Galaxy Trucker07.10.2014, Jörg Luibl
Galaxy Trucker

Im Test: Spannung pur im Weltraum

Als wir die Brettspiele im März 2010 als neue Kategorie eingeführt haben, empfahlen wir nicht ohne Grund zur Premiere „Galaxy Trucker“. Der futuristische Wettlauf gehört zum Besten und Kreativsten, was in den letzten Jahren entwickelt wurde – selten hat ein Brettspiel für so viel Spannung, Schadenfreude und Emotionen am Tisch gesorgt. Jetzt ist der Klassiker von Vlaada Chvátil für das Tablet erschienen. Sorgen Handel, Raumschiffbau & Co auch auf dem iPad für Spannung pur? Mehr dazu im Test.

Mr. I Know Everything

Da will man das Tutorial überspringen und wird dafür in der Kampagne von diesem blaubehelmten Tutor angemacht: „Ha, Mr. I-Know-Everything! Changed your mind?” Nein, natürlich nicht, du kleiner Drill-Instructor. Schließlich kenn ich das Brettspiel ja in und auswendig! Also nix wie raus in den Weltraum, was soll mir schon passieren? Vor allem, wenn man sich anschaut, wie diese pinke KI-Lady ihr Raumschiff zusammen schustert – überall Lücken, kaum Antrieb und wenig Feuerkraft. Wie will sie da die erste Etappe überstehen?

Galaxy Trucker ist die Umsetzung des Brettspielklassikers von Vlaada Chvatil aus dem Jahr 2007.
Mit diesem mehr als gesunden Selbstbewusstsein starte ich die erste Etappe und fahre natürlich locker Credits ein. In der Bar genehmige ich mir in der ersten Dialogszene einen Drink und nehme den Auftrag für eine Spezialladung an – blaue Kisten mit fragiler Fracht. Ob ich mir das zutraue? Sicher! Ob ich die Strafzahlung im Schadensfall akzeptiere? Klaro! Aber kaum startet der Raumschiffbau der zweiten Etappe, erkenne ich das Handicap: Immerhin muss ich hier zwei zusätzliche blaue Plättchen integrieren, gleichzeitig brauche ich Mannschaft, Energie, Antrieb, Waffen…und die Uhr tickt.

Die süße Qual der perfekten Wahl

Eine witzige Kampagne wird auch so manchen Veteranen überraschen...
Hier kommt schon Spannung auf, bevor eine Düse zündet oder ein Bandit beschossen wird. Denn man muss erstmal ein funktionstüchtiges Raumschiff bauen, indem man aus einem verdeckten Pool aus diversen Komponenten per Drag&Drop zieht. Hurra, da kann man sich ja sein Traumschiff basteln!

Denkste: Leider sind nicht alle Teile unbegrenzt vorhanden, außerdem passt auch nicht alles aufgrund der Einer-, Zweier- oder Dreier-Rohrverbindungen und last but not least sind da noch die anderen Spieler bzw. die KI, die gleichzeitig aus dem Haufen ziehen. Das sorgt sofort für angenehme Gier, erhöhten Puls und Spannung pur.

Und dann beginnt noch dieses verflixte Grübeln über das Design, während die Uhr tickt: Will man ein möglichst schnelles Schiff bauen? Dann sollte man sich auf den Antrieb konzentrieren. Soll es viel Raum für Waren bieten? Dann sollte man an Ladeflächen denken. Oder Mannschaft? Dann braucht man Räume. Soll es Piraten besiegen und Meteore zerstören können? Dann sollte es viele Kanonen haben! Soll es viel zusätzlichen Schub, Feuerkraft und Schildpower liefern? Dann müssen Batterien vorhanden sein! Oder soll es komplett ausgeglichen sein? Dann muss das perfekte Design her!

Übermut trifft auf Meteoriten…und Banditen

Kaum habe ich mich versehen, ist die Zeit abgelaufen und mein Raumschiff sieht mit all seinen Lücken gar nicht mehr so viel besser aus als jenes der KI-Lady. Und obwohl ich mir als Brettspielkenner eingebildet habe, dass ich diese Kampagne mal eben locker durchspiele, bevor ich mich der weiten Welt des Multiplayer widme, werde ich bröckchenweise eines Besseren belehrt, als ich von Meteoriten erst sturmreif gehagelt und danach von Banditen zusammen geschossen werde. Ein „Ha, Mr. I-Know-Everything“ hallt hämisch in meinem Ohr - Game Over, das war’s. Meine Herren, ich fordere sofortige Revanche!

