Tokyo Mirage Sessions #FE28.06.2016, Mathias Oertel

Im Test: Shin Megami Fire Emblem Persona

Als Nintendo 2013 per Video den Crossover-Titel Shin Megami Tensei X Fire Emblem ankündigte, war die Freude unter den Rollenspielern groß. Zwei starke Serien vereint unter einem Banner, entwickelt bei den Persona-Spezialisten von Atlus, bergen enormes Potenzial. Mittlerweile ist das Spiel veröffentlicht, wobei in Tokyo Mirage Sessions #FE (ab 63,89€ bei kaufen) nur noch das Kürzel hinter dem Kreuz aus der Notenschrift an Fire Emblem erinnert. Wie viel jeder Serie in dem musikalischen Abenteuer steckt und ob die ungewöhnlich wirkende Mischung überzeugen kann, klären wir im Test.

Persona macht auf Personenkult

Schon mit dem ersten Blick auf das knallbunte Design, das sich nicht nur durch die Menüs, sondern auch u.a. durch die Gesprächsbildschirme zieht, wird klar, dass Atlus bei Tokyo Mirage Sessions #FE die Nähe zur eigenen Persona-Serie sucht, die in Amerika noch dieses Jahr mit Teil 5 starten möchte. Und das setzt sich bei Ähnlichkeiten der Story bzw. Hauptfiguren fort. Beide setzen auf Jugendliche bzw. junge Erwachsene  als Protagonisten. Elemente, die sich um Verantwortung, Loyalität oder das Erwachsenwerden drehen, findet man ebenfalls hier wie da. Sowohl in Persona als auch in Tokyo Mirage kämpfen die Hauptfiguren gegen eine geheimnisvolle Macht, die sich in ihrer Welt breit macht. Doch wo die Persona-Serie auf düstere Mystery setzt, in der die High-School-Schüler mitunter auch noch in einer Art „Lebensimulation light“ ihren Tagesablauf bzw. ihr Schulleben planen, konzentriert man sich hier auf die Kernelemente des japanischen Rollenspiels: Dialog, Level- bzw. Dungeonerforschung, Kämpfe und Charakteraufstieg – in dieser Schleife als Dauerberieselung.

Die aufwändig inszenierten Rundenkämpfe gehören zu den Höhepunkten von Tokyo Mirage Sessions.
Zudem entfernt man sich vom High-School-Thema und verlagert die Erzählung in die Welt der leichten Unterhaltung, der darstellenden Künste und der japanischen Pop-Kultur mit ihrer Idolisierung. Die Protagonisten sind Gesangsstudenten, Schauspielschüler oder Performance-Künstler. Und die geheimnisvolle Macht, die in diesem Fall das reale Tokyo mit seinen Sehenswürdigkeiten und Distrikten wie Shibuya oder Harajuku heimsucht, wird ebenfalls passend in Personenkult und Künste eingebunden. Im Prolog wird man Zeuge eines geheimnisvollen Vorfalls, bei dem das Publikum eines gesamten Opernhauses – mit Ausnahme einer der Hauptfiguren – verschwindet und ist sogar Zuschauer einer japanischen Casting-Show, die dann allerdings aus dem Ruder läuft. Später kommen ständig weitere Referenzen zu J-Pop, Personenkult und Pop-Kultur hinzu – auch wenn die Story keine großen Überraschungen bietet und zu Vorhersehbarkeit neigt, wird sie unterhaltsam dargestellt. Teilweise auch über Social-Media-Dialoge, denen man auf dem Wii-U-Gamepad folgt, das ansonsten aber kaum sinnvoll genutzt wird und auch kein Spiel abseits des TV ermöglicht.

