Superbrothers: Sword & Sworcery28.03.2011, Jörg Luibl
Superbrothers: Sword & Sworcery

Im Test:

Egal ob Action, Adventure oder Rollenspiel - man hat die meisten schnell durchschaut. Es ist immer dasselbe Geballer, Geklicke und Gehacke. Kaum hat man ein paar Schritte gemacht, kennt man die ganze Spielwelt. Wer sehnt sich nicht nach einem Abenteuer mit fremdartiger Seele, das wenigstens eine Zeit lang mehr Mythos als Mainstream ist? Es müsste ein Erlebnis wie in alten Tagen geben, als alles rätselhafter und spannender war, als man immer weiter in ein Mysterium aus Pixeln gelockt wurde, bis man die Zeit vergaß. Jedenfalls manchmal.

Die skythische Kriegerin

Sie ist halb tot, flackert bereits bedrohlich und kotzt alle drei Meter - dunkelgrüne Pixel fallen vor unheilvoller Musik in den kaukasischen Sand. Das Erbrechen kostet wertvolle Zeit, denn hinter ihr naht die Schwärze mit ihren gefährlichen Klauen. Aber sie ist eine skythische Kriegerin. Sie hat sich bis hierher gerätselt, gekämpft und nach Antworten gesucht. Sie hat sich von einem seltsamen Mann im Anzug leiten lassen, hat Schallplatten umgedreht, Erfolge getwittert, den Mond verzaubert und in fremden Träumen nach Geistern gejagt. Dabei fing alles so harmlos an, mit einem bellenden Hund im Wald. Das kann doch nicht alles umsonst gewesen sein!

Also rafft sie sich auf, eilt den schroffen Berg weiter hinauf, immer in Richtung des gedrückt gehaltenen Fingers. Sie entkommt dem gehörnten Feind wieder nur knapp. Der Puls steigt und all die Fragen schwirren weiter durch den Kopf. Was war das Ziel der Odyssee? Ich sollte drei verschollene magische Symbole finden, die ich jetzt dabei habe. Werde ich es nach oben schaffen? Was erwartet mich dort? Wie kann man diesen dämonischen Verfolger überhaupt besiegen? Kann ich Schild und Schwert nutzen, soll ich Magie wirken oder einfach rennen? Was bringen mir die Artefakte? Dieses Abenteuer neigt sich zwar seinem Ende, aber ich habe es immer noch nicht durchschaut. Und das ist herrlich.

Suchen, kämpfen, rätseln

Dabei besteht das aktive Spiel auf den ersten Blick nur aus dem, was ein klassisches Action-Adventure ausmacht: Ich kann eine Welt erkunden, indem ich besondere Orte oder Figuren doppelt antippe - dann wandert die Kriegerin zwischen Bäumen, Felsen, Wasserfällen und Flüssen weiter. Sie ist kaum zu erkennen, sieht aus wie ein graubrauner Pixelheld auf Stelzen und stakst wie ein Reiher durch Wald und Flur. Was kann ich machen? Vielleicht dem Hund folgen, der so manche interessante Stelle erschnüffelt. Oder bei Gefahr das Schwert ziehen, indem ich das iPad im Angesicht des Feindes quer drehe: Danach ertönt das angenehme Geräusch von zischendem Stahl, das Bild wechselt in eine grobpixelige Frontale, links unten der Schild zur Verteidigung, rechts unten die Klinge für den Angriff.

Was haben die Gräber zu bedeuten? Manchmal führt einen der Hund auf die richtige Spur. Aber man fragt sich auch häufig: Was soll ich bloß tun?
Stehe ich einem Wolf, Bären oder Dämon gegenüber, kann ich mich nicht mehr bewegen, aber auch nicht einfach wild zuhauen, denn es kommt es auf das Timing von Block und Schlag an. Wenn ich im richtigen Moment das Schildsymbol antippe, kann ich den Gegner ins Taumeln bringen und selbst erfolgreich zuschlagen. Was zu Beginn sehr leicht anmutet, wird in den größeren Kämpfen anspruchsvoller, wenn man in mehreren Phasen erfolgreich auf die Muster reagieren sowie fatalen Angriffen ausweichen muss. Das System ist wesentlich simpler als die Ripostentaktik in Infinity Blade , aber der Kampf ist hier auch weniger relevant als die Erkundung sowie die damit verbundenen Rätsel.

Waffenupgrades? Rüstungssets? Levelaufstiege? Händler? Gold? Nein, ähnlich wie in Shadow of the Colossus ist das Spieldesign auf das Wesentliche reduziert. Bis auf die ebenso heilenden wie benebelnden Pilze finde ich hier keine klassischen Gegenstände oder steige über gesammelte Erfahrung auf. Im Gegenteil, hier steige ich mit jedem Kapitel weiter ab und verliere immer mehr der fünf Lebenspunkte, bis ich mich mit einem einzigen ins Finale schleppe, kotzend und blinkend - herrlich verkehrte Welt.

