Papa Sangre28.02.2011, Jan Wöbbeking
Papa Sangre

Im Test:

Endlich gibt es einen Grund dafür, die guten alten Kopfhörer aus der Schublade zu kramen. Der experimentelle iPod-Titel Papa Sangre gibt überdimensionierten Ohrenschützern eine neue Existenzberechtigung: Klaustrophobische  Survival-Horror ohne Grafik!  Stattdessen orientiert man sich nur nach dem Gehör. Kann das gut gehen?

»Hör-Spiel«

Je klarer die klingelnden Noten und Schmerzensschreie aus den Lautsprechern ertönen, desto einfacher gestaltet sich die Reise durch die unsichtbare Voodoo-Welt. Entwickler »Somethin' Else« hat ganze Arbeit geleistet: Dank einer geschickt ausgetüftelten dreidimensionalen Audio-Engine klingen die Geräusche erstaunlich räumlich. Wer schon einmal die Ausstellung "Dialog im Dunkeln" in der Hamburger Speicherstadt besucht hat, kennt das Gefühl: 

Bis auf wenige Menübilder kommt Papa Sangre komplett ohne Grafik aus - das Jenseits wird nur durch gruselige Geräusche zum Leben erweckt.
Um den Alltag eines Blinden nachzuvollziehen, bekommt man dort die Augen verbunden und schreitet eine Stunde lang durch stockfinstere Räume. Links ertönt das Hupen eines Autos, rechts höre ich ein Karnickel über die Wiese hoppeln. Nach einer Weile gewöhnt sich das Gehirn an die Orientierung nach dem Gehör - auch in Papa Sangre kann man dieses Phänomen beobachten.

Einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied gibt es: Beim "Dialog im Dunkeln" wartet kein fieser Sensenmann hinter der nächsten Ecke, welcher kichernd sein Folterinstrument schärft, bevor er mich damit fachgerecht zu Tatar zerschnippelt. Wie der Name andeutet, spielt Papa Sangre in einer Voodoo-Zwischenwelt. Die gruselige Atmosphäre weckt sofort Erinnerungen an den N64-Klassiker Shadowman. Offenbar hat mein Alter Ego das Zeitliche gesegnet - viel mehr weiß ich jedoch nicht über meine Vorgeschichte oder Mission. Auch die Erzählerin aus dem Off hält sich bedeckt. Wenn ich wieder einmal von einem Monster-Wildschein zerfleischt werde, kommt sie dagegen richtig in Fahrt und lässt es sich nicht nehmen, das grausame Schauspiel ausführlich zu beschreiben.

Knacksende Knochen

Obwohl die Schmerzensschreie und das Gesplatter reichlich martialisch klingen, ist es gar nicht so schlimm, wenn ich wieder einmal erwischt werde. Die Erzählerin schenkt mir sofort einen neuen Körper und ich kann im Handumdrehen wieder am Anfang des kurz gehaltenen Levels einsteigen. Der Ablauf gestaltet sich stets ähnlich: In der Ferne klingelt eine Note, welche ich erreichen soll. Also richte ich meinen Körper mit Hilfe eines knöchernen Lenkrades aus und taste mich langsam voran, indem ich auf die beiden dicken Felder drücke: Linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß. Mehr Knöpfe gibt es nicht. Bloß nicht zu schnell - sonst stürze ich und reiße das schlafende Wildschwein aus seinem Traum. Auch die auf dem Boden verstreuten Knochen und Gedärme wecken das Biest, wenn ich einen Fuß darauf setze. Schreite ich langsam voran, warnt mich meine sadistische Erzählerin aber vor der Gefahr. Stolpere ich trotzdem, heftet sich das Borstentier sofort schnaubend an meine Fersen.

Per Druck auf die Fuß-Tasten stapft der unbekannte Protagonist durchs Jenseits. Das knochige Lenkrad bestimmt die Laufrichtung.

