Star Wars: Knights of the Old Republic08.10.2003, Jörg Luibl
Star Wars: Knights of the Old Republic

Im Test:

BioWare, das heißt Rollenspiel de luxe: 1998 konnten die Kanadier mit Baldur`s Gate ein längst vergessenes Genre wiederbeleben. Zwei Jahre später zauberte man mit Baldur`s Gate 2 ein episches Meisterwerk. Und erst letztes Jahr überzeugte das Team auch dreidimensional mit Neverwinter Nights. Jetzt wagen sich die erfahrenen Entwickler an ihr erstes Star Wars- und ihr erstes Xbox-Rollenspiel!

Star Wars-Skepsis

Ich liebe Rollenspiele, habe Baldurs Tor mehrere Male unter Einsatz meines Lebens besucht und erst kürzlich begeistert die Schatten von Undernzit ausgetrieben. Zwar zeigt auch das Star Wars-Universum herrliche Fantasyseiten, aber die letzten Filme und Spiele ließen mich absolut kalt.

Um es kurz zu machen: ich bin ein Star Wars-Muffel. Die Lizenzausschlachtung hat dem an sich faszinierenden Universum von George Lucas den magischen Reiz geraubt, den die ersten Filme noch verströmten.

Um so skeptischer war ich, als die ersten euphorischen Wertung aus Übersee herüber schwappten, die das 4000 Jahre vor Luke Skywalker angesetzte Rollenspiel Star Wars: Knights of the Old Republic (ab 2,05€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) (KotOR) mit Traumwertungen überhäuften: "Alles bloß Star Wars-Fanboys!" war mein erster Gedanke. Doch schon der zweite ließ die Zweifel schrumpfen, denn BioWare steht eigentlich für Rollenspielqualität erster Güte.

Und die Kanadier haben nach ein paar Stunden Spielzeit das Unfassbare möglich gemacht: aus einem Star Wars-Abstinenzler, der einen weiten Bogen um das Online-Rollenspiel Star Wars Galaxies macht, das Lichtschwert des aktuellen Actiontitels Jedi Knight II verschmäht und der im Grunde lieber mit Halborks als mit Wookies loszieht, wurde mit der Zeit ein begeisterter Jedi-Kämpfer.

__NEWCOL__Charaktererschaffung

Dabei entfacht der Einstieg bei eingefleischten Rollenspielern zunächst keine Euphorie, denn es gibt nur drei Klassen sowie eine bescheidene Figurengestaltung: Ihr habt die Wahl zwischen dem listigen Gauner, dem umsichtigen Späher und dem kampferprobten Soldaten. Danach könnt ihr zwischen männlichen und weiblichen Modellen wählen und ein Porträt aussuchen. Etwas mehr Gestaltungsfreiheit hätte sicher nicht geschadet.

Dafür können sich die inneren Werte der Charaktererschaffung mit jedem Genre-Schwergewicht messen: Sechs Attribute wie z.B. Stärke, Geschicklichkeit und Weisheit, acht Fähigkeiten wie Computerkenntnisse, Tarnung und Bewusstsein sowie über ein Dutzend passive und aktive Kampftalente à la Kampf mit zwei Waffen oder Scharfschütze lassen schon zu Beginn erahnen, dass BioWare hier kein Rollenspiel light abliefert.

Das ausgefeilte System sorgt nämlich schon beim ersten Aufstieg für die bittersüße Qual der Wahl, welche Fähigkeiten und Talente gefördert werden sollen. Unentschlossene können das auch automatisieren, so dass die wichtigsten Eigenschaften erhöht werden. Allerdings sollte man spätestens als Jedi selbst Hand anlegen, denn hier kommen noch mal die drei Klassen Wächter, Hüter und Gesandter sowie über 40 delikate dunkle und helle Machtfähigkeiten hinzu: Lichtschwerter werfen, Gegner per Machtstoß niederschlagen, Wirbelstürme entfachen, Feinde würgen, betäuben oder einfach ängstigen. Bis zum maximalen Level 20 gibt es eine Menge fiese Kniffe zu entdecken.

