Mirror's Edge27.05.2010, Benjamin Schmädig
Mirror's Edge

Im Test:

Als DICE vor anderthalb Jahren das Kunststück gelang, ein Jump&Run in einem modernen Ego-Shooter zu verpacken, nahmen viel zu wenige davon Notiz. Dennoch brüten die schwedischen Entwickler über einer Fortsetzung und zeigen ihre Heldin Faith zwischendurch noch von einer ganz anderen Seite - buchstäblich. Denn auf dem iPad ist die akrobatische Klettermeisterin erstmals auch im Spiel von der Seite zu sehen.

Ein Klassiker?

Was liegt eigentlich näher, als ein im Grunde klassisches Jump&Run eben als klassisches Jump&Run zu inszenieren. Es dürfte also niemanden wundern, dass Faith auf Apples »Touch me!-Bildschirm« von links nach rechts sprintet, anstatt aus der Sicht des Spielers zu springen, klettern und balancieren. Durch das Abstoßen von einer Wand gelangt sie eine Etage höher und wenn ein Polizist auftaucht, schlittert sie ihm entweder zwischen die Füße oder springt mit einem grazilen Kick auf ihn zu - ein ganz klassisches Jump&Run eben. Ein anderes, ebenfalls ganz gewöhnliches Element lässt dieses Mirror's Edge (ab 4,99€ bei kaufen) allerdings schmerzlich missen: Ihm fehlt eine wenigstens halbwegs spannende Geschichte.

Video: Mirror's Edge sieht auf dem iPad fantastisch aus...Stattdessen liest man vor jedem Level einen Zeitungsartikel, der alle wichtigen Ereignisse abhandelt. Es gibt keine Filmszenen, keine Comic-Strips. Nicht einmal Sprechblasen plappernde Standbilder gönnt man den Charakteren. Umblende, Text, fertig. Die Erzählung ist, gelinde ausgedrückt, für die Tonne.

So richtig herkömmlich gibt sich Faiths iPad-Turnen dann also doch nicht. Und auch anderswo verzichtet die agile Lady wegen des Berührbildschirms auf einige Feinheiten wie z.B. das manuelle Laufen. Sie rennt zwar erst los, wenn man den Finger irgendwo auf dem Bild nach links oder rechts schiebt, sprintet von da an aber selbstständig weiter. Zieht man den Finger nach unten, gleitet sie unter Hindernissen hindurch, schiebt man ihn nach oben, springt sie ab. Mit der gleichen Bewegung führt sie einen Wandlauf aus und hängt sich an Abgründe überspannende Kabel. Dass man ihr sowohl an Kabeln als auch beim Herunterrutschen auf schrägen Dächern durch das Kippen des schweren Handhelds zusätzlichen Schwung verleiht, kommt hingegen weder dem Spielgefühl noch der Übersicht zugute.

Jump&Run für Spanner

Und leider reagiert die Akrobatin ohnehin nur verzögert auf Eingaben, manchmal sogar überhaupt nicht - ein Umstand, den die Entwickler teilweise umgehen, indem sie Faith z.B. ohne Aufforderung einige Zentimeter eine Wand hoch klettern lassen, bevor man einen eventuellen Sprung ausführen muss. Die Steuerung funktioniert und Faith beherrscht fast alle Bewegungen ihres Konsolenvorbilds. Eine packende Herausforderung für Fingerfertigkeit und Timing ist die relativ schwammige iPad-Umsetzung allerdings nicht. Sie erinnert eher an das offizielle Browser-Spiel . Zugegeben, der Vergleich ist unfair: Die Steuerung im Browser-Spiel ist direkter und bietet mehr Möglichkeiten. Hier schaut man hingegen lange zu, um Faith gelegentlich über ein Hindernis oder an einem Gegner vorbei zu manövrieren.

