Game Dev Story07.04.2011, Jörg Luibl
Game Dev Story

Im Test:

Diese kleinen Spiele können nix, alles nur Billigramsch! Fastfood für die anspruchslose Handygeneration. Die wollen doch nur mal für fünf Minuten ihre nicht vorhandenen Skills suchen, damit sie wieder ein paar Stunden selig Wimmelbilder klicken oder dummes Zeug simsen können. Damals haben wir in Sim City noch ganze Städte am Amiga konstruiert! Oder im Softwaremanager unser eigenes EA aufgebaut! Was? Jetzt soll man auch am iPhone eine Spielefirma gründen können? Mit Kulleraugen und Piepstönen? Haut doch ab!

Verriss im Kopf

Bisher gibt es Game Dev Story nur für iPod touch und iPhone sowie Android in Englisch/Japanisch; es kostet 2,99 Euro. Soll man Jake Kirby einstellen? Er ist eine Null in Programmierung, aber grafisch begabt.
Okay, bleibt noch eine Sekunde hier: Schließlich liest sich auch ein Verriss gut - und wenn das hier Richtung Simulation geht, dann hat der Prozentehenker ohnehin eine scharfe Sense! Also, ran an die exklusive App, die sich "Game Dev Story" schimpft und wie eine japanische Soap für Vorschulkinder aussieht. Oh Gott, diese Pokémongrafik! Damit die Vorfreude weiter steigt, installier' ich den 3-Euro-Kram auf dem iPad, so dass alles schön gestreckt wird und die Pixel so richtig schwimmen. So, jetzt kann es losgehen.

Wie soll die Firma denn heißen? Ach komm, ich nehm' die vorgefertigten "Sunny Studios", das klingt schön blöd und flach. Das Ziel: Mit den 500.000 Dollar Startkapital über zwanzig Jahre eine erfolgreiche Spielefirma aufbauen - am Ende vielleicht sogar eine Konsole entwickeln. Hört sich ja interessant an, aber wahrscheinlich werde ich schon nach einem Jahr so viel Tiefe finden wie in einer australischen Pfütze. Am besten geht ihr schon mal ins Archiv und wühlt nach der niedrigsten Wertung von 2011 - irgendwas für Wii, DSi oder den Alltag. Es könnte sein, dass da gerade ein Wettbewerb auf unterstem Niveau entsteht.

Eine halbe Stunde später...

Wieder da? Es war Jagen 2011 von Valuesoft und hatte nur 20%? Seltsam: So schlecht ist das Spiel hier gar nicht. Es sieht immer noch seltsam aus, es trötet fröhlich vor sich hin und irgendwie ist es sogar ganz... ähm... passabel, manchmal sogar witzig. Vor allem die Begrüßung der ersten Mitarbeiter hat mir gefallen - ein klares angelsächsisches "Work!" Meine Sunny Studios, also ein Coder und ein Writer, arbeiten jedenfalls gerade an einem PC-Spiel. Die erste Konsolenlizenz kostet unverschämte 200.000 Dollar! Klar würde dafür mein Anteil an den Spieleverkäufen von 38% auf 68% steigen, aber ich muss die Jahresgehälter meines Teams auf einen Schlag zahlen, Werbung schalten und neue Mitarbeiter einstellen - also immer schön langsam, man will ja nicht sofort in die Insolvenz.

Aber was entwickelt man zuerst? Wie wär's mit einem Diablo oder Zelda für die Kasse? Verflixt, geht alles noch nicht! Zu Beginn kann ich nur zwischen fünf langweiligen Genres von "Table" bis "Adventure" wählen und mich für ein Szenario von "Ninja" über "Robot" bis "Historical" entscheiden. Ich wähle die Kombination "Puzzle" und "Animal" - erstmal was Kleines für die Kids entwickeln, um sich in die Kinderzimmer zu schleichen! Hatte id Software nicht auch so angefangen? Oder war es Playmobil? Jedenfalls setze ich meine zwei eifrigen Experten ran.