Ein Niemand mittendrin

Die Story katapultiert euch sofort mitten ins Geschehen: Als unbekannter Soldat müsst ihr von einem Schiff der Republik fliehen, das plötzlich von den dunklen Sith gekapert wird. Ihr erlebt den kampflastigen Weg von Eurer Koje bis zur Rettungskapsel in Form eines Tutorials, das Euch Schritt für Schritt in die Steuerungsfinessen einführt.

Schon hier zeigt sich die Verwandtschaft zum PC-Rollenspiel Neverwinter Nights : Sobald es zum Kampf kommt, pausiert das Spiel, um euch die taktische Wahl zwischen Schwert, Blaster oder Granate sowie Heilung, Tarnung oder Schild zu geben. Ihr könnt das Ganze auch in Echtzeit ablaufen lassen, dabei die Kamera drehen und begleitet von einem orchestralem Soundtrack den famosen Tanz aus Lasern, Funken und Explosionen beobachten.

Allerdings zeigen sich hier und da Ruckler, obwohl KotOR die Xbox grafisch nicht ausreizt. Trotzdem: Die Kämpfe sehen klasse aus, die Architektur ist abwechslungsreich, Nebelschwaden wabern bis ans Knie und die Figuren sind gut animiert. Das Leveldesign kaschiert allerdings mit geschickt platzierten Fels-, Baum- und Wandtexturen ein Korsett aus Wänden, das durch einen Blick auf die Minikarte entlarvt wird - ähnlich, wenn auch nicht so strikt wie in Final Fantasy X . Gerade die ersten Stunden geht es recht linear voran und erst später hat man in Steppen, Katakomben und Wäldern etwas mehr Freiraum. Weil jedoch immer etwas passiert und hinter jeder Ecke eine neue Herausforderung lauert, stört diese Begrenzung nur beim wiederholten Erkunden.

__NEWCOL__Wenn ihr auf dem ersten Planeten Taris landet, dürftet ihr mit der intuitiven Bedienung keine Probleme mehr haben. Bis zu zwei Gefährten könnt ihr im weiteren Verlauf mitnehmen, darunter eine Schmugglerin, zwei Soldaten, zwei Droiden, ein Wookie und drei Jedi. Das Partymanagement ist vorbildlich: Ihr könnt Waffen, Rüstungen und Schilde einfach tauschen und im Kampf bequem zwischen den drei Figuren wechseln, um deren Talente klug einzusetzen.

Vom Kämpfer zum Helden

Auf Taris entfaltet sich dann schnell ein Geflecht aus Gesprächen, Hinweisen und Quests, das dank der ständig aktualisierten Karte, der vorbildlichen Gesprächsaufzeichnung und des Tagebuchs immer überschaubar bleibt. Noch ist erzählerisch vieles unklar, eure Rolle nebulös und auch eure Gefährten sorgen mit ihren Geschichtchen für mehr Rätsel als Klarheit. Was wollen die Sith eigentlich? Welche Rolle spielen die Jedi? Was habt ihr damit zu tun?

Aber spätestens wenn ihr Taris verlasst und auf Dantooine zum Jedi-Adepten aufsteigt, entfaltet die Story einen dramatischen Sog, der Euch immer stärker mit dem Schicksal der Republik verbindet. Hier beginnt eine Odyssee zwischen den fünf Planeten Dantooine, Tatooine, Kashyyyk, Korriban und Manaan. Sobald ihr auf Eurem Raumschiff seid, könnt ihr entscheiden, wo ihr hinfliegt. Im Gegensatz zum starren Leveldesign begeistert hier die offene Spielstruktur. Natürlich liegt es auch an Euch, ob ihr der hellen oder dunklen Seite folgt, denn in Dutzenden von Aufgaben müsst ihr Farbe bekennen: Gnade oder Härte? Kampf oder Gespräch?

Und obwohl das Star Wars-Universum von der typischen Gut-Böse-Grenze gespalten und keine Fraktionen und Gilden à la Elder Scrolls 3: Morrowind bietet, bestechen die meisten Quests durch Einfallsreichtum und raffinierte Winkelzüge, die die Entscheidungen erschweren. Außerdem kann man sich auch gut in der Grauzone zwischen heller und dunkler Macht bewegen - man muss nicht entweder Heiliger oder Bösewicht sein. Diese Nuancen hätte man sich auch bei den Gesichtern der Gesprächspartner gewünscht, die sich einfach zu schnell wiederholen.

