3D Dot Game Heroes14.05.2010, Jörg Luibl
3D Dot Game Heroes

Im Test:

Er wollte doch nur grafischen Fortschritt für alle! Aber kaum hat der König sein altes 2D-Reich in die dritte Dimension katapultiert, geht der archetypische Ärger los: Monster streifen durch das Land, die Prinzessin ist verschwunden, der dunkle König droht auszubrechen. Was braucht man in diesen schweren Zeiten? Alte Helden vom Schlage eines Link! Aber was macht man, wenn man nicht Nintendo und das Spiel auch nicht Zelda heißt? Eine kreative Kopie!

Verloren im Wassertempel

Ein Mann, ein Schwert: Mit dieser Klinge kann man Feinde asphaltieren. Spielszenen hier im Video!
Ich stecke im Wassertempel fest und die kleine Fee, die von einem Kraken verschleppt wurde, konnte ich noch nicht retten - verflixt! Zwar komme ich immer bis in die zweite Etage, aber dann verliere ich zu viel Leben und Mana, um weiter vordringen zu können. Und das, obwohl ich schon zwei Herzcontainer dazu gewonnen habe! Aber meine Vorräte gehen zur Neige: Ich brauche wesentlich mehr Tränke, Bomben und Kerzen. Da unten ist es verdammt dunkel und diese Kapuzentypen lassen sich mit einfachen Attacken nicht besiegen; ich muss ihre Zauber reflektieren und das frisst magische Energie. Oder soll ich den Charakter wechseln?

Immerhin ist meine Ausrüstung bisher sehr nützlich: Mit dem Bogen kann ich Feinde oder Zielscheiben und mit dem Bumerang entfernte Schalter treffen, um geheime Türen oder Schatzkisten zu öffnen. Obwohl die ersten drei Dungeons in der Welt von Dotnia ein Kinderspiel waren, wird es jetzt im vierten von sieben Labyrinthen endlich kniffliger, denn es geht über verwinkelte Etagen inklusive plötzlicher Sackgassen, böser Fallen und kleiner Rätsel. Wo ist eigentlich der blöde gelbe Schlüssel? Außerdem muss man mit dem Schild clever blocken und in engen Korridoren vor allem die mächtigen Golems mit dem Bumerang treffen, damit sie für einen kurzen Augenblick eingefroren werden.

Geheimnisse und Ohrwürmer

Wenn ich mal auf kryptische Zeichen oder Muster treffe, kann ich ihr Geheimnis übrigens mit einer Shader-Beschwörung

Schätze finden, Rätsel lösen, Abgründe überwinden - die Dungeons locken mit Beute und Gefahren.
lüften, um danach die richtigen Statuen zu verschieben oder Schalter zu bedienen. Ansonsten muss ich mir oft selbst meinen Weg durch Irrgärten mit beweglichen Elementen bahnen. Aber jetzt erstmal raus hier, denn erstens habe ich den Boss-Schlüssel noch nicht gefunden und zweitens muss ich mich besser ausstatten. Vielleicht auch das Schwert weiter aufrüsten oder auf ein besseres spekulieren und das Gold sparen? Vor allem mehr Reichweite würde mir sicher jetzt schon helfen - also ab an die frische Luft des Königreichs Dotnia, das es zu retten gilt!

Kaum bin ich draußen, erklingt schon wieder diese betörende Melodie, die sich mittlerweile zu einem orchestralen Ohrwurm der gnadenlosen Sorte entwickelt hat; ich muss einfach im Takt dazu pfeifen wie anno dazumal in Legend of Zelda. Ins gleißende Sonnenlicht tritt trotz aller Gemeinsamkeiten allerdings nicht Link, sondern eine Heldenfigur namens "Wilder Mann", die zunächst wie eine Legofigur anmutet - nur dass sie aus zig Polygonwürfeln gleicher Größe besteht. Man hat fast das Gefühl, als wäre eine Figur aus Ministeck zusammen geklebt worden; man kann im Editor übrigens auch eigene erstellen.

