Lollipop Chainsaw12.06.2012, Mathias Oertel
Lollipop Chainsaw

Im Test:

Kein Film und kein Spiel, das die drei Elemente Cheerleader, Zombies und Kettensägen beinhaltet, kann wirklich schlecht sein. Zumindest genießt ein Titel mit diesen Elementen bei mir einen kleinen Bonus. Glücklicherweise braucht Lollipop Chainsaw (ab 25,89€ bei kaufen) diese Gutwilligkeit meinerseits gar nicht, denn was die Protagonistin hier abseits ihrer knapp bekleideten Rundungen auffährt, kann sich sehen lassen.

Ein Tag zum Vergessen

Der Geburtstag von Juliet Starling scheint von Anfang an vergessenswürdig: Er beginnt damit, dass sie mir als Zuschauer etwas von sich erzählt, einen kurzen Blick durch den Duschvorhang gewährt und letztlich zu spät zur Schule kommt. Zu allem Überfluss wird diese von Zombies überrannt, die von einem gehänselten Mitschüler mit Hilfe eines dunklen Rituals beschworen wurden. Und zu schlechter Letzt fällt ihr Freund Nick einem Angriff der Untoten zum Opfer, als er Juliet beschützen will. Dabei hätte er gar nicht eingreifen müssen, denn die blonde Cheerleaderin ist dank ihrer Kettensäge, ihren Pompoms sowie ihrer agilen Akrobatik durchaus in der Lage, auf sich selber aufzupassen.

Ganz abgesehen davon, dass sie zu einer Familie gehört, deren Hauptlebenszweck die Jagd nach Untoten und Dämonen ist. Wie sie Nick im Lauf der sieben Missionen umspannenden Kampagne erklärt, hat sie ihren ersten Zombie getötet, als sie sechs Monate alt war – mit einer geschliffenen Rassel!

Wie jetzt? Nick ist doch bei seinem Versuch, Juliet zu beschützen, ums Leben gekommen? Ja und nein! Ja: Er wurde gebissen und zombifiziert. Und nein: Dank eines übersinnlichen Rituals konnte Juliet ihn retten - zumindest teilweise. Es ist ihr gelungen, den Kopf vom Rumpf zu trennen, bevor der Zombievirus ins Gehirn eindringen konnte und ihn auf einer Art Sockel anzubringen. Nun ist Nick immer bei ihr, wie ein Schlüsselbund an ihrer Hüfte hängend und hilft ihr manchmal mit Kommentaren, manchmal auch aktiv als Gimmick weiter.

Pop-Kultur lebt

Sexy, naiv und brandgefährlich: Juliet Starling.
Sexy, naiv und brandgefährlich: Juliet Starling.
Das zeigt bereits, dass man Lollipop Chainsaw nicht allzu ernst nehmen sollte. Zumal Suda 51 (No More Heroes, Killer 7) zusammen mit dem US-Regisseur James Gunn seine berühmt-berüchtigte Liebe für Pop-Kultur zum Ausdruck bringt und mitunter gnadenlos überzieht. Zwei prägende Figuren des Horrorkinos der 80er Jahre werden mit der San Romero High School bzw. dem Fulci Fun Center (einer Art überdimensionierter Spielhalle) gewürdigt, man kann in Dialogen sowie Umgebungen kleine Anspielungen auf Filme wie Evil Dead finden. Und natürlich kann man in der anzüglichen Horror-Lovestory auch viele Momente erleben, in denen das amerikanische Highschool-Leben oder das Erwachsenwerden im Allgemeinen mal süffisant, mal albern aufs Korn genommen werden. Ich habe selten bei den Zwischensequenzen oder auch nur den „normalen“ Spieldialogen so häufig so herzhaft lachen müssen. Natürlich ist Humor sehr stark von der subjektiven Wahrnehmung abhängig. Doch selbst wenn einem manche Gags oder Sprüche zu geschmacklos scheinen, kann man dem Kreativteam nur gratulieren: In Zeiten, in denen die Entwickler viel zu häufig viel zu sehr auf politische Korrektheit fixiert sind, geht Suda-San wieder einmal einen erfrischend anderen Weg.

