Pariah17.06.2005, Paul Kautz
Pariah

Im Test:

Normalerweise ist der Held eines Shooters ein gestählter Marine oder zumindest gelangweilter Söldner. Nicht so in Pariah (ab 5,99€ bei kaufen) – hier übernehmt ihr die Kontrolle über einen ballernden Mediziner. Ob das intellektuelle Aufleveln des Protagonisten auch ein besseres Spiel macht?

Du und dein Virus

Heutzutage ist es schwierig, die verwöhnte Shooter-Gemeinde noch mit einem neuen Ballerspiel zu beeindrucken – das »Been there, done that«-Gefühl ist stark ausgeprägt, man hat zu oft das Gefühl, alles irgendwie schon mal gesehen oder gespielt zu haben. Perlen wie Half-Life 2 sind die Regel bestätigende Ausnahme, selbst vom Erfolg verwöhnte Entwickler

Teilweise sehr schöne Landschaften erfreuen das Spielerauge.
wie Digital Extremes, die mit der Unreal Tournament-Serie einen Hit nach dem anderen zelebrieren, sind nicht vor Fehlern gewappnet: Pariah. Ein Shooter, der sehr gut an Unreal 2 hätte anschließen können, sich aber mit belanglosem Leveldesign und akutem Ideenmangel ständig selbst ein Bein stellt.

Die Story kommt nur langsam in Fahrt, und klettert auch während des Spiels nie über die Seifenoper-Gähnmarke hinweg: Ihr spielt Dr. Jack Mason, der ein brandneues und hochgefährliches Virus untersucht, welches sich im Körper der tiefgekühlten Karina befindet. Bei einem Transport der coolen Braut wird euer Flieger abgeschossen, Schneewittchen erwacht und es kommt, wie es kommen muss – natürlich infiziert ihr euch an ihrem Blut. Bevor der Parasit euch von innen zerknabbert, sollte besser ein Gegenmittel ins Haus, außerdem ist euer Arbeitgeber nicht sonderlich über diese Blutbahn-Entwicklung begeistert. Was also tun? Ballern, logisch! Wieso? Ach, egal! Bis zum Ende gibt es keine Charakterentwicklung, keine aufkeimenden Sympathien, keine Erklärungen - nur lückenbüßerische Story-Fetzen, präsentiert in groben, flimmerfreudigen und nicht abbrechbaren Echtzeit-Zwischensequenzen. Die man übrigens mangels Quicksave-System mit viel Pech immer wieder zu sehen bekommt – auch ein Weg der Entwickler, den Spieler zum Kaffeekochen zu zwingen.

Der ballernde Arzt

Dauerfeuer gegen Lemminge: Die Gegner tragen nicht gerade ihre Intelligenz zur Schau.
Statt sich mit dem Skalpell durch die Gegnermassen zu schlitzen, greift der gute Doktor auf handfesteres Gerät zurück: MG, Granat- bzw. Raketenwerfer, Scharfschützengewehr oder Pumpgun bieten keine Überraschungen – allerdings dürft ihr sie im Spielverlauf mit Upgrades versehen, welche z.B. das Scharfschießen im Dunklen vereinfachen oder dem Schrot etwas mehr Wumms verleihen.  Nicht, dass das wirklich nötig wäre – die gegnerische KI ist kaum zum Schmieren einer Stulle zu gebrauchen: Die Feinde rotten sich gerne zusammen (um dem Spieler die Mühe des einzelnen Abschießens zu ersparen), interessieren sich nicht für direkt neben ihnen tickende Granaten oder springen voller Freude in den Tod. Lediglich im Nahkampf sind die immergleichen Gehirnakrobaten zu gebrauchen; der einzige wirkliche Vorteil dieser in Rüstung gewandeten Lemminge ist ihre fiese Platzierung: Wenn man hinter einer Tür von einem Feind mit einladend fauchendem Flammenwerfer begrüßt wird, ist das gerade noch verzeihlich. Dass man jedoch beim Hochklettern einer Leiter immer wieder unter Beschuss steht, ist einfach mieses Design. Denn man selbst kann nicht zurückballern, bis man den alle Konzentration beanspruchenden Klettervorgang abgeschlossen hat - auch neumodische Errungenschaften wie Abspringen sind nicht erlaubt! Natürlich wird ausschließlich zwischen den Levels gespeichert, außerdem legt das Programm innerhalb der Welten automatische Sicherungspunkte an.    

Pariahs Lebensenergie-System erinnert etwas an Halo: Ihr habt vier Balken, die bei Beschuss schnell dezimiert werden. Allerdings könnt ihr nach einem Treffer schnell in Deckung huschen und abwarten, so dass sich der letzte getroffene Balken selbständig wieder auflädt. Um vollständig zu genesen müsst ihr allerdings ein Heilungstool benutzen

An Bord von Fahrzeuge wird es rasant, aber auch nervend - die Steuerung ist sehr zickig.
, welches natürlich »Munition« erfordert. Die 16 ineinander übergehenden, streng linear aufgebauten Levels führen euch von der frischen Luft über komplexe Industrieanlagen in einen grünlichen Gefängniskomplex, bevor das Spiel mit einem Endgegner auf einmal vorbei ist –  was spätestens nach sieben Stunden der Fall sein sollte. Dazwischen schaltet ihr Geschütze aus, drückt Schalter, sucht immer wieder nach eurer fluchtfreudigen Begleiterin, drückt Schalter, gelangt an bestimmte Punkte – und drückt jede Menge Schalter. Ein paar Mal dürft ihr auch eure Sohlen schonen und in Buggys durch die Levels heizen. Allerdings reagieren die Fahrzeuge zickig auf Kontrolleingaben und bleiben dank einer verhunzten Kollisionsabfrage gerne an Ecken und Kanten hängen.