Skurrile Heldenriege

Zu Beginn des Spiels hat man die Wahl aus zig vorgefertigten Charakteren vom Hai über Drachen oder Ninjas bis hin zu Hunden, Zwergen oder Managern. Die männlichen Varianten bekommen etwas mehr Schwertkraft, die weiblichen zahlen weniger für Magie - ansonsten unterscheiden sich die Figuren nur hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Lebenskraft und Manareserven. Erstere bekommen furchtlose Kämpfer auch, wenn sie in der Wildnis hoppelnde Hasen oder eben Monster vom Wurm bis zum Zombie vernichten. Aber Vorsicht: Manche segnen nach einem Schlag das Zeitliche, andere verkraften mehrere Dutzend Hiebe!

Die Dörfer sehen aus wie Lego-Miniatursiedlungen: idyllisch, klötzchenhaft, schön.
Moment mal, Manager? Richtig - so ganz ernst nimmt sich das Abenteuer nur selten. Freut euch auf viel Satire und böse Scherze, die auch dem Spieler eins auswischen. Da sieht man den einfachen Weg aufgrund der fies platzierten Benutzeroberfläche nicht. Da fragt jemand nach hundert Gold und man bekommt zunächst nichts zurück. Da verlangt ein Gastwirt nicht 5, sondern 500 Gold. Oder man entdeckt einen Riss an der Felswand, zündet eine Bombe, pirscht durch den Korridor, gelangt in eine lichte Halle, findet einen alten Mann, freut sich auf eine Belohnung und er sagt lediglich: "Diese Höhle ist ein großes Geheimnis!" Das war's. Mehr ist da nicht. Immerhin spucken Brunnen manchmal eine zufällige Belohnung aus, wenn man Gold hinein wirft und es gibt zig kleine Geheimnisse. Wozu sind eigentlich die kleinen grauen Blöcke gut? Und allen Freunden von Demon' Souls  sei gesagt: Haltet die Augen auf - es gibt Sticky White Stuff, denn schließlich kommt das Spiel auch von From Software.

Über zig Hol- und Bring-Quests kann man sein Leben und Mana stückweise aufstocken. Und viele davon werden erst nach dem Meistern eines Dungeons freigeschaltet - es lohnt sich also, in die Dörfer zurück zu kehren. Auch hier geht es lustig zu, wenn man etwa einen Liebesbrief überbringen soll und das Ganze in eine Kettenzustellung ausartet. Die Animationen selbst sind schon ein Spaß: Der Hai bzw. die Flosse, die man zunächst sieht, blockt mit dem Schild ab und schlägt mit dem Schwert zu. Der ganze Charme des Artdesigns entfaltet sich in diesen Figuren und Bewegungen: Es sieht einfach klasse aus, wenn man als dunkelblaue Flosse durch die Gegend schwimmt, über Wüstensand dahin jagt und bei einer Attacke plötzlich das Maul aufgerissen wird! Selbst einen Baseballschläger kann man schwingen.

            

Der rotierende Schwertbaum

Wie lang kann eine Klinge sein? Beim Schmied könnt ihr eure Schwerter erweitern.
Aber im Zentrum aller Angriffe steht das übermächtige Schwert. Und hier hat From Software wahrlich Mut zur Größe bewiesen: Wenn der Held über maximale Lebensenergie verfügt, ist die Klinge so lang wie ein Baum und so breit wie ein Zaun - das sieht zunächst verdammt seltsam aus, wenn sich der Stahl wie eine Straße ausbreitet. Und schon wieder muss man schmunzeln, denn es ist irgendwie auch cool. Man kann seine Feinde quasi auf mehrere Meter Entfernung damit treffen, indem man entweder gerade zuschlägt oder den Analogstick nach dem Hieb nutzt, um einen effektiven Drehschlag auszuführen. Selbst Anlauf nehmen und im vollen Galopp mit der Klingenspitze nach vorne preschen ist möglich. Und überaus witzig.

