Rainbow Six Siege04.12.2015, Benjamin Schmädig

Im Test: Durch Schutt und Rauch

Ein mutiges Konzept: Rainbow Six Siege (ab 7,50€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) pfeift in jeder Hinsicht auf Solisten! Zum einen verzichtet der Multiplayer-Shooter auf eine Kampagne, zum anderen macht er das Zusammenspiel als Team so wichtig, dass Einzelgänger kaum eine Chance haben. Wer nach einer Runde Star Wars Battlefront hier durch die Häuser stürmt, als würde er die Rebellenbasis auf Hoth erstürmen, fällt ohnehin als Erster. Das haben wir im Test jedenfalls zur Genüge erlebt.

Ruhe und Lärm

Sie lassen sich schwer in Worte fassen, diese Momente, in denen das gesamte Team plötzlich verstummt, lautlos am Boden liegt und lauscht, wo die ersten Schritte zu hören sind. Ein Mitspieler schaut durch die im Haus platzierten Überwachungskameras, ein anderer flüstert, als er Füße hinter einer Tür entdeckt. Fünf Mann, verschanzt in einem einzigen Raum, die darauf warten, dass an irgendeiner Stelle eine Sprengladung hochgeht, während sie vom Fenster aus unter Beschuss geraten. Rauch, Blendgranaten, irgendwer zündet einen C4-Sprengsatz. Dann herrscht wieder Ruhe.

Die Explosionen haben gleich mehrere Wände zerfetzt. Eine ist komplett zerstört und bietet Gegnern einen neuen Zugang, eine andere ist zumindest so zersplittert, dass gut platzierte Spieler durch die Löcher schießen können. Ein Mutiger könnte das Fenster neu verbarrikadieren.

Es gibt Situationen, in denen man sich nebeneinander vom Dach abseilt, um gleichzeitig an zwei Fenstern durchzubrechen, oder Einsätze, in denen man ein Loch in die Decke sprengt, um mitten in den bewachten Frachtraum

Explosionen und ihre taktischen Folgen: Rainbow Six Siege inszeniert moderne Action.
eines Flugzeugs zu springen. Oder unser hysterisches Kreischen, wenn der letzte Lebende unseres Trupps erst die Geisel halb tot schießt, bevor er dann doch noch den plötzlich auftauchenden Gegner erwischt.

Counter-Strike 2.0

Rainbow Six Siege ist ein modernes Counter-Strike. In jeder Runde muss eine Gruppe von fünf Terroristen entweder eine Geisel abschirmen, zwei Bomben schützen oder einen Giftgasbehälter bewachen, während fünf Spezialisten der Anti-Terror-Einheit Rainbow Six versuchen die Geisel zu befreien, die Bomben zu entschärfen oder die Chemikalie zu sichern. Die Prämisse gleicht dem Platzhirsch unter den Team-Shootern...

... die Ausführung trägt das Konzept aber weiter. Denn vor dem Einsatz sichern die Terroristen ihre Position: Sie befestigen Wände, um Durchschüsse zu verhindern, verbarrikadieren Fenster und Türen, legen Stacheldraht sowie Sprengstoff-Fallen, platzieren ein schweres Maschinengewehr und teilen zusätzliche Panzerung

PC, PlayStation 4 oder Xbox One? Die PC-Version läuft - einen flotten Rechner vorausgesetzt - am schnellsten und zeigt das schärfste Bild. Unter den Konsolenfassungen hat die PS4-Version vor allem deshalb die Nase vorn, weil sie in einer höheren Auflösung läuft.
untereinander auf. Die Regenbogen-Truppe lenkt in dieser Phase Drohnen durch das Haus oder Flugzeug, um die Position von Bomben oder Geisel zu markieren.

Wenige Minuten bleiben den Rainbows, sobald es losgeht – das aus Spezialisten unterschiedlicher Länder zusammengesetzte Kommando muss also konsequent stürmen, während sich die Terroristen aufs Verteidigen konzentrieren. Das macht es ihnen nicht einfacher, sorgt aber für eine abwechslungsreiche Spielweise. Immerhin wechseln die Rollen nach jedem Einsatz. Drei Einsätze benötigt ein Team zum Sieg, vier in einer Ranglistenpartie. In einer der Letzteren stimmen Terroristen zudem über den Standort ihrer Verteidigung ab, wobei die Rainbows wählen, von wo aus sie starten wollen. Dadurch entstehen keine vorhersehbaren "Fronten".

