Enter the Gungeon06.04.2017, Mathias Oertel
Enter the Gungeon

Im Test: Pixelkunst und kreative Kugelhölle

Für Dungeon Crawler bin ich immer zu haben, gleichgültig ob sie nun mit Echtzeit-Action à la Diablo gefüllt werden oder sich mit strategischer Runde beschäftigen wie Legend of Grimrock. Und für Bullet-Hell, Shmup oder Twinstick-Shooter kann man mich auch immer wieder begeistern. Dementsprechend war ich mit Enter The Gungeon (ab 14,99€ bei kaufen) fast im Siebten Spielehimmel. Mit einem Jahr Verspätung schlägt die stimmungsvolle Action auch auf Xbox One auf.

Klare Regeln

Spätestens als Dave Crooks, der Gründer von Dodge Roll und Hauptdesigner von Enter the Gungeon, mir bei einem Besuch anvertraute, dass die Inspiration für die ballistische Dungeon-Erforschung  u.a. vom GameCube-Shooter Ikaruga sowie Dark Souls stammt, war meine Aufmerksamkeit geweckt. Denn auch oder gerade weil ich bei beiden genannten Titeln nur schwerlich Fortschritte mache (bzw. machte), gehören sie definitiv zu mich prägenden Spielen, an die ich gerne zurückdenke. Dann kann ich sogar verzeihen, dass die Mehrheit des kleinen Teams seinerzeit bei EA Mythic an mittelschweren Software-Verbrechen wie Dungeon Keeper gearbeitet hat. Denn was Dave Crooks und seine drei Kollegen abliefern können, wenn man ihnen komplette kreative Freiheit lässt, sieht man hier allzu deutlich.

Bullet-Hell, Dualstick-Action und Dungeon Crawler in einem: Das ist die Pixelkunst-Welt von Enter the Gungeon.
Die Regeln sind einfach: Mit einer von vier Figuren ("Gungeoneers") mit leicht unterschiedlicher Basisausrüstung, die sich auch auf das Spielerlebnis auswirkt, betritt man ein aus einer Hand voll Ebenen bestehendes Höhlen- bzw. Raum-System und kämpft sich nach Dualstickaction-Manier durch die Gegnermassen und Bosse. Das Ziel: Eine seltene Waffe, mit der man die Zeit töten kann und die jede der Figuren nutzen möchte, um Ereignisse in der Vergangenheit ungeschehen zu machen. Verliert man seine Lebensenergie komplett, wird man in die Eingangshalle zur Figurenauswahl zurückversetzt. Und man verliert sowohl alle Waffen, die man ggf. in Truhen oder als seltene Beute von erledigten Gegnern gefunden bzw. beim Händler gekauft hat als auch das erbeutete Geld. Alles auf Null. Ein neuer Anfang. Einzig die bei Bosskämpfen schwer erarbeitete Sonderwährung bleibt bestehen – doch dazu später mehr.

Darkruga oder Ika Souls?

Und wo kommen die erwähnten Inspirationen ins Spiel? Nun, Ikaruga hat seinerzeit die Bullet-Hell-Shooter mit einem Farbwechsel revolutioniert, der später sogar von Jump&Runs wie Housemarques Outland aufgenommen wurde. Wechselte man bei der Arcade-Ballerei von Treasure die Affinität von Schwarz zu Weiß und umgekehrt, konnte man von der jeweiligen Kugelfarbe nicht verletzt werden. Und hier? Hier steht allen Gungeonieren eine elegante Ausweichrolle zur Verfügung, mit der sie über den auf sie einstürzenden Kugelhagel hinweg fliegen und nicht verwundet werden können, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen haben. Natürlich kann man auch versuchen, den heftigsten Geschossteppichen auszuweichen, indem man mehrere Rollen mit gutem Timing aneinanderhängt. Ein weiterer Verwendungszweck für die Rolle ist übrigens das Springen über Abgründe; auch um Fallen auszuweichen ist dies ein probates Mittel. Schwierig wird dies nur, wenn mehrere dieser Elemente zusammenkommen. Zusätzlich kann

Auf jedem Stockwerk gibt es einen Händler, bei dem man seine Bewaffnung aufstocken und nützliche Gegenstände erwerben kann.
man Tische umstoßen und hinter ihnen Deckung suchen, wobei dauernder Beschuss die Deckung zerstört. Und wo steckt Dark Souls? Das Action-Rollenspiel von From Software stand nicht nur für die Verteilerwelt, die so genannte Bresche Pate.

Von hier bricht man immer wieder auf, um sein Schicksal und noch vielmehr seine Hand-Auge-Koordination sowie seine Reaktion auf die Probe zu stellen. Und man kann bei seinen Gungeon-Abenteuern mit etwas Glück zahlreiche NPCs befreien, die in der Bresche entweder für ein Gespräch, als Missionsgeber oder sogar als Händler zur Verfügung stehen – hier spielt die Sonderwährung eine Rolle. Eine weitere Parallele zu dem Seelen-Abenteuer, das mittlerweile in seiner dritten Runde samt Add-Ons für Begeisterung sorgt, ist die ständige Herausforderung. Selbst mit viel Erfahrung und dutzenden Gungeon-Ausflügen muss man ständig auf der Hut sein, da Unachtsamkeit und Selbstüberschätzung schnell zu einem Verlust der gerade mal drei Herzen führen. Jeder noch so kleine Fehler wird bestraft. Doch man wird auch immer wieder belohnt: Ich hatte auf PS4 und PC dutzende Stunden in den Gewölben verbracht. Und dennoch hat es lang gedauert, bis ich von Wiederholungen geplagt wurde – es gab immer wieder etwas Neues. Eine neue Waffe. Ein bis dahin unentdecktes Geheimnis wie die Truhe, die zwei Waffen aus meinem mühsam angesammelten Repertopire fordert oder der Kamin, der ein Geheimzimmer freilegt. Neue Gegenstände. Unbekannte Gegner. Noch nicht gesehene Feindzusammenstellungen. Einen neuen Raum.  Nicht zu vergessen die überaus knackigen Bosskämpfe, bevor man ins nächste Gebiet vordringen darf. Hinter jeder Ecke kann eine neue Gefahr warten. Und edi Faszination ist auf Xbox One ungebrochen. Dass Dodge Roll so viel in dieses kleine Projekt eingebaut hat, sich aber dabei dennoch nicht übernommen und über alles die überaus gut funktionierende Mechanik, eine schmerzhaft genaue Kollisionsabfrage sowie eine überzeugende Spielbalance gestellt hat, ist beachtlich.

Prozedural ist out, Zufall ist in

Die gleiche Sorgfalt, Detailfreude sowie Kreativität hat man auch beim Artdesign walten lassen, das sich wie viele andere Indie-Projekte auf Pixelkunst verlässt. Und die sieht mit ihren zerstörbaren Umgebungen und den vielen kleinen Details nicht nur sehr stimmungsvoll aus. Das Waffen- bzw. Kugel-Thema kommt immer wieder durch. Die Gegner bestehen teilweise ebenso aus Patronenhülsen wie die Lebensherzen, der Fahrstuhl oder viele andere Elemente, die in den Tiefen warten. Dabei wird auch immer wieder ein subtiler Humor deutlich, der sich auch bei den Namen der Bosse widerspiegelt, die übrigens wie alles, was man gefunden oder gesehen hat, im spielinternen Almanach, dem Muninomicon (nach dem Necronomicon) festgehalten werden. Hier findet man Infos zu allen Waffen, Gegenständen, Feinden und Bossgegnern, die so illustre Namen wie Gatling Guns, Ammoconda, The Gorgun oder Cannonbalrog tragen.

Die geruhsame Bresche ist der Anfangspunkt der actionhaltigen Gungeon-Ausflüge.
Es ist bemerkenswert, dass das Design auch nach zig Stunden nicht an Wirkung einbüßt – vor allem auch angesichts einer zufälligen Generierung der Gebiete, die einen bei jedem neuen Anlauf vor eine frische Herausforderung stellt. Das Zauberwort ist hier "zufällig" im Gegensatz zum häufiger angesetzten "prozeduralen" Erstellen von Abschnitten. Wo liegt hier der Unterschied? Anstatt jeden Raum mit einer beliebigen Anzahl von Parametern und Quellgegenständen bzw. –Gegnern zufällig bestücken zu lassen, was häufig genug in ähnlich gelagerten Spielen für unfaire und damit frustrierende Momente sorgen kann, setzt man hier auf Handarbeit. Sprich: Die Anordnung der Räume wird jedes Mal neu ausgewürfelt. Doch die einzelnen Zimmer, Gewölbe und Gruften werden von Hand erstellt und mit Feinden aufgefüllt. Auch die Bosskämpfe werden pro Ebene aus einem Pool zur Verfügung stehender Endgegner ausgewählt. So ist stets eine optimale Ausgewogenheit gewährleistet. Frust kommt dabei nur sehr selten auf – und nur in den Fällen, in den man einen Raum betritt und die Kamera nicht hinterherkommt und man nur noch Sekundenbruchteile zur Verfügung hat, um das evtl. bekannte Layout aufzunehmen und sich eine Taktik zurechtlegen zu können. Und an Inhalten hat Dodge Rolle wirklich nicht gespart: Es gibt über 200 Waffen und gut ebensoviele Hilfsgegenstände, die man finden oder erwerben kann, um den annähernd100 Feinden und mehr als 20 Bossen gegenüberzutreten. Das Supply Drop Update der ursprünglichen PC- und PS4-Versionen ist integiert, die Versionsnummer der Xbox-One-Gungeons ist 1.1.3. und entspricht damit der aktuellsten Rechner-Version.

Bullet Time mal anders

Es finden sich "typische" Knarren wie sechsschüssige Revolver, eine AK-47, Maschinenpistolen, Elefantenbüchsen oder Schrotflinten in dem weitläufigen Repertoire. Doch es gibt auch ungewöhnliche Schießprügel wie den Mega Douser (eine mächtige Wasserpistole) oder die Mahaguny, die tödliche Blätter sowie gleichzeitig eine Holzgranate verschießt. Die Eye of the Beholster wiederum lässt zufällig Beholster-Wesen entstehen, die im jeweiligen Raum auch den letzten Feind verfolgen und erwischen. Besonders gut gefallen haben mir jedoch der Dämonenkopf, der einen tödlichen Strahl abgibt, das klein geschriebene „r“ (!), das Buchstaben-Salven verschießt ("B-U-L-L-E-T") sowie die

Die Bosskämpfe erfordern höchste Konzentration, bleiben aber trotz aller Anforderung fair.
Einhornknarre, die mit einem Regenbogenstrahl samt Kinderlied die Gegner erledigt und leicht von der Dubstep-Gun aus Saints Row inspiriert scheint. Aber, und damit wieder zurück zur Balance, so sehr sie einem bei den kugelhaltigen Auseinandersetzungen helfen, ist es mit viel Konzentration und Fingerfertigkeit sogar möglich, Bosse mit der Standardbewaffnung jedes Gungeon-Abenteurers zu knacken.