 

Also nehme ich die Beine in die Hand, bis mein Verfolger das Interesse verliert und wieder schnarchend einschlummert. Dann horche ich wieder auf das verheißungsvolle Klingeln einer Note. Klingt es dumpf, liegt das Ziel hinter mir; ein klarer Ton signalisiert meinem Hörzentrum, dass es sich vor mir befindet. Die Lautstärke der einzelnen Ohrmuscheln macht die Illusion komplett.

Schwein gehabt!

 

Lauert ein junges oder ausgewachsenes Borstentier auf meinem Weg, locke ich es zunächst zur Seite und renne erst dann zur klingelnden Note. Habe ich sie erreicht, mache ich mich auf den Weg zum nächsten Geräusch und schließlich zum Ausgang.  Zwischendurch schreite ich über knarzende Holzbohlen, renne durch rauschendes Gras und stapfe stapfe mit lauten Schmatzgeräuschen durch sumpfigen Treibsand. Letzterer lässt mich sofort straucheln, wenn im falschen Tempo unterwegs bin.

Im nächsten Areal patroulliert ein krächzender Vogel über dem rauschenden Fluss. Außerdem wartet hier ein alter Mann darauf, von mir gerettet zu werden. Kann er Licht ins Dunkel der Geschichte bringen? Und was hat er mit dem schreienden Baby zu tun, dem ich kurz zuvor begegnet bin? Die Erzählerin verrät es mir nicht und lässt lieber ein paar geheimnisvolle Phrasen vom Stapel. Auch der alte Mann gibt sich völlig arglos und brabbelt mich derart penetrant  voll, dass ich die Schwingen des patroullierenden Vogels nicht rechtzeitig höre. Kurze Zeit später pickt er kreischend auf meinem Schädel ein. Beim zweiten Versuch gehe ich die Sache durchdachter an: Zunächst schnappe ich mir die Noten und kümmere mich erst danach um meinen senilen Schützling. 

Größe: 123 MB

Getestete Version: 1.1.1

Preis: (28.2.2011): 3,99 EuroDie Sprecherin empfiehlt mir sogar, ihn komplett zu ignorieren. Solch taktische Anflüge bringen zwar ein wenig Abwechslung ins Abenteuer, trotzdem geht es meist lediglich darum, die klingelnden Noten zu finden, sich zwischen den Feinden hindurch zu mogeln und den Ausgang zu finden.     

Fazit

Es ist schon erstaunlich, welche Fähigkeiten in einem simplen Kopfhörer stecken: Die Soundtüftler bei »Somethin‘ Else« haben tatsächlich mit einfacher Stereo-Technik eine verdammt räumlich klingende Voodoo-Hölle erschaffen – und das fast komplett ohne den Einsatz von Bildern. Wer nicht augenblicklich von den angriffslustigen Monstern zerfleischt werden will, muss behutsam einen Fuß vor den anderen setzen, um ja nicht auf laut knacksende Knochen, Gedärme oder andere unappetitliche Dinge zu treten. Die tolle Abmischung und die professionellen Sprecher hauchen der Gruselwelt viel Leben ein. Schade, dass man das Potential des Titels nicht voll ausschöpft: Längere Gespräche, Dialogrätsel und andere Feinheiten hätten die Reise durchs Jenseits noch interessanter gestalten können. Stattdessen bleibt das Spiel im Kern eine virtuelle Geisterbahn mit simplen Ausweichmanövern. Auch die Entwickler beschreiben ihren Titel treffenderweise als Pinata-Spiel - und zwar eines, bei dem der Spieler in die Rolle der Pinata schlüpft und von hungrigen Monstern zerlegt wird. Andererseits ist diese Survival-Hetzjagd auch so unheimlich reizvoll.

Pro

interessante Spielidee
gespenstische Soundkulisse
räumliche Orientierung klappt erstaunlich gut
surreal inszenierte Voodoo-Totenwelt + professionell gesprochene Texte

Kontra

konzentriert sich zu stark auf simple Ausweich-Manöver
manche Sätze wiederholen sich zu oft

Wertung

iPhone

Spannende und innovative akustische Hetzjagd durch eine finstere Welt voller gruseliger Geräusche.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.