Intim, nicht eilig

Dafür sorgt auch die Ausrüstung der Einheiten beider Seiten, denn jeder Trupp besteht aus fünf einzigartigen, so genannten Operatoren, die sich zudem teamübergreifend komplett unterscheiden. Abgesehen vom Rekruten ohne besondere Fähigkeit wird jede Einheit dabei nur einmal gewählt. Fuze platziert als Angreifer etwa einen Kanister voller Granaten an Barrikaden, die auf Knopfdruck in den Raum dahinter geworfen werden. Twitch schaltet mit ihrer Spezialdrohne feindliche Fallen aus, Glaz legt sich als Scharfschütze auf die Lauer, Thermite sprengt selbst verstärkte Blockaden und Montagne bietet sich und seinen Kameraden hinter einem großen Schild Schutz. Unter den Terroristen heilt Doc angeschossene Mitstreiter, Jägers Granatenabwehr wirft die Sprengsätze einfach zurück, Smoke zündet Giftgasgranaten und Pulse ortet den Herzschlag naher Angreifer.

Obwohl alle Einheiten ihr Team sinnvoll ergänzen, liegt der Schlüssel zum Erfolg in einer sinnvollen Kombination dieser Fähigkeiten. Und natürlich im Üben, Üben, Üben! Denn die meisten Einsätze sind schnell vorbei, gefallene Kämpfer werden nicht wiederbelebt und die vergleichsweise langsamen Bewegungen sorgen oft dafür, dass einmaliger Beschuss tödlich endet. Das Bilden eines Trupps, zumindest aber das Kommunizieren per Headset, ist deshalb unabdingbar. Manche Einzelkämpfer verbuchen zwar viele Abschüsse, haben gegen koordiniert flankierende Gegner aber kaum eine Chance. Dass man kriechen und sich zur Seite lehnen kann, unterstreicht den taktischen

Neben den Teamduellen und der koopertiven Terroristenjagd üben Solisten auch in zehn so genannten "Situationen". Das ist im Wesentlichen eine Terroristenjagd für einzelne Spieler, in denen sie die Einsatzgebiete sowie einige Einheiten beider Seiten kennenlernen.
Anspruch. Siege inszeniert intime Positionskämpfe statt rasanter Rennschlachten.

Abrissmeister und Konstrukteure

Eine gute Kenntnis der zehn Einsatzgebiete ist deshalb unerlässlich, wichtiger sogar als in anderen Online-Shootern. Erstens sind sämtliche Karten nämlich hervorragend gestaltet! Die verwinkelten und mit Möbeln zugestellten Räume bieten viel Deckung, sind oft aber über so viele Wege erreichbar, dass auch Mitglieder eines gut aufgestellten Teams mehrere Zugänge im Auge behalten sollten.

Denn zweitens – und das ist die herausragende Stärke dieses Spiels – sind zahlreiche Wände sowie Teile der Decken und Böden zerstörbar. Ein Zugang ist also nicht nur eine Tür oder ein Fenster. Es sind auch Holzwände, die gesprengt wurden oder Spanplatten, in die mit einem Hieb des Kolbens Löcher geschlagen wurden. Weil Schüsse weiches Material durchdringen, sind hinter den Bruchstellen postierte Schützen dabei keineswegs sicher: Etliche Tode gehen auf das Konto von Spielern, die die Position feindlicher Kämpfer erahnen oder von ihren Mitstreitern zugesteckt bekommen.

In zehn Einsätzen wird die reaktivierte Rainbow-Einheit rund um die Welt geschickt.

Die Dynamik der Gefechte ist einzigartig! Sichtlinien ändern sich ständig, vorhandene Deckung ebenso. Das hat ja nicht nur mit der Zerstörung an sich zu tun, die es in anderer Form u.a. in der Red-Faction-Serie schon gab: Das Besondere ist die vielseitige Art des Splitterns, Einreißens und Durchbrechens sowie die daraus folgende taktische Entwicklung.

Weil viele Räume außerdem über Zugänge im Boden oder in der Decke erreichbar sind, spielt die vertikale Bewegung eine große Rolle. Hinzu kommen die Fähigkeiten der zehn Einheiten, aus denen ein Team seine fünf auswählt. Castle kann Türen und Fenster etwa zusätzlich verstärken, Thermite hat Sprengstoff für verstärkte Wände im Gepäck. Weil man vorher nie weiß, welches Team mit welchem Operator anrückt, liegt die Kunst nach dem Zusammenstellen eines effektiven Trupps im schnellen Reagieren auf die Umstände vor Ort.

Kauf mich, kauf mich!

Leider patzt Ubisoft beim Freischalten der Einheiten, denn so schnell man anfangs einen neuen Operator erhält, so lange dauert es, bis man aus allen wählen darf. Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich das Beschleunigen des Sammelns von z.B. Erfahrungspunkten durch den Einsatz für Echtgeld erhältlicher Booster nicht grundsätzlich verurteile. Warum auch? Es wirkt sich doch nicht spürbar aus, so lange diese Beschleuniger den Spielfluss nicht beeinträchtigen.

Aber genau das tun sie in diesem Rainbow Six! Und das trübt den Spaß. Dass man kosmetische Artikel wie Lackierungen der Waffen für Echtgeld kaufen kann – geschenkt. Ubisoft verzichtet zum Glück auf den Verkauf zentraler Inhalte wie Waffen oder Einheiten. Die Menge benötigter Punkte für den Erwerb eines Operatoren zieht

Das Freischalten neuer Einheiten und besserer Waffen zieht sich zu lange hin.
allerdings mit jeder Einheit derselben Gruppe an, die man bereits besitzt. Benötige ich für den ersten Operator also 500 Punkte, sind es beim zweiten 1.000, dann 1.500 und schließlich 2.000. Das entspricht bei 20 Einheiten in insgesamt fünf Gruppen vielen Spielstunden.

Es sind nämlich nicht nur die Einheiten selbst; hinzu kommen Verbesserungen ihrer Waffen, wie alternative Visiere und das Dämpfen des Rückstoßes. Diese Modifikationen müssen für jede Waffe (fast jeder Operator kann aus verschiedenen Primär- und Sekundärwaffen wählen) einzeln vorgenommen werden. Auf einen freigeschalteten Operator kommen so oft tausend weitere Punkte – für nur ein Ausrüstungsset. Und dieses Freischalten ist nicht motivierend. Es ist spätestens nach der zehnten Einheit ein müßiges Klickwerk, das ich am liebsten hinter mich bringen wollte. Mit anderen Worten: Siege drängt unangenehm deutlich zum Kauf eines Boosters.

Start-Neustart

Ein großes Ärgernis ist auch das mitunter lange Warten auf den Start einer Partie. Meiner Erfahrung nach hat das Matchmaking umso mehr Probleme, je größer der startende Trupp ist. Nach Abschluss einer Partie hängt sich die Spielersuche zudem gerne so lange auf, dass man am besten ein neues Match erstellt. Durch Verbindungsabbrüche fliegen Mitstreiter außerdem aus Ranglistenspielen, in denen sie nicht ersetzt werden oder wieder hinzugeholt werden

Wie haben wir gespielt? Zum Test stellte uns Ubisoft alle Versionen des Spiels samt Season Pass zur Verfügung. Damit erhielten wir einen um fünf Prozent schnellern Fortschritt beim Erwerb neuer Einheiten - der Unterschied ist vernachlässigbar.

Der Season Pass (weitere Informationen) enthält außerdem so viel Spielwährung, dass wir einen dreitägigen Booster einsetzen konnten, der den Erhalt der für das Freischalten notwendigen Punkte um 50 Prozent beschleunigt. Wir haben zunächst ohne Booster gespielt und ihn erst zum Schluss aktiviert. Der Unterschied macht sich bemerkbar - auch mit Booster gehört das Freischalten allerdings nicht zu den Stärken des Spiels. können - für betroffene Teams sind die oft hart umkämpften Partien dann so gut wie verloren. Das darf in einem Spiel wie diesem natürlich nicht passieren.

"Was in Vegas passiert, geschieht auch hier!"

Wer sich von den Teamduellen entspannen möchte, dem bietet Siege übrigens die "Terroristenjagd" - eine aus Rainbow Six: Vegas bekannte Variante, in der fünf Spezialisten gegen vom Spiel gesteuerte Feinde in den Einsatz ziehen. Das ist auf dem normalen Schwierigkeitsgrad eine lockere Übung zum Kennenlernen der Karten, wird auf "Schwer" angenehm fordernd und stellt auf "Realistisch" selbst Könner vor eine anspruchsvolle Aufgabe.

Die Terroristenjagd ist eine unterhaltsame Abwechslung – unterm Strich aber nur im Sinn einer gelungenen Dreingabe. Mehr kann sie in Anbetracht des miserablen Verhaltens der Gegner ohnehin nicht sein: Die meisten Papp-Terroristen warten ja fast durchgehend wie Zielscheiben auf ihren Abschuss, verweilen selbst nach dem Sichten der Regenbogen-Spezialisten starr an ihren Positionen und bemerken flankierende Spieler gerne dermaßen spät, dass Situationen entstehen, die ihre eigene Parodie sein könnten.