Abseits von Rettungsmissionen, Hol-und-Bringdiensten sowie Infiltrationen gilt es z.B. heikle Familienfehden zu schlichten, der dunklen Seite Verfallene zu überzeugen oder in bester Krimi-Manier einen Mordfall zu lösen - inklusive Zeugenaussagen, Indiziensammlung und Archivrecherche. Und wenn ein Droide vor den penetranten Einölungsorgien seiner menschlichen Herrin Reißaus nimmt, und euch aus lauter Verzweiflung bittet, ihn endlich zu zerstören, gerät auch das Zwerchfell in Wallung.

Hinzu kommen drei Minispiele, die mit einem rasanten Wettrennen, kleinen Weltraumgefechten zwischen den Planetenreisen und einer süchtig machenden Black Jack-Variante für kurzweilige Unterhaltung sorgen. Letzteres ist nicht nur spannend, sondern bringt auch ein paar Credits in die Kasse.

Schade für alle Gauner ist nur, dass man alle Kisten bedenkenlos plündern kann - selbst, wenn der Besitzer direkt daneben steht; Konsequenzen sind Fehlanzeige. Und ähnlich wie bei Neverwinter Nights werden kampflustige Naturen viel mehr Erfahrungspunkte sammeln als redefreudige und schleichende Gesellen.

__NEWCOL__Das nagt zwar ein wenig an der Atmosphäre, aber wird durch die vielen Terminals wieder ausgeglichen. Hier könnt ihr euch als Hacker betätigen und durch den geschickten Einsatz von Kameras und Stromausfall schon im Vorfeld Wachen ausschalten oder Türen öffnen. Wer genug Computersonden und -kenntnisse hat, kann sich so jede Menge Ärger ersparen.

Die Party lebt

Auf eurem Weg werdet ihr ständig von euren Gefährten beeinflusst, denn sie kommentieren eure Aktionen, provozieren euch, streiten sich untereinander oder machen einfach dumme Witze - und das nicht nur inklusive passender Mimik und Gestik, sondern komplett auf Deutsch.

Die schauspielerisch überzeugenden Sprecher haben jedem noch so kleinen Nebensatz und NPC akustisches Leben eingehaucht; sogar Aliensprachen erschallen im unverständlichen, aber dafür um so stimmungsvolleren Original. Wenn man die optionalen Texte ganz weglässt, kann man die filmreifen Gespräche am besten genießen. Auch die eigens komponierten Melodien gehören durch die Bank in die Kategorie filmreif.

Je nach Party-Konstellation geht es unterschiedlich zur Sache: Während sich Gaunerin Mission z.B. mit dem Wookie blendend versteht, geht sie der Jedi Bastila dermaßen auf die Nerven, dass sich die junge Jedi sogar zu einem Machtmissbrauch hinreißen lässt und die Quasselstrippe zu Boden wirft. Die Party-Interaktion ist einfach köstlich und trägt unheimlich zum Mittendringefühl bei.

Denn BioWare hat das Meisterstück vollbracht, die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren dank lebensechter Charaktere und zeitloser Themen wie Hass, Liebe, Rache, Rassismus, Freiheit und Raffgier mindestens genau so interessant zu gestalten wie den roten Faden der action- und aufgabenreichen Hauptquest.

Waffensammelsurium

Wer sich abseits von wortwitzigen Dialogen auch gerne in der Waffenkammer austobt, kommt ebenfalls auf seine Kosten: Erstens gibt es die sechs Gattungen Nahkampf, Blaster, Blastergewehr, schwere Waffen, Laserschwerter und Granaten. Ihr könnt bei entsprechendem Talent sogar mit zwei Blastern, zwei Laserschwertern oder einer eindrucksvollen Doppelklinge kämpfen. Hinzu kommen auf der defensiven Seite leichte, mittlere und schwere Rüstungen.

