Im Test: Audiovisuelles Meisterwerk
Der moderne Spartaner
Es ist erstaunlich: Da produzieren Japaner hochkreative Anime-Filme, schreiben herzzerreißende Geschichten für Rollenspiele - und kriegen für einen kreativen Shooter wie Vanquish nur eine Wiederbelebung des USA-Russland-Konflikts hin. Okay, das Ganze spielt in der Zukunft, die russische Militärmacht »Order of the Russian Star« vernichtet San Francisco mit einer fiesen Mikrowellen-Waffe, das Spiel handelt an Bord einer gigantischen Raumstation, auf der normalerweise mehrere Millionen Menschen leben. Und trotzdem ist die Story nur eine Ausrede, um die teilweise großartig inszenierten Zwischensequenzen abspulen zu können, die man sich gerne nochmal ansehen würde - aber dooferweise nicht darf. Man muss sich eigentlich nur merken, dass man auf Seiten der USA gegen die bösen roten Roboter antritt. Das reicht dann auch schon.
Sam Gideon ist kein Allerwelts-Spacemarine: Zum einen ist er politisch wunderbar inkorrekt - er flucht wie eine Kneipe voller Iren, raucht wie ein Schlot (mit einer Fluppe kann man übrigens auch Gegner ablenken) und pflegt eine etwas übercoole Badass-Knarzstimme. Zum anderen trägt er den coolsten Anzug seit der Master Chief-Kluft - den »Augmented Reaction Suit«. Der sieht nicht nur verdammt stylisch aus, sondern hat auch einige Extras, die nicht mal bei Jaguar serienmäßig verbaut werden: Da wäre zum einen der Boost, dank dem er auf Knien oder dem Arsch raketenbeschleunigt durch die Level schliddert - zwar aufgrund der begrenzten Anzugenergie nur kurz, aber dafür umso heftiger. Denn dieser Boost sorgt für ein unglaublich rasantes Spielerlebnis: Raus aus der Deckung, Boost an, dem Gegner im Nahkampf das rotglühende Auge ausgekickt, rein in den Boost, hinein in die nächste Deckung, erstmal Kippe an - klingt noch nicht aus den Socken sprengend-beeindruckend? Okay, dann kombinieren wir das doch mal mit dem anderen Extra: Dem AR-Modus, der hier nur ein anderes Wort für Zeitlupe ist, die man ebenfalls begrenzt aktivieren kann. Nehmen wir nochmal das gleiche Beispiel zur Hand: In Zeitlupe raus aus der Deckung, im Sprung zwei Gegner erledigt, mit Boost zum dritten, diesen mit einem Sprungkick in einen glühenden Fetzen Schrott verwandelt, schnell die Scharfschützenknarre gezückt, einen Mech-Besitzer aus seiner Kanzel geballert, ab in den Boost, zack in den Mech gehopst, die Umgebung in ein rauchendes Trümmerfeld verwandelt, raus aus dem Mech, rein in den Boost, hinter die nächste Deckung gezischt, erstmal Kippe an. In Bewegung ergibt das ein derart berauschendes Ergebnis, das beim Filmvergnügen mit dem Fallenlassen der Popcornschüssel gleichgesetzt werden kann. This! Is! Vanquish!
Das geht noch besser!
Ein simples Upgrade-Modell sorgt für unerwartete Taktik auf dem Schlachtfeld: Welche meiner Knarren habe ich besonders lieb? Diese Frage muss man sich stellen, wenn man sie verbessern möchte, was auf zwei Wegen möglich ist. Zum einen über seltene, grün leuchtende Symbole, die man aufsammelt und damit die gerade aktive Wumme verbessert. Zum anderen kann man auch seine bevorzugte Waffe wegstecken und zusätzliche Munition für sie aufsammeln. Macht man das, wenn man für sie bereits die volle Bewaffnung hat, wird sie ebenfalls verbessert - eine coole Idee! Falls man gerade gar nichts Knallendes zur Hand hat, kann man einzelne Feinde auch mit einer mächtigen Nahkampf-Attacke zerhackstücken. Das kostet allerdings sehr viel Anzugenergie, sollte also nur für den Notfall aufgehoben werden. Oder für Actionkino-Momente, denn natürlich sind just diese Angriffe extrem stylisch inszeniert - es gibt mehrere davon, abhängig von der gerade aktiven Waffe. Gelegentlich sollte man auch einfach mal die Waffen ruhen und die autonom vorgehenden Kameraden ballern lassen, während man selbst hinter einem beliebigen Teil der Umgebung Deckung sucht: Das Cover-System ist ebenso simpel wie effektiv.