FE-Mirage statt Persona

Die Präsentation ist durchgehend stimmungsvoll und auf die Themen Popkultur sowie Idolisierung zugeschnitten, könnte aber hier und da aufwändiger sein.
Um dem Shin-Megami-Tensei-Ansatz weiterhin gerecht zu werden, gibt es hier mit den so genannten „Mirages“ eine Variation der Personas, die in der „Hauptserie“ beschworen werden können. Darunter fallen aber nicht nur die Gegner, sondern auch quasi „gute Geister“ aus einer anderen Dimension, die mit der jeweiligen Spielfigur im Kampf zu ihrer „Carnage Form“ verschmelzen.  Und hier kommt endlich Fire Emblem ins Spiel. Denn die Mirages der Spielerfiguren, die unter dem Deckmantel einer Künstleragentur (ja, alles ist ein wenig skurril) in etwa die Mirage-Version der Ghostbusters darstellen, stammen alle aus der Welt von Nintendos hoch gelobter Taktik-Rollenspielserie. Chrom z.B., der den Hauptcharakter Itsuki Aoi unterstützt, stammt ebenso aus Fire Emblem: Awakening wie Tharja oder Virion. Draug wiederum ist u.a. in Fire Emblem: Mystery of the Emblem spielbar, während andere Figuren aus der Akaneia Saga auf SNES stammen. Die Verbindung der Serien in dieser Form wirkt zwar leicht konstruiert, aber niemals erzwungen und wird zum einen plausibel erklärt und zum anderen harmonisch eingebunden.

Dennoch werden sich Fire-Emblem-Fans vermutlich wünschen, dass „ihre“ Inhalte besser und häufiger zur Geltung kommen würden. Denn im Kern ist Tokyo Mirage ein hinsichtlich der Komplexität und damit der Zugänglichkeit heruntergeregeltes Shin Megami Tensei, bei dem die Figuren mit Ausnahme von Tiki, die hier als Vocaloid auftaucht, nur einen gelungenen Cameo-Auftritt hinlegen. Der wertet das Rollenspiel zwar auch hinsichtlich des Artdesign auf, hätte aber auch problemlos mit x-beliebigen anderen Figuren erledigt werden können. Immerhin kommt auch beim rundenbasierten Kampfsystem die Vermengung beider Serien zum Tragen. Während man aus Fire Emblem das Schere-Stein-Papier-Prinzip hinsichtlich der Effektivität bestimmter Waffen kennt, wurden aus Shin Megami Tensei die Anfälligkeiten für bestimmte Elemente übernommen.

Kein Rhythmus-Prügler, sondern klassische Runde

Obwohl man mit Musik oder Performance Arts als erzählerischem Hintergrund als Entwickler leicht in Versuchung kommen könnte, irgendwelche rhythmischen Elemente in den Kampf einzubauen, geht man hier einen konservativen Weg: Am oberen Bildschirmrand ist eine Aktionsleiste, die die Reihenfolge der nächsten Züge anzeigt, so dass man seine Angriffe entsprechend planen kann. Natürlich kann man nicht nur physisch attackieren, sondern auch per Magie. Man kann alternativ Gegenstände verwenden, um Statistik- und damit Kampfwerte temporär zu modifizieren oder Lebensenergie bzw. Mana heilen. Und mit Ausnahme von Itsuki kann man sein Kampftrio verändern, wenn man an der Reihe ist und Reserve in petto hat  und so seine „Elementarzusammenstellung“ ändern, wenn man feststellt, dass man in der gegenwärtigen Gruppierung kaum eine Chance hat. Denn im Zusammenhang mit den Spezialfähigkeiten jeder Figur sowie den wechselbaren Waffen, von denen jede für ein bestimmtes Element steht, bekommen die klassisch geführten Auseinandersetzungen eine frische Note.

