Vanquish20.10.2010, Paul Kautz
Vanquish

Im Test: Audiovisuelles Meisterwerk

Platinum Games hat es schon nicht einfach: Das junge japanische Studio, das aus dem Kreativhaufen Clover Studios hervorgegangen ist, hat gerade mal eine Hand voll Spiele veröffentlicht - die durch die Bank gut bis brillant (hallo Bayonetta) sind! Ein Zustand, der sich mit Vanquish (ab 11,30€ bei kaufen) nicht ändert...

Der moderne Spartaner

Es ist erstaunlich: Da produzieren Japaner hochkreative Anime-Filme, schreiben herzzerreißende Geschichten für Rollenspiele - und kriegen für einen kreativen Shooter wie Vanquish nur eine Wiederbelebung des USA-Russland-Konflikts hin. Okay, das Ganze spielt in der Zukunft, die russische Militärmacht »Order of the Russian Star« vernichtet San Francisco mit einer fiesen Mikrowellen-Waffe, das Spiel handelt an Bord einer gigantischen Raumstation, auf der normalerweise mehrere Millionen Menschen leben. Und trotzdem ist die Story nur eine Ausrede, um die teilweise großartig inszenierten Zwischensequenzen abspulen zu können, die man sich gerne nochmal ansehen würde - aber dooferweise nicht darf. Man muss sich eigentlich nur merken, dass man auf Seiten der USA gegen die bösen roten Roboter antritt. Das reicht dann auch schon.

Sam Gideon ist kein Allerwelts-Spacemarine: Zum einen ist er politisch wunderbar inkorrekt - er flucht wie eine Kneipe voller Iren, raucht wie ein Schlot (mit einer Fluppe kann man übrigens auch Gegner ablenken) und pflegt eine etwas übercoole Badass-Knarzstimme. Zum anderen trägt er den coolsten Anzug seit der Master Chief-Kluft - den »Augmented Reaction Suit«. Der sieht nicht nur verdammt stylisch aus, sondern hat auch einige Extras, die nicht mal bei Jaguar serienmäßig verbaut werden: Da wäre zum einen der Boost, dank dem er auf Knien oder dem Arsch raketenbeschleunigt durch die Level schliddert - zwar aufgrund der begrenzten Anzugenergie nur kurz, aber dafür umso heftiger. Denn dieser Boost sorgt für ein unglaublich rasantes Spielerlebnis: Raus aus der Deckung, Boost an, dem Gegner im Nahkampf das rotglühende Auge ausgekickt, rein in den Boost, hinein in die nächste Deckung, erstmal Kippe an - klingt noch nicht aus den Socken sprengend-beeindruckend? Okay, dann kombinieren wir das doch mal mit dem anderen Extra: Dem AR-Modus, der hier nur ein anderes Wort für Zeitlupe ist, die man ebenfalls begrenzt aktivieren kann. Nehmen wir nochmal das gleiche Beispiel zur Hand: In Zeitlupe raus aus der Deckung, im Sprung zwei Gegner erledigt, mit Boost zum dritten, diesen mit einem Sprungkick in einen glühenden Fetzen Schrott verwandelt, schnell die Scharfschützenknarre gezückt, einen Mech-Besitzer aus seiner Kanzel geballert, ab in den Boost, zack in den Mech gehopst, die Umgebung in ein rauchendes Trümmerfeld verwandelt, raus aus dem Mech, rein in den Boost, hinter die nächste Deckung gezischt, erstmal Kippe an. In Bewegung ergibt das ein derart berauschendes Ergebnis, das beim Filmvergnügen mit dem Fallenlassen der Popcornschüssel gleichgesetzt werden kann. This! Is! Vanquish!

Das geht noch besser!