Space Colony 01 sehen und sterben
Fünf Kapitel klingen nicht nach viel, aber die einzelnen Abschnitte ziehen sich - fürs Durchspielen von Vanquish sollte man sieben bis acht Stunden einplanen, je nach Schwierigkeitsgrad. Die Kapitel sind in einzelne Missionen unterteilt, die flüssig ineinander übergehen, lediglich unterbrochen von Besprechungs-Bildschirmen (in denen die eigene Leistung bewertet und dokumentiert wird), kurzen Spaziergängen/Dialogen aus Sams Ego-Perspektive sowie immer wieder eingestreuten Zwischensequenzen. Das Abenteuer findet auf einer gigantischen Raumstation namens »Space Colony 01« statt, die erstaunlich viel Abwechslung bietet. Zwar besteht der größte Teil der Station aus eher kalten, futuristischen Szenarien, aber es gibt auch lauschige grüne Parks, weitläufige Seen oder malerische Städte.
Die motivierende Eigenfolter
Apropos Gegner: Die Standardfeinde sollte man besser schnell liebgewinnen, denn man rennt ihnen dauernd über den Weg. Roboter mit Knarre, Roboter mit Scharfschützengewehr und Genosse Roboter mit Sprungattacke tummeln sich von Anfang bis Ende in Vanquish. Klar gibt's noch mehr, wie die großartigen Techno-Quallen, deren Hunderte Leuchtaugen und Dr. Oktopus-kompatiblen Tentakel im Dunkelheit-Level für Gänsehaut sorgen. Oder die unbeschreiblichen, fett gepanzerten Riesen, die einen Flammenwerfer in der einen und einen gigantischen Stahl-und-Spitzen-Knüppel in der anderen Hand halten. Aber im Großen und Ganzen ist das Angebot an Standard-Widersachern recht überschaubar.
Bloß gut, dass Platinum Games gerade bei den Zwischen- und Endbossen weder Mühe noch Kreativität gescheut hat - einige Monsterdesigns sind wirklich wahnwitzig! Da wäre z.B. eine leuchtende Kugel, die an sich recht harmlos wäre, würde sie nicht einen Haufen scharfen und ballernden Abfall um sich scharen - der Morph-Effekt, die dem sich dieses Monster zusammenbaut, ist der Hammer! Mal kämpft man gegen einen dicken Truck mit gigantischen Kreissägen an der Front, ein paar Mal gegen einen turmhohen Giganten, dessen Schwachpunkte an Armen und Beinen (orange leuchtend - natürlich!) man erst zerlöchern muss, bevor man seinen Kern unter Beschuss nehmen darf. Und mal legt man sich gleich mit einem mehrere hundert Meter langen Schlachtschiff an - Sam Gideon scheut keine Herausforderung.
Das gilt für das ganze Spiel, das, typisch japanisch, kein Spaziergang ist - zumindest nicht auf jedem Schwierigkeitsgrad außer dem allereinfachsten. Die Gegner mögen simpel wirken, wenn man sie wie Moorhühner einzeln mit dem Scharfschützengewehr zerlegt. Aber sie beherrschen fiese Flankierungs-Taktiken, springen einem gern in den Rücken und leisten in Grüppchen bemerkenswerten Widerstand. Außerdem gibt es einige sehr fiese Stellen, die das »Du darfst kein einziges Mal sterben«-Achievement zu einer echten Belastungsprobe machen - wie der erwähnte Schräg-Abschnitt, in dem man es nicht nur mit vielen Feinden, sondern auch mit vielen explodierenden Fässern sowie dem bedrohlich zerfallenden Level zu tun bekommt, wodurch schon mal ein halbes Haus in Sams Gesicht landet. Dankbarerweise gibt es viele fair verteilte Checkpunkte, selbst inmitten von Bossfights. Hat man Vanquish durchgespielt, gibt es zur Belohnung einen nochmal härteren Schwierigkeitsgrad sowie die Möglichkeit, alle Levels nochmal gegen die Zeit durchzurasen - Online-Ranglisten sollen dazu motivieren.