Knallbunt und schrill: Obwohl Ähnlichkeiten zur Persona-Serie vorhanden sind, setzt Tokyo Mirage auf eine "leichtere" Präsentation.
Schafft man es, entweder die Elementarschwäche des Gegners auszunutzen oder landet einen kritischen Treffer, wird eine Kombo-Attacke, die so genannte „Session Attack“ ausgelöst, bei der die Mitstreiter außerhalb ihres eigentlichen Zuges den jeweiligen Feind zusätzlich angreifen – doch Vorsicht: Natürlich können auch die Gegner eine Kombokette starten. Es gibt später sogar die Möglichkeit, zusammen mit den Mirage-Partnern bestimmte Angriffe zu initiieren oder Kombos aufzubauen, die ein Dutzend Angriffe beinhalten und nebenbei auch noch Lebens- oder magische Energie auffüllen. Zusätzlich gibt es auch noch besonders mächtige Angriffsformen, die mit einer Zwischensequenz eingeleitet werden, an der man sich auch nach dem x-ten Mal nicht satt sieht. Und das alles bei einer sehr leichten Zugänglichkeit. Mitunter könnten die Erklärungen für bestimmte Aktionen zwar üppiger ausfallen, so dass die Zusammenhänge klarer werden. Doch jeder, der schon einmal irgendein Rollenspiel japanischer Ausprägung von Final Fantasy bis Shin Megami Tensei, von Grandia bis Chrono Chross in den Fingern hatte, wird sich hier sehr schnell wohl fühlen und die Kulisse genießen.

Zwischen Kunst und Kitsch

Wieso sind die Passanten nur als Farbkleckse zu sehen? Die Antwort lässt Raum für Interpretation.
Vor allem die cineastischen Superangriffe und das Figuren- bzw. Kostümdesign wissen visuell zu überzeugen und machen aus dem Crossover-Projekt eine Wii-U-Augenweide. Doch es gibt im Allgemeinen ohnehin nur wenige Elemente, bei denen Tokyo Mirage einen biederen Eindruck hinterlässt. Das poppig-bunte Design, das sich sowohl durch einen Großteil der Levelgestaltung als auch vor allem durch die Menüs zieht, passt wunderbar zum Popkultur-Thema. Die Anime-Zwischensequenzen wurden aufwändig produziert und sind zusammen mit den speziell für das Spiel komponierten J-Pop-Songs immer ein audiovisueller Höhepunkt. Das gilt angesichts von mangelnder Texturabwechslung zwar nicht immer für die Dungeons, die man auf der Suche nach den skurrilen Gegnern bzw. als Aufgabe einer Mission durchforstet, doch unter dem Strich ist #FE ein sehr ansehnliches Erlebnis. Bei den nur als grobe Farbtexturen dargestellten Zivilisten, die man beim Durchstreifen der leider etwas klein geratenen Hublevels auf dem Weg zum nächsten Dungeon oder zum nahe gelegenen Shop antrifft, werden sich die Geister allerdings scheiden.

Denn die sehen in der Tat weder besonders schön noch besonders homogen integriert aus. Allerdings habe ich meine eigene Theorie und sehe sie stellvertretend für die weitgehend anonyme Masse, die ihren Idolen auf der Bühne zujubelt sowie als Metapher für die Einsamkeit des Helden. Dadurch werden diese NPCs zwar nicht hübscher, aber sie passen sich so wunderbar in die Thematik ein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sich Atlus bzw. Nintendo mit einer Designentscheidung neuer Fans berauben. Ich persönlich störe mich zwar nicht an der rein japanischen Sprachausgabe, die auch hierzulande nur mit englischen Untertiteln versehen wurde. Doch wer nur über das schicke Cover oder pure Neugier auf Tokyo Mirage Sessions stößt und dann feststellt, dass er akustisch gar nichts und ggf. textuell nur wenig versteht, wird trotz aller inhaltlicher Vorzüge nur wenig Spaß haben.

Zeitfresser

Die Helden aus Fire Emblem tauchen meist nur in Cameo-Auftritten auf. Die Einflüsse der Taktik-Rollenspiele auf das Kampfsystem sind prägnanter.
Wer sich allerdings auf #FE einlässt, hat viel zu tun. Auch ohne den sonst üblichen Grind gibt es genug Inhalte, um dutzende unterhaltsame Stunden zu verbringen. Es gibt ausreichend Haupt- und Nebenmissionen, wobei sich über Letztere sogar neue Fähigkeiten freischalten lassen. Man sogar oberflächlich soziale Verbindungen pflegen, die sich aber nur rudimentär auf das Spiel auswirken und nicht einmal ansatzweise die Partyinteraktion von Bioware-Titeln erreichen. Doch viel wichtiger: Die Pflege der Charaktere ist vielschichtig. Zwar kann man die nach einem Levelaufstieg vergebenen Statsistikpunkte nicht selbst verteilen, sondern ist auf die Zuteilung durch das Spiel reduziert. Doch dafür kann man später sogar eigene Waffen herstellen, damit maßgeblich Einfluss auf die Elementarkräfte bzw. -Verteilung innerhalb der Gruppe nehmen und hat bei der Wahl der Fähigkeiten größtmögliche Freiheit.