Und das Zuschauen macht ja auch Laune. Gerade dann, wenn die junge Freiheitskämpferin einen weiten Satz über das Dächermeer ihrer Großstadt macht, bevor man mit einer grazilen Rolle den Sturz abfängt, spielt Mirror's Edge eindrucksvoll mit den atmosphärischen und spielerischen Stärken des Originals. Leider wiederholen sich die Bilder aber schon nach wenigen Abschnitten; selbst an den visuellen Versatzstücken innerhalb eines Levels sieht man sich schnell satt. Davon abgesehen verliert man in dem monotonen Levelaufbau mitunter die Übersicht - kein Beinbruch,

... die Anforderung an Geschick und Timing kommt aber zu kurz und sowohl visuelle als auch spielerische Elemente wiederholen sich zu schnell.
aber beim motivierenden Suchen versteckter Taschen ein Ärgernis. Zu allem Überfluss ist Mirror's Edge ohnehin nach etwa einer Stunde und einem lächerlichen Duell mit dem letzten Gegner vorbei.

Die matte Staatsmacht

Überhaupt stellen nur große Ansammlungen der Staatsmacht eine teils frustrierende Gefahr dar - meist sind die Polizisten nicht mehr als schießende Hindernisse. Faith muss lediglich rechtzeitig durch deren Beine schlittern oder sie mit einem gesprungenen Kick ausknocken. Wenn man hingegen tatenlos in einen Feind läuft, wirft der die Heldin stets zu Boden - ein echtes Kampfsystem gibt es nicht. Immerhin blendet das Spiel in eine Nahaufnahme um und spult das Geschehen einige Sekunden lang in Zeitlupe ab, wenn man sich einem Polizisten nähert - cool!

Natürlich darf man dafür auch auf dem iPad jeden Abschnitt beliebig oft wiederholen, um nicht nur die eigene, sondern vielleicht sogar die weltweite Bestzeit zu schlagen. Nicht zuletzt haben sich die Entwickler eine witzige Mehrspieler-Lösung einfallen lassen, wenn zwei Spieler entweder gegen die Zeit laufen oder um die Wette Taschen sammeln. Dann sitzen sich nämlich beide gegenüber und spielen auf ihrer Hälfte des geteilten Bildschirms. Das Kippen des Touchscreens fällt natürlich weg - das unmittelbare Gezeter um den Sieg ist dafür umso unterhaltsamer.     

Fazit

Anders als mit dem großen Vorbild gelingt den schwedischen Entwicklern diesmal leider nicht mehr als ein interaktives »Lola rennt« für zwischendurch. Faiths Handheld-Lauf sieht zwar toll aus und klingt dank Auszügen aus dem Original-Soundtrack auch so – spielerisch dünnt das gelegentliche Hindernis-Ausweichen in Verbindung mit der trägen Steuerung allerdings zu schnell aus. Die Geschichte ist zum Vergessen, Gegner sind selten eine Gefahr, Abwechslung hält sich in starken Grenzen und nach einer Stunde ist es ohnehin vorbei. Ist man im Rhythmus, springt und klettert man durchaus elegant über das stimmungsvolle Dächermeer. Die weltweiten Ranglisten wecken zudem den Sportsgeist und der geteilte Mehrspieler-Bildschirm sorgt für vorzüglich spaßige Minuten. Von der Klasse des Original-Jump&Run ist diese harmlose Mini-Hopserei allerdings weit entfernt.

Pro

stimmungsvolle Kulissen, weite Ausblicke
einige grazile...
versteckte Taschen und Speed Runs für Perfektionisten
witzige Mehrspieler-Idee an einem iPad
weltweite Ranglisten

Kontra

sehr kurz & kaum Abwechslung – auch innerhalb der Levels
... einige weniger überzeugende Bewegungen
indirekte, mitunter ungenaue Steuerung
Gegner sind bessere Hindernisse
insgesamt viel zu einfach
belanglose Textfetzen statt guter Geschichte
keinerlei Filmszenen oder Comic-Bilder

Wertung

iPhone

Zu kurz und zu eintönig: Das klassische Jump&Run gelingt den Entwicklern längst nicht so gut wie im großen Namensvetter.

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