesentlichen reicht hier das Knopfhämmern mit der sorgsam ausgewählten Waffe aus. Der Vorteil: Man ist mit der Hektik auf dem Schirm schon genug beschäftigt und muss sich nicht um Kombokram kümmern. Der Nachteil: Die Standard-Auseinandersetzungen werden zwar nie vorhersehbar, aber es stellt sich etwa nach zwei Drittel des gut zwölf bis 15 Stunden langen Abenteuers eine gewisse Routine ein.
Augenzwinkernde Verbeugungen
Doch Wonderful 101 hat mehr zu bieten als hektische Arenakämpfe oder sympathischen Humor: Immer wieder wird der Heldenalltag durch frische Elemente aufgewertet. Von Zaxxon über Dig Dug bis hin zu Punch-Out und einschlägigen Rail-Shootern werden bekannte Titel mit einer anerkennenden Verbeugung gewürdigt oder gelungen zitiert.
Weniger gelungen sind allerdings die wenigen Momente, in denen man sich in Gebäuden bewegt und man das Geschehen auf dem Touchpad in einer Schulterkamera verfolgen muss. Hier verliert man gerne schnell die Orientierung und die Kamerapositionierung über die Bewegungssensoren des Wii-U-GamePads reagiert mitunter sehr hektisch, bis man schließlich den "Nullpunkt" gefunden hat, von dem aus man sich einigermaßen akkurat bewegen kann. Ebenfalls schade ist, dass man bei den Reaktionsspielen innerhalb der Bosskämpfe zum Waffenwechsel aufgefordert wird, dies aber nur über die alternative "Gestensteuerung" per rechtem Stick möglich ist - obwohl das Touchpad nicht anderweitig verwendet wird. Apropos: Wenn wir schon bei den GamePad-Features sind, die im Normalfall sehr unaufdringlich mit Extrainformationen und der guten Gestenerkennung punkten, hat es Platinum mit dem Nutzen der Rumble-Funktion übertrieben. Die Vibration nervt nicht nur mit übertrieben dominantem Einsatz vom Start weg, sondern scheint darüber hinaus nur drei Intensitätsstufen zu kennen, so dass ich sie irgendwann genervt deaktiviert habe. Der Umstand, dass die unaufdringlich eingesetzte GamePad-Nutzung komplett auf klassische Kontrolloptionen umgelegt werden könnte, ist ebenfalls bedauerlich - verpasst Nintendo dadurch doch wieder einmal, die Nutzer von den Möglichkeiten des Wii-U-Controllers zu überzeugen.
Cooles Comic-Wuseln
So taugt die Kulisse zwar nur eingeschränkt, um die Grafikmacht der Wii U zu demonstrieren. Doch sowohl die (teils zerstörbaren) Stadtgebiete als auch Eishöhlen, lavadurchströmte Vulkane oder ein wiederum an Pikmin erinnernder Dschungel, bei dem man mit dem Schwert wie in Zelda - A Link to the Past das Gras mit dem Schwert mähen kann, wurden stimmungsvoll gestaltet. Gleiches gilt für die Hauptfiguren, bei denen man bei genauem Hinsehen allerdings Schwächen im Texturdetail sowie bei Bewegungsabläufen wahrnehmen kann. Doch unter dem Strich bleibt ein sehr homogener Gesamteindruck, der von der häufig typisch heldenhaft-pompösen orchestralen Musik zusätzlich unterstützt wird. Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings das Fehlen deutscher Sprachausgabe. Fans können sich nur an englischen und japanischen Stimmen erfreuen und bei Bedarf die sauber übersetzten Texte lesen.
Fazit
Platinum Games sind die Meister der japanischen Bosskampf-Kultur: Und sie übertreffen in dieser Hinsicht mitunter sogar Bayonetta oder Vanquish. Das hätte ich von dem anfänglich wie ein hektisches Action-Pikmin wirkenden Spiel nicht erwartet. Über die gut zwölf bis 15 Stunden steigert sich das Helden-Abenteuer kontinuierlich von einem geruhsamen Einstieg bis hin zu einem wahrlich furiosen Finale. Bar jeglicher Strategie, sondern komplett auf Kampftaktik und den gewieften Einsatz der Waffen sowie Ausweich- und Kontermöglichkeiten setzend, kann man die Helden-Hundertschaft eher in der Tradition klassischer Action-Adventure wie Castlevania Lords of Shadow oder Devil May Cry sehen - nur eben mit isometrischer Perspektive und viel Humor. Technisch nicht unbedingt das Prachtbeispiel für die Wii-U-Fähigkeiten, fallen kleine Ungereimtheiten bei Texturdetails und Animationen auf, die jedoch angesichts der sehr stimmigen, unheimlich sympathischen Präsentation nur eine untergeordnete Rolle spielen. Nervig sind allerdings die Kameraprobleme in den Innenräumen oder bei Sprungsequenzen sowie die Entscheidung, ausgerechnet bei den Bosskampf-Reaktionstests auf Stick- statt Zeichengesten zu setzen. Aber das sind angesichts der abwechslungsreichen sowie furios inszenierten, im positiven Sinne hektischen Wusel-Action mit Megawaffen nur Kleinigkeiten.
Pro
Kontra
Wertung
Wii_U
Sympathisch, hektisch, actionreich und mit knackigen Bossen: Die Helden-Hundertschaft lässt sich auch von visuellen Mankos nicht aufhalten.
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