Doch hier geht es natürlich nur zweitrangig um Charaktere, Erzählstränge oder Spannungsaufbau. Auch wenn Juliet mit ihren flapsigen Sprüchen sowie ihrer erfrischend naiven Art für mich eine der interessantesten Heldinnen der letzten Jahre ist und Julie (Heavy Metal FAKK 2) oder meiner erklärten Lieblingshexe Bayonetta Paroli bieten kann. Auch wenn die Beziehung zwischen Nick und Juliet gegen Ende sogar philosophische Fragen wie Selbst- oder Fremdbestimmung in Angriff nimmt und sie der skurrilen Trash-Zerreißprobe unterzieht. In erster Linie geht es um die Jagd auf Untote, mit dem erklärten

Trotz Zombie-Thematik ist Lollipop Chainsaw grell, laut und schrill.
Trotz Zombie-Thematik ist Lollipop Chainsaw grell, laut und schrill.
Ziel, sie zu enthaupten. Und diese wird ebenso augenzwinkernd inszeniert, nein: geradezu zelebriert wie die Erzählung.

Puschel, Sägeketten und Regenbogen

Wo andere Titel wie z.B. die hierzulande nicht erhältlichen Zombieeskapaden eines Fotoreporters namens Frank West den Bildschirm mit Hektolitern an Blutkörperchen füllen, sind entsprechende Fontänen die Ausnahme.

Fliegt der Kopf vom Körper, erstrahlt ein Regenbogen und es tropfen rosa Herzchen aus dem Hals. Woher die Regenbogen kommen? Das fragt sich Nick auch und Juliet hat eine Antwort parat: "From Awesome!" Und schafft man es, mindestens drei Gegner gleichzeitig zu enthaupten, wird "Awesome" zu neuen Höhen geführt, wenn die Aktion in Zeitlupe vor einem hell erstrahlenden Sternenkosmos stattfindet.

Selbst wenn man nach einem gelungenen Bocksprung die Säge ansetzt und von unten nach oben durch den Untoten zieht, während er sein Schicksal beklagt oder Juliet seine unsterbliche Liebe erklärt, ist es nur wenig explizit: Das Rot, das sich in den jeweiligen Körperhälften zeigt, ist mit einem freundlichen Glitzern versehen, es fließt nicht über und

Mitunter muss Juliet ihre Qualität auch in "Retro"-Minispielen unter Beweis stellen.
Mitunter muss Juliet ihre Qualität auch in "Retro"-Minispielen unter Beweis stellen.
nachdem die toten Untoten auf dem Boden aufschlagen, dauert es nur wenige Momente, bevor sie sich in einem Sternenreigen auflösen. Dementsprechend  braucht man sich nicht über die Freigabe "Ab 16" wundern. Und noch weniger muss man verzagen: Auch mit Sternen, Regenbogen und sonstigem "Girlie"-Kram bleibt für die Gore-Freunde noch genug übrig.

Final Fight mit Kettensäge

Abgefahrene Figuren gibt es zu Hauf: Allen voran Juliet und ihre Familie, doch auch die fünf beschworenen Hauptbosse, die jeder für eine Musikrichtung wie Psychedelic, Punk oder Metal stehen, sind beispielhaft für die überbordende Kreativität, die nahezu jedes Spiel kennzeichnet, an dem Suda 51 mitgewirkt hat - man denke nur an Shadows of the Damned. Der Ausflug von Garcia Hotspur in eine äußerst düstere und blutige Hölle zeigt einige Parallelen zur Lollis lutschenden Puschel-Schwingerin. Beide schleppen einen sprechenden Kopf mit sich herum, der an entsprechenden Stellen zweckentfremdet werden kann. Und beide bauen im Kern auf bekannte Mechaniken. Während Garcia sich an einem klassischen Schulterperspektiven-Shooter orientiert, setzt Juliet auf das Final Fight- bzw. Streets of Rage-Prinzip, das sie jedoch gut in die dritte Dimension transportiert, behutsam modernisiert und mit der einen oder anderen Überraschung garniert.

