Thief: Deadly Shadows16.04.2004, Jörg Luibl
Thief: Deadly Shadows

Vorschau:

Vorhänge zu, Kerzen an und Dietrich am Mann! Wir konnten durch die düsteren Gassen von Thief: Deadly Shadows (ab 8,99€ bei kaufen) schleichen und fette Xbox-Beute einstreichen: Gameplay-Geschmeide, Grafik-Gold und Sound-Schätze wanderten in den Rucksack. Hat sich die lautlose Diebestour gelohnt? In der Preview ziehen wir eine erste Bilanz!

Mit List und Tücke

Die Nacht ist klar, der Tipp war heiß: Ein faustgroßer roter Opal soll sich irgendwo im alten Gemäuer des Lords verbergen. Das reicht schon, um Meisterdieb Garrett für den riskanten Bruch zu begeistern. Wie ein Panther lauert er bereits hinter einem alten Karren und erkundet das Gelände. Sein mechanisches Auge lässt ihn ganz nah ranzoomen: Vor dem Eingang warten zwei Wachen - eine mit Fackel und Langschwert, eine andere mit Pfeil und Bogen. Sie unterhalten sich gelangweilt über die Nachtschicht…

…Garrett zückt den Langbogen und legt einen Lärmpfeil auf. Er zielt auf einen entfernten nachtschwarzen Durchgang, wo es wenige Sekunden später kracht und funkelt. Erschreckt zücken die Wachen ihre Klingen und hasten Richtung Geräuschquelle. Den geduckten Kapuzenmann, der elegant über den Hof tanzt und blitzschnell hinter dem Haupttor verschwindet, haben sie nicht gesehen.

Ein Kompass gibt euren Streifzügen Orientierung; Pfeile markieren Schlüsselobjekte.

Frei wie ein Rabe

Das war eine Situation, die ihr im Juni auf Xbox oder PC auch ganz anders meistern könntet: Warum soll man z.B. den Haupteingang nutzen? Ihr klettert einfach den Wehrgang hinauf und dringt durch ein Fenster in den zweiten Stock ein! Warum überhaupt der Aufwand? Ihr schleicht euch an die Wachen heran, zieht die Sehne durch und befördert beide mit gezielten Kopfschüssen ins Jenseits; die Leichen werden in dunklen Ecken verborgen.

Ob ihr ganz lautlos, mit List und Tücke oder plump und brutal vorgeht, entscheidet ihr – Garrett ist ohnehin kein Samariter, sondern ein waschechter Zyniker mit einem Herz für Pragmatismus. Diesmal kann er seine Opfer sogar mit einem gezielten Dolchstoß von hinten meucheln -  allerdings ohne spektakuläre Todesanimation à la Tenchu: Return from Darkness , die dem Dieb jedoch auch gut zu Gesicht gestanden hätte. Nicht nur die taktische Vorgehensweise, auch das Leveldesign ist ähnlich offen wie in Deus Ex: Invisible War  – freut euch auf Geheimgänge und alternative Routen.

__NEWCOL__Und die Ausrüstung hilft kräftig mit. Neben Dolch, Totschläger und jeder Menge Dietriche kann Garrett auf gefährliche Minen, blendende Blitzbomben und ein Arsenal an Spezialgeschossen zurückgreifen:

Das ist kein gutes Versteck: Die Schattenanzeige in der Mitte leuchtet grell...

Moospfeile dämpfen nicht nur eure Schritte, sondern stopfen auch Wachen kurzfristig den Alarmmund; Wasserpfeile löschen Fackeln mit schöner Streuwirkung, lassen Blutlachen verschwinden und kleine Moosflecken zu grünen Teppichen wuchern; Brandpfeile entzünden Holz und Kleidung. Leider sind die Seilpfeile nicht mehr dabei, dafür gibt es jetzt die Kletterhandschuhe. Sobald ihr diese feinen Werkzeuge gefunden habt, könnt ihr automatisch à la Spider Man Wände erklimmen. Euer Diebesgut lässt sich beim Hehler verkaufen, um dann wieder in Ausrüstung investiert zu werden.

