NHL 200414.10.2003, Jörg Luibl
NHL 2004

Im Test:

Helm auf, Handschuhe an, Kufen los: Mit NHL 2004 (ab 23,90€ bei kaufen) eröffnet EA die Eishockey-Saison. Und gegenüber dem Vorjahr stehen zwei Dinge im Vordergrund: Die fulminanten Checks und das neue Pass-System. Warum die Banden krachen wie noch nie, und warum Simulationsfans jubeln dürfen, klärt der Test!

Ab in die Eishölle!

Es steht 2:2, die Joe Louis-Arena bebt: 20.000 Fans treiben die Detroit Red Wings drei Minuten vor Schluss Richtung Dallas-Goalie. Und der hat allen Grund, nervös hin- und her zu skaten. Denn seine Teamkollegen krachen reihenweise in die Bande - Helme fliegen, Knochen brechen und die Fans jubeln. Die Red Wings checken wie die Teufel und zerstören jegliches Aufbauspiel der Gäste schon im Ansatz.

Und jetzt stibitzt sich Routinier Steve Yzerman den Puck, lässt mit einem Deke einen Verteidiger alt aussehen und skatet zum gegnerischen Tor, verfolgt von zwei entsetzten Dallas Stars. Mit 20 Spielzeiten Erfahrung und 660 Toren auf dem Buckel kann der Stanley Cup-Sieger von 2002 in wenigen Sekunden alles klar machen. Auge in Auge mit Goalie Ron Tugnutt lässt er den Puck tanzen, kurvt leicht links vorbei, legt sich die Scheibe auf die Rückhand und…

Kulisse: Note 1

…jetzt ist Herzklopfen angesagt. Denn egal ob Ihr die Detroit Red Wings oder die Dallas Stars, eines der neuen DEL, der schwedischen oder finnischen Teams steuert - NHL 2004 fängt die Gänsehautkulisse der Eistempel grandios ein. Im Vergleich zum Vorgänger hat EA tatsächlich noch zulegen können. PS2-, GameCube- und Xbox-Fassung sehen allerdings fast wie Zwillinge aus, nur dass die beiden Letzteren die schärferen Konturen und besseren Spiegelungen bieten. __NEWCOL__Und falls Yzerman gleich einnetzen sollte, dürft Ihr Euch auf eine Laola-Welle und frenetischen Jubel freuen.

Auch die amerikanischen Kommentatoren sind wie immer nah am Puck, fachsimpeln, witzeln und untermalen das Geschehen erfrischend emotional.

Aber gerade aufgrund der Integration der DEL wären deutsche Sprecher passender gewesen. Und wenn die Abwechslung nach zwei Spielen zu wünschen übrig lässt, schaltet man das Gerede aus und genießt die herrliche Auswahl an harten Soundtracks von den Deftones oder Adema, die so fantastisch zum Eishockey passen wie Hip-Hop zum Basketball.

Helm auf Eis

Aber nicht nur die große Kulisse, auch die kleinen Szenen überzeugen: Beim Icing hebt der Goalie jetzt die Hand, Stürmer werden an die Bande gedrückt und gehalten, Helme fliegen bei Vollkontakt durch die Luft und das in den ersten Sekunden blank polierte Eis, das mit Echtzeitschatten und -spiegelungen glänzt, gleicht am Ende des Drittels einer zerkratzten Milchscheibe.

Auch Zusätze wie eingeblendete Trainer, die ihre Mannschaft anfeuern oder den Kopf schütteln, wissen zu gefallen. Zwar können die Gesichtstexturen nicht immer überzeugen, aber die Atmosphäre stimmt und schlägt alles, was es bisher im Sportspielbereich gibt.

Erst checken, dann boxen!

Trotzdem können die klasse Grafikerweiterungen nicht mit den spielerischen mithalten: NHL 2004 lässt es auf der einen Seite wieder richtig krachen und verströmt auf der anderen Seite Simulationscharakter pur. Dafür sorgen die knackigeren Checks und das komplexe Pass-System.

Erstere enttäuschten bekanntlich im Vorjahr. Diesmal gibt es runderneuerten Vollkontakt auf dem Eis und an der Bande, der einfach Spaß macht. Wenn Gegner über die Ersatzbank gewuchtet werden oder begleitet von einem Plexiglas-Regen frontal in die Bande schmettern, lacht das Herz der martialisch veranlagten Defense. Außerdem kann man jetzt auch bequem mit dem rechten Analogstick checken.

Und wenn das Adrenalin so richtig pulsiert, darf auch zugeschlagen werden. Dieses Jahr verströmt NHL 2004 schon fast Beat`em Up-Charakter, denn es gibt nicht nur hohe und tiefe Schläge, sondern auch zwei Deckungen, die die bisher wüsten Prügeleien tatsächlich in taktisches angehauchtes Gerangel mit Boxqualitäten verwandeln.

__NEWCOL__Pässe für Profis

Wer es lieber technisch mag und auf spielerische Finesse setzt, kommt ebenfalls nicht zu kurz. EA bietet nicht nur automatische Dekes und freie Stock-Kunststücke mit dem rechten Analogstick, sondern hat das Pass-System runderneuert.

Es ermöglicht jetzt mit der normalen und der leicht gelupften Anspielvariante mehr Freiheit beim Spielaufbau. Dieser neue Schlenzer ist ideal, um den Puck leicht über den Stock des anstürmenden Gegners zu spielen - also z.B. kurz vor dem Check. Hinzu kommt, dass die Länge des Knopfdrucks in beiden Fällen auch die Passlänge bestimmt.