Die Qual der Wahl in in einem verdeckten Stapel - und Vorsicht: Die KI zieht gleichzeitig!
Dieses Galaxy Trucker überrascht nicht nur mit seinem Anspruch für Solisten, sondern auch mit seinen kleinen Dialogen, die für etwas Storyflair sorgen – und das hat mich positiv überrascht. Es gibt keine epische Erzählung, aber kleine Anekdoten und witzige Charaktere in einer nicht-linearen Kampagne. Zwar mag das bunte SciFi-Artdesign zu Beginn etwas kitschig anmuten, aber der charmante werktreue Zeichenstil passt wunderbar zum süffisanten Unterton, der schon die Anleitung des Klassikers ausgezeichnet hat. Hinzu kommen neue Funktionen wie das erwähnte Gefahrengut. Czech Games hat also nicht einfach 1:1 das Brettspiel umgesetzt, sondern sich kreative Gedanken gemacht, was die inhaltlichen Zusätze und die Präsentation betrifft. In-App-Käufe? Nein, diesen Murks gibt es hier nicht!

Sieben Jahre nach der Premiere von Galaxy Trucker ist also eine digitale Version erschienen, die nicht nur die Spielmechanik gekonnt mit der Touch-Steuerung verknüpft und z.B. mit schönen Kameraschwenks die Raumschiffroute und – reihenfolge einblendet, sondern auch frische Impulse setzt. Ihr kennt das Brettspiel gar nicht? Kein Problem, denn Einsteiger werden vom vorbildlichen Tutorial behutsam und humorvoll in die Spielmechanik eingeführt. Und falls danach noch etwas ungeklärt ist, hilft das Fragezeichensymbol weiter. Kurzum: Ihr müsst keinerlei Vorwissen haben, solltet allerdings etwas Englisch lesen können, denn bisher gibt es keine deutsche Lokalisierung.

Multiplayer mit zig Optionen

In der Kampagne locken neue Elemente wie fragile Fracht und frische Gefahren...
Falls ihr abseits der Kampagne mit mehreren Leuten loslegen wollt, empfiehlt sich der Mutliplayer-Modus: Neben „Pass & Play“ für das gemeinsame Spielen an einem iPad gibt es noch ein schnelles Duell sowie das freie Spiel online inklusive Lobbyfunktion - für beide Varianten müsst ihr einen Account anlegen. Im freien Spiel könnt ihr dann als Host eine Partie für bis zu vier Leute aufsetzen.

Dabei könnt ihr u.a. Echtzeit oder Runde festlegen.  Letzteres sorgt für asynchrones Spielen, so dass ihr alles rundenweise entscheidet und theoretisch auch mehrere Partien gleichzeitig bestreiten könnt.  Aber ich empfehle dringend Ersteres, denn nur das verlangt, dass alle Beteiligten permanent online sind – und nur so entsteht auch das angenehm hektische Spielgefühl des Brettspielklassikers. Sehr komfortabel ist hier das Feintuning für den Countdown: Es gibt vier Tempotypen zwischen „Hyperfast“ und „Relaxing“, so dass man z.B. zwischen einer und maximal zwei Minuten für den Raumschiffbau sowie zwischen 30 und 120 Sekunden für alle weiteren Entscheidungen Zeit hat.

Ansonsten lassen sich noch Aufgabe-Optionen, Autopilotfunktionen sowie die Kartendecks wählen, wobei man nicht nur das klassische Deck aus dem Brettspiel zur Verfügung hat, sondern auch ein erweitertes digitales sowie ein besonders schwieriges Deck mit Zusatzkarten. Und das Beste ist: Man findet bereits viele offene Spiele.

Taktischer Wettlauf

Nicht nur der hektische Raumschiffbau kann überzeugen, man muss auch Entscheidungen treffen und taktisch haushalten: Wer als Erster aus dem Hangar kommt, startet auch ganz vorne auf der Weltraumkarte - dahinter folgen in Abständen die Verfolger. Was kann man im All entdecken? Rohstoffe in vier Varianten! Credits! Meteore! Piraten! Die Möglichkeiten lauern in einem Kartenstapel, der in der ersten Etappe noch keine allzu heiklen Gefahren birgt. Sobald das erste Ereignis aufgedeckt wird, wird nacheinander vom Führenden bis zum Letzten erklärt, was man zu tun gedenkt.