Keine Überraschungen

Wer den Look bisheriger Unreal-Teile kennt, der weiß auch sehr genau, was ihn in Pariah erwartet: ansehnliche Innen- und Außenlevels mit schönen Details wie im Wind wiegende Bäume, herabrieselnden Blättern, grasbedeckte Böden, durch Bäume scheinende Sonnenstrahlen oder Bildverzerrungen beim Granateneinschlag – alles bei erstaunlicher Geschwindigkeit! Teile der Levels sind wie bei Red Faction 2 zerstörbar,

Hilfe, Blut! Bei einem Volltreffer spritzt es ein wenig, sonst ist das Spiel sehr genügsam.
so dass umfangreichere Gefechte abplatzende Gemäuerstücke und bröckelnden Beton nach sich ziehen. Teilweise haben die Entwickler die Effekte allerdings nicht im Griff: So verzerren die Glasscheiben auch Teile der Vordergrundgrafik mit, was ebenso albern aussieht wie wenig Sinn ergibt. Außerdem ist der Rest der Optik mau: Neben erwähnten peinlichen Zwischensequenzen sind es vor allem die Animationen, die mit ihrer Stockhaftigkeit in einem modernen Shooter eigentlich nichts mehr verloren haben. Immerhin wird das Havok-Physiksystem genutzt, welches nach Explosionen für herumfliegende Körper und Gegenstände sorgt. Trotz einer 18er-Einstufung geizt Pariah übrigens mit Schock-Effekten: kaum Blut, kein Gore – damit lockt man keinen Space Marine hinter seinem Hellknight hervor.

Habt ihr genug Klongegner erledigt, wartet noch der Mehrspielermodus: Bis zu 16 Recken dürfen sich via Xbox Live oder System Link die Hucke zerkratzen, Spielmodi wie (Team) Deathmatch, Capture the Flag oder Siege spulen ihre Aufgabe allerdings etwas sehr routiniert ab. Immerhin gewinnen die Fahrzeuge auf den teilweise  sehr schön designten Karten an Bedeutung, außerdem darf ein zweiter Spieler jederzeit kooperativ in den Singleplayermodus eingreifen, der daraufhin horizontal zweigeteilt abläuft. Die Soundfront ist in Pariah ein zweischneidiges Schwert: Die etwas hornlastige Musik

Dicke Explosionen verteilen dank Havok-Physik Einzelteile realistisch in der Gegend.
geht in Ordnung und passt sich dem Spielgeschehen an. Die deutsche Sprachausgabe ist im Großen und Ganzen ebenfalls gut, leidet aber speziell in den Zwischensequenzen an erheblichen Qualitätsdefiziten – das an schlecht komprimierte mp3-Dateien erinnernde Höhen-Zischen geht schnell und nachhaltig auf die Nerven. Außerdem könnten die gegnerischen Hohnsprüche etwas Abwechslung gebrauchen, nach dem 100ten »Hey, solltest du nicht Leben retten?« bröckelt der Gag ein wenig. Zu mauer Letzt fehlt es den Dolby Digital-Effekten einfach an Biss: kein Wummern, kein Krachen, alles klingt dumpf und zahnlos. Pariah liegt ein sehr einfach zu bedienender Leveleditor bei, mit dem ihr pausenlos neue Levels gestalten könnt – und diese Werke schließlich per Linkkabel, Memory Card oder Xbox Live auch auf den Rest der Menschheit loslassen dürft.  

Fazit

Ein ballernder Arzt? Geht das überhaupt mit dem hippokratischen Eid konform? Digital Extremes tut mir wirklich Leid: Die UTs dieser Welt sind spitze, an Unreal 2 habe ich auch noch größtenteils schöne Erinnerungen – aber Pariah wirkt einfach hingeschludert! Das uninspirierte Leveldesign, die langweilige Story, die immergleichen Gegner, die unsympathischen Helden, die maue Kollisionsabfrage, das lästige Speichersystem; all das sieht nach dem »Och, lasst uns einfach mal einen Shooter basteln, wird schon super werden!«-Motto aus. Es fehlt einfach die Liebe, die Zuckerstücke, die cleveren Ideen; einfach alles, was einen Oberklasse-Shooter ausmacht! Pariah orientiert sich offensichtlich an Unreal 2 und Halo, ohne jedoch an eines der beiden Spiele ranzukommen. Es ist beileibe kein schlechter Shooter – oh nein, da gibt es viel schlimmere Auswüchse! Aber man wird beim Zocken nie das Gefühl los, dass die Entwickler einfach mal Urlaub gemacht haben, und die Programmierpraktikanten ran durften. Da draußen gibt es etliche bessere Shooter-Alternativen wie Halo 2 oder Time Splitters 3!

Pro

ansehnliche und schnelle Grafik
nette Effekte
übergangslose Levels
gute Sprachausgabe
stimmungsvolle Ingame-Musik
Koop-Modus
einfach zu bedienender Leveleditor

Kontra

sehr kurz
wirkt oft lieblos
kein freies Speichern möglich
steife Animationen
abwechslungsarme Levels
lasche Story
lange Ladezeiten
alberne KI
qualitativ mäßige Sprachsamples
zahnlose Soundeffekte
nicht abbrechbare Zwischensequenzen

Wertung

XBox

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