Wer später das teure Claymore-Schwert erwirbt und es beim Schmied weiter in der Breite, Höhe und Schlagkraft aufrüstet, kann ganze Areale von Feinden säubern. In den Dungeons kann man die Klinge nicht immer so effektiv einsetzen, aber in der Landschaft wütet sie wie ein tödliches Rotorblatt und bevor die Kamera die Feinde anzeigt, sind sie schon vernichtet. Das führt zwar dazu, dass sich der Kampf im Gelände manchmal zu einfach anfühlt, aber man kommt mit diesen XXL-Rundumschnitten auch in einen berauschenden Arcade-Flow voller kleiner Klötzchenreste - man tanzt quasi durch ganze Areale, wippt dabei zur Musik und kann kaum aufhören, zumal man nebenbei so viele Münzen einsammelt, die man wiederum in alle das nützliche Zeugs investieren kann. Es gibt magische Ringe, die den Schaden reduzieren, eine Hand voll Schilde, ein Dutzend Schwerter und natürlich Platzaufrüstungen für Köcher, Bombensack & Co.

Blocken und klettern

Böse Fallen schießen arkane Kugeln ab: Aber man kann sie reflektieren!
Aber der Spaß mit der Riesenklinge ist vorüber, sobald man von einem Feind getroffen wird: Plötzlich schrumpft das Schwert zu seiner normalen Größe zusammen und es wird angesichts der fehlenden Reichweite wieder kniffliger. Denn wer nicht clever mit dem Schild blockt oder ausweicht, verliert in den von Monstern manchmal überfüllten Arealen schnell seine Lebenspunkte - immerhin gibt es Kentauren mit Bögen, Tinte speiende Kraken und fiese Sandwürmer. Hat man da schon den Schild, der ihre Projektile blockt? Trotzdem ist die fließende Erkundung an Land bei weitem nicht so spannend wie die schrittweise Erforschung unter Tage; die Dungeons sind ganz klar das gefährliche Salz in der Suppe.

Dafür ist es an der Oberfläche idyllischer, wenn man aus der schrägen Draufsicht schroffe Hügel erklimmt und im Hintergrund das weich gezeichnete Tosen eines Vulkans erkennt. Das Ganze sieht aus wie ein Miniaturwunderland von Lego: Man wandert durch grüne Wälder, beschauliche Dörfer, zerfurchte Canyons und Wüsten mit Treibsand - hier muss man genau hinschauen, wo man von den wabernden Straßen hingetragen wird. Außerdem kann man spätestens dann durch verwinkelte Schluchten kraxeln und auch höhere Gebiete erreichen, wenn man das Stahlseil gefunden hat: Pfosten deuten dann an, wo man sich damit über Abgründe ziehen kann. Und ab diesem Moment kann man viele geheime Höhlen und Zugänge entdecken. Wie in Zelda wird die Welt mit jedem Gegenstand offener.

Ein Sammelsurium an Quests

Allerdings ist die Welt so groß und voller kleiner Aufträge bzw. Geheimnisse, dass man sich eine Notizfunktion für die jederzeit einblendbare Karte gewünscht hätte - so hätte man verschlossene Höhlen oder zu erledigende Quests eintragen

Das Inventar füllt sich mit der Zeit: Waffen, Tränke, Gegenstände - alles ist dabei.
können, zumal es kein Tagebuch gibt. Es kann ab und zu passieren, dass man nicht mehr genau weiß, was man als Nächstes tun soll, wo man einen Hinweis auf die Prinzessin bekam oder wer denn nun die Flasche mit dem heiligen Wasser brauchte. Aber diese Momente des Suchens sind kein großer Schwachpunkt, da der rote Faden der Story ganz einfach alle sieben Dungeons verknüpft.

