Deus Ex: The Fall16.07.2013, Jörg Luibl
Deus Ex: The Fall

Im Test:

Deus Ex: Human Revolution hat vor knapp zwei Jahren für sehr gute Unterhaltung auf PC, PS3 und 360 gesorgt. Der nahtlose Übergang vom Schleichen zur Action sowie die offene Missionsstruktur ermöglichten vielfältige Lösungswege. Wer mehr über die dystopische Welt des Jahres 2027 erfahren will, muss unter iOS weiterspielen. Und Square Enix verspricht auch für das iPad ein großes Erlebnis.

Goldene Erinnerungen

Auf den ersten Blick macht dieses Deus Ex eine stimmungsvolle Figur: Das Artdesign folgt dem stilbildenden goldenen Glanz, die Kulisse lockt mit diffusem Licht und futuristischen Arealen. Zusammen mit den dezenten Klängen entsteht eine ebenso zwielichtige wie edle Atmosphäre, die fast nahtlos an das Erlebnis auf PC, PS3 und 360 anzuknüpfen scheint. Wenn Protagonist Ben Saxon das erste Mal auftritt, bekommt das Erlebnis auf iPad allerdings einen ersten Dämpfer. Hinsichtlich Mimik, Gestik und vor allem Charisma bleibt der britische Ex-Elitekämpfer weit hinter Adam Jensen aus Human Revolution zurück - er erinnert eher an einen gewöhnlichen Helden der 80er.

Worum geht es? Zusammen mit einer Begleiterin wird er von Agenten einer monopolistischen Firma gejagt, für die sie kürzlich noch selbst aktiv waren. Deshalb könnten sie brisantes Insider-Wissen über den Handel mit Medikamenten ausplaudern, die als einzige die teilweise fatalen Nebenwirkungen von Augmentierungen eindämmen. Natürlich geht es wie im großen Vorbild um diese künstlichen Erweiterungen des Menschen  und ihre gesundheitlichen, sozialen sowie politischen Folgen. Zwar gewinnt Ben im Laufe seiner Flucht über den halben Erdball noch ein wenig Charakter und Zerrissenheit, Dialoge und Zwischensequenzen wirken jedoch zu holzschnittartig.

Neugier und Ernüchterungen

Sieht gut aus, steuert sich in ruhigen Situationen angenehm präzise, aber sobald es zur Sache geht, wird es unübersichtlich...
Sieht gut aus, steuert sich in ruhigen Situationen angenehm präzise, aber sobald es zur Sache geht, wird es unübersichtlich...
Aber nicht nur weil die Ereignisse parallel zu jenen in Human Revolution stattfinden und man bekannte Charaktere trifft, wird durchaus die erzählerische Neugier geweckt. Lobenswert ist auch, dass man während der Dialoge teilweise zwischen Antworten wählen und harte Entscheidungen treffen muss: Lässt man Gnade walten oder tötet man sein Gegenüber? Je nachdem wie man handelt, muss man später mit Konsequenzen rechnen. Trotzdem will die Story aufgrund der Präsentationsdefizite keine große Identifikation mit Held und Welt aufkommen lassen – es fehlt trotz Sprachausgabe (auf Englisch) und Zwischensequenzen die dramaturgische Sogwirkung.

Wie spielt sich dieses Deus Ex? Was ist mit Stealth und Action? Die Steuerung überrascht im Einstieg positiv, denn man kann sich präzise über den linken Daumen vor oder zurück bewegen, geduckt oder aufrecht, während man mit dem rechten den Blickwinkel bzw. das Fadenkreuz der Waffe bewegt – das funktioniert erstaunlich gut. Wer es indirekter mag, kann auch auf den Boden, die Deckung oder einen Gegner tippen, um dann dorthin zu huschen bzw. diesen ins Visier zu nehmen; in den Optionen lassen sich zudem Doppel- und Einfachtipper einstellen. Sobald ein schneller Wechsel der Deckung möglich ist, kann man auf einen Button klicken – diese Bewegung ist taktisch sehr hilfreich und sieht elegant aus.

Mehr Hektik als flüssige Action

Auch wenn die Auswahl an Augmentierungen, Waffen & Co stimmt: Das Spiel kann keine Sogwirkung entfachen.
Auch wenn die Auswahl an Augmentierungen, Waffen & Co stimmt: Das Spiel kann keine Sogwirkung entfachen.
Aber in der Hitze des Gefechts zeigen sich dann die bekannten Probleme gegenüber der klassischen Gamepad- oder Maus/Tastatur-Steuerung. Vor allem der Actionweg kann aufgrund der fehlenden Kontrolle während der Gefechte frustrierend sein: Einen Feind anzuvisieren und per automatischer Zielfixierung zu beschießen ist natürlich kein Problem. Aber sobald Alarm ausgelöst wird und mehrere Wachen auftauchen oder man schnell reagieren muss,  weil man verfolgt wird, ist die Steuerung zu fehleranfällig. Hinzu kommen teilweise komplett apathische Feinde, die trotz Beschuss nicht reagieren oder die wie blöde ohne Deckung zu suchen vorwärts stürmen – die KI ist stellenweise miserabel. Wer also mit durchschlagenden Argumenten und Action hantieren will, wird auf dem iPad enttäuscht.

Der Schleichweg ist schon eher zu empfehlen, denn hier hat man mehr Ruhe, kann besser planen und geduckt von Säule zu Säule huschen. Außerdem erscheinen die Buttons für einen lauten oder leisen Kill recht früh, so dass man nicht ganz nah an den Feind ran muss. Aus der Deckung heraus kann man zudem sehr gut manuelles Zielen für Kopfschüsse oder Granaten  nutzen. Aber das Leveldesign ist weitaus simpler gestrickt, was Architektur und Struktur angeht – sprich: Man findet als Schleicher nicht genug alternative Routen und wird meist an enger Leine zum Ziel geleitet. Es gibt immerhin auch mal Hacking vor verschlossenen Türen, das wesentlich einfacher ist als im Original, sowie Notizen, die der Geschichte einige private Facetten hinzufügen. Außerdem kann man Schädel, Haut, Rumpf, Arme, Augen und Beine mit aktiven und passiven Augmentierungen wie dem getarnten Lauf, dem lautlosen Laufen oder dem Blick durch Wände aufrüsten. Man wird also auf dem iPad mit der subtilen Vorgehensweise besser unterhalten als mit der mangelhaften Action.

Faule Kompromisse und ärgerliche Bugs

Die KI ist stellenweise mangelhaft: Zwischen apathischem Staunen über Beschuss und selbstmörderischen Läufen ins Feuer.
Die KI ist stellenweise mangelhaft: Zwischen apathischem Staunen über Beschuss und selbstmörderischen Läufen ins Feuer - wer den Actionweg einschlägt, wird schnell enttäuscht.
Auch beim Schleichen muss man jedoch mit faulen Kompromissen und ärgerlichen Bugs leben: Zum einen wird einem das Leben als Infiltrator künstlich leicht gemacht. Leichen lösen sich kurz nach einem Treffer einfach auf. In einer Patrouille von drei Mann wundert sich natürlich keiner, wenn die Kollegen plötzlich einer nach dem anderen über Bolzenschüsse verschwinden – authentisch ist anders. Und die Suchroutinen nach einem Alarm sind erbärmlich schwach: Obwohl gerade noch geschossen wurde, reichen ein paar Meter der Flucht und etwas Geduld, um den Alarmpegel so zu senken als wäre nichts gewesen.

Hinzu kommen ärgerlich Fehler in der Steuerung und Visualisierung: Tippt man auf einen Punkt im Gelände, damit Ben automatisch dorthin geht, kann es passieren, dass er eine abstrus lange und für die Wachen einsehbare Route wählt, anstatt direkt um ein Hindernis zu huschen – natürlich wird er dann entdeckt. Außerdem bleibt er manchmal komplett in massiven Gegenständen wie Kisten hocken, die dann mit dem Körper verschmelzen; hier hapert es an der Kollisionsabfrage.

Auch die Einbindung der In-App-Purchases ist kontraproduktiv: Nicht über Händler, sondern direkt während der Einsätze kann man über Echtgeld effizientere Waffen, Minen und Granaten kaufen (3000 Credits gibt es für 0,89 Cent). Man muss das zwar nicht, um erfolgreich zu sein, aber warum lässt man diesen Bruch in der Fiktion überhaupt zu?

Fazit

Auf dem iPad spielt sich dieses Deus Ex wie ein hübscher, aber fauler Kompromiss. Das ist ein vorzeigbares, zwischendurch unterhaltsames Abenteuer, das auf den ersten Blick an die Stimmung aus Human Revolution erinnert. Aber obwohl die Story parallel zu dessen Ereignissen spielt und man Entscheidungen treffen darf, kann die Regie keine Sogwirkung entfachen – zwischen diesem Spiel mit Ben Saxon und jenem mit Adam Jensen in der Hauptrolle liegen qualitativ Welten. Zwar ist die Steuerung in ruhigen Situationen überraschend präzise, aber in der Hitze des Gefechts verliert man schnell die Übersicht und wird von stellenweise miserabler KI enttäuscht. Besser als die mangelhafte Action funktioniert das Schleichen, denn hier kann man einige spannende Momente erleben. Trotzdem wird auch beim subtilen Vorgehen im Vergleich zum Original zu häufig klar, dass man hinsichtlich Figurenverhalten, Missionsdesign und Regie ein Deus Ex zweiter Klasse vor sich hat. Warum muss man ein immersives Echtzeiterlebnis überhaupt auf Tablets oder gar Mobiltelefonen anbieten, wenn man weiß, dass man letztlich so viele Abstriche in Kauf nehmen muss? Hier hätten sich eher PS Vita oder 3DS angeboten! Auf dem iPad hätte ein rundenbasiertes Abenteuer mit Stealthfokus zu einem konsequenteren Ergebnis geführt.

Pro

stimmungsvolle Kulisse
Entscheidungen treffen
zig Waffen, Minen und Granaten
mit Augmentierungen experimentieren
einige unterhaltsame Schleichabschnitte
angenehme Steuerung mit vielen Optionen
Story spielt parallel zu Deus Ex: Human Revolution

Kontra

hölzerne Regie
teilweise miserable KI
als Actionspiel unbrauchbar, weil zu hektisch
Wegfindungsprobleme beim indirekten Tippen
Wachen lösen sich einfach auf
zu wenig Wege für Schleicher im Leveldesign
einige böse Clippingfehler
viel zu leichtes Hacking
In-App-Purchases mitten im Spiel möglich
nur englische Sprachausgabe

Wertung

iPad

Auf dem iPad spielt sich dieses Deus Ex wie ein hübscher, aber fauler Kompromiss - hektische Action trifft auf nur stellenweise unterhaltsames Schleichen.

iPhone

Auf dem iPhone ist Deus Ex auch sehr ansehnlich, aber auf dem kleinen Schirm häufen sich die Fehltipper.

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