WWE '1305.11.2012, Mathias Oertel
WWE '13

Im Test:

Fragt man vor allem ältere Wrestling-Fans, was den Showsport definiert hat, landet man schnell bei den so genannten "Monday Night Wars" und der daraus resultierenden "Attitude"-Ära der WWE. Und genau die ist in WWE '13 (ab 15,00€ bei kaufen) das zentrale Spielelement. Kann man mit einem Trip in die Vergangenheit auch  die Anhänger des Sports Entertainment begeistern, die diese Zeit nicht erlebt haben?

Die gute alte Zeit

Ihr wisst, dass die "Monday Night Wars" nichts mit dem Download-Titel "Monday Night Combat" zu tun haben? Für euch ist der „Montreal Screw Job“ nicht Synonym für einen Pornofilm? Dann seid ihr entweder hartnäckiger Wrestling-Aficionado oder gehört zu einer etwas älteren Generation. Vielleicht gehört ihr sogar wie ich zu beiden Gruppen. In jedem Fall richtet sich der "Attitude Ära" genannte Hauptspielmodus in WWE '13 in erster Linie an die Fans des Showkämpfens, die nicht erst in den letzten Jahren mit World Wrestling Entertainment zu tun hatten, das seinerzeit natürlich noch (bis zu einem Rechtsstreit mit dem World Wildlife Fund) World Wrestling Federation (WWF) hieß.

Doch auch wenn man mit den Begriffen D-Generation X, Corporate Ministry oder Texas Rattlesnake nichts anfangen kann, braucht man die Flinte nicht ins Korn zu werfen, sondern kann den Modus genießen, der die "Road to WrestleMania"-Kampagne der Vorgänger ersetzt. Mit cool geschnittenen Videos, die allerdings nur Englisch vertont wurden (es gibt keine Untertitel) bekommt man einen guten Einblick in die meiner Meinung nach wichtigste Phase des Sports Entertainment. Die Stories waren besser, es wurde herzhaft geflucht, auch mal der Mittelfinger gezeigt - die Charaktere waren nicht auf größtmöglichen Konsens, sondern auf Konfrontation ausgelegt. Und das kam alles nur in Gang, weil die WWF seinerzeit in den Quotenkrieg mit der WCW (World Championship Wrestling) ziehen musste.

Die virtuelle Vergangenheit

Natürlich darf auch The Rock nicht fehlen.
Natürlich darf auch The Rock nicht fehlen.
Über 60 Matches eingeteilt in sieben sich teils überschneidende  Themenbereiche (z.B. D-Generation X, Brothers of Destruction, Mankind) kann man erleben und dabei viel über die Geschichte des Sports Entertainment lernen. Nebenbei kann man noch einen ganzen Haufen Gimmicks (neue spielbare Wrestler, Arenen etc.) freischalten. Dazu müssen jedoch auch die optionalen Aufgaben erfüllt werden, die für jedes Match erdacht wurden und die auf den "echten" Geschehnissen basieren. Sprich: Auch wenn die Ära, um die es geht, eigentlich schon mehr als zehn Jahre zurückliegt, ist WWE '13 so dicht am echten Wrestling-Erlebnis wie nur selten zuvor.

Das spiegelt sich auch in der Inszenierung wider. Zwar nutzt man bei der Matchdarstellung die dynamischeren Kameraperspektiven der modernen Wrestling-Sendungen, doch das gesamte Umfeld wurde auf "damals" getrimmt. Die Athleten kommen stilecht zu ihren "alten" Einzugsmusiken zum Ring, die Bühnen von damals wurden akkurat nachgebildet und wie man nicht nur beim Vergleich mit den freischaltbaren Videos feststellen kann, wurden viele Schlüsselmomente der WWE-Geschichte nicht nur visuell mit den virtuellen Wrestlern nachgestellt, sondern auch akustisch: Es werden immer wieder Zuschauerreaktionen und vor allem die Originalkommentare der Attitude-Ära eingespielt. Und das zeigt Wirkung. Denn im Unterschied zu den technisch zwar sauberen, aber letztlich vergleichsweise emotionslosen sowie sich schnell wiederholenden generischen

