Oxenfree22.01.2016, Michael Krosta

Im Test: Die Geheimnisse der Geisterinsel

Das Night School Studio, in dem sich u.a. ehemalige Telltale-Entwickler zusammengefunden haben, präsentiert mit Oxenfree (ab 129,99€ bei kaufen) ein Mystery-Abenteuer, das vor allem von Dialogoptionen und einer spannenden Geschichte voller übernatürlicher Ereignisse und zwischenmenschlicher Beziehungen leben soll. Ob uns der Ausflug auf die abgelegene Insel gefallen hat, verrät der Test...

Grauen statt Party

Es hätte so schön werden können: Eine kleine Gruppe von Teenies trifft sich zur jährlichen Partynacht auf einer einsamen Insel. Man will trinken, ein bisschen quatschen und einfach Spaß haben. Doch schon kurz nach der Ankunft wird die Harmonie gestört und ein erstes Konfliktpotenzial zwischen manchen Figuren offensichtlich. Doch das ist gar nichts gegen die übernatürlichen Mächte, die man bei der Erforschung einer Höhle durch die Frequenzen eines Radios weckt, denn danach ist alles anders: Aus dem lockeren Ausflug mit Bier und Lagerfeuer wird ein Mystery-Abenteuer voller merkwürdiger Ereignisse, bei denen die erste Neugier zunehmend einer Angst um Leib und Leben weicht.  

Auf der Überfahrt ahnt noch niemand, dass das Partywochenende in diesem Jahr eine unerwartete Wendung nehmen wird.
Mehr soll an dieser Stelle nicht über die Geschichte verraten werden, da die Geschehnisse rund um Protagonistin Alex, ihren neuen Stiefbruder Jonas, den besten Kumpel Ren sowie dessen Schwarm Nona und die klassische Zicke Clarissa den Hauptanreiz bilden, um das Geheimnis von Edwards Island in Angriff zu nehmen. Vor allem die gut geschriebenen Dialoge stehen im Mittelpunkt, deren Verlauf man im Stil von Telltale-Spielen wie Tales from the Borderlands oder The Walking Dead durch maximal vier Auswahlmöglichkeiten beeinflussen kann. Ärgerlich: Leider fällt das Zeitfenster für Entscheidungen eine Spur zu klein aus und so schweigt man manchmal ungewollt, weil man nicht mehr rechtzeitig eine Antwort ausgewählt hat. Ist man schnell genug, stößt dagegen ein anderer Umstand sauer auf, denn in diesem Fall werden die Gesprächspartner viel zu oft einfach mitten in ihrem Satz abgewürgt – nervig! Schön dagegen, dass über den Köpfen der Charaktere entsprechend farbige Sprechblasen eingeblendet werden, wenn sie reden. Das entschädigt zumindest etwas für die unglückliche Kamera, die sich generell viel zu weit weg vom Geschehen befindet. Gerade bei den Dialogen hätte ich mir oft einen Schnitt zu Nahaufnahmen gewünscht, um mir überhaupt einmal ein Bild von den Figuren machen zu können. Das erhält man stattdessen nur sporadisch in den wenigen Momenten, in denen Gruppenfotos geschossen werden, die man sich im Pause-Menü oder auf Ladebildschirmen ansehen kann.     

Offene Fragen

Bei den Dialogoptionen muss man fix auswählen, da das Zeitfenster zur Auswahl sehr klein ausfällt.
Ärgerlich auch, dass man es versäumt hat, eine nicht ganz unwichtige Mechanik näher zu erläutern. Im Laufe der zahlreichen Gespräche wird man immer wieder feststellen, dass nach manchen Antworten kleine Portraits der Figuren in den Sprechblasen auftauchen. Die Bedeutung bleibt allerdings offen: Handelt es sich dabei um eine positive oder negative Reaktion? Welche Auswirkungen haben diese Einblendungen? Das sind Fragen, die selbst nach dem Abspann unbeantwortet bleiben, aber wahrscheinlich einfach nur das visualisierte Gegenstück zur Telltale-Formel „Person X wird sich daran erinnern“ bildet.

Apropos Telltale: Die Wurzeln des jungen Studios werden nicht nur hinsichtlich des Dialogsystems, sondern auch des allgemeinen Ansatzes beim Spieldesign deutlich. Rätsel lösen sich mangels Anspruch quasi von alleine und auch über fordernde Geschicklichkeitseinlagen braucht man sich keine Sorgen zu machen. Das höchste der Gefühle ist eine kleine Quizeinlage oder das kurze Suchen nach Gegenständen bei einem Zeitlimit. Für die Suche nach den richtigen Radiofrequenzen zum Auslösen von Ereignissen oder dem Öffnen von Türen dürfen die grauen Zellen ebenfalls weiter im Tiefschlaf verharren. Wer nur den Hauch von spielerischem Anspruch sucht, ist hier an der falschen Adresse.

Im Redefluss

Stattdessen stehen die Mystery-Geschichte und das Verhältnis der Figuren zueinander im Mittelpunkt, inklusive Konflikten,Vergangenheitsbewältigung und Entscheidungen, deren Auswirkungen sich jedoch in Grenzen halten. Trotzdem kann es passieren, dass man durch ein zu aggressives Auftreten, bewusste Gemeinheiten oder „falsche“ Entscheidungen die Freundschaften aufs Spiel setzt. Neben Notizen kommt man vor allem in Gesprächen dem Geheimnis auf die Spur und darf sich zwischendurch sogar als Pärchen-Verkuppler versuchen. Und geredet wird viel. Sehr viel. Manchmal vielleicht sogar ein bisschen zu viel. Doch zum einen ist ein Großteil dieser Dialoge gut geschrieben und die individuellen Persönlichkeiten der Figuren werden hervorragend herausgearbeitet. Zum anderen leisten die Sprecher einen ordentlichen Job, die man bereits in diversen Telltale-Produktionen hören durfte.  So lieh z.B. Erin Yvette in der Rolle der Protagonistin Alex u.a. Sasha in Tales from the Borderlands oder Snow in The Wolf

Das behäbige Lauftempo erfordert im Zusammenspiel mit dem nötigen Hin- und Hergerenne viel Geduld.
Among Us ihre Stimme. Bisher gibt es aber nur eine komplett englische Fassung: Selbst mit aktivierten Untertiteln muss man recht fit in der Fremdsprache sein, um alles zu verstehen. Deshalb sollten alle die Finger von Oxenfree lassen, die der englischen Sprache nicht halbwegs mächtig sind.

