Conker: Live & Reloaded29.07.2005, Michael Krosta
Conker: Live & Reloaded

Im Test:

Manchmal gibt es Tage, an denen einfach alles schief geht und man innerhalb von 24 Stunden mehr abgefahrene Dinge durchmacht als manch anderer in Monaten oder sogar Jahren. Das schlagfertige Eichhörnchen Conker setzt dem Ganzen die Krone auf und erlebt nach dem N64-Klassiker seinen "Bad Fur Day" erneut im Xbox-Remake. Was haben die Teamschlachten im Stil von Battlefield zu bieten?

Betrunkener Videospielheld

Wie oft erlebt man einen total besoffenen Videospielcharakter, der gleich zu Beginn aus seiner Lieblingskneipe torkelt und einem Passanten vor die Füße reihert? Nun, Conker ist genau so ein Typ. Und wer bisher dachte, Eichhörnchen wären putzige und süße Tierchen, wird schon bald eines Besseren belehrt, denn Conker teilt sowohl verbal als auch mit seinem Baseballschläger kräftig aus und hält sich mit zynischen und mitunter 

Dieser große Typ hat unter seinem Lendenschurz ein kleines Problem...
auch schlüpfrigen Kommentaren nicht zurück. Kein Wunder also, dass ihr in den Dialogen sehr oft anstatt "Fuck" und anderen derben Schimpfwörtern einen Piepston zu hören bekommt, mit dem die oft übertriebene Zensur auf die Schippe genommen wird. Überhaupt scheinen die Entwickler nicht viel von Tabus zu halten und ziehen so ziemlich alles und jeden durch den Kakao, egal ob es sich dabei um eine Terminator-Persiflage mit typischem Arnie-Akzent oder einen Arien singenden Kothaufen handelt, dessen stinkendes Maul ihr einfach mit Klopapierrollen stopft, während Fürze in Dolby Digital Raumklang aus den Boxen schallen. Vor allem die vielen zum Teil abgedrehten Bosskämpfe und witzigen Dialoge zeichnen den Titel aus, der vor Abwechslung nur so strotzt. Gleicht das Gameplay zu Beginn noch einem bunten Jump and Run mit vielen Hüpfpassagen, wandelt sich das Spiel gegen Ende zum waschechten 3rd-Person-Shooter: Mit einem MG im Anschlag metzelt ihr in einem an Soldat James Ryan angelehnten Normandie-Szenario Tediz nieder oder stattet im passenden Lederoutfit der berühmten Eingangshalle des ersten Matrix-Films einen Besuch ab, wo ihr ebenfalls alles in Schutt und Asche legt – in Bullet-Time versteht sich! Leider können die Standardgegner bei den genialen Obermotzen nicht mithalten: Vor allem die neue, stachelige Gegner-Spezies ist äußerst nervig, da sie sich bei einem Angriff zusammenkugelt. Die Kämpfe gegen solche und andere Zeitgenossen sehen in der Regel so aus, dass ihr mit eurem Baseballschläger vorstürmt und zuschlagt, dann schnell zurücksetzen müsst, bevor der Verteidigungsmechanismus der Gegner einsetzt. Ist diese Phase vorüber, könnt ihr wieder angreifen etc. Teilweise müsst ihr die Feinde drei bis vier Mal treffen, was schnell langweilig werden kann. Glücklicherweise trifft man diese nervigen Standardtypen nicht allzu häufig im Spiel an oder kann ihnen oft genug auch einfach aus dem Weg gehen. Wie bei der Vorlage müsst ihr natürlich auch beim Remake auf die kontextsensitiven Knöpfe nicht verzichten, deren Konzept euch gleich zu Beginn in einer urkomischen Unterhaltung mit der angetrunkenen Vogelscheuche Birdy näher gebracht wird. Wer das Original nicht kennt, wird öfters Orientierungsprobleme haben: Die Welt ist offen konzipiert, doch bekommt ihr mit fortschreitendem Spielverlauf Zugang zu neuen Areale, die zuvor nicht zugänglich waren. Allerdings wisst ihr manchmal nicht so recht, was genau ihr eigentlich machen müsst, um weiter zu kommen und irrt planlos durch die Gegend. 

Mächtig aufpoliert

Halten sich die Neuerungen beim Gameplay bis auf minimale Veränderungen in Grenzen, wurde der N64-Klassiker grafisch mächtig aufpoliert und erstrahlt auf der Xbox in neuem Glanz. Die zumeist bunte Umgebung bietet viele kleine Details, die Wassereffekte sehen großartig aus und an Conkers Fell kann man die Haare fast 

Diese neuen, stacheligen Gefährten können ganz schön nervig sein.
einzeln zählen. Leider fordern die imposanten Kulissen ihren Preis und so gerät das Geschehen gelegentlich ins Ruckeln. Auch ploppen immer wieder kleinere Objekte wie Blumen ins Bild, so dass trotz der insgesamt enormen Weitsicht der Grafikaufbau mit bloßem Auge wahrgenommen wird. Auch die Kamera fängt das Geschehen nicht immer optimal und zeigt sich selbst bei der manuellen Korrektur oft recht störrisch – so etwas sollte bei heutigen Titeln eigentlich nicht mehr passieren, vor allem, wenn der Entwickler Rare heißt. Im Soundbereich gibt es dagegen gar nichts zu meckern: die englische Sprachausgabe ist allererste Sahne und auch die interaktiven, oft locker-flockigen Jazz-Stücke passen sich der Umgebung perfekt an. Lauft ihr z.B. gerade an einem Bienenstock vorbei, wird die Hauptmelodie plötzlich "gesummt", während ihr in der schon erwähnten Matrix-Sequenz von hammerharten Techno-Klängen begleitet werdet, die wie die vertrauten Terminator-Klänge an das filmische Vorbild angelehnt sind.   