Watashi wa nihongo o hanashimasu!
Dass Platinum Games nicht nur einen an der Waffel, sondern auch verdammt talentierte Grafiker und Designer haben, sah man sehr eindrucksvoll an Bayonetta. Vanquish mag nicht so abgefahren sein wie das Hexen-Abenteuer, aber es hängt in Sachen Kreativität und Stil den größten Teil seiner Konkurrenz mit einem kalten Lächeln ab. Stil ist hier besonders wichtig, denn Vanquish ist futuristisch und altmodisch, abgefahren und konservativ zugleich. Alles ist wunderbar zackig und rasant, Boost und Zeitlupe dienen nicht nur dem Levelfortschritt, sondern sind auch wichtiger Teil der Spielästhetik.
Kein audiovisuelles Meisterwerk ohne Audio: Der Soundtrack des Spiels hämmert wunderbar hektisch aus den Boxen, eine Art Speed-Trance verleiht der frenetischen Action einen coolen Zusatz-Rhythmus, den man so nicht erwartet. Klar gibt es gelegentlich auch heldenhafte Themen oder ruhigere Momente, aber wenn die Bassdrum die 140Bpm-Grenze hinter sich lässt, geht die Vanquish-Party erst richtig los! Darüber hinaus ist Vanquish eines der wenigen Spiele, in denen man komplett freie Sprachwahl hat: Deutsch, Englisch, Japanisch, Französisch, Italienisch und Spanisch stehen bereit, die man frei auf Sprachausgabe, Nachrichten und Interface-Sprache verteilen darf.
Fazit
»The Fast and The Furious« - ärgerlicherweise ist dieser Titel mit gepimpten Karren und Vin Diesel verbunden. Und bei »Combat Evolved« denkt man auch erstmal an Halo. Leider, denn auf Vanquish passen beide Sprüche wie die Faust aufs Roborussenauge: Es ist der schnellste, wildeste, prächtigste, stylischste Shooter unserer Tage! Ja, das Missionsdesign wird keine Innovationspreise gewinnen - zwar stecken viele coole Ideen drin, über weite Teile blieb das Team um Shinji Mikami aber konventionell. Ja, man bekommt es die ganze Zeit über mit immergleichen Gegnern zu tun - aber die verhalten sich so clever und herausfordernd, dass man ob der 400ten Kerbe in der Klappknarre nur mit den Schultern zuckt. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Vanquish eigentlich ein gewöhnlicher Shooter sei, der in vielerlei Hinsicht an andere Spiele erinnert - aber es ist ein gewöhnlicher Shooter mit einer brillanten Präsentation, einem saucoolen Helden, faszinierend rasanten Fights, wahnwitzigen Bosskämpfen, kreativem Einsatz der Zeitlupe sowie scheinbar endlosen Vorräten an Stil, der wie kaum ein anderer Vertreter seines Genres einen Trance-ähnlichen Spielfluss erzeugt, dem man sich kaum entziehen kann. Zu schade nur, dass diese audiovisuelle Perle schon nach etwa sieben Stunden vorbei ist - aber das sind sieben Stunden mit einem der besten Actionerlebnisse, das man gegenwärtig für Geld kaufen kann. Ein durchgestyltes Baller-Kleinod, das sich kein Shooter-Fan entgehen lassen darf!
Pro
Kontra
Wertung
360
Ein audiovisuelles Meisterwerk, das auch spielerisch neue Wege geht.
PlayStation3
Ein audiovisuelles Meisterwerk, das auch spielerisch neue Wege geht.
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