Faszination KI

Aber was viel euphorischer stimmt ist die KI: Die mittelalterliche Umgebung entfaltet aufgrund der lebendigen Figuren schnell authentisches Flair. Wenn man den zahlreichen Gesprächen in Fluren und Korridoren lauscht, bekommt man nicht nur wertvolle Tipps für den nächsten Bruch, sondern trifft auch ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Es gibt eifrige, schludrige oder betrunkene Wachen; nervöse, zickige oder heimlich mordende Ladys sowie intrigante Köche und strunzdumme Kriminelle. Auch Notizen und Tagebücher entlarven so manches Geheimnis.

Und die KI verhält sich erschreckend komplex: Ihr habt eine störende Lady mit einem sanften Hieb auf den Hinterkopf schlafen gelegt und versteckt euch hinter einem Tisch. Plötzlich kommt eine holde Magd mit Fackel aus der Küche, entdeckt euch dank des großen Lichtkegels und läuft kreischend zur nächsten Wache. Ihr hetzt in eine dunkle Ecke hinter ein Fass und wähnt euch in Sicherheit. Aber die Magd kommt in Begleitung bibbernd zurück: Während die leicht alkoholisierte Wache eher widerwillig auf die Suche geht und schon abwinken will, lässt die Frau nicht locker. Plötzlich zischt sie ein "Vielleicht solltet Ihr mal da hinter dem Fass suchen!" und der Mann wankt couragiert wie ein tapsiger Bär auf euch zu…

Wachen reagieren nicht nur auf Lärm und Leichen, sondern auch auf offene Türen, Blutlachen oder verschobene Stühle. Es kann euch passieren, dass ihr gerade mit den Dietrichen an einem Schloss hantiert, auf den lösenden Rumble-Effekt wartet, und die Tür plötzlich geöffnet wird. Alarmierte Soldaten rufen Verstärkung und gehen je nach Charakter lange Suchwege. Aber meist kann Garrett relativ einfach die Beine in die Hand nehmen und sich in den Schatten flüchten. Wer es knackiger mag, kann den Schwierigkeitsgrad in Sachen Wahrnehmung, Kampfverhalten, Gegnerzahl und Schaden in vier Stufen anpassen.

Die mit dem Hammer tanzen: Ja, mit den Kerlchen ist nicht zu spaßen. Am besten Blitzbombe und weg...

Diebischer Schulterblick

Ihr erlebt das Abenteuer zum ersten Mal wahlweise in der Ego- oder der Schulterperspektive - ein Knopfdruck genügt und die Kamera schaltet um. Letztere ermöglicht auch endlich einen genaueren Blick auf den Altmeister der Stealth-Action. Wenn ihr die Kamera mit dem Analogstick dreht, könnt ihr sehen, wie liebevoll der Meisterdieb designt und texturiert wurde: Unter der Kapuze funkelt das vernarbte Auge, Lederriemen und Beutel schimmern leicht erhellt im Schatten, während sich Garrett unter der Kapuze verstohlen umblickt.

Es macht einen Riesenspaß, in der Schulterperspektive durch die Korridore zu haschen, denn wenn Sternenlicht durch Schießscharten flimmert oder Fackelflammen züngeln, erhellt das Licht nicht nur die Konturen der Figur, auch die Schatten werden realistisch gebrochen – ähnlich famos wie in Deus Ex: Invisible War . Ihr streift durch eine herrlich verschlungene mittelalterliche Stadt mit engen Gassen, Nischen und Gewölben; sogar ein Schiff wartet im Hafen auf lautlose Entdecker und es gibt schummrige Tavernen, Burgen und Villen. Dank der Physik-Engine schwingen Deckenleuchter oder Wirtshausschilder und Fässer rollen Abhänge hinab.