Schade ist allerdings, dass die Anzahl der erlaubten Spezialoptionen limitiert ist. So muss man irgendwann bei jeder hinzukommenden Fähigkeit entscheiden, ob man sie ignoriert (und sie dann verfällt) oder sie "anlegt" und dafür eine andere permanent verliert. Da man hier u.U. zu Gunsten einer neuen Option auf eine Elementarkraft verzichtet, man aber kurz darauf feststellt, dass man genau diese noch brauchen könnte, kommt ab und an leichter Frust auf. Da man aber beinahe überall speichern kann, lässt sich dieser Trial&Error-Prozess auf ein erträgliches Maß an Zeitaufwand reduzieren.

Fazit

Während mit Square ein alter Haudegen des klassischen japanischen Rollenspiels mit seinen Traditionen und der Moderne kämpft, geht Atlus unbeirrt seinen Weg und zementiert seinen Ruf als JRPG-Spezialist erster Güteklasse. Ja: Das als Shin Megami Tensei X Fire Emblem gestartete und mittlerweile als Tokyo Mirage Sessions #FE veröffentliche Abenteuer ist hinsichtlich der Mechanik und der Präsentationsschleifen (Gespräch, Levelerforschung, Kampf usw.) so konservativ wie das Artdesign knallbunt und poppig. Hinsichtlich der Geschichte kann das nur auf Japanisch mit englischen Untertiteln erhältliche Abenteuer ebenfalls bestenfalls Durchschnittswerte erreichen. Doch was man in diesem "Persona light" mit seinem Popkultur- und Idol-Fokus aus dem klassischen Rundenkampf herausholt, ist großes Kino. Die aufwändig inszenierten Auseinandersetzungen bieten zusammen mit der umfangreichen Personalisierung sowie den leider numerisch zu limitierten erlernbaren Fähigkeiten eine enorme taktische Tiefe, die über kleine erzählerische Unzulänglichkeiten hinweg trösten kann. Eine unter dem Strich für Wii-U-Verhältnisse sehr ansehnliche Kulisse sorgt zusammen mit den absolut gelungenen J-Pop-Kompositionen sowie dem Instrumental-Soundtrack für einen sehr stimmungsvollen Abstecher in die Welt von Stars, Sternchen, Vocaloids und Möchtegerns. Schade ist allerdings, dass die Fire-Emblem-Einflüsse sich außerhalb des Kampfes auf wenig mehr als Cameo-Auftritte der Fantasy-Helden von Intelligent Systems beschränken. Dennoch: Zum vermeintlichen Ende der Wii-U-Ära bekommt die Konsole ein gelungenes J-RPG, auf das die Fans anderer Systeme zumindest bis zum Start von Persona 5 neidvoll schauen.

Pro

starker J-Pop-Soundtrack
schicke Anime-Zwischensequenzen
Rundenkämpfe mit Elementar-Schere-Stein-Papier-Prinzip
gelungenes farbenfrohes Artdesign
umfangreiche Personalisierungsmöglichkeiten in mehreren Ebenen
skurriles Gegnerdesign
sowohl per Wii-U-Gamepad als auch mit Pro Controller spielbar
nur wenig Grind

Kontra

Fire Emblem nur für Cameo-Auftritte genutzt
plakative Story
unnötige Beschränkung bei erlernbaren Fähigkeiten
keine deutschen Untertitel
kleine Hub-Welten

Wertung

Wii_U

Japan-Rollenspiel alter Schule, das als "Persona light" vor allem mit dem taktisch geprägten Rundenkampfsystem sowie dem gelungenen J-Pop-Soundtrack punktet. Fire Emblem kommt allerdings etwas zu kurz.

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