Das süchtig machende Highlight sind allerdings die Diablo-ähnlichen Aufrüstoptionen: Es gibt bestimmte Rüstungen und Schwerter, die ihr mit speziellen Zusätzen auf einer Werkbank noch effektiver machen könnt. Und natürlich lassen sich auch die Laserschwerter mit Kristallen so aufrüsten, dass sie z.B. betäuben, mehr Schaden anrichten oder die kritische Trefferchance erhöhen.

__NEWCOL__Spielkomfort pur

Ich habe noch nie so ein stress- und frustfreies Rollenspiel erlebt: Die Bedienung ist intuitiv, die Menüs sind gut strukturiert, die Karten sind übersichtlich. Regelpuristen können sich die Würfelergebnisse anzeigen lassen, Echtzeitfetischisten können die automatische Pausierung abschalten. Auch das Speichern ist jederzeit möglich. Für ein Konsolenrollenspiel sind die Optionen einfach vorbildlich.

Viel wichtiger ist aber, dass man nur dann nachladen muss, wenn alle Partymitglieder gestorben sind. Falls ein Gefährte den Kampf überlebt, rappeln sich die anderen kurze Zeit später wieder auf - zwar humpelnd und keuchend, aber nach ein paar Medipacks wieder frisch. Und wenn man größere Zwischenkämpfe nicht besteht, muss man entweder die Taktik oder die Gefährten wechseln.

Sehr komfortabel ist auch die Rückkehrfunktion: Ihr könnt fast von jedem Ort mit einem Knopfdruck zurück zu Eurer Basis, um Lebenspunkte zu tanken oder Waffen aufzurüsten. Danach werdet ihr auf Wunsch wieder direkt zum letzten Ort katapultiert. Das erspart lange Wege und nervigen Leerlauf.

Fazit

Ins Kino gehen? Freunde besuchen? Ein Buch lesen? Nein danke. Ich liebe packende Inszenierungen, ich liebe interessante Gespräche und versinke gerne in spannenden Geschichten. Natürlich pflege ich auch ein besonders intimes Verhältnis zu meiner Couch. Und genau deshalb kann ich mir derzeit keine bessere Unterhaltung als Star Wars: Knights of the Old Republic vorstellen. Hier gibt`s all das, was ein hervorragendes Rollenspiel ausmacht: Abwechslungsreiche Quests, mehrere Lösungsmöglichkeiten, ausgefeilte Charakterentwicklung, packende Kämpfe, gute Story - und all das im komfortablen Wohnzimmerformat. Zwar ist auch die Jedi-Karriere nicht perfekt, kommt etwas schleppend in Gang und zeigt kleine Schwächen wie Ruckler, viele gleich aussehende NPCs und straffreie Kistenplünderung. Aber BioWare hat es nicht nur geschafft einen Star Wars-Muffel wie mich für George Lucas´ Universum zu begeistern, sondern treibt die schon in Baldur`s Gate 2 gefeierte Party-Interaktion zu bisher unbekannten Höhenflügen. Ich habe noch nie schauspielerisch dermaßen überzeugende NPCs in einem Rollenspiel erlebt. Erst durch das Leiden, Sticheln, Lieben, Hetzen und Philosophieren dieser Gefährten entsteht dieses herrliche Gefühl, mittendrin und gleichzeitig ganz weit weg zu sein - von der Couch.

Pro

<LI>gute Story<LI>viel Wortwitz<LI>sechs Planeten<LI>nette Mini-Games<LI>lebendige Dialoge<LI>einfache Steuerung<LI>sehr gute Spielbalance<LI>taktisches Kampfsystem<LI>neun lebendige Gefährten<LI>famose Lichtschwertduelle<LI>abwechslungsreiche Quests<LI>erstklassige Party-Interaktion<LI>sehr viele Aufrüstmöglichkeiten<LI>hervorragende deutsche Sprecher<LI>stimmungsvolle Musik, klasse Sounds<LI>viele Lösungsmöglichkeiten &amp; Freiheiten<LI>liebevolle Inszenierung des Star Wars-Universums</LI>

Kontra

<LI>einige Ruckler<LI>viele gleiche Gesichter<LI>magere Charaktererstellung<LI>Kisten plündern ohne Konsequenzen</LI>

Wertung

XBox

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