Für jedes erfolgreich gemeisterte Labyrinth, in dem natürlich ein Boss lauert, gibt es einen Orb, der wiederum neue Fähigkeiten wie den magischen Durchblick, die arkane Reflektion oder das Vereisen freischaltet. Ansonsten kann man in den Dörfern zwecks Gesundung übernachten, im Gasthof einkaufen und nahezu jeden Bewohner ansprechen; manche haben ganz simple Aufträge parat, die wiederum Herzcontainer oder Ähnliches einbringen. Und wer zwischendurch abspannen will, kann sich an drei Minigames wagen - eine ganz nette Tower Defense, ein überaus kniffliger Breakout-Klon und ein nerviges Sprintspiel warten auf Highscorejäger. Wer die alle knackt, kommt dem Mondlichtschwert übrigens näher&

Das Speichersystem ist überaus fair, man startet nach dem Tod am Anfang eines Dungeons, aber es gibt kein fatales Game Over oder permanente Abzüge und wer lange Reisen scheut, kann sich über den Kauf von Federn oder Sonnensteinen auch direkt zu bestimmten Orten oder aus einem Labyrinth heraus beamen. Schön ist auch, dass man nach jedem Laden eine andere Figur ausprobieren kann: Für die Bewohner der Welt bleibt man zwar der "Wilde Mann", aber so kann man auch mal als Samurai oder Panzer losziehen, um sich an den Animationen zu erfreuen. Dabei ändern sich zwar die grundsätzlichen Lebens- und Magiepunkte, aber der erworbene Fortschritt an eigenen Herzen und Magie wird hinzugefügt.  

Fazit

Gibt es Schwertliebe auf den ersten Blick? Ich komme einfach nicht mehr von der Claymoreklinge los, die mein Hai schwingt. Richtig: Ich bin eine Flosse, die mit einem Baum aus Stahl durch eine idyllische Landschaft pflügt, während mich liebliche Klavierklänge in die 8Bit-Ära zurück tragen. Ihr könnt aber auch einen Zwerg oder einen Panzer nehmen. Oder selbst eine Figur basteln. Aber welcher Held auch immer dieses Königreich mit euch befreien soll: 3D Dot Game Heroes wird euch verzaubern, wenn ihr nur einen Hauch von Sympathie für die Pionierzeit des Genres empfindet. Der Flow ist unwiderstehlich, obwohl mich Retrostil nicht per se umhaut. Dieses Artdesign ist allerdings markant, die Quests sind amüsant, die Anspielungen brillant und die Zeit verfliegt entsprechend rasant: Noch ein Dungeon, noch eine Quest, noch eine Region. Natürlich kämpft man hier mit vielen Déjà-vus im mächtigen Schatten von Legend of Zelda - Bumerang, Herzcontainer und Prinzessin lassen grüßen. From Software hat hier gefährlich nah zwischen Hommage und Plagiat entwickelt. Aber die Spielewelt ist voller Kopien: Es gibt überall billige und oberflächliche, dreiste und witzige, aber selten so kreative Nachahmer. Dieses unterhaltsame Abenteuer ist eine charmante Verbeugung mit Augenzwinkern!

Pro

gelungene Hommage an Zelda, aber...
unheimlich charmantes Artdesign
cooler Schwerthieb-Flow XXL
Kampf, Erkundung, Quests
viele Schalter- & Schieberätsel
später knifflige Dungeons & Bosse
Musik ist ein gefährlicher Ohrwurm
witzige Anspielungen, böse Scherze
angenehmes Speicher- & Warpsystem
viele Geheimnisse & Überraschungen
Figur nach dem Laden wechseln

Kontra

es riecht zwischendurch nach Plagiat- alles andere als epische Story
keine Tagebuch-/Notizfunktion
erste Dungeons & Bosse zu einfach

Wertung

PlayStation3

Dieses Abenteuer ist eine ebenso charmante wie kreative Verbeugung vor Legend of Zelda!

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