Valley01.09.2016, Mathias Oertel
Valley

Im Test: Meister über Leben und Tod

Von dem Jumpscare-Horror Slender: The Arrival ist es ein weiter Weg, den das Team der Blue Isle Studios zu dem Action-Adventure Valley (ab 19,99€ bei kaufen) geht. Ob der Wechsel von nervenzerfetzender Spannung hin zu etwas gelungen ist, das man am ehesten als dynamisches Action-Adventure mit Erzählfokus oder auch: Jump&Run trifft auf Wandersimulator bezeichnen könnte, verraten wir im Test.

Explorative Erzähl-Action

Nachdem man sich für das Geschlecht der Hauptfigur entschieden hat, was allerdings für den Spielverlauf keinerlei Änderungen mit sich bringt, landet man mit ihm oder ihr am Ende einer verunglückten Bootsfahrt in einer merkwürdigen Höhle. Die Bewegungen sind schleppend langsam, es gibt kaum Anhaltspunkte, wo man sich befindet. Irgendwo in den Rocky Mountains. Auf der Suche nach dem „Lifeseed“ in einem geheimnisvollen Tal, in dem das US-Militär gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Experimente veranstaltet haben soll. Und es gibt dieses Tal wirklich: Dem sprichtwörtlichen Licht am Ende des Tunnels folgend, findet man sich plötzlich in einem grünen Kessel wieder. Und nicht nur das: Man findet eine Art Mech-Gerüst, in das man einsteigen kann und das irgendwie an eine stark reduzierte Version von Ripleys Verlademech aus Aliens erinnert.

Mit dem L.E.A.F.-Anzug hat man nicht nur wahnwitzige Bewegungsoptionen, sondern ist auch Herr über Leben und Tod.
Das "L.E.A.F."-Suit genannte Konstrukt (Leap Effortlessly through Air Functionality, in etwa: ohne Mühen durch die Luft springen) verändert die bis dahin träge Mechanik massiv: Auf einmal sprintet man durch die Botanik und kann zu wahnwitzigen Sprüngen ansetzen. Doch der Anzug kann noch mehr. Er ist in seiner Funktionalität eng mit dem Tal verbunden. Man kann per Knopfdruck tote Materie wie abgestorbene Bäume wieder in voller Pracht aufblühen lassen oder gestorbenes Dammwild wiederbeleben. Dies hat nicht nur ideellen Wert. Denn wenn man sich versieht und im kühlen Nass landet - erst später findet man ein Gimmick, mit dem man kurzzeitig auf der Wasseroberfläche gleiten kann -, stirbt man. Allerdings nur kurzzeitig. Denn indem der L.E.A.F.-Suit dem Tal Energie abzapft, darf man eine Wiederauferstehung feiern. Ist die Energie des Tals erschöpft, heißt es Game Over. Man kann aber durch Wiederbelebungen von Tieren oder dem Ergrünen von Bäumen dem Tal (und damit sich selbst) Lebensenergie zurückgeben.

Sensibles Gleichgewicht zwischen Leben und Tod

Idyllische Wiesen und Wälder, düstere Höhlen, sterile Industriegebiete: Valley zeichnet mit der Unity-Engine stimmungsvolle Kulissen.
Um die dafür notwendige Anzugenergie aufzufüllen, kann man entweder die zumindest anfänglich in Hülle und Fülle herumliegenden blauen Lichtkugeln aufsammeln oder aber dem Tal Leben entziehen. Was sich anfänglich wie ein sensibles Gleichgewicht anhört, auf das man achten muss, entpuppt sich allerdings schnell  als oberflächliche Mechanik. Denn zum einen tauchen die blauen Orbs nach einer gewissen Zeit wieder auf, so dass man mit Geduld die meiste Zeit über keinerlei Energieschwierigkeiten hat. Zum anderen sind die Gefahren, denen man in Form von merkwürdigen Sphärenwesen begegnet, nur selten als solche zu deklarieren – sie sind ähnlich bedrohlich wie ihre Kollegen in Beyond: Two Souls.  Dies kann man einerseits als inkonsequentes Spieldesign interpretieren. Man könnte es aber auch so auslegen, dass das Team von Blue Isle den Fokus für den Spieler auf die Geschichte und das Erforschen der mitunter wunderschönen Umgebungen legt, die ich der Unity-Engine nicht unbedingt zugetraut hätte. Im Detail lassen die Texturen zwar hier und da zu wünschen übrig und ganz sauber ist die Bildrate auch nicht immer. Doch das Gesamtbild ist sehr stimmungsvoll. Man möchte die Geheimnisse des Tals kennenlernen und entschlüsseln.

Um dies zu schaffen, bekommt man im Laufe des beim ersten Durchgang etwa vier bis sechs Stunden langen Abenteuers zahlreiche erzählerische Versatzstücke, die ein interessantes, alternatives Weltkriegs-Szenario zeichnen. Audio-Logs à la BioShock gehören ebenso dazu wie viele Notizen, die man beim Erforschen der großräumigen Gebiete in Kisten finden kann, oder die Gedanken der Hauptfigur, die eingeblendet werden. Da man aber zusätzlich auch neue Bewegungsoptionen wie Magnetisierung, einen Greifhaken, Doppelsprung oder das angesprochene Wassergleiten aufsammelt, lohnt es sich auch, in bereits besuchte Abschnitte zurückzukehren, um das ganze Ausmaß der Geschichte in versteckten Arealen zu erfahren. Die Tannenzapfen, die man ebenfalls aus Kisten oder nach dem Wiederbeleben eines Baumes sammeln kann, sind auf Dauer ebenso der übliche Sammelballast wie die Zahnräder, mit denen man eine Pyramide in den späteren Abschnitten öffnen kann.