__NEWCOL__Akrobatische Schwächen

Allerdings offenbart die neue Schulterperspektive auch einige Schwächen: Die Animationen und Bewegungsroutinen ließen in dieser Alpha-Fassung noch zu wünschen übrig; auch das Um-die-Ecke-Schauen flutschte noch nicht sauber. Zwar bewegt sich Garrett geduckt wie ein Panther, aber sobald er z.B. Treppen hinabgeht, beginnt er leicht zu zucken oder verfällt in eine Gleitbewegung. Außerdem konnten wir uns nur stehend an Wände drücken – in der Hocke verweigerte der Dieb diese wichtige Tarnpose. Und wenn Garrett Leitern erklimmt, wird zu Beginn noch eine falsche Laufbewegung gezeigt.

Auch eine Vorwärtsrolle oder das Klettern an Rohren haben wir vermisst; ganz zu schweigen von delikaten Kunststücken wie z.B. Fisher Sams Sprungspagat. Schwimmeinlagen sind übrigens komplett dem Rotstift zum Opfer gefallen. Obwohl diese Eindrücke im Hinblick auf die Animationsfehler und die leichten Ruckler noch nicht dem finalen Stadium entsprechen, scheint Garrett in Sachen Akrobatik, Anmut und Eleganz nicht an Sam Fisher heran zu kommen. Und die Tatsache, dass der Langfinger schon aus einer großen Distanz so manche Gegenstände und Schätze greifen kann, dämpft die Realismus-Freude.

Keine Angst: Zwar treffen Magie und Maschinen aufeinander, aber es bleibt bei metallenen Konstrukten - Dampfmaschinen gibt`s nicht!

Ein Wermutstropfen für Freiheitsliebende sind auch die künstlichen Grenzen: Nicht nur die einzelnen Stadtteile, sondern auch so manche Abschnitte innerhalb einer Festung werden mit Ladezonen verbunden – selbst auf dem PC. Dadurch wirkt das Abenteuer etwas zerstückelt und weniger homogen als z.B. die 3D-Welt in Gothic 2 . Dafür sind die Karten insgesamt größer als noch in Deus Ex: Invisible War  und ihr könnt jederzeit speichern. Außerdem sollen bis zum Release die noch recht langen Wartezeiten auf ein Minimum reduziert werden.

Ausblick

Wer ist der beste Schleicher im ganzen Land? Sam Fisher? Solid Snake? Oder doch Garrett? Das lässt sich anhand der angespielten Alpha-Fassung zwar nicht entscheiden, da sie noch zahlreiche Fehlerchen enthielt, aber eines ist jetzt schon klar: Das Warten lohnt sich. Thief hat eine wesentlich bessere KI als Deus Ex 2 und sorgt für unterhaltsame Katz-und-Maus-Spiele in engen Gassen und düsteren Gewölben. Sowohl die Gespräche als auch die Suchroutinen wirken verblüffend lebendig und entfachen eine knisternde Atmosphäre. Es sind eher diese kleinen, aber feinen Detailverbesserungen als große Neuerungen, die den dritten Teil auszeichnen. Und während euch Splinter Cell: Pandora Tomorrow an der engen Leine schleichen ließ, schnuppert ihr hier mehr Handlungsfreiheit: das Leveldesign ist offener, fehlertoleranter und weniger auf Trial-and-Error fixiert. Nur im Animationsbereich dürfte Sam Fisher die Nase vorn haben, denn trotz der neuen Kletterhandschuhe bewegt sich der Dieb nicht ganz so anmutig und akrobatisch wie der Spezialagent. Schade auch, dass die mittelalterliche Welt von sehr vielen Ladezonen zerstückelt wird. Aber noch hat das Team von IonStorm Zeit für Feintuning, noch haben wir kein Wort über die intrigante Story, die gesprochenen Briefings, die schönen Statistiken und die grandiose Soundkulisse von Eric Brosius verloren. Daher hat der Meisterdieb im Test gute Chancen, mit seinem Spielspaßpfeil ins Schwarze zu treffen!

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