Dabei darf ich den Designprozess über die allgemeine Entwicklungstaktik (Normal, Speed, Quality, Research, Budget) sowie "Direction Points" in acht Kategorien beeinflussen. Ich wähle die Qualität, schließlich soll das Spiel rocken. Was passt wohl am besten zu einem Puzzler mit Tieren? Okay, die Niedlichkeit wird ganz hoch angesetzt, der Realismus braucht gar keine Punkte, die Einfachheit und Zugänglichkeit wiederum sehr viele, die Innovation werde ich vernachlässigen, die Spielwelt ist auch nicht so wichtig, aber der Feinschliff muss am Ende sitzen! Na, dann mal los.

Eine Stunde später...

Da sitzen sie und schuften für den Spielspaß - wenn jemand richtig gut drauf ist, ist er "on fire" und die Inspiration sprudelt nur so aus ihm heraus!
Okay, reden wir nicht lange über den ersten Knobler - der hat zwar etwas Kohle eingebracht, aber die Presse war gelangweilt. Aber danach konnte ich mit einem Actionspiel vor Ninja-Hintergrund richtig begeistern und mit dem satten Gewinn mehr Leute einstellen! Sehr schön ist: Schon diese Kombination aus Genre und Szenario kann gut oder schlecht zusammen passen, so dass das Team bei der Entwicklung bereits Boni bekommt. Erst später wird man das bemerken, wenn man z.B. "Shooter" mit "War" verbinden darf - oh, da klingeln Motivation und Kasse im Takt. Aber schon zu Beginn lockt das Spiel die kombinatorische Neugier: Was wohl aus welcher Mischung heraus kommt?

Selbst die minimalistische Kulisse hat mittlerweile ihre Reize - seht ihr den Typ mit der Maske? Er heißt "Mister X". Den hab ich vorhin eingestellt, weil er mir im Geheimen empfohlen wurde. Hört sich komisch an, ist aber so. Und er klotzt richtig rein, hat klasse Ideen, so dass ich ihn alle Szenarien schreiben lasse! Sobald man ein Genre und ein Szenario verknüpft hat, geht es los und das Team haut in die Tasten: Je nach Talent und Fähigkeiten rieselt es Fortschritte in den vier Bereichen Spielspaß, Innovation, Grafik und Sound - gleichzeitig häufen sich Bugs an. Und es kann dazu kommen, dass ein Mitarbeiter plötzlich einen Einfall hat: Hey Chef, darf ich die Grafik verbessern? Dann sollte man genau auf die Talente des Freiwilligen schauen, denn wenn seinem Engagement kein Können folgt, steht man vor einem Bughaufen - eine schöne Idee, die für Spannung sorgt, zumal man die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöhen kann.

Zwei Stunden später...

Neben dem Stand der Entwicklung in Prozent wird auch der aktuelle Hype sowie der Ruhm dargestellt; von beidem hat man zu Beginn sehr wenig, aber sie wechseln beständig. Um die Entwicklung zu verbessern, kann man auch auf witzige, aber zu Beginn kostspielige Hilfsmittel zurückgreifen: Ein Spray verscheucht z.B. Bugs, die den Release hinaus zögern - man kann natürlich auch drauf pfeifen und einen auf JoWooD machen, aber dann wird es nix mit der Hall of Fame.

Man kann sein Budget nicht nur für die Entwicklung der Mitarbeiter, sondern auch für Werbezwecke nutzen und von der kleinen Online-Kampagne über Radiosendungen bis hin zu kostspieligen Fernsehspots alle Register ziehen, um den Hype zu schüren. Oder soll es ein fetter Messe-Auftritt auf der "Gamedex" mit Liveband sein? Verkaufserfolge und PR-Aktionen sorgen auch dafür, dass die Zahl der Fans steigt - getrennt in männlich und weiblich sowie Altersgruppen, die sogar aus ihrer Faszination herauswachsen können. Auch die Statistiken schaut man sich gerne an: Kann man mehr Messebesucher als letztes Jahr anlocken? Sehr schön werden auch die neuen Konsolengenerationen vorgestellt: Mit Blitzlichtgewitter und kleiner technischer Beschreibung, die Kenner sofort enttarnen werden. Von Nintendo DS aka "Intendro DM" bis hin zu Wii aka "Whoops" sind alle prominenten Plattformen von PC über PlayStation bis Xbox dabei - sehr schön.

Drei Stunden später...

Diesmal haben die Kritiker (fast) nix zu meckern: 36 Punkte reichen für die Hall of Fame!
Ach, ihr seid's? Eigentlich habe ich ja gerade zu tun: Der Messestand muss abgesegnet werden. Und gleich muss das nächste Spiel in die Pipeline, denn Robocop für die Game-Box war doch ein Flop. Verriss? Nein, meine Spiele wurden noch nie zur Gurke des Jahres gewählt. Ach so, ihr meint das hier? Tja, die kleine miese Aufbausim wird tatsächlich immer besser. Mein Studio ist umgezogen, ich habe neue Leute eingestellt - seht ihr den da hinten? Das ist "Walt Sidney", der wunderbare Ideen für Szenarien hat! Oder erst "Shigeto Minamoto" - mit dem Mann steigt die Innovation so richtig an, der kann fast alles. Nicht nur die Namengebung der Figuren weckt Erinnerungen an die Spielwelt, auch die der Konsolen und ihrer Zyklen folgt bekannten Mustern.

Außerdem habe ich den ersten Verkaufshit gelandet. Der Ehrgeiz ist geweckt, denn bei den Awards zum Spiel des Jahres habe ich es noch nie auf das ultimative Treppchen geschafft - ich bekomme immer nur Sonderpreise für Musik & Co. Ist ein Spiel endlich auf dem Markt, kann man sofort den Verkaufserfolg in Graphen beobachten und das Konto klingelt. Wichtig ist auch das Feedback der Presse: Vier Kritiker geben im Famitsu-Stil bis zu zehn Punkte sowie einen süffisanten Spruch à la "It made me cry" oder "Boring" zum Besten; erst ab einem hohen Schnitt wird das eigene Spiel in die Hall of Fame übernommen. Der Vorteil: Man darf erst dann einen offiziellen Nachfolger entwickeln, der natürlich schon auf einer Fanbasis aufbauen und weitaus mehr Hype erzeugen kann.

Fünf Stunden später...

Ein Großteil der Motivation entsteht auch durch das zweigleisige Personalmanagement, denn man kann ausbilden und rekrutieren: Das eigene Studio startet mit zwei leidlich begabten Enthusiasten plus nutzlosem Chef und plappernder Sekretärin, am Ende hat man aber bis zu acht Experten unter Vertrag. Diese kann man im Laufe der Jahre gezielt entwickeln, indem man sie auf Bildungsreisen schickt, umschult oder in einzelnen Fähigkeiten bis auf Level 5 trainiert. Oder man setzt auf teure Profis, die bereits sehr gute Werte besitzen. Es gibt Grafiker, Programmierer, Musiker, aber auch daraus kombinierte Berufe wie den Hacker, Direktor oder Producer - alle tragen ganz unterschiedlich zur Qualität der entwickelten Spiele bei.

Auf der zehnten Spielemesse haben sich 12.050 Besucher an den Stand verirrt.
Man kann die Profession seiner Mitarbeiter sogar ändern und manchmal hilft schon das clevere Umsetzen im Büro, damit sich Gleichgesinnte inspirieren können. Es gibt vier Schlüsselqualifikationen für jeden Mitarbeiter: Programmieren, Szenario, Grafik, Sound. Sehr motivierend ist das ständige Freischalten neuer Genres und Hintergründe: Am Anfang kann man nur Grundlegendes wie ein Actionspiel entwickeln, später kommen Nischen wie das Sim-RPG, Fitness oder die Romanze hinzu - dabei hilft es, wenn man seine Mitarbeiter fördert.

Zwanzig Jahre später

Nach 20 Jahren haben die Sunny Studios ausgesorgt: 512 Millionen auf dem Konto. Ich bin reich, stinkreich. Ich bin Blizzard und EA und Nintendo in einem. Das ist zwar lukrativ, aber auch langweilig. Ich vermisse Konkurrenten, Herausforderungen und Neues. Mein bestverkauftes Spiel "Onlinemickey" ging über 20 Millionen mal für die PlayStatus 2 über die Ladentheke - ein Online RPG im Cartoonstil, das die Presse mit 38 Punkten gefeiert hat. Davor hielt "Gearswar2" für das Harpo Drive mit 19 Millionen den Rekord, ein Shooter im Kriegsszenario. Leider musste ich mich nach all den Jahren den Käufern beugen und auch ein "Rockfit" für "Whoops" entwickeln, das mir den Durchbruch brachte. Meine eigentlichen Lieblinge "Wizardry", ein Dungeon-RPG für PlayStatus 2, oder "Portsofcall", eine Hafen-Simulation für Intendro DM verkauften sich zwar gut, aber nicht gradios - zumal die penible Presse mein Sim-RPG "Fireblem" für die erste tragbare Konsole Mini-Status nur mit 32 Punkten abgestraft hat!

Ein Nachteil des Spiels ist, dass man gerade im letzten Drittel, bevor man das finale zwanzigste Firmenjahr erreicht, alles zu einfach beherrscht - man gewinnt fast jeden Preis, man landet fast nur noch Hits und das Konto ist so voll, dass man sich alles und jeden leisten kann. Zwar setzen die Entwickler darauf, dass man nach dem ersten Durchlauf die eigene Highscore knacken möchte, aber weil man die Fähigkeiten seines Teams behält, wird es beim zweiten Mal noch einfacher. Außerdem kann man seine Büros etwas zu früh nicht mehr erweitern und es gibt es ab und zu kleine statistische Inkonsequenzen. Aber all diese Fehler reichen dann doch nicht für den Verriss, denn diese Reise durch die Spielewelt hat richtig Spaß gemacht!

Fazit

Was für eine Überraschung! Ich habe trotz des schleichenden Hypes sehr wenig erwartet, nachdem ich die ersten Bilder und Videos gesehen hatte. Aber Game Dev Story entpuppt sich sehr schnell als ein unheimlich süchtig machender Geheimtipp - nicht nur für Aufbaufans alter oder neuer Schule, sondern für alle Leute, die der Spielewelt nahe stehen, sie selber leidenschaftlich beobachten oder in ihr arbeiten. Ja, es gibt kleine statistische Fehler und irgendwann gewinnt man Preise und Charts zu leicht, weil man im letzten Drittel im Geld schwimmt und eine KI-Konkurrenz vermisst. Aber die Zeit verfliegt im Nu, weil man einfach nicht von seinem Team lassen kann und nur noch diese eine Kombination ausprobieren will, um sein eigenes Diablo, Half-Life oder Shadow of the Colossus (oh, was bin ich gescheitert!) zu entwickeln. Hier kann man nicht nur seine Traumspiele produzieren und auf den Markt bringen, sondern bekommt nebenbei mit einem Augenzwinkern etwas von den Gesetzmäßigkeiten der Branche mit. Ich wurde jedenfalls wider Erwarten sehr gut unterhalten, denn in diesem auf den ersten Blick albernen Spiel steckt eine überraschende Tiefe. Jetzt müsste man diese kleine Simulation zum Vorbild für eine große Variante am PC nehmen - darauf hätte ich richtig Lust!

Pro

durchdachtes Aufbauspiel
witziges Figuren/Namendesign
motivierende Topseller-Jagd
Team schulen und/oder anheuern
PR- & Werbe-Maßnahmen
Anspielungen auf die Spielewelt
freischaltbare Genres/Szenarios
intuitive Bedienung
jederzeit speicherbar
gute Statistiken

Kontra

zu leicht im letzten Drittel
Büros nur begrenzt ausbauen
erneutes Spielen ohne Überraschungen

Wertung

Android

Unheimlich süchtig machende Aufbausimulation mit charmantem Bezug zur Spielewelt.

iPhone

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Kommentare

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