Im Test: Zwischen Erde und Mond
Was verschweigt das stille All?
Es interessiert mich schon, warum Programmierer Johnnemann Nordhagen mit Where the Water Tastes Like Wine nicht nur sein eigenes Erzählspiel entwickelt, sondern sich mit dem Namen seines aktuellen Studios (Dim Bulb Games) auch scheinbar gegen seine alte berufliche Heimat (The Fullbright Company) positioniert.
Viel mehr interessiert mich allerdings, was an Bord der Tacoma, einer Transferstation zwischen Erde und Mond, passiert ist, nachdem ein Zwischenfall beinahe alle Sauerstoffvorräte vernichtet und die Kommunikation lahmgelegt hat. Immerhin soll ich in der Rolle von Amy Ferrier die Aufzeichnungen des Bordcomputers sowie die KI selbst sicherstellen. Und ich war quasi mittendrin, als das Unglück geschehen ist, obwohl ich erst nach den Ereignissen auf der Station angekommen bin.
Ein Blick in die Vergangenheit
Möglich machen das die holografischen Aufzeichnungen, mit denen Sprache und Bewegungen aller Besatzungsmitglieder festgehalten werden. Diese kann ich nicht nur beliebig oft ansehen, ich kann auch jederzeit vor und zurück spulen und so z.B. sehen, was verschiedene Leute zum selben Zeitpunkt gemacht haben. Man fühlt sich wie eine dritte Person, wenn sich zwei von ihnen unterhalten, und beobachtet genau, welche Tätigkeiten
Auf diese Art fügen Gaynor und Zimonja dem typischen Abgrasen menschenleerer Kulissen eine Art Eingreifen hinzu, das das Erlebte lebendiger wirken lässt – schön, dass sich das Erzählspiel also nach Firewatch, Sunset und zuletzt What Remains of Edith Finch einmal mehr weiterentwickelt!
Greifbare Hologramme
Die Aufnahmen der Charaktere wirken auch deshalb so greifbar, weil nicht nur die Animationen an sich liebevoll gemacht sind, sondern weil man vor allem häufig sieht, wie jemand Gegenstände umhertrug, über Hindernisse stieg oder sich an einer Wand abgestützt hat. Da die Entwickler an viele solcher Kleinigkeiten gedacht haben, sind ihre holografischen Figuren erstaunlich fest mit der Umgebung verankert.
Dass meist mehrere Personen an ganz verschiedenen Stellen aufgezeichnet wurden, verleiht den Aufzeichnungen eine zusätzliche Tiefe. Die wenigsten Unterhaltungen führen sie zudem beim videospieltypischen Gegenüberstehen, sondern indem sie sich durch die Gänge der Tacoma oder aufeinander zu bewegen oder ganz anderen Tätigkeiten nachgehen. Natürlich hatten es die Entwickler dabei relativ einfach, weil sie Amy beim Inszenieren dieser Gespräche als mögliches Hindernis ihrer Akteure ignorieren konnten; durch sie gehen die Hologramme ja einfach hindurch. So oder so entstehen dadurch aber eben sehr glaubwürdige Momente.
Das ABC des Erzählspiels
Und natürlich rollt man die Geschehnisse nicht nur anhand dieser Aufzeichnungen auf. Vielmehr untersucht man auch gespeicherte Chats, liest kurze Notizen, Zeitungsartikel, Buchbeschreibungen und mehr. Da man dafür meist holografische Menüs bedient: Fullbright gelingt auch eine sehr komfortable Steuerung dieser simulierten AR-Umgebung.
Bedauerlich finde ich allerdings, dass man nie wirklich Detektiv spielen darf. Zwei, drei Mal findet man den Code zu einer verschlossenen Tür in einer vergrabenen Notiz – darin erschöpf sich das „Rätseln“ leider schon. Zimonja und Gaynor nutzen die Aufzeichnungen außerdem nie so, dass man etwa einen wichtigen Zusammenhang erst dann entdeckt, wenn man eine
Ende gut, alles gut?
Ebenso wenig konnten mich die Entwickler mit ihrer Geschichte überzeugen – zumindest im Vergleich mit Gone Home und ihrer Download-Episode zu BioShock 2 finde ich sie deutlich schwächer. Gelungen ist dabei das Geheimnis, das hinter dem Zwischenfall auf der Tacoma steckt, denn tatsächlich dient das leichte Unbehagen an Bord der Raumstation diesmal nicht nur als irreführender Aufhänger. Einen zentralen Baustein sowie wichtige damit verbundene Fragen halten die Spielemacher allerdings so lange im Hintergrund, bis dieses Element plötzlich die Hauptrolle spielt – und das Spiel Minuten später auch schon vorüber ist.
Das Ende ist gut, ergibt Sinn und fügt einem bis dahin vernachlässigten Besatzungsmitglied eine interessante Dimension hinzu! Es wirkt aber so, als hätten die Autoren zu große Angst davor gehabt, dass man früh ihre Absichten durchschaut. Wichtige Figuren beleuchten Gaynor und Zimonja jedenfalls nicht eingehend genug, weshalb Tacoma vor allem auf emotionaler Ebene, aber auch in Sachen Spannung längst nicht so stark ist wie ihr letztes Abenteuer.
Fazit
Ich habe mich auf Tacoma richtig wohl gefühlt: Zum einen sieht die Raumstation sehr schick aus und man kann große Areale frei erkunden. Zum anderen fühlt sie sich wie ein lebendiger Raum an, weil die detailverliebten Aufzeichnungen der Besatzungsmitglieder einen plastischen Ort entstehen lassen. Es macht Spaß, die glaubwürdigen Charaktere zu beobachten, durch Vor- und Zurückspulen Hintergründe zu erschließen und beim Stöbern in Unterlagen die Personen hinter den Weltraumarbeitern zu erkennen. Tacoma ist aber ein allzu geradliniges Sammeln von Informationen, das mit wenigen vernachlässigbaren Rätseln kaum den spielerischen Ehrgeiz weckt. Es verpasst zudem zentrale Handlungselemente so einzuführen, dass das auf dem Papier gelungene Ende seine Wirkung voll entfalten kann. Zu distanziert sieht man dabei zu, was auf der Tacoma geschehen ist. Zu wenig ist das, um mich wie bei Gone Home zu begeistern.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Eindrucksvolles Erkunden einer lebendigen Raumstation, dem sowohl erzählerische als auch spielerische Tiefe fehlen.
XboxOne
Eindrucksvolles Erkunden einer lebendigen Raumstation, dem sowohl erzählerische als auch spielerische Tiefe fehlen.
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