Bret Hart gegen Shawn Michaels beim Match in Montreal: Auch dieses Kapitel düsterer WWE-Geschichte wird thematisiert.
Bret Hart gegen Shawn Michaels beim Match in Montreal: Auch dieses düstere Kapitel der WWE-Geschichte wird thematisiert.
Kommentaren für die aktuellen Auseinandersetzungen wirken die Gefühlsausbrüche der damaligen Sprecher schlichtweg authentischer - auch wenn das juristisch erforderliche Weglassen des "F" bei allem, was bei Sprachausgabe mit WWF zu tun hat, etwas aus dem Konzept bringt. Doch so überzeugend der Einsatz der alten Akustik ist, so merkwürdig sind manche Aussetzer in dieser Hinsicht, wenn z.B. der gesprochene Text kaum verständlich ist. Das wiederum passt zu dem Design weniger Figuren, die so gar nicht ihren realen Gegenstücken entsprechen, allen voran die Galionsfigur der WWE, Vincent McMahon, der als Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender alle Geschicke der Firma lenkt. Der virtuelle Mr. McMahon hat allerdings nur entfernt Ähnlichkeit mit dem markanten WWE-Boss, was einige Atmosphäre-Punkte kostet. Die wiederum gewinnt der Attitude-Modus bei mir wieder zurück, wenn The Rock und Mankind in einer punktgenau nachgestellten sowie zum Original-Sound geschnittenen Szene im Backstage-Bereich kämpfen - klasse!

Bekanntes Drumherum

Auch das inhaltliche Umfeld kann sich sehen lassen - selbst wenn man hier bei Weitem nicht so progressiv ist wie in der Attitude-Kampagne. Die Editoren z.B. haben sich in den

Mit seiner Fehde gegen Mr. McMahon kamen die "Monday Night Wars" und die "Attitude"-Ära in Fahrt: Stone Cold Steve Austin.
Mit seiner Fehde gegen Mr. McMahon kamen die "Monday Night Wars" und die "Attitude"-Ära in Fahrt: Stone Cold Steve Austin.
letzten Jahren zu einem Aushängeschild der WWE-Spiele entwickelt und zu einer regen Produktion von Community-Inhalten geführt. Das ist dieses Jahr nicht anders, auch wenn die Handhabung nicht immer intuitiv ist: Man kann Athleten erstellen, Einmärsche anfertigen, sich um Move-Sets kümmern, Finisher bauen, Szenarien mit verzweigenden Geschichten erfinden und in einem umfangreichen Baukasten eigene Arenen zimmern - natürlich jeweils mit der Option, sie der weltweiten Spielergemeinde zur Verfügung zu stellen. Gegenwärtig (Stand: 5. November 2012) gibt es auf der 360 z.B. weit über 20.000 Inhalte, mit denen man sein Spielerlebnis zusätzlich aufpeppen kann. An dieser Stelle hätte ich auch gerne einen Vergleich mit der ansonsten inhaltsgleichen PS3-Version gemacht (die allerdings sowohl off- als auch online mit sechs bzw. zwölf Teilnehmern mehr Spieler ermöglicht als auf 360, hier sind es vier offline und sechs online), doch zum Zeitpunkt der Testfertigstellung waren die entsprechenden Server nicht zu erreichen.

Wobei man unter dem Strich eigentlich kaum einen Grund für den Online-Katalog hätte: Es gibt inkl. Diven, den Kämpfern der Attitude-Generation sowie einem breit gefächerten Spektrum aktueller Recken gut 100 Athleten zur Auswahl. Selbst Duelle des modernen Undertaker gegen sein altes Vorbild oder Triple H gegen sein 90er Jahre-Alter Ego Hunter Hearst Helmsley sind möglich. Allerdings wird vor allem bei Triple H deutlich, dass letztlich nur ein paar Texturen ausgetauscht wurden, wodurch der Zauber etwas seines Glanzes verliert. Was man im Übrigen auch von der Zuschauerkulisse sagen kann. Zwar sind die

Die Figuren samt authentischer Einmärsche können sich sehen lassen. Für das Publikum gilt dies weniger.
Die Figuren samt authentischer Einmärsche können sich sehen lassen. Für das Publikum gilt dies weniger.
Arenen bis auf den letzten Platz mit Polygon-Gästen gefüllt. Doch vergleicht man WWE '13 mit 2Ks diesjährigem Basketball-Ableger, werden die Defizite all zu deutlich: Wo in den NBA-Hallen das Publikum kocht und visuell gehörig zur Stimmung beiträgt, bleiben die nur mäßig animierten Copy/Paste-Massen der WWE-Fans langweilig. Und das, obwohl sie eigentlich genug Anlass hätten, sowohl in den zur Verfügung stehenden üppigen Match-Varianten als auch im überarbeiteten Welt-Modus mit seinen dynamisch auf das Spielergeschehen reagierenden Geschichten und Geschichtchen, für die teilweise Wrestling-Legende Paul Heyman verantwortlich zeichnet, oder den größtenteils sauber laufenden Online-Matches zu jubeln, was das Zeug hält.

Predator 2.0

Ein kurzer Blick zurück: Letztes Jahr wurde nicht nur der "Smackdown vs. Raw"-Name ad acta gelegt. Mit der so genannten Predator-Engine wurde ein Grafik- und Kontrollmechanik-Update eingeführt, das zwar viel Potenzial zeigte, aber in der Umsetzung nicht alle Erwartungen erfüllen konnte. Was vielleicht auch daran gelegen hat, dass zumindest die Kulisse trotz aller Fortschritte in einem jahrelang mitgeschleppten und nur marginal veränderten Grafikmotor verwurzelt war. Hinsichtlich der neuen Dynamik der Ringkämpfe wurde jedoch angedeutet, wohin sich die Matches entwickeln können. Und

Natürlich finden sich im gut 100 Mann bzw. Frau starken Roster auch aktuelle Athleten wie Sheamus.
Natürlich finden sich im gut 100 Mann bzw. Frau starken Roster auch aktuelle Athleten wie Sheamus.
dieses Jahr scheint es, als ob man endlich dort angekommen ist: Angefeuert von einem breit gefächerten Move-Repertoire, das jedoch unter einem überschaubaren Steuerungs-Schema liegt und mit dem Timing-basierten Konter bzw. Block kommt es sowohl gegen die CPU-Wrestler als auch gegen menschliche Spieler zu spannenden Matches, bei denen das Momentum hin und her wogt und ich nur selten das Gefühl hatte, die Lage nicht mehr kontrollieren zu können.

Es gibt aber immer noch Probleme, so z.B. mit der Physik beim Einsatz von Gegenständen sowie beim Einsatz bestimmter Move-Ketten, die abgespult werden müssen, bevor die nächste Eingabe verarbeitet werden kann. Besondern betroffen davon sind Spottbewegungen und die Versuche, das Publikum anzuheizen, aber auch bestimmte Angriffe gehören in diese Kategorie.

Und so sehr ich es aus einem "Wrestling-Standpunkt" und dem dahinter liegenden Show-Charakter nachvollziehen kann, so sehr schadet es dem "Prügelspiel" WWE. Ich bin der Meinung, dass sich jederzeit volle Kontrolle auf Seiten des Spielers bei gleichzeitig

Ein Wahnsinns-Moment vergangener Wrestling-Zeiten: Undertaker wirft Mankind vom Dach des "Hell in a Cell"-Käfigs durch einen Moderatorentisch.
Ein Wahnsinns-Moment vergangener Wrestling-Zeiten zum Nachspielen: Undertaker wirft Mankind vom Dach des "Hell in a Cell"-Käfigs durch einen Moderatorentisch.
überschaubarer Steuerung nicht mit Kampfdynamik ausschließen muss. Und THQ hat bereits mit einem leider nicht mehr im Portfolio befindlichen Titel bewiesen, dass dieser Spagat bravourös bewältigt werden kann: Die UFC-Spiele haben gezeigt, dass Simulation und Dynamik koexistieren können. Und dies ist der Schritt, den die Wrestling-Simulation nächstes Jahr ebenfalls gehen sollte.

Oh mein Gott

Zudem hat die Engine immer noch (oder schon wieder?) Probleme mit Clipping, sprich: einer sauberen Kollisionsabfrage sowie vor allem der Darstellung von langen Haaren. Während Ersteres verschmerzbar ist (zumal es nicht so häufig auftritt wie noch vor zwei oder drei Jahren) macht Letzteres die Defizite des Grafik-Motors deutlich. Denn wenn man die 90er Jahre im Sports Entertainment Revue passieren lässt, kommt einem nicht nur "Attitude" in den Sinn. Schaut man sich das damalige "Who is Who" im Business an, stolpert man zu 80 Prozent über Charaktere, deren Haare länger sind als die meiner Tochter. So gelungen die Mimik der Figuren im Ring ist und sie auf Würfe, Schläger oder

Andere "OMG"-Momente wie zusammenbrechende Ringe sind nett umgesetzt.
Andere "OMG"-Momente wie zusammenbrechende Ringe sind nett umgesetzt.
Schmerz reagieren und so lebensecht die Texturen sowie viele der Animationen wirken: Die mal stocksteifen, dann wieder vollkommen überzogen durch die Gegend fliegenden Zotteln haben Besseres verdient.

Wenig anfangen kann ich übrigens mit den so genannten "OMG"-Momenten. Dahinter verbergen sich besondere kontextsensitive Aktionen, die einen "Finisher" kosten und die in einer spektakulären Situation enden. Zwar macht es einiges her, wenn der Ring nach einem gewaltigen Slam von Big Show in sich zusammenfällt oder zwei Wrestler durch die Barrikade in den Zuschauerraum stürzen, doch spielmechanisch hätte ich sie nicht vermisst. Vielleicht bin ich etwas zu sehr Fan der "alten Schule", aber die Möglichkeit mit Bret Hart, dem British Bulldog, Big Boss Man, der Legion of Doom oder Cactus Jack in den Ring steigen zu können, ist mir wesentlich wichtiger.

Fazit

Inhaltlich ist WWE '13 nicht nur das umfangreichste, sondern vor allem das interessanteste Wrestling-Spiel seit Jahren. Die Einbindung der so genannten "Attitude"-Ära sorgt mit über 60 Matches, haufenweise Original-Videos sowie größtenteils den damaligen Tonspuren entliehenen Kommentaren und Zuschauerreaktionen für eine in der Serie lang vermisste Authentizität und enorme Dramatik. Die lässt sich auch nicht von mitunter schwer erkennbaren Figuren wie dem Mr. McMahon der 90er kaputt kriegen. Nicht nur für alte Wrestling-Haudegen wie mich dürfte es daher schwer sein, sich der Kampagne zu entziehen. Und dann wartet noch die überarbeitete WWE-Welt mit ihren dynamischen Story-Lines sowie der meist lagfreie Online-Modus.  Zusätzlich kann man sich entweder als Kreativ-Talent beweisen und Wrestler, Stories sowie Arenen erstellen oder sich als Konsument von der Community berieseln lassen, die bereits sehr aktiv ist. Die verfeinerte Steuerung sorgt mit ihrer gelungenen Konter-Mechanik für dynamische Gefechte, wobei die neuen Kameraeinstellungen die Action akzentuieren. Schade ist allerdings, dass sich die eigens eingesprochenen Kommentare zu schnell wiederholen und auch nicht die emotionale Klasse der Originalsamples aus der Attitude-Zeit erreichen. Dazu kommt, dass trotz unbestrittener spielerischer Qualität technisch nicht alles im grünen Bereich liegt und man immer noch mit Clippings, unsäglich dargestellten langen Haