D4: Dark Dreams Don't Die02.10.2014, Mathias Oertel
D4: Dark Dreams Don't Die

Im Test: Surreales Comic-Abenteuer à la Lynch

Swery, der Regisseur von D4: Dark Dreams Don’t Die, hat sich vor kurzem darüber beklagt, dass der Xbox-One-exklusive Titel vom Microsoft-Marketing stiefmütterlich behandelt wurde. Auch wir sind eher per Zufall und nur dank des interessanten Comicstils auf den neuen Titel des Deadly-Premonition-Machers gestoßen. Besteht tatsächlich Anlass, das als Episoden-Adventure konzipierte Spiel totzuschweigen?

Anime zwischen Lynch und Tarantino

Amanda gehört zu den seltenen Geschöpfen, deren Augen jeweils eine andere Farbe haben, Blau und Grün. Sie ist verspielt, maunzt meist fröhlich vor sich hin und als man ihr in der Rolle des traumatisierten Ex-Polizisten David Young begegnet, bietet sie ihrem Hausgenossen eine Maus an – wie es sich gehört, möchte man meinen. Doch Amanda ist keine Katze. Sie bewegt sich zwar wie eine und mit ihrem engen schwarzen Bodysuit und der Schleife im Haar werden katzenartige Assoziationen gefördert, doch sie ist eine junge Frau - wenngleich eine sehr schweigsame und mit seltsamen Verhaltensweisen. Doch innerhalb des abgefahrenen Spektrums an Figuren, denen man begegnet, ist sie beinahe noch die normalste. Regisseur  Swery (aka Swery65), den die meisten vermutlich als Schöpfer von Deadly Premonition kennen, zieht alle Register und spielt mit zahlreichen Klischees, um Charaktere zu schaffen, die auch aus der Feder von David Lynch (Blue Velvet, Twin Peaks), Abel Ferrara (Bad Lieutenant, King of New York) oder Quentin Tarantino stammen könnten.

Die wortkarge Amanda ist beispielhaft für die surrealen Charaktere in D4.
Die Stewardess Olivia Jones (nicht zu verwechseln mit der deutschen Drag Queen) ist nicht so naiv wie sie scheint. Ihr drogensüchtiger Kollege Phillip Cheney (dessen Drogeneinnahme an Gary Oldmans Darstellung von Detective Stansfield in Leon - Der Profi erinnert) deutet hinter der service-orientierten Fassade immer wieder gewalttätiges Verhalten an. Auch die anderen Figuren wie die komplett neurotische und von Flugangst geplagte Deborah Anderson, der knallharte US-Marshall  Derek Buchanan oder der Modeschöpfer Duncan, der durchgeknallter ist als Harald Glööckler, Karl Lagerfeld und Rudolf Moshammer zusammen, stammen allesamt aus einem Kuriositätenkabinett. Ganz zu schweigen von dem geheimnisvollen Roland Walken, der stets Messer und Gabel aneinander reibt und hinter seinem Mundschutz so langsam spricht, dass man vor dem Bildschirm beinahe einschläft. Selbst Forrest Kaysen, eine Figur (oder besser: ein virtueller Darsteller) aus Deadly Premonition, gibt sich ein Stelldichein und ist hier als David's Ex-Arbeitskollege "Teddy" mit von der Partie und gibt ihm ab und an Einblick in die Polizeiakten.

Konservativer Trauma-Detektiv

Könnte Derek Buchanan das "D" sein, das für den Tod von Davids Frau Peggy verantwortlich ist?
Swery hat für sein in konsequentem Comicstil gehaltenes Mystery-Adventure eine illustre Riege an Figuren erschaffen, die in diesem als episodische Fernsehshow inszenierten Kammerspiel (es gibt nur vier Schauplätze) alles nur Erdenkliche tun, um die Hauptfigur zu unterstützen, zu behindern oder einfach nur aus dem Konzept zu bringen. Die Situationen, die man dabei erlebt, sind mitunter verstörend, dann wieder einfach nur albern, bevor die Geschichte wieder eine Wendung nimmt und in Drama oder eskalierende Gewalt abdriftet. Dabei ist die erzählerische Basis sehr konservativ: David versucht, den Mord an seiner Frau Peggy aufzuklären, der in Zusammenhang mit der Designer-Droge "Real Blood" steht und der ihn seinen Job als Polizist und beinahe auch sein Leben gekostet hätte. Doch er hat überlebt und seit der Tat die Fähigkeit, über so genannte Mementos (Gegenstände oder Beweisstücke, die Erinnerungen gespeichert haben) in die Vergangenheit abzutauchen. Diese Fähigkeit möchte er nutzen, um die Geschichte zu verändern und so den Mord an Peggy zu verhindern.

