Im Test: Edle Taktik in altnordischer Fantasy
Altnordische Fantasywelt
Wenn man sich für Wikinger oder deren Götterwelt interessiert, muss man (auch) in der Spielewelt mit viel Kitsch und Klischees leben. Die Entwickler von The Banner Saga haben sich lediglich von der Zeit der Runen und Langschiffe inspirieren lassen, um ihr eigenes Universum zu erschaffen. Sie nutzen trotz vieler authentisch anmutender Aspekte hinsichtlich der Sprache, Kleidung und Bewaffnung keinen historischen Hintergrund für ihr Abenteuer, sondern entführen in eine alternative nordische Fantasywelt, in der Machtpolitik und Magie lebendig werden.
Zwei Reisegruppen
Dieser Frage geht man zunächst aus zwei Perspektiven nach: Eine Gruppe startet
Eine andere Karawane startet im Osten der Karte und ist scheinbar gewöhnlicher besetzt. Eine Gruppe Menschen um den Jäger Rook und seine Tochter Alette muss vor den Dredge aus einem Dorf fliehen. Dazu gesellt sich ebenfalls ein Varl sowie je nach Entscheidung andere Menschen. Hier geht es etwas persönlicher zu, aber auch mit dieser zweiten Gruppe wird nicht nur recht schnell deutlich, wie brüchig die Allianz zwischen Menschen und Varl ist. Auch untereinander herrschen Missgunst und Misstrauen, so dass man in der Rolle von Rook immer wieder als Schlichter, Entscheider und Richter agieren muss – keine leichte Aufgabe, denn man wird selbst misstrauisch von allen Seiten beäugt. Neben politischen gibt es aber auch viele dramatische Situationen, in denen man handeln muss.
Die Qual der Wahl
Was mache ich nur? Da taucht ein Koloss aus dem Schatten auf und droht meine Tochter mit einer Keule zu zermalmen. Ich könnte ihr schnell eine Warnung zurufen, damit sie hoffentlich noch ausweicht. Ich könnte das Ungetüm mit einem Pfeilschuss auf den Kopf ablenken. Oder ich stürze mich mit Gebrüll und gezückter Axt in den Kampf. All diese Möglichkeiten werden lediglich in einem Textfenster angezeigt, aber trotzdem ist die Situation für mich fast bildlich greifbar, weil ich schon so lange mit Alette und dem Rest der Karawane unterwegs bin.
Allerdings darf man leider keine freie Route auf der vergilbten Karte mit all ihren Orten wählen. Nur in bestimmten Situationen kann man mal einen Umweg oder eine Abzweigung nehmen. Jeder Reisetag verbraucht Proviant, wobei die Aufnahme von weiteren Flüchtlingen oder Kämpfern dafür sorgt, dass er noch schneller dezimiert wird. Man kann auf dem Weg durch die malerische Kulisse lediglich einen Befehl geben: Campieren. Dann kann man sich um Aufstieg und Ausrüstung seiner Gefährten kümmern oder trainieren.
Eine lange Reise voller Gefahren
Denn je nachdem, für welche Antwort ich mich wie im obigen Beispiel entscheide, stirbt entweder meine Tochter, ihr Freund Egil oder niemand. Die Bindung an die Charaktere, die in vielen Dialogen als Zeichentrickfiguren auftauchen und ohne große Mimik lediglich leicht animiert werden – hier ein funkelndes Auge, da nervös am Schildrand trommelnde Finger - ist nach wenigen Stunden bereits stark. Man will keinen Gefährten verlieren, aber The Banner Saga scheut sich nicht, dem Spieler selbst lieb gewonnene Charaktere zu rauben - man fühlt sich fast ein wenig wie in den Sieben Königreichen von George R.R. Martin, wenn einem plötzlich von einem Verräter ein Messer in die Rippen gerammt wird. Wieso hat man diesen Typen damals aufgenommen? Der war doch schon immer komisch! Ja, aber man braucht auch Kämpfer, um die lange Reise zu bestehen.
Menschen und Riesen
Das letzte Mal, dass ich so lange über Entscheidungen gegrübelt habe, war in The Walking Dead von Telltale. Keine Bange: Hier gibt es kein Zeitlimit und es sind nicht immer tödliche Konsequenzen, welche die gut geschriebenen Situationen nach sich ziehen. Es kann auch sein, dass Gefährten nach einem Gespräch empört die Karawane verlassen, dass man in einen Hinterhalt gelockt oder bestohlen wird - manchmal hat man drei, manchmal fünf Antworten zur Auswahl. Alleine das Wissen, dass immer etwas passieren kann, sorgt für erhöhte Aufmerksamkeit bei der Lektüre, die gelegentlich auch mal Widersprüche bzw. unlogische Wendungen beinhaltet. Einige Charaktere kann man erst durchschauen, wenn man wirklich auf jeden Unterton achtet.
Rundentaktik mit vielen Möglichkeiten
Erst in diesen Rundengefechten führt man dann sechs Helden aktiv in einer Arena von Feld zu Feld. Schade ist, dass man in der Vorauswahl eines Kampfes nicht auf die Werte und Fähigkeiten schauen kann – man muss auswendig wissen, wer was kann. Schade ist auch, dass Höhen, Untergründe oder Deckungen hier keine Rolle spielen - alle Gefechte finden immer in einem flachen, relativ kleinen Raster statt.
Das Innovative besteht darin, dass jeder Charakter einen blauen Rüstungswert und einen roten Stärkewert besitzt, der gleichzeitig die Lebenspunkte darstellt - wer verletzt wird, schlägt also auch weniger hart zu. Das sorgt dafür, dass reine Schadenverteiler wie mächtige Varle nur auf den ersten Blick für Ehrfurcht sorgen: Denn was bringt einem die famose Stärke von 18, wenn sie nach zwei Attacken auf neun oder fünf gesunken ist? Man muss also auch die Reihenfolge des Schlagabtausches sowie die Position seiner Figuren berücksichtigen, damit sie ihre volle Kraft ausspielen können.
Sobald man einen Gegner attackiert, kann man sich aussuchen, ob man seine Rüstung oder seine Stärke und damit seine Gesundheit dezimieren will. Einige Feinde sind so gut geschützt, dass man erst dann Schaden anrichten kann, wenn man ihre Panzerung vorher stückweise zerbricht. Nicht nur weil die KI schon auf dem zweiten der drei Schwierigkeitsgrade recht clever die Schwachstellen attackiert, entsteht ein spannender Schlagabtausch.
Klassen und Spezialfähigkeiten
Dafür sorgt auch eine Vielzahl an Klassen wie Warhawk, Spearmaster, Shieldmaster oder Wardog, die alle eigene Spezialfähigkeiten ins Feld führen: Es gibt also diverse Nah- und Fernkämpfer sowie eine Art Magier; man kann Fallen auslegen, Öle per Pfeil entzünden, Blutungen auslösen oder Feinde per Rammattacke ein paar Felder wegschleudern. Man kann Gegner markieren, damit alle Verbündeten ihren Bogen auf sie richten. Man kann provozieren, um Schaden zu leiten; man kann seine Rüstung stärken oder die mehrerer Feinde über durchschlagende Hiebe zerbröseln. Man kann die Initiative ändern und damit die wichtige Reihenfolge der Attacken beeinflussen. Es gibt Rundumschläge und Schusstechniken, die mehrere Feinde entweder im Uhrzeigersinn oder in einer ganzen Reihe treffen.
Hinzu kommt eine universelle Anzahl für alle Beteiligten, wenn man Feinde tötet. Der Einsatz dieser Sterne kann über den Sieg entscheiden. Man muss also taktisch ein wenig umdenken, was sich auch auf die Charakterentwicklung mit ihren sechs Fähigkeiten auswirkt, denn mindestens genauso wichtig wie Strength sind z.B. Exertion und Break: Ersteres beeinflusst die Anzahl an Sternen, die man zusätzlich in Bewegung und Attacke investieren kann. Letzteres beeinflusst die Menge an Schaden, den man der Rüstung zufügt.
Alles eine Frage des Ruhms
Kaufe ich Vorräte für meine Karawane? Investiere ich lieber in die Charakterentwicklung? Oder in magische Artefakte? Diese Fragen beschäftigen während des gesamten Spiels. Denn egal für was man sich entscheidet - alles kostet Ruhm. Man gerät in Situationen, in denen man nicht genug davon hat und abwägen muss, was wichtiger ist. Obwohl theoretisch drei oder vier Helden aufsteigen könnten, hat man praktisch zu wenige Punkte dafür. Und dann muss man
Wer zusätzlichen Ruhm benötigt, kann ihn entweder über den Kampf oder die Gespräche gewinnen. Man wird also nicht nur für Gefechte, sondern auch für Entscheidungen belohnt. Schön ist, wie gut alles miteinander verzahnt ist: Wenn die Moral der Karawane sinkt, weil ich zu wenig raste, um weniger Vorräte aka Ruhm zu verbrauchen, wirkt sich das auf die Willenskraft im Kampf aus - man hat dann weniger Sterne zur Verfügung. Wenn ich meine Charaktere nicht aufsteigen lasse, weil ich in Vorräte investiere, bleiben nicht nur ihre Fähigkeiten im Kampf überschaubar, auch ihr Itemlevel reicht dann nicht für wirklich effiziente Artefakte. Hier ist alles sinnvoll miteinander verwoben.
Fazit
Auch auf dem iPad ist The Banner Saga ein klasse Abenteuer. Das letzte Mal, dass ich so lange über Entscheidungen gegrübelt habe, war in The Walking Dead von Telltale. Und das letzte Mal, dass ich so laut über den Verlust eines lieb gewonnen Charakters geflucht habe, war in G.R.R. Martins Lied von Eis und Feuer. The Banner Saga ist zwar „nur“ Rundentaktik, aber dieses edle Abenteuer bereichert das Genre um ein interessantes Reise-Management sowie eine Dramaturgie, die mich als Anführer einer Karawane immer wieder in die verzwickte Position des moralischen und strategischen Entscheiders bringt. Zudem entfaltet sich über den Zeichentrickstil mit seinen malerischen 2D-Kulissen sowie den eindringlichen Soundtrack mit seinen isländischen Gesängen eine ganz eigene Ästhetik. Das Erhabene und Edle des Altnordischen wird gekonnt mit fiktiven Elementen verknüpft, so dass abseits von Kitsch und Klischees eine glaubwürdige Welt mit inneren Konflikten entsteht. Das ist aber nicht nur sehr elegant inszenierte, sondern überaus motivierende und vor allem innovative Rundentaktik, in der man seine Gefährten clever positionieren und entwickeln muss. Ja, es gibt auch ärgerliche Defizite, was die fehlende Routenwahl oder die immer gleichen Arenen mit ihrer Statik betrifft. Aber hier bekommt ihr Schach und Drama, Kampf und Konsequenzen – was will man mehr? Endlich die Konsolenversionen! Ach ja: Und den zweiten Teil!
Pro
Kontra
Wertung
iPad
Tolles Artdesign, innovativer Reise-Aspekt, Entscheidungen und Konsequenzen: Auch auf dem iPad ist The Banner Saga klasse Rundentaktik.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.