Weil sie schnell und genau zielen, sind es gefährliche Zielscheiben! Nach bestimmten Aktionen löst das Spiel zudem einen Ansturm mehrerer Terroristen aus, der für heikle Momente sorgt. Alles in allem ist die KI aber lediglich ein krudes Werkzeug, um in denselben Gebieten, in denen auch die normalen Gefechte stattfinden, eine zusätzliche Spielart zu ermöglichen.

Fazit

Ich hatte mich riesig auf diesen Test gefreut – und ich habe ihn in vollen Zügen genossen! Unter den Online-Shootern ist Rainbow Six Siege die Erfüllung fast aller meiner Wünsche: Bedachtes Vorgehen ist sinnvoller als der schnelle Rush, umsichtiges Positionieren wichtiger als rasante Reaktionen und ein durchdachtes Teamwork, schon bei der Wahl der Spielfigur, unverzichtbar. Klasse sind die gegensätzlichen Siegbedingungen beider Seiten sowie die vielen Kämpfer mit ihren besonderen Fähigkeiten. Spannend ist die Aufklärung des Gebiets vor dem eigentlichen Start, das aktive Verschanzen der Terroristen und die Tatsache, dass Drohnen und Kameras auch mitten im Einsatz eine Rolle spielen. Ärgerlich, dass die Gegner der kooperativen Terroristenjagd so vehement dem zweiten Buchstaben in "KI" spotten, Netzwerkprobleme oft das Erstellen einer Partie verzögern oder eine laufende unterbrechen und das langwierige Freischalten neuer Einheiten so aufdringlich zum Boosterkauf lockt - dass Mikrotransaktionen und vor allem Verbindungsschwächen deutlich ins Spielgeschehen eingreifen, kostet das Spiel unsere höchste Auszeichnung. Grandios dafür die vielen zerstörbaren Wände, denn durch kleine Bruchstellen, winzige Einschlaglöcher und große Durchbrüche ändern sich ständig die Bedingungen in den hervorragend gestalteten Umgebungen. Rainbow Six Siege ist nicht weniger als ein neues Counter-Strike: Die dynamischen Schauplätze sind der Maßstab für taktisch anspruchsvolle und schnörkellose Action!

Pro

Kampf in engen Räumen statt großflächige Action erzeugt packende, intime Momente
viele Wände und Befestigungen sind auf unterschiedliche Weise zerstörbar, weshalb sich Umgebung ständig ändert
hervorragende Raumgestaltung mit Ausnutzen der Horizontalen und Vertikalen
aktives Verschanzen und Aufklären vor und während jedem Einsatz
Einheiten mit besonderen Fähigkeiten unterstützen Teamplay und verschiedene Vorlieben
keine nennenswerten Nachteile für Anfänger ohne freigeschaltete Charaktere
nur ein Leben pro Einsatz unterstreicht Notwendigkeit guten Zusammenspiels
vergleichsweise langsames Bewegen, Kriechen und Neigen zur Seite unterstützen das taktische Stellungsspiel
freie Wahl der Startpunkte in Ranglistenpartien
Blick durch z.B. zerstörbare Sicherheitskameras nach Ableben, aber keine freie Kamera
hervorragende Sounddesign macht Ton zu spielentscheidendem Element
Einbindung von Sprachchat und Truppbildung
zahlreiche Optionen beim Erstellen eigener Partien
spannende kooperative Terroristenjagd gegen vom Spiel gesteuerte Gegner

Kontra

zähes Freischalten neuer Charaktere und verbesserter Waffen drängt unangenehm stark zu Boosterkauf
Spielerstellung muss häufig neu gestartet werden
Gegner in Terroristenjagd bewegen sich kaum und reagieren spät, wenn sie z.B. flankiert werden
Bomben könnten weiter voneinander entfernt stehen, um sich deutlicher von Beschützen/Sichern des Giftgasbehälters zu unterscheiden

Wertung

PC

Die dynamischen Schauplätze sind ein neuer Maßstab für schnörkellose, taktisch anspruchsvolle Action!

PlayStation4

Die dynamischen Schauplätze sind ein neuer Maßstab für schnörkellose, taktisch anspruchsvolle Action!

XboxOne

Die dynamischen Schauplätze sind ein neuer Maßstab für schnörkellose, taktisch anspruchsvolle Action!

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