Mechanisch zeigt sich D4 ebenfalls konservativ - auch angesichts der letzten Adventure von Telltale wie The Walking Dead oder The Wolf Among Us. Denn die teilen sich nicht nur den visuellen Comic-Ansatz mit diesem surrealen Trip durch Zeit und Verstand, sondern auch bestimmte Kontrolloptionen in der Umgebungsinteraktion. Es gibt aber auch Momente, in denen man sich an Heavy Rain erinnert fühlt: Wer sich die Zeit nimmt und die Umgebung eingehend betrachtet, wird zahlreiche Kleinigkeiten finden, die mit der Hauptaufgabe nur wenig oder gar nichts zu tun haben, aber helfen, die leicht abseits des Normalen stehende Welt von David Young genauer zu verstehen. Man kann Briefe von Peggy finden, Zeitschriften mit scheinbar nutzlosen Sportberichten etc. lesen und vieles mehr.

Kinect-Spürnase

Obwohl sich D4 natürlich sehr gut mit Pad spielen lässt, würde ich empfehlen, die Kinect-Steuerung zumindest einmal auszuprobieren. Nicht nur, weil sie bequem aus sitzender Position abrufbar ist. Sondern auch, weil die dezenten Gesten beim Öffnen von Schränken, der Änderung der Position, um einen anderen Blickwinkel zu erhaschen oder sonstiger Interaktion mit der Umgebung zum einen natürlich wirken, zum anderen richtig gut erkannt werden. Auch in den rasant geschnittenen und hinsichtlich der Inszenierung an Tsui Hark oder John Woo erinnernden "Stunt-Sequenzen", in denen man als Reaktionstest etwas größer angelegte "Wischgesten" verwenden muss, erscheinen die Abläufe natürlich. In dieser Hinsicht ist das Adventure für den sinnvollen Kinect-Einsatz ähnlich effektiv zu sehen wie seinerzeit Another Code für in das Spielkonzept eingeflochtene neue Kontrolloptionen auf dem DS. Man bewegt sich z.B. über das "Anklicken" von Symbolen auf dem Boden.

Die Inszenierung orientiert sich an Mystery-Serien.
Und über allem liegt ein surrealer Nebel, den man im Laufe des Prologs sowie zwei Episoden zu lichten versucht, was insgesamt etwa vier bis fünf Stunden in Anspruch nimmt. Danach kann man erneute Anläufe unternehmen, die allerdings hinsichtlich der linearen Geschichte oder dem fiesen Cliffhanger nach Episode 2 keine neuen Erkenntnisse bringen. Hier gibt es im Gegensatz zu The Walking Dead keine Entscheidungen, die es zu treffen gilt und die nachfolgende Begegnungen oder Durchläufe beeinflussen. Allerdings kann man mit beharrlichem Verfolgen von Dialogen innerhalb der leidlich verzweigten Gesprächsbäume zahlreiche Nebenmissionen finden, die den Zweck verfolgen, die Spielwelt greifbarer zu machen und manche Figuren-Beziehungen zu vertiefen. Ein Quiz über Luftfahrt-Grundlagen gehört ebenso dazu wie Hol- und Bringdienste oder ein Minispiel, in dem man von oben nach unten fallende Kleeblätter über Berührung sammeln muss.

Drei Mal Gesundheit?

Die optionale Kinect-Steuerung funktioniert bis auf eine Ausnahme sehr gut und zieht einen mit intuitiven Gesten in die Welt.
Bei all dem muss man allerdings auf drei Anzeigen achten, darunter die "Visions-Anzeige": Wenn man nicht weiterkommt, kann man eine Sicht aktivieren, in der Interaktionsmöglichkeiten oder eventuelle Geheimnisse farblich hervorgehoben werden. Jede Verwendung und das Aufrechterhalten der Vision kostet allerdings Energie. In Geschicklichkeitstests, den Stuntszenen oder beim unvorsichtigen Erforschen der Umgebung kann man Lebensenergie verlieren. Und zu guter Letzt die wichtigste Anzeige: Die Aktionspunkte. Nahezu alles, was man in der Spielwelt manipulieren kann, kostet Punkte - kleine Aktionen weniger, Aufwändigeres mehr. Antworten in Gesprächen, Öffnen von Schränken, Hinsetzen. Einfach alles. In manchen der seltenen Trial-und-Error-Situationen kann diese Energie zwar nervenzehrend zur Neige gehen, doch man dürfte nur selten den Punkt erreichen, an dem die fehlende Ausdauer dafür verantwortlich ist, wegen Erschöpfung zum letzten Kontrollpunkt zurückkehren zu müssen.