Mythische Pixelschönheit

Die Kulisse wirkt zunächst befremdlich: Hey, ist das nicht komplett 2D und reine Pixelgrafik? Richtig. Aber was für eine! Sie macht aus der technischen Beschränkung eine Tugend, ähnlich wie 3D Dot Game Heroes , aber noch weitaus subtiler, indem man die Gebiete wie gepunktete Gemälde darstellt. Es braucht etwas Zeit, aber je länger man spielt, desto mehr Feinheiten entdeckt man in dieser schroffen Landschaft, die sich laut Story irgendwo im Kaukasus befinden soll - die Spiegelungen am Fluss, das Zittern der Sträucher, der flüchtende Hase, die majestätischen Bäume. Selbst einzelne Blumen und Verzierungen wirken wie mit dem Pinsel gesetzt.

Grau und Grün, Braun und Beige beherrschen die Farbpalette. Hier geht es nicht um grellen Pomp und laute Effekte, hier entsteht eine stillere, mysteriös anmutende Spielwelt, die ihre Stimmung nicht nur dem dezenten Artdesign, sondern der cleveren Symbiose von Helligkeit und lieblichen Tönen, von Dunkelheit und bedrohlichen Klängen verdankt. Wer das Haus des Holzfällers betritt, wird von zwei, drei Klaviertönen und einem knisternden Feuer begrüßt - um ihn herum stehen ein paar Schemel, die Fenster werden nur angedeutet, ansonsten ist nur Schwärze. Es entsteht umgehend ein Gefühl von Gemütlichkeit, aber irgendwas ist anders: Ein bleiche Schallplatte mit Dreiecken in der Mitte prangt über dem Feuer.

Ein digitales Märchen

Nach dem Kampf gegen diese kreatur hat man die Wahl: Leben oder Tod für den Feind?
Eine was? Eine Schallplatte. Sie ist quasi das symbolische Leitmotiv des Spiels, die Brücke zur Moderne, die vom Menü über die einzelnen Kapitel bis hin zur Welt immer wieder auftaucht. Wer sich in der Hütte des Holzfällers nieder lässt, bekommt nicht nur Lebenspunkte zurück, sondern kann mit einem Tipser auf die Platte in das Reich der Träume wechseln. Dann wird sie von A auf B gedreht und man findet sich in blaugrauer Nacht auf einem Berg wieder. In dieser Anderwelt kann man dann die wichtigen Rätsel lösen, indem man auf die Töne und Zeichen achtet, denen man zwischen Felsgraten und Lichtungen, zwischen Höhlen und Monumenten begegnet.

Halte ich den Finger auf der Kriegerin gedrückt, wechselt sie in eine Art Zaubermodus. Eine kugelrunde Aura umgibt sie und ich kann bestimmte Stellen in der Landschaft markieren oder Feinde stoppen. Manchmal kann es auch helfen, das Schwert in den Boden zu rammen oder gen Regenbogen zu recken, um ein Geheimnis zu lüften. Manchmal muss ich die richtige Mondphase abwarten - oder kann ich sie selbst einleiten? Neben diesen kreativen Herausforderungen gibt es allerdings auch einige sehr simple Suchrätsel, die lediglich das Markieren von ein paar Büschen verlangen. Komme ich mal nicht weiter, helfen die Andeutungen von Anzugmann, Holzfäller, Hirtin oder gar Hund im Menü. Aber dazu muss man des Englischen mächtig sein, denn die kryptischen Kommentare lassen sich manchmal nicht auf Anhieb richtig deuten.

Heldenepos mit Augenzwinkern

Hier wirkt die Spielwelt zwar so archaisch wie ein Heldenepos. Aber kaum hat man ein Kapitel hinter sich, begrüßt einen der Mann im Anzug, die Zigarre schmauchend und sarkastisch gratulierend: "Du bist ein ganz toller Held. Aber jetzt ruh dich erstmal aus. Lass uns morgen weiter spielen." Das erinnert fast an Peter Lustig, der nach einer Sendung Löwenzahn zum Ausschalten auffordert. Überhaupt wird die ganze Story mit einem Augenzwinkern erzählt.

Trotzdem fühlt man sich noch kurz vor dem Finale wie auf einer digitalen Odyssee, wie ein verfluchter Reisender auf der Suche nach Erkenntnis. Keine Bange: Das ist weder ein esoterischer Trip für Sinnsucher noch ein pathetischer Kreuzzug für Polygonflüchtlinge. Die poetische, aber auch sehr elegante Story um die Kriegerin wird nicht nur mit einem herrlichen Augenzwinkern, sondern auch auf besondere Art erzählt. Wer den Holzfäller antippt, bekommt das hier:

"TO THE MOUNTAIN FOLK OF THE CAUCASUS HE WAS KNOWN AS 'LOGFELLA' ... HE SEEMED COOL."