Einen Haken hat die Vielfalt allerdings: Wer ein kluges Spiel aufziehen will, muss üben, üben und nochmals üben. Denn durch das neue System und die gute Kollisionsabfrage sind erste Fehlpassorgien garantiert. Nur, wer die Situation schnell erkennt, den richtigen Pass wählt und die Länge gut setzt, wird spielerisch auf seine Kosten kommen. Das wird geduldige Simulationsfans freuen, Arcadefreunde mit Hang zu reibungslosen Zick-Zackpässen sollten erst ein Probespiel wagen.

KI für alle Fälle

Auch die in der Verteidigung hervorragende KI wird Einsteiger und Torjäger zunächst zur Verzweiflung bringen, denn direkte Wege zum Kasten werden geschickt versperrt und auch die sonst torsichere Kombination aus Seitenlauf, Querpass, One-Timer, Tor kann jetzt nur noch höchst selten umgesetzt werden.

Die Verteidiger decken die Räume und im Ernstfall den Mann erschreckend gut. Trotzdem sind gut herausgespielte Situationen mit der Hintertor-Taktik oder plötzlich inszenierte Schlagschüsse von der blauen Linie immer noch die besten Mittel, um die Abwehr zu knacken. Allerdings fallen jetzt viel mehr Tore durch das Gestochere in Tornähe, aus kurzer Distanz oder wenn der Goalie zu schnell den Puck frei gibt. Manchmal kann man das Hartgummi regelrecht ins Tor kämpfen.

Nur in der eigenen Verteidigung wünscht man sich etwas mehr als das Checken, die Stockabwehr und die Möglichkeit, sich in den Schuss zu schmeißen. Wie wäre es z.B. mal mit einer Doppeldeckung à la Pro Evolution Soccer? Oder einem Verteidiger, den man wie einen Kettenhund auf einen Stürmer ansetzen kann?

__NEWCOL__Nicht ganz so überzeugend verhält sich zudem die KI in der eigenen Offensive: Zwar kann man mit schnellen Taktikwechseln jetzt auch mitten im Spiel für veränderte Laufwege und Positionen sorgen, aber die Stürmerkollegen lösen sich im Angriff einfach nicht klug genug vom Gegner. Hier kann man zwar viel mit Spielwitz ausgleichen, aber EA muss hier für die Zukunft nachlegen.

Wunschliste

Und wo wir gerade bei Hausaufgaben sind: Auch wenn der neue Dynasty-Modus endlich eine komplette Managerkarriere samt Finanzplanung, Transfers, Agenten und dem Ausbau der eigenen Infrastruktur möglich macht, sollte EA an seinem Menüdesign feilen. Der nüchterne HTML-Stil ist wenig ansehnlich und zu verschachtelt.

Ein herrlicher Zusatz wäre zudem ein Trainingsmodus, in dem die ganzen Möglichkeiten der Steuerung erklärt und vielleicht mit Minispielen à la Madden geübt werden. Das interaktive Tutorial im leichtesten Schwierigkeitsgrad ist einfach zu oberflächlich, um Einsteiger mit den delikaten Finessen von NHL 2004 vertraut zu machen.

Last but not least sollten auch alle Konsoleros endlich in den Online-Genuss kommen, für den dieses Spiel prädestiniert ist. Besonders bitter für Xbox Live-Besitzer ist natürlich der Exklusivdeal zwischen Sony und EA. Allerdings profitieren davon derzeit nur die amerikanischen PS2-Cracks; hierzulande bleibt NHL 2004 offline.

Fazit


Endlich verströmt NHL wieder diese herrlich fulminante Mischung aus Kampf und Taktik! Dieses Jahr krachen die Checks so fulminant, dass einem schon vom Zuschauen die Rippen schmerzen - da fliegen Helme, splittert Glas und lacht das Kämpferherz. Und das Pass-System befriedigt endlich auch Simulationsfans, denn es zwingt zum klugen Einsatz von flachen und gelupften Zuspielen. Einsteiger werden sich allerdings daran die Zähne ausbeißen, denn es verlangt viel Geduld und die KI der Verteidiger ist erschreckend gut. Um so ärgerlicher, dass es immer noch kein vernünftiges Tutorial gibt. Dafür kann jedoch der Dynasty-Modus entschädigen, der trotz seines faden Designs auch alle Managerseelen ansprechen dürfte. Aber was sind schon Finanzen im Vergleich zur grandiosen Atmosphäre, die in EAs Eistempeln herrscht? Wer Gänsehaut sucht und spielerisch gefordert werden will, kommt an NHL 2004 nicht vorbei. Dass PS2-Fans hierzulande auf den Online-Modus verzichten müssen, der in den USA für Multiplayerspaß sorgt, ist allerdings besonders bitter.

Pro

<li>lebendiges Publikum</li><li>klasse Check-System</li><li>sehr gute Puck-Physik</li><li>sehr gute Soundtracks</li><li>inkl. DEL-Teams u.a.</li><li>sehr gute defensive KI</li><li>komplexes Pass-System</li><li>vier Schwierigkeitsgrade</li><li>sehr gute Geräuschkulisse</li><li>hervorragende Atmosphäre</li><li>komplexer Manager-Modus</li><li>viele neue optische Details</li><li>einfaches & gutes Kampfsystem</li>

Kontra

<li>fades Menüdesign</li><li>kein gutes Tutorial</li><li>sehr schwer für Einsteiger</li><li>nur englische Kommentare</li><li>offensive KI könnte besser sein</li><li>kein Online-Spiel (PS2, GC, Xbox)</li>

Wertung

XBox

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