Um seine Chancen zu erhöhen, wäre es klasse, wenn man sich entweder aus den bereits entdeckten Gegenständen und Waffen seinen individuellen Charakter bestücken oder die vorhandenen modifizieren dürfte. Doch auf diese Möglichkeit wurde vermutlich aus Balance-Gründen verzichtet. Wichtiger wäre es zudem gewesen, dem per Koop-Spiel unterstützenden Spieler die Option zu geben, sich eine bestimmte Figur aus dem Pool auszusuchen. Doch der zweite Spieler ist auf die Steuerung des Kultisten beschränkt, der aber immerhin die Möglichkeit hat, den Partner wiederzubeleben. Doch darauf hätte ich gerne verzichtet, wenn ich dafür mit einem Kumpel z.B. eine Kombo mit dem Marine und dem Piloten oder der Jägerin und dem Sträfling hätte bilden können, um neue schlagfertige Verbindungen herausfinden zu können. Aber auch ohne dieses Feature ist das Kombospiel ein probates Mittel, um die aggressiv vorgehende, aber nur resolut auf Angriff fokussierte KI in Schach zu halten und die Überlebenschancen zu erhöhen.

Fazit

Es war nicht nur die überaus gelungene Kombination aus Dungeon-Crawler, Zweistick-Shooter und Bullet-Hell, die aus Enter the Gungeon vor einem Jahr auf PC und PS4 etwas Besonderes machte. Es war nicht nur die Masse an Inhalten, die in diesem kleinen Schmuckstück steckt und jetzt auch auf Xbox One mit fast 200 Waffen, gut ebenso vielen aktiven oder passiven Gegenständen, 80 Gegnertypen und etwa 20 Bossen überzeugt. Es ist auch nicht nur das Pixelkunst-Artdesign, das mit liebevollen Animationen und viel Hingabe arrangierten Kulissen punktet. Das sind alles beinahe nur Kleinigkeiten. Denn viel wichtiger ist das Gefühl, dass Dave Crooks und sein Team bei Dodge Roll eine klare Idee hatten, was sie wollen und sich erst dann mit den Inhalten auseinandergesetzt haben, als die Mechanik punktgenau stimmte. Das Ballern macht Spaß und fühlt sich dank akkurater Steuerung sowie Kollisionsabfrage einfach nur klasse an. Die zufällig generierten Abschnitte, bei denen man von Hand gebaute und mit Gegnern konfigurierte Zimmer zu ständig neuen Herausforderungen zusammensetzt, können ebenfalls überzeugen – auch wenn der Schwierigkeitsgrad durchaus happig ist. Doch im Gegenzug wird man bei jedem frischen Anlauf mit einer neuen Entdeckung belohnt: Hier eine Waffe, dort ein Gegner, hinter dieser Wand vielleicht ein Geheimnis. Schade ist allerdings, dass man keine eigene Waffenkonfiguration erstellen kann und dass der Koop-Partner nur mit dem Kultisten in den Kampf eingreifen darf. Doch ungeachtet dessen ist Enter the Gungeon mit seinem einfachen, aber enorm durchdachten Konzept ein Zeitfresser sondergleichen, der euch auch auf Xbox One Stunde um Stunde rauben wird.

Pro

blitzsaubere Dualstick-Mechanik
Defensivoptionen Ausweich-Rolle und Tische als Deckung
sehr akkurate Kollisionsabfrage
beinahe 200 abwechslungsreiche Waffen
gut 20 Bosse
über 80 Gegnertypen
über 200 aktiv bzw. passiv einsetzbare Gegenstände
bis auf sehr wenige Ausnahmen vorbildliches Balancing
händisch generierte Räume werden per Zufall zu einer Etage verknüpft
viele Geheimnisse
kein Durchlauf ist gleich
man entdeckt bei fast jedem Durchlauf Neues
Hub-Welt verändert sich im Lauf der Zeit (neue Shops, Gesprächspartner)
sehr gute Steuerung
stets fordernd und keine Fehler verzeihend, aber nie unfair
Supply Drop Update inklusive

Kontra

keine freie Konfiguration von Waffen/Gegenständen
Koop-Partner ist auf eine Figur festgelegt
seltene unfaire Momente beim Betreten eines Raumes

Wertung

XboxOne

Das einfache, aber klar durchdachte Konzept macht diese Mischung aus Dungeon-Crawler, Dualstick-Action und Bullet-Hell auch auf Xbox One zu einem motivierenden Spielerlebnis.

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