Kurz und trotzdem zäh

Die 2D-Kulisse geht zwar in Ordnung und fängt die einsame Atmosphäre der Grusel-Insel stellenweise prima ein, aber ich hätte mir trotzdem noch mehr Liebe zum Detail gewünscht. Oder zumindest eine Parallax-Ebene, um den Schauplätzen etwas mehr Räumlichkeit zu verleihen. So wirkt der Streifzug durch das kleine Dorf, über Wiesen, den Strand oder kleine Täler visuell sehr flach. Besser gelungen ist das Figurendesign, auch wenn man die Akteure nur aus großer Distanz betrachten darf. Doch selbst mit diesem Abstand wissen vor allem die tollen Animationen zu gefallen, wenn bei Abstiegen das Gewicht nach hinten verlagert wird oder sich mühsam an Vorsprüngen hochgezogen wird.

Ist der Funkturm der Schlüssel für den Hilferuf?
Eine Sache stört: Selbst im Laufschritt bewegen sich die Figuren immer noch recht behäbig über den Bildschirm. Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil man oft wieder an bereits besuchte Schauplätze zurückkehren muss (Backtracking). Will man im späteren Verlauf auch noch alle Notiz-Zettel aufspüren, muss man unter Umständen ein weiteres Mal sämtliche Locations abklappern und dabei den durchschnittlichen Elektroklängen lauschen, die zunehmend langweilen. Spätestens hier wird es langsam zäh und man bekommt das Gefühl, dass die Entwickler die knappe Spielzeit von vier bis fünf Stunden nur noch künstlich strecken wollten. An anderer Stelle gelingt das besser – nämlich dann, wenn man in irgendwelchen Zeitschleifen gefangen ist und Situationen mehrmals hintereinander erleben muss, begleitet von Bildstreifen und Störungen, die an das alte VHS-Zeitalter erinnern. Zum guten Schluss, den man nicht viel länger hätte herauszögern dürfen, schließt sich dann ein letztes Mal der Telltale-Kreis, wenn die eigenen Entscheidungen mit denen aller anderen Spieler in einer abschließenden Statistik verglichen wird. Dabei sei noch erwähnt, dass sich der Wiederspielwert in Grenzen hält: Zwar erlebt man andere Dialogsequenzen und leicht veränderte Handlungsstränge inklusive alternativer Enden, aber nach dem ersten Durchspielen darf man bei weiteren Durchläufen keine völlig anderen oder gar überraschenden Entwicklungen mehr erwarten.

Fazit

Oxenfree lebt vor allem von seinen interessanten Figuren, den unterhaltsamen Dialogen und seiner Geschichte, die sich im Gegensatz zu Until Dawn & Co spürbar weniger auf die üblichen Teenie-Klischees verlässt. Der Geist von Telltale Games ist bei diesem Mystery-Abenteuer allgegenwärtig – sei es durch die Gesprächsoptionen, den großen Fokus auf Charaktere oder das simpel angelegte Spieldesign, das sowohl bei Rätseln als auch der Mechanik keine großen Ansprüche stellt. Doch so sehr mir der kurze Ausflug auf die Insel erzählerisch gefallen hat: Das zu kurze Zeitfenster bei Entscheidungen, das ständige Abwürgen der Sprecher und das behäbige Gehtempo in Kombination mit Backtracking haben meine Motivation für die Suche nach der Wahrheit empfindlich gestört. Schade auch, dass die Inszenierung zu wünschen übrig lässt: Die Kamera ist zu weit weg vom Geschehen, es gibt weder Schnitte noch Kamerafahrten und die 2D-Kulissen wirken mehr platt als plastisch. Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie Oxenfree wohl in klassischer Telltale-Manier wirken würde...und schnell wurde mir klar, dass ich einer solchen Variante sicher den Vorzug geben würde.

Pro

interessante Charaktere
verschiedene Dialogoptionen...
überwiegend gut geschriebene Dialoge
gute (englische) Sprecher
nette Animationen
mysteriöse Hintergrundgeschichte
alternative Enden
Vergleichs-Statistik am Ende

Kontra

Antwortauswahl würgt Dialoge sehr oft ab
...die viel zu schnell ausgeblendet werden
Kamera ist viel zu weit weg / keine Nahaufnahmen
relativ kurze Spielzeit (4-5 Stunden)
sehr langsames Gehtempo
Rätsel quasi nicht vorhanden
bedeutende Spielelemente werden nicht erklärt (Portraits in Sprechblasen)
häufige Rückkehr zu bekannten Schauplätzen (Backtracking)
ausschließlich englische Tonspur und Untertitel

Wertung

PC

Oxenfree ist ein nettes, aber kurzes Mystery-Abenteuer, das vor allem von Charakteren, Dialogen und Handlung lebt, aber spielerisch nicht viel zu bieten hat und sich selbst einige Stolpersteine in den Weg legt.

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Kommentare

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-^Killerdödel_92^-

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 8 Jahren