Immer noch Top

Auch wenn Conkers Solo-Abenteuer gegenüber des N64-Moduls kaum verändert wurde und die Technik mit einigen

Der singende Kothaufen ist nur einer von vielen abgedrehten Zwischengegnern.
Problemchen zu kämpfen hat, zählt das freche Eichhörnchen auch noch Jahre später für erstklassige Unterhaltung und zählt auch im Xbox-Remake zu den besten Vertretern des Genres. Wer das Teil noch nicht auf Nintendos Nebelkonsole gezockt hat, sollte auf jeden Fall zugreifen, denn Conker rockt die Hütte! Obwohl das Spiel schnell durch die bunte Optik den Eindruck eines knuddeligen Hüpfspielchens vermitteln kann, gehört der Titel bei all den Andeutungen und z.T. expliziter Gewaltdarstellung mit spritzenden Blutfontänen nicht in Kinderhände. Auch wenn der Humor stellenweise recht derb ausfällt, wird dennoch ein gewisses Niveau gehalten, auf dem ihr euch königlich amüsiert.

Unübersichtliche Online-Scharmützel

Während Conker’s Bad Fur Day auch im Remake noch begeistern kann, ist der neue Multiplayer-Part leider nicht so gut gelungen. Ihr könnt sowohl online als auch offline zum Schlagabtausch zwischen den beiden rivalisierenden Teams OKE (Oberkommando der Eichhörnchen) und TEDIZ antreten. Offline zieht ihr entweder alleine mit so genannten Dummbotern in die Schlacht oder kämpft euch zusammen mit einem Kumpel im Splitscreen zu den Missionszielen vor. Alleine verendet der Spielspaß allerdings schon sehr schnell im Schützengraben, da eure Kameraden ihr eigenes Ding durchziehen und euch gar nicht beachten. Da machen die System-Link- oder Online-Matches mit bis zu 16 Mitspielern schon mehr Spaß, doch gibt es auch hier einige Kritikpunkte zu vermelden. Größtes Manko ist einfach die schlechte Übersicht. Der Bildschirm wird dermaßen von Anzeigen, Spielernamen etc. voll gestopft, dass man im Kampfgetümmel fast nichts mehr erkennen kann.

Im Multiplayer wird kräftig ausgeteilt.
Hinzu kommt, dass die verschiedenen Kämpferklassen mit ihren individuellen Waffen (Granaten, Raketenwerfer, Snipergewehr etc.) recht schlecht ausbalanciert sind und oft nur wirklich Sinn machen, wenn viele Spieler an einer Session teilnehmen, die taktisch vorgehen – doch auch Deathmatches sind möglich. Im Prinzip spielt sich der Live-Modus wie

Video: Conker in der Matrixein unübersichtliches Battlefield in der 3rd-Person-Ansicht. Genau wie dort findet ihr auch auf den zahlreichen Schlachtfeldern von Conker etliche Fahrzeuge und Fluggeräte, mit denen ihr die feindlichen Stellungen angreifen könnt. Eine schöne Idee sind Spezialwaffen wie Minen oder Flakgeschütze, die ihr euch an Automaten ziehen und anschließend nach Lust und Laune in dem Szenario platzieren könnt. Dennoch ist der Live-Modus trotz einiger netter Ansätze und einem ausreichend großen Umfang mit variierenden Missionszielen insgesamt etwas enttäuschend ausgefallen und kann sich bis auf die ungewöhnlichen Charaktere kaum von der durchschnittlichen Standardkost abheben, was vor allem auf die miese Übersicht zurückzuführen ist. Auch wisst ihr in den komplexeren Team-Missionen oft nicht, was genau eigentlich zu tun ist – da hilft oft nur Ausprobieren nach dem Trial & Error-Prinzip. Schade drum.     

Fazit

Conker Live & Reloaded ist ein bisschen Fluch und Segen zugleich: Während der Bad Fur Day trotz seines Alters und technischer Mankos wie Ruckeleinlagen und störrischer Kamera beim erneuten Spielen wieder genauso viel Spaß machte wie das N64-Vorbild, konnte ich mich mit den viel zu unübersichtlichen Onlinepartien nicht so recht anfreunden. Da sich die Änderungen des Remakes in Grenzen halten, stellt sich natürlich die Frage, ob der Titel für Kenner des N64-Moduls interessant ist. Meiner Meinung nach lohnt sich ein Neukauf, denn Conker sieht einfach besser aus und spielt sich genau so gut, wenn nicht sogar einen Tick besser als das Original. Wer bisher noch nie mit Conker auf die Reise gegangen ist, sollte sich das Ding trotz des eher durchschnittlichen Onlinespiels zulegen, denn allein die Neuauflage von Conker’s Bad Fur Day rechtfertigt einen Kauf, bei dem ihr den Live-Modus einfach als nettes Bonus-Feature mitnehmt.

Pro

cooler Klassiker
abwechslungsreiches Gameplay
derber, schlüpfriger Humor
bissige Kommentare
gelungene Präsentation
passende Sprachausgabe
interaktiver Soundtrack
Onlinemodus (wenn viele Mitspieler)

Kontra

kleine Ruckler
Pop-Ups
Kameraprobleme
schlechtes Balancing beim Online-Spiel
unübersichtliche Online-Schlachten

Wertung

XBox

Wundervoll durchgeknalltes Abenteuer mit dem beklopptesten Eichhörnchen aller Zeiten!

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