"LOGFELLA KNEW ALL ABOUT OUR WOEFUL ERRAND ... HE AGREED TO LEAD US UP TO THE OLD ROAD."

"STILL WE DEFINITELY GOT THE FEELING THAT HE WASN'T SUPER JAZZED ABOUT THIS."

In dieser Hütte brennt ein Feuer: Wer sich dort nieder lässt, kann in die Traumwelt wechseln.
Man quatscht sich also nicht aktiv durch pathetische Dialoge, sondern liest quasi die teilwiese süffisanten Kommentare aus der Wir-Perspektive - auch hier werden Mythos und Moderne verbunden. Und auch hier fragt man sich: Moment, wer ist "wir"? Der Hund und die Skythin? Der Anzugmann, der Hund und die Skythin? Das ganze Internet, das man jederzeit über direkten Twitterzugang über den Stand seines Abenteuers und die skurrilen Texte informieren kann?

Wie auch immer: man folgt dem Holzfäller zur alten Straße, wo sich sehr schnell die ersten Geister, Gräber und Gefahren zeigen.

Geniale Soundkulisse

Man genießt selbst im Angesicht des Todes jeden dieser rätselhaften Augenblicke zwischen urigen Pixelwäldern und einer Soundkulisse, die auf dem iPad Ihresgleichen sucht - Kopfhörer einstöpseln und genießen: Vom leisen Rascheln eines Busches über das gemütliche Knistern eines Feuers bis hin zur Musik von Jim Guthrie, die wie eine moderne Ballade anmutet und mit ihren lieblichen bis geheimnisvollen Tönen weitaus subtiler ist als die pompösen Orchester, die sonst aufspielen.

Zumal der Klang auch ein Teil der Rätsel sein kann: Geräusche sind nicht nur wichtige Stimmungsträger für die epische Atmosphäre, sondern weisen auch auf Lösungen hin - welche Bäume muss man in welcher Reihenfolge antippen? Das Ohr weist den Weg für die Finger. Auch die spielen natürlich eine große Rolle innerhalb der Rätsel auf dem Touch-Bildschirm: Mal muss man schnell über verschiedene Klangquellen wischen, damit ein bestimmter Ton entsteht, oder gleichzeitig von links und rechts Felsformationen aufeinander zu bewegen.

Fazit

Was für ein Erlebnis! Dieses kleine Abenteuer erfüllt für knapp vier Stunden genau das, wozu manche große scheinbar nicht mehr fähig sind: Es entführt in eine mysteriöse, unheimlich liebevoll designte Welt, die man nicht auf Anhieb durchschaut. Mit jedem Meter wird man in einen immer stärkeren Bann voller Fragezeichen und Neugier, voller Symbole und Archetypen gezogen. Was zunächst befremdlich wirkt, entwickelt eine ganz eigene Atmosphäre zwischen archaischem Heldenepos und moderner Unterhaltungskultur - das ist Pathos mit Augenzwinkern. Das, was die Entwickler aus Toronto "experimental treatment for acute soul-sickness" nennen, ist im Kern nur ein klassisches, auf das Wesentliche reduziertes Action-Adventure, dem es hier und da vielleicht an Rätselanspruch und Figurenvielfalt mangelt. Außerdem muss man einige Abschnitte mehrmals besuchen. Aber mit ihrem markanten Art-, Sound- und Storydesign bauen die Kanadier eine Stimmung auf, die alle Sinne anspricht: Hier schaut und hört man genauer hin, kämpft konzentrierter und löst aufmerksamer Musik- und Umgebungsrätsel. Man genießt selbst im Angesicht des Todes jeden dieser Augenblicke zwischen urigen Pixelwäldern und Balladenklängen. Hier werden für knapp drei Euro nicht nur so manche Triple A-Produktionen regelrecht vorgeführt, was Stil, Stimmung und Spannungsaufbau betrifft: Mit diesem digitalen Märchen haben die Superbrothers das iPad als Spieleplattform in eine neue Dimension geführt. Ähnlich faszinierend fühlten sich bisher nur das erste Zelda oder Shadow of the Colossus an. Ich habe jede verdammte Minute genossen.

Pro

 zauberhafte Kulisse
 interessanter Erzählstil
angenehm mysteriöse Atmosphäre
epische Story mit Augenzwinkern
geniales Artdesign
hervorragende Soundkulisse
gute Multitouch-Einbindung
einige kreative Umgebungs- & Akustik-Rätsel
fordernde Bosskämpfe
 timingbasiertes Kampfsystem

Kontra

Abschnitte mehrmals besuchen
zu wenig anspruchsvolle Rätsel

Wertung

iPhone

Archaisch, rätselhaft und pixelschön: Dieses Abenteuer ist ein spielerischer, optischer und akustischer Genuss!

iPad

Mit diesem digitalen Märchen haben die Superbrothers das iPad als Spieleplattform in eine neue Dimension geführt.

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