Stratego31.01.2013, Jörg Luibl
Stratego

Im Test:

Stratego für das iPad? Das macht neugierig. Schließlich hat der Brettspielklassiker nicht nur eine bewegte Geschichte hinter sich, sondern so manche Kindheit mit seinen taktischen Scharmützeln und Versteckspielen geprägt – es hat immer noch einen Ehrenplatz bei mir im Regal. Und bis heute wird es vor allem in den Niederlanden und Belgien fleißig auf Turnieren gespielt. Wir haben für 5,99 Euro zugeschlagen.

Kein Herz für Offliner & Solisten

Patrick Swayze lässt grüßen: Das Artdesign hält sich leider an die aktuelle Lizenzvorgabe von Jumbo.
Patrick Swayze lässt grüßen: Das Artdesign hält sich leider an die aktuelle Lizenzvorgabe von Jumbo. Viel schlimmer ist, dass man zur Online-Registrierung und permanenter Netzanbindung gezwungen wird - nur wer vor dem Start WLAN deaktiviert, kann Glück haben und sich offline anmelden.
Große Facebook-Logos? Ein Artdesign wie aus dem Friseursalon, das sich leider am aktuellen Jumbo-Brettspiel orientiert? Und ich soll mich online entweder über Facebook oder frei per E-Mail & Co anmelden, bevor ich überhaupt spielen kann? Wer Stratego kauft und startet wird erstmal vor den Kopf gestoßen. Erst wenn man ein Konto angelegt hat, darf man endlich weiter und loslegen. Aber Vorsicht, nicht während des Spiels aus dem WLAN raus, denn man muss tatsächlich online sein. Wer das WLAN vor dem Start ausschaltet, kann Glück haben und sich einloggen oder Pech haben und trotz korrektem Passwort nicht über das Hauptmenü hinaus kommen. Wer hat sich denn den Unsinn ausgedacht?

Allerdings wird man als Einsteiger oder Solist ohnehin nicht lange Spaß haben: Tutorial? Fehlanzeige. Klickt man auf die Hilfe, wird man tatsächlich auf eine andere Webseite gebracht, anstatt z.B. durch ein internes FAQ oder gar eine Anleitung zu scrollen. Ehrlich gesagt hätte ich mich auch über einen Rückblick auf die Geschichte des Spiels gefreut, aber bleiben wir bei Standards: Szenarien? Kampagne? Herausforderungen? Fehlanzeige. Man kann lediglich zwischen zwei Matchtypen mit vollen 40 oder zehn Figuren gegen eine einzige (!) KI spielen, die auch noch offensichtlich (!) schummelt – manchmal findet sie direkt die Fahne oder mit dem Spion den Marschall. Kurzum: Dieses Stratego ist für Einzelspieler der komplette Murks.

Online-Ranglisten & Freischaltbares

Gut, dass man zwischen altem und neuem Design wählen kann.
Gut, dass man zwischen altem (authentic) und neuem (original) Design wählen kann.
Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für ein Spiel, das ich in meiner Kindheit geliebt habe. Immerhin darf man das grässliche moderne Design nach der Registrierung gegen das klassische Design der 80er-Jahre tauschen – zunächst bekommt man 200 Punkte der internen Währung gratis, die man für diesen Wechsel tatsächlich ausgeben muss. Und was kann man für diese "Battle Coins" sonst noch erwerben? Richtig: Weitere überflüssige Karten und hässliche Avatare etc., wenn man fleißig im Internet gewinnt. Wer das umgehen will, soll tatsächlich mit echtem Geld bezahlen – ein Witz! Warum bekommt man für 5,99 Euro nicht sofort alle dieser schnöden Inhalte?

Wer sich online messen will, findet tatsächlich einiges an Komfort: Man kann plattformübergreifend gegen Freunde über Facebook, aber nicht über GameCenter spielen - warum wird Letzteres nicht unterstützt? Man kann Formationen speichern und laden, was gerade bei Stratego unheimlich wichtig ist, damit sich die Aufstellphase nicht unnötig in die Länge zieht. Zudem gibt es ein gutes Zeitlimit, so dass man in einem Match nicht unendlich warten muss. Man kann schnelle Gefechte mit nur zehn Figuren austragen sowie Ranglisten-Spiele mit der kompletten Armee, in denen sich bereits Leute mit hunderten Partien finden; vor allem aus Benelux.

Zeitlose Spielmechanik

Ist man erstmal online, entfaltet Stratego schnell seine zeitlosen Reize.
Ist man erstmal online, entfaltet Stratego schnell seine zeitlosen Reize. Aus technischer Sicht gibt es aber lediglich eine biedere Präsentation, ohne Zoomanreize, ohne grafische Leckerbissen.
Kein Wunder, denn als rein kompetitives Spiel kann Stratego mit seiner zeitlosen  Spielmechanik durchaus überzeugen. Wenn man so möchte, ist es ein simpler Vorläufer der heute so komplexen „Block Wargames“ wie etwa „Hammer of the Scots“ oder „Julius Caesar“ von Columbia Games. Auch in Stratego stehen sich zwei unbekannte Armeen gegenüber; auch hier gibt es quasi einen Nebel des Krieges, da man zunächst nur die Rückseite der Feinde sieht, nicht ihren Rang und ihre Schlagkraft. Abwechselnd zieht man entweder vorwärts oder „fragt nach“, wer sich hinter der Feindfigur verbirgt, was einen Kampf auslöst – der höhere Rang gewinnt, der niedrige fliegt vom Feld.

Die spielerische Würze entsteht durch besondere Figuren wie Aufklärer, Spione und Mineure, die enttarnen bzw. weiter als ein Feld ziehen, die den Marschall direkt vernichten oder Bomben entschärfen können. Ziel ist es, irgendwann die gegnerische Fahne zu entdecken. Im Laufe einer Partie kann man wunderbar bluffen, taktieren und überraschen. Es gibt im Internet zig Varianten für optimale Aufstellungen, zig defensive und offensive Manöver. Trotzdem bleibt letztlich nur ein ausreichender Eindruck zurück, denn diesen Klassiker hätte man wesentlich umfangreicher und liebevoller umsetzen können.

Fazit

Wie kann man einen Klassiker so lieblos umsetzen? Der Online- und Registrierungszwang ist ein schlechter Witz und man unterstützt Facebook statt GameCenter. Die Präsentation ist bieder und hält sich sklavisch an die billig designte Brettspielvorlage, ohne die Möglichkeiten des iPads auszunutzen, was hoch auflösende Grafik oder Multitouchbedienung angeht  – die wenigen Partikelexplosionen hätte man sich sparen können. Einzelspieler können nicht einfach offline loslegen, es gibt kein Tutorial, keine Kampagne, keine Szenarien und eine schummelnde KI. Lediglich der Online-Modus mit seinen Ranglisten sorgt dafür, dass das kein Verriss mit mangelhaft wird. Schließlich kommt dort tatsächlich der zeitlose Spaß am taktischen Versteckspiel zum Tragen, den man von all den Duellen mit Freunden am Tisch kennt. Diese 5,99 Euro sollte man sich dennoch sparen, zumal man Stratego auch umsonst im Internet spielen kann.

Pro

zeitlos spannendes Spielprinzip
Formationen laden & speichern
zwischen zwei Figurensets wählen
Online-Ranglisten, Zeitlimits

Kontra

hässliches Artdesign
sehr biedere Präsentation
Registrierungs
& Online-Zwang
schummelnde KI
keine KI-Typen oder Schwierigkeitsgrade
nur zwei Solo-Spielmodi, keine Kampagne
keine GameCenter-Unterstützung
kein Pass & Play an einem iPad
kein voller Inhalt, dafür überflüssige In-App-Purchases
kein Tutorial, kein FAQ, keine interne Hilfe
bisher nur englische Texte

Wertung

iPad

Als alter Stratego-Fan bin ich von dieser lieblosen Umsetzung schwer enttäuscht - nur die Onlinekomponente rettet eine ausreichende Wertung.

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