Style geht über alles: Vanquish ist kein gewöhnlicher Shooter, sondern ein audiovisueller Rausch.
Die Zeitlupe kann nicht nur manuell angeknipst werden, sondern wird im Notfall, wenn man kurz vor dem Exitus steht, auch als eine Art letztes Hilfsmittel automatisch aktiviert. So oder so braucht man dafür (sowie für den Boost und den Nahkampf) eine gefüllte Anzugsenergie-Leiste. Ist diese leer, überhitzt die Kluft und muss ein paar Sekunden lang entlüftet werden - so lange sollte man sich entweder in der Deckung verkriechen oder die Feinde ganz klassisch über Kimme und Korn auseinander nehmen. Das Waffensortiment ist für einen derart ungewöhnlichen Shooter bemerkenswert gewöhnlich: zwei MGs, Schrotgewehr, Raketenwerfer, Scharfschützenknarre, stationäre Geschütze - interessant wirds eigentlich nur mit dem Zielsuchlaser sowie der etwas merkwürdigen LFE-Knarre, deren knisternde Blubbel Gegner von den Beinen werfen. Sowie dadurch, dass man eigentlich immer nur eine Waffe dabei hat - wechselt man zwischen den aktiven, morpht die Knarre mit einem coolen Klappklappklapp-Effekt in die andere. Man darf immer drei Modelle dabei haben (plus die ausgesprochen nützlichen EMP- und Frag-Granaten), kann aber auf dem Schlachtfeld neue Modelle auflesen.

Ein simples Upgrade-Modell sorgt für unerwartete Taktik auf dem Schlachtfeld: Welche meiner Knarren habe ich besonders lieb? Diese Frage muss man sich stellen, wenn man sie verbessern möchte, was auf zwei Wegen möglich ist. Zum einen über seltene, grün leuchtende Symbole, die man aufsammelt und damit die gerade aktive Wumme verbessert. Zum anderen kann man auch seine bevorzugte Waffe wegstecken und zusätzliche Munition für sie aufsammeln. Macht man das, wenn man für sie bereits die volle Bewaffnung hat, wird sie ebenfalls verbessert - eine coole Idee! Falls man gerade gar nichts Knallendes zur Hand hat, kann man einzelne Feinde auch mit einer mächtigen Nahkampf-Attacke zerhackstücken. Das kostet allerdings sehr viel Anzugenergie, sollte also nur für den Notfall aufgehoben werden. Oder für Actionkino-Momente, denn natürlich sind just diese Angriffe extrem stylisch inszeniert - es gibt mehrere davon, abhängig von der gerade aktiven Waffe. Gelegentlich sollte man auch einfach mal die Waffen ruhen und die autonom vorgehenden Kameraden ballern lassen, während man selbst hinter einem beliebigen Teil der Umgebung Deckung sucht: Das Cover-System ist ebenso simpel wie effektiv.

Space Colony 01 sehen und sterben

Fünf Kapitel klingen nicht nach viel, aber die einzelnen Abschnitte ziehen sich - fürs Durchspielen von Vanquish sollte man sieben bis acht Stunden einplanen, je nach Schwierigkeitsgrad. Die Kapitel sind in einzelne Missionen unterteilt, die flüssig ineinander übergehen, lediglich unterbrochen von Besprechungs-Bildschirmen (in denen die eigene Leistung bewertet und dokumentiert wird), kurzen Spaziergängen/Dialogen aus Sams Ego-Perspektive sowie immer wieder eingestreuten Zwischensequenzen. Das Abenteuer findet auf einer gigantischen Raumstation namens »Space Colony 01« statt, die erstaunlich viel Abwechslung bietet. Zwar besteht der größte Teil der Station aus eher kalten, futuristischen Szenarien, aber es gibt auch lauschige grüne Parks, weitläufige Seen oder malerische Städte.

Die normalen Gegner sind schon anspruchsvoll genug, aber die Zwischen- und Endbosse sind der Hammer - abgefahren designt und teilweise sehr fies.
Was man da macht, ist über weite Teile konventionell: Gegnerstellungen ausräuchern hier, Kameraden befreien da, mehr Feinde zerballern, Riesenlaser deaktivieren und so weiter. Es gibt allerdings auch kreative Ausnahmen: Mal läuft man durch einen zappendusteren Tunnel, in dem man nahende Gegner erst als unheimliches Funkeln in der Ferne zu sehen bekommt. Interessant ist auch eine Art Schleichmission, in der man nicht selber leise tritt, sondern auf einer langsam fahrenden Magnetschwebebahn unterwegs ist und weit entfernte Gegner ausknipsen muss, bevor sie einen entdecken. Oder man ballert verfolgende Gegner vom einem rasenden Zug aus ab - das mag jetzt nicht irre kreativ klingen, wird aber dadurch cool, dass der Zug auch mal kopfüber fährt. Generell kann man sich seines Bodens nie wirklich sicher sein: Mal kämpft man sich steile Schrägen hinauf, mal bricht der ganze Abschnitt unter einem zusammen und man muss sich schnellstmöglich durch Feindesscharen hindurch zum sicheren Ziel retten.

Die motivierende Eigenfolter

Apropos Gegner: Die Standardfeinde sollte man besser schnell liebgewinnen, denn man rennt ihnen dauernd über den Weg. Roboter mit Knarre, Roboter mit Scharfschützengewehr und Genosse Roboter mit Sprungattacke tummeln sich von Anfang bis Ende in Vanquish. Klar gibt's noch mehr, wie die großartigen Techno-Quallen, deren Hunderte Leuchtaugen und Dr. Oktopus-kompatiblen Tentakel im Dunkelheit-Level für Gänsehaut sorgen. Oder die unbeschreiblichen, fett gepanzerten Riesen, die einen Flammenwerfer in der einen und einen gigantischen Stahl-und-Spitzen-Knüppel in der anderen Hand halten. Aber im Großen und Ganzen ist das Angebot an Standard-Widersachern recht überschaubar.

Bloß gut, dass Platinum Games gerade bei den Zwischen- und Endbossen weder Mühe noch Kreativität gescheut hat - einige Monsterdesigns sind wirklich wahnwitzig! Da wäre z.B. eine leuchtende Kugel, die an sich recht harmlos wäre, würde sie nicht einen Haufen scharfen und ballernden Abfall um sich scharen - der Morph-Effekt, die dem sich dieses Monster zusammenbaut, ist der Hammer! Mal kämpft man gegen einen dicken Truck mit gigantischen Kreissägen an der Front, ein paar Mal gegen einen turmhohen Giganten, dessen Schwachpunkte an Armen und Beinen (orange leuchtend - natürlich!) man erst zerlöchern muss, bevor man seinen Kern unter Beschuss nehmen darf. Und mal legt man sich gleich mit einem mehrere hundert Meter langen Schlachtschiff an - Sam Gideon scheut keine Herausforderung.

Das gilt für das ganze Spiel, das, typisch japanisch, kein Spaziergang ist - zumindest nicht auf jedem Schwierigkeitsgrad außer dem allereinfachsten. Die Gegner mögen simpel wirken, wenn man sie wie Moorhühner einzeln mit dem Scharfschützengewehr zerlegt. Aber sie beherrschen fiese Flankierungs-Taktiken, springen einem gern in den Rücken und leisten in Grüppchen bemerkenswerten Widerstand. Außerdem gibt es einige sehr fiese Stellen, die das »Du darfst kein einziges Mal sterben«-Achievement zu einer echten Belastungsprobe machen - wie der erwähnte Schräg-Abschnitt, in dem man es nicht nur mit vielen Feinden, sondern auch mit vielen explodierenden Fässern sowie dem bedrohlich zerfallenden Level zu tun bekommt, wodurch schon mal ein halbes Haus in Sams Gesicht landet. Dankbarerweise gibt es viele fair verteilte Checkpunkte, selbst inmitten von Bossfights. Hat man Vanquish durchgespielt, gibt es zur Belohnung einen nochmal härteren Schwierigkeitsgrad sowie die Möglichkeit, alle Levels nochmal gegen die Zeit durchzurasen - Online-Ranglisten sollen dazu motivieren.

Watashi wa nihongo o hanashimasu!

Dass Platinum Games nicht nur einen an der Waffel, sondern auch verdammt talentierte Grafiker und Designer haben, sah man sehr eindrucksvoll an Bayonetta. Vanquish mag nicht so abgefahren sein wie das Hexen-Abenteuer, aber es hängt in Sachen Kreativität und Stil den größten Teil seiner Konkurrenz mit einem kalten Lächeln ab. Stil ist hier besonders wichtig, denn Vanquish ist futuristisch und altmodisch, abgefahren und konservativ zugleich. Alles ist wunderbar zackig und rasant, Boost und Zeitlupe dienen nicht nur dem Levelfortschritt, sondern sind auch wichtiger Teil der Spielästhetik.

Vanquish spielt nicht nur in futuristischen Szenarien - ein Ausflug in einen grünen Park gehört genauso dazu wie eine Fahrt mit einem Transportzug oder eine unheimliche Wanderung durch dunkle Tunnel.
Noch dazu ist die 3D-Engine verdammt leistungsfähig: Mir fällt kein einziges Spiel ein, das derartige Partikelmassen dargestellt hat - zerlegt man einen Bossgegner, schwirren sprichwörtlich tausende glühende und zischende Funken durchs Bild, begleitet von wahnwitzigen Explosionen, fettem Rauch und beeindruckenden Schattenwürfen. Allein wenn ein Argus-Boss im Sterben liegt und mal eben Hunderte kleiner Raketen abfeuert, die den Bildschirm in einen Linien-, Zisch- und Blink-Wahnsinn verwandeln, weiß man, dass Vanquish kein Spiel ist wie jedes andere. Es ist ein Shooter, ja, aber auch ein einzigartiges, beeindruckendes audiovisuelles Meisterwerk.

Kein audiovisuelles Meisterwerk ohne Audio: Der Soundtrack des Spiels hämmert wunderbar hektisch aus den Boxen, eine Art Speed-Trance verleiht der frenetischen Action einen coolen Zusatz-Rhythmus, den man so nicht erwartet. Klar gibt es gelegentlich auch heldenhafte Themen oder ruhigere Momente, aber wenn die Bassdrum  die 140Bpm-Grenze hinter sich lässt, geht die Vanquish-Party erst richtig los! Darüber hinaus ist Vanquish eines der wenigen Spiele, in denen man komplett freie Sprachwahl hat: Deutsch, Englisch, Japanisch, Französisch, Italienisch und Spanisch stehen bereit, die man frei auf Sprachausgabe, Nachrichten und Interface-Sprache verteilen darf.

Fazit

»The Fast and The Furious« - ärgerlicherweise ist dieser Titel mit gepimpten Karren und Vin Diesel verbunden. Und bei »Combat Evolved« denkt man auch erstmal an Halo. Leider, denn auf Vanquish passen beide Sprüche wie die Faust aufs Roborussenauge: Es ist der schnellste, wildeste, prächtigste, stylischste Shooter unserer Tage! Ja, das Missionsdesign wird keine Innovationspreise gewinnen - zwar stecken viele coole Ideen drin, über weite Teile blieb das Team um Shinji Mikami aber konventionell. Ja, man bekommt es die ganze Zeit über mit immergleichen Gegnern zu tun - aber die verhalten sich so clever und herausfordernd, dass man ob der 400ten Kerbe in der Klappknarre nur mit den Schultern zuckt. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Vanquish eigentlich ein gewöhnlicher Shooter sei, der in vielerlei Hinsicht an andere Spiele erinnert - aber es ist ein gewöhnlicher Shooter mit einer brillanten Präsentation, einem saucoolen Helden, faszinierend rasanten Fights, wahnwitzigen Bosskämpfen, kreativem Einsatz der Zeitlupe sowie scheinbar endlosen Vorräten an Stil, der wie kaum ein anderer Vertreter seines Genres einen Trance-ähnlichen Spielfluss erzeugt, dem man sich kaum entziehen kann. Zu schade nur, dass diese audiovisuelle Perle schon nach etwa sieben Stunden vorbei ist - aber das sind sieben Stunden mit einem der besten Actionerlebnisse, das man gegenwärtig für Geld kaufen kann. Ein durchgestyltes Baller-Kleinod, das sich kein Shooter-Fan entgehen lassen darf!

Pro

brillante Grafik
umwerfende Bildeffekte
rasantes Actionfest
Lässigkeit in jedem Bit
fetziger Soundtrack
einfache Steuerung
grandiose Bosskämpfe
freie Sprachwahl
stylische Zeitlupen-Nutzung
schweinecooler Boost-Modus
abwechslungsreiches Leveldesign

Kontra

mehrfach wiederholte Bosskämpfe
abwechslungsarme Gegner
konventionelles Missionsdesign

Wertung

360

Ein audiovisuelles Meisterwerk, das auch spielerisch neue Wege geht.

PlayStation3

Ein audiovisuelles Meisterwerk, das auch spielerisch neue Wege geht.

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