Man deckt z.B. eine Karte wie "Planeten" auf: Da können alle Spieler auf unterschiedlich ertragreichen Himmelskörpern landen und bei genug Stauraum Rohstoffe ernten - wer sich auf Gefahrengut spezialisiert hat, wird besonders viele Credits verdienen. Wenn "Freier Weltraum" gezogen wird, kann man ansagen wie weit man fliegen

Auf der Reise ist auch die Reihenfolge wichtig: Das erste Raumschiff darf auch zuerst erkunden...
möchte und ob man dabei Batterien für zusätzlichen Schub einsetzt - so kann man richtig Gas geben. Falls eine "Verlassene Station" erscheint, kann nur ein Spieler seine Besatzung herunter beamen, um Credits zu horten. Das Schöne ist: Jede Aktion kostet auch Zeit. Sprich: Wenn der Führende auf einem Planeten landet, muss er sein Raumschiff auf dem Spielplan um die angezeigte Anzahl nach hinten verschieben - verzichtet man als Zweiter auf die Landung, kann man ihn vielleicht überholen.

Einfaches, aber gutes Kampfsystem

Zum Aufbauspaß in Echtzeit und der Rundentaktik gesellt sich auch noch ein gutes Kampfsystem, in dem  Planung und Glück aufeinander treffen: Jedes Raumschiff kann mit defensiven Schilden sowie offensiven Kanonen in alle vier Richtungen ausgestattet werden. Die erste Gefahr entsteht durch Meteore - und diese treffen gleichzeitig auf alle Spieler, wobei die Trefferzone über zwei Sechserwürfel ermittelt wird: Kleine prallen von sauber gebauten Schiffen einfach ab und sorgen nur an Stellen mit offenen Bauteilen für Schaden. Wer das verhindern will, muss Energie einsetzen, um den Schild zur Abwehr aufzuladen. Aber weist er auch in die richtige Richtung? Große Meteore lassen sich mit Kanonen abschießen, wenn diese in die betreffende Richtung zielen.

Die zweite Gefahr entsteht durch Piraten - und die treffen immer auf den vordersten Raumfahrer: Hier kann man

Ihr interessiert euch für das Brettspiel-Original? Das gibt es beim Heidelberger Spieleverlag ab knapp 30 Euro.
zwar Credits gewinnen, aber man muss erstmal ihre Feuerkraft erreichen bzw. toppen. Dazu wird einfach verglichen wie viele Kanonen man hat; clevere Raumschiffkapitäne haben extra Batterien und aufladbare Kanonen eingebaut, die man jetzt zusätzlich aktivieren könnte. Reicht das immer noch nicht aus, wird man von den Piraten beschossen. Hier kann man es mit leichten und schweren Treffer zu tun bekommen: Erstere kann man noch per Schild abwehren, gegen Letztere ist man machtlos und muss das getroffene Teil sofort entfernen.

Nach drei Etappen wird abgerechnet: Am Ende gewinnt derjenige das Spiel, der die meisten Credits gesammelt hat. Die gibt es nicht nur für die Rohstoffe im Lager, sondern auch für die jeweilige Position sowie das schönste, d.h. möglichst unbeschädigte und kompletteste Raumschiff am Ende einer Etappe - man hat also mehrere taktische Möglichkeiten und drei Flüge Zeit, um an die wichtige Kohle zu kommen. Abzüge gibt es allerdings für alle auf der Reise zerstörten Teile.

Fazit

Glückwunsch an Czech Games! Galaxy Trucker ist eines der besten Brettspiele der letzten Jahre. Und für 4,49 Euro bekommt ihr jetzt eine ausgezeichnete, weil inhaltlich um eine tolle Kampagne erweiterte und cool designte Brettspielumsetzung für das Tablet. Dabei bleiben die Tschechen dem vielleicht kitschig anmutenden, aber unheimlich charmanten und zum humorvollen Ton passenden Artdesign treu und passen die Präsentation gekonnt an die Touch-Steuerung an. Die Benutzerführung und Visualisierung sind im Gegensatz zu vielen statischen Umsetzungen von Brettspielen zudem sehr elegant. Einsteiger werden mit einem gelungenen Tutorial an das Spiel herangeführt und Veteranen freuen sich nicht nur über neue Funktionen und Storyflair, sondern auch über den Multiplayer mit seinen zig Funktionen. Ich habe schon viele Brettspielumsetzungen getestet – das ist neben jener von Eclipse eine der besten.

Pro

sehr gute Brettspielumsetzung
Rundentaktik trifft Echtzeit-Spannung
klasse Tutorial für Einsteiger
Kampagne mit Dialogen und Zusatzmissionen
freies Spiel gegen verschiedene KI-Stufen
werktreues charmantes Artdesign
süffisanter Humor
elegante Touch-Steuerung
gutes Hilfesystem
Pass & Play oder online spielen
Multiplayer-Modus mit zig Optionen
angenehmer SciFi-Soundtrack

Kontra

bisher nur englische Texte

Wertung

iPad

Eine ausgezeichnete, inhaltlich erweiterte und cool designte Brettspielumsetzung für das Tablet.

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