Merkwürdige Charaktere, wohin man auch schaut.
Auffrischen kann man seine Lebens- oder Visionsenergie sowie die Ausdauer in den von Katzen (!) geführten Shops. Hier ist allerdings der einzige Schwachpunkt der Kinect-Steuerung zu finden, das Scrollen durch die Angebote ist deutlich fitzeliger als der Rest der Berührungssteuerung. Zudem ist das Ausdauer-Konzept für mich zu viel des Guten. Es hilft nicht, Spannung zu erzeugen, sondern führt eher zu Frust, da man nur genötigt wird, lange Weg zurück zur letzten Katze in Kauf zu nehmen, bevor man die Umgebung weiter erforschen kann. Zumal auch das dafür benötigte Kleingeld in ausreichenden Mengen vorhanden ist, wenn man kleine Aufgaben erfüllt und die Umgebung erforscht. Schade ist auch, dass es keine komplexeren Rätsel gibt. Die Aufklärung der Fälle hängt nicht vom eigenen deduktiven Verstand ab. Hat man alle Beweise über Gespräche oder akribische Suche gefunden, übernimmt David das Kommando und erzählt einem, was passiert ist. Hier wäre es zumindest in Ansätzen interessanter gewesen, wenn sich D4 etwas bei Square Enix' Murdered: Soul Suspect bedient hätte und den Spieler von Zeit zu Zeit fragt, wie es zu dieser oder jener Situation gekommen sein könnte.

Fazit

Der Comicstil und in Grundzügen auch das mechanische Fundament mögen an die letzten Telltale-Abenteuer erinnern. Doch inhaltlich ist D4: Dark Dreams Don't Die ein fantasievolles surreales Konstrukt um einen traumatisierten Ex-Cop, dessen Inszenierung sowie Charakterzeichnung die Handschrift von Spieleregisseur Swery (Hidetaka Suehiro) trägt. Und nachdem er in dem kontrovers diskutierten Titel Deadly Premonition aus dem Jahr 2010 bereits David Lynch’s Twin Peaks zitierte, ist es nicht verwunderlich, dass auch hier zahlreiche Anleihen bei dem US-amerikanischen Kult-Regisseur zu finden sind. Zusammen mit absurden Situationen, ausufernden Trivial-Dialogen à la Tarantino und mitunter explosiver Gewalt, die Abel Ferrara mit Stolz erfüllen dürfte, inszeniert D4 ein interessantes Mystery-Adventure im Stile von TV-Serien. Allerdings findet das Vergnügen schon nach zwei Episoden mit einem Cliffhanger ein vorläufiges Ende. Zudem bleiben die Ermittlungen linear, bieten einem keine Entscheidungen und abseits von akribischer Spurensuche auch keine komplexen Rätsel, während das unpassende Ausdauersystem eher für Frust statt für Spannung sorgt. Dafür überzeugt die optionale Kinect-Steuerung, die einen mit einfachen, aber sehr intuitiven Gesten durch die mysteriöse Comic-Welt führt. Ich hoffe, es dauert nicht lange, bis Microsoft und Access Games die nächsten Episoden veröffentlichen. So machen Adventure Spaß.

Pro

herrlich surreale Figuren
stimmiger Comic-Stil
sehr gute Kinect-Steuerung...
spannende Story
viele Nebenbeschäftigungen
Präsentation als TV-Show
gute englische Sprachausgabe, weitgehend saubere deutsche Untertitel

Kontra

keine Entscheidungen
lineares Mystery-Kammerspiel
... bei der nur die Shop-Navigation aus dem Rahmen fällt
Ausdauer-Anzeige sorgt für unnötigen Frust statt für Spannung
mit zwei Episoden plus Tutorial-Prolog etwas kurz geraten

Wertung

XboxOne

Gelungenes Mystery-Adventure mit gut funktionierender optionaler Kinect-Einbindung und einem herrlich surrealen Grundton.

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