Zu Beginn besitzt sie jedoch nur ein eingeschränktes Prügel-Repertoire, um die Untoten und deren Anführer wieder in die Hölle zu schicken. Sie hat ein paar simple Puschel-Kombos zur Verfügung, um die Zombies zu schwächen und natürlich ihre treue Kettensäge, um Köpfe, Arme und Beine von Körpern abzutrennen. Für getötete Gegner gibt es Medaillen in Gold- und Platinform, die man in strategisch verteilten Shops für Upgrades (z.B. Gesundheit, Kraft), neue Angriffsoptionen oder Gimmicks im Umfeld wie neue Kostüme, Musiken, Artworks etc. eintauschen kann. Vor allem mit den Offensiv-Möglichkeiten gewinnen die anfänglich spröden, weil abwechslungsarmen und gelegentlich mit Kollisionsabfragen kämpfenden Auseinandersetzungen schnell an Reiz. Nicht nur, dass man längere Kombos mit der Kettensäge oder den Puscheln vom Stapel lassen kann. Entsprechende Medaillen vorausgesetzt kann man sich Attacken für nahezu jede erdenkliche Situation besorgen: Bodenangriffe, gegen größere Gruppen, um sich aus

Statt Blutkörperchen sprudeln Herzchen bei Enthauptung aus den Zombies.
Statt Blutkörperchen sprudeln Herzchen bei Enthauptung aus den Zombies.
brenzligen Lagen zu befreien usw. Oder man kauft sich Tickets für die "Nick-Lotterie", die man über die L3-Taste aktiviert. Dahinter verbergen sich Spezialangriffe, bei denen Nick aktiv mithilft, indem man ihn wie wild schwing, verschießt oder schüttelt, damit er Medaillen fallen lässt, während die um einen herumstreunenden Zombies einem nach dem Leben trachten.

Abwechslung ist Trumpf

Obwohl die Prügelaction im Vordergrund steht, versucht man, dem Zombie jagenden Spieler Abwechslung zu bieten: Irgendwann kann die multifunktionale Säge z.B. Projektile verschießen, man kann sie als Beschleunigungsobjekt missbrauchen, um rasend schnell (allerdings mit stark eingeschränkter Bewegungsfähigkeit) über Sprungkurse zu jagen.

Man sitzt in den wenigen ruhigeren Momenten z.B. auf einem Mähdrescher und freut sich über eine reiche Zombieernte. Man probiert sich als Sportler, wenn man Juliet im Zombiekopf-Basketball oder Zombie-Baseball zu Erfolgen führen will. Höhepunkt für mich waren jedoch die Abschnitte im Fulci Fun Center, wenn man vom Funk-Boss immer wieder in Spielautomaten gesogen wird und dort in Variationen von Arcade-Klassikern auf

Probleme mit Untoten löst Juliet gleichermaßen elegant wie akrobatisch.
Probleme mit Untoten löst Juliet gleichermaßen elegant wie akrobatisch.
Zombiejagd geht. Pac-Man, Pong, Elevator Action: Wenn es sein muss, macht Juliet auch als Protagonist in "Pseudo 2D"-Retroaction eine gute Figur.  Mit gelungenen Reaktionstests wird das Repertoire abgerundet, so etwa, wenn man über die Köpfe von Zombies tanzt, um einen Abgrund zu überqueren oder wenn man Nick auf einen kopflosen Untoten pflanzt und ihn mit Cheerleader-Bewegungen dazu animiert, Zugänge zu anderen Gebieten zu schaffen oder sie über Hindernisse zu werfen.

Und so vergeht die Zeit wie im Fluge, bis der letzte Bosskampf erfolgreich beendet wurde. Wobei... ein Blick auf die Uhr zeigt, dass die Zeit nicht so schnell verging, sondern dass das knallbunte Kettensägenabenteuer eher kurz ist. Inklusive Zwischensequenzen kann man die Zombiejagd in etwa fünf Stunden abschließen. Danach warten zwar noch höhere Schwierigkeitsstufen mit härteren und anders verteilten Gegnern oder der Ranglisten-Modus, bei dem man auf Punkte, Zeit oder Medaillen spielt.

Dennoch ist fünf Stunden nicht gerade üppig. Andererseits sind mir gut 300 Minuten durchweg gute Unterhaltung wie hier lieber als fünfzehn Stunden magere Zeitlupen-Ballerei mit wenigen Höhepunkten.

Technisch bieder

Apropos mager: Die Kulisse hat mehr mit starken Qualitätsschwankungen zu kämpfen als Juliet mit Untoten. Während die Hauptfiguren innerhalb des leichten Comic-Stils gut eingefangen und bis auf wenige, dafür umso stärker auffallende Ausnahmen überzeugend animiert werden, bieten die Allerweltsgegner nur wenig fürs Auge und sind auch deutlich sparsamer bewegt. Den mitunter spröden Kulissen kommt der Comicansatz ebenfalls zugute, da man über die eine oder andere schwache Textur hinwegsehen kann, die über die linearen Abschnitte verteilt auftauchen. Der Trash-Faktor ist hier am deutlichsten zu spüren.

Von Anfang bis Ende gelungen hingegen ist die Akustik. Die englische Sprachausgabe kann ebenso überzeugen wie die brachialen Kettensägengeräusche. Und auch die Musik hinterlässt von Anfang bis Ende einen rundum gelungenen Eindruck - obwohl sie aus drei

Gestatten: Juliet und ihr Freund Nick - bzw. das, was von ihm nach einem Zombieangriff übrig ist...
Gestatten: Juliet und ihr Freund Nick - bzw. das, was von ihm nach einem Zombieangriff übrig ist...
verschiedenen Richtungen kommt. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche lizenzierte Songs , darunter natürlich auch "Lollipop" von den Chordettes. Die Komposition der Original-Musiken teilen sich Little Jimmy Urine (James Euringer, Sänger von Mindless Self Indulgence), der sich um die Boss-Melodien gekümmert hat (ganz klasse: Der Punk-Zombie, der einen mit Schreien in Form von übergroßen Buchstaben fertig machen möchte) sowie Akira Yamaoka. Sein unnachahmlicher Stil, mit dem er von Silent Hill oder Suikoden über Shadows of the Damned und Sine Mora zahlreiche Spiele veredelt hat, sorgt auch hier in den wenigen ruhigeren Momenten für viel Atmosphäre.

Eine deutsche Sprachspur sucht man übrigens vergebens. Doch in diesem Fall bin ich Warner Interactive dankbar dafür. Ich möchte gar nicht wissen, was irgendwelche überambitionierten Übersetzer aus "Zombies suck dick at driving" oder Juliets Lieblingsspruch "What the dick?" gemacht hätten.

Fazit

Was kümmern mich spröde Kulissen, wenn ich so herzhaft mit und über Juliet lachen kann, während ich Zombies im Dutzend zerlege? Warum sollte ich mich über eine Spielzeit von knapp fünf Stunden aufregen, wenn ich über den gesamten Zeitraum gut unterhalten werde? Die Puschel- und Kettensägen-Action erinnert häufig an ein dreidimensionales Streets of Rage oder Final Fight und geht locker von der Hand. Allerdings muss man darüber hinweg sehen, dass die Bewegungsmöglichkeiten in der ersten Stunde überschaubar sind und erst mit zunehmenden Angriffskombos sowie den gelungenen Abweichungen der Prügelmechanik der Spaß entsprechend multipliziert wird. Die Kulisse mit ihrem Comiclook versucht bewusst, Trash-Atmosphäre aufzubauen, schlittert dabei aber gefährlich häufig an der Grenze entlang, wirklich in den Trash abzurutschen, anstatt ihn nur zu zitieren. Meine Hoffnung, in Juliet vielleicht eine "kleine" Bayonetta-Reinkarnation zu erleben, hat sich schnell zerschlagen - technisch, stilistisch und inhaltlich liegt mindestens eine Dämonenwelt zwischen den beiden Jägerinnen von Untoten. Doch seit dem Auftritt der Platinum-Hexe hatte ich nicht mehr so viel Spaß bei einem "Arena-Brawler" wie mit der Kettensäge schwingenden sowie nach Süßwaren süchtelnden Cheerleaderin.

Pro

herrlich abgefahrener frivol-naiver Humor
viele Anspielungen auf Horror- und Pop-Kultur
Kulisse im Comic-Look...
abwechslungsreiche Spielelemente
unterhaltsames Zombiegemetzel...
gelungene Mischung aus Lizenztracks und Original-Kompositionen
variantenreiche Angriffskombos werden belohnt
klasse englische Dialoge
gute Bosskämpfe

Kontra

unsaubere Animationen (vor allem bei Gegnern)
Kombos anfänglich abwechslungsarm
... die aber mitunter zu trashig wirkt
geringer Wiederspielwert
... das mit etwa fünf bis sechs Stunden grenzwertig kurz ist

Wertung

360

Charmant, sexy, blutig, naiv, frivol, witzig, ungewöhnlich: Juliets Kettensägen-Abenteuer holt aus bekannten Zutaten eine Menge raus, hätte aber durchaus umfangreicher sein können.

PlayStation3

Kopf aus, Kettensäge an: Kurzes, aber unterhaltsames Zombiegemetzel mit Spaß-Garantie. Juliet ist sich für keinen Gag, für keine Albernheit und keinen Spruch zu schade.

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