Die Dramaturgie fehlt

Man kann viel entdecken, aber es fehlt trotz stimmungsvoller Höhepunkte eine stringente Dramaturgie.
Das Gefühl, nach der trägen Anfangsphase wie ein Irrwisch durch die Landschaft zu jagen, ist kaum zu beschreiben. Untermalt von einem sehr guten dynamischen Soundtrack, der Geschwindigkeit ebenso einzufangen versteht wie ruhige Momente und Dramatik, habe ich nach der Landung meines ersten Sprunges über mehrere hundert Meter ein breites Lächeln auf meinem Gesicht gespürt. Und es gibt zahlreiche dieser Momente, in denen Valley mit seinem Zusammenspiel aus Bild und Ton eine ebenso sensible wie zum Nachdenken anregende Geschichte erzählt und die Emotionen zum Schwingen bringt. Aber man findet auch einige Situationen vor, in denen Blue Isle sämtliches Gespür für Dramaturgie verloren hat. Stellen, in denen die Spannung abhanden geht und durch Langeweile ersetzt wird. Und mitunter überspannt Valley den Bogen. Wenn man nach einem L.E.A.F.-Upgrade das erste Mal auf glühenden Schienen entlang rast, während schnelle Trommeln den Takt des Abenteuers bestimmen, geht der Puls nach oben. Bei den gigantischen Sprüngen, die von dieser Geschwindigkeit ermöglicht werden, ebenso - zumal es dem Soundtrack gelingt, z.B. für die Flugdauer auszusetzen und bei der Landung mit einem famosen Tusch wieder davonzurasen.

Um sich an diesen "Kabel-Boxen" entlangzuschwingen, ist gutes Timing gefragt.
Doch die Reise dauert zu lange. Und da man sich hier auf keinen Höhepunkt zubewegt, sondern alles inkl. Musik in einem einheitlichen Tempo abläuft, geht das Überraschungsmoment nach dieser Feststellung schnell in einen lang dauernden Urlaub ohne Abwesenheitsnotiz über. Und dieses Problem ist stellvertretend für die gesamte Dynamik, die man in Valley vorfindet: Für jeden Wow-Moment kann man sicher sein, dass mindestens ein "Oh je, nicht noch mal!" oder "Was soll das denn?" folgt. Es scheint, als ob Blue Isle unschlüssig war, ob man den explorativen oder den erzählerischen Faktor stärker mit den hochdynamischen Bewegungssequenzen und den großräumigen Levels verknüpfen solle. Es wirkt unharmonisch und erreicht dadurch, dass ich auf der Reise neben vielen schönen und ein paar spannenden auch zahlreiche belanglose Momente erlebt habe, die unter dem Strich aus einem viel versprechenden ein gerade noch durchschnittliches Abenteuer machen.

Fazit

Es beginnt äußerst viel versprechend: Valley zeichnet in der Anfangsphase ein geheimnisvolles Bild und macht neugierig, was sich hinter diesem unbekannten Tal inmitten der Rocky Mountains verbirgt. Stimmungsvolle Musikkompositionen, eine dank des L.E.A.F.-Anzugs sehr dynamische Fortbewegung und viele kleine Erzählschnippsel locken zum Weiterspielen. Doch irgendwann verzettelt sich Blue Isle vor allem in dramaturgischer Hinsicht. Denn so visuell interessant z.B. die rasanten Schienenfahrten in den ersten zwei Minuten sind und adäquat musikalisch unterlegt werden, so schnell laufen sie sich auch tot und werden wie einige andere Elemente vollkommen überstrapaziert. Dazu kommt es erst im letzten Viertel des etwa fünf bis sechs Stunden langen Abenteuers zu einigermaßen gefährlichen Momenten. Unter dem Strich wirkt es so, als ob Blue Isle nicht ganz wusste, wohin Valley führen sollte: höchst dynamischer Wandersimulator mit interessanter Geschichte auf der einen Seite, Action-Adventure mit Mech-Ambitionen auf der anderen - und am Ende setzt sich das geheimnisvolle Tal zwischen alle Stühle. Hier wäre mit einer strukturierten Regie sowie gezieltem Fokus mehr drin gewesen.

Pro

exploratives Erzählabenteuer mit enormer Bewegungsdynamik
viele Geheimnisse
stimmungsvolle Geschichte
sehr guter dynamischer Soundtrack
eingängige Steuerung

Kontra

vielen Elementen fehlt die Dramaturgie
interessante Leben-/Tod-Mechanik bleibt oberflächlich

Wertung

PlayStation4

Ambitioniertes Abenteuer, das Erzählung mit enormer Bewegungsdynamik kombinieren möchte, aber an einer biederen Dramaturgie scheitert.

PC

Ambitioniertes Abenteuer, das Erzählung mit enormer Bewegungsdynamik kombinieren möchte, aber an einer biederen Dramaturgie scheitert.

XboxOne

Ambitioniertes Abenteuer, das Erzählung mit enormer Bewegungsdynamik kombinieren möchte, aber an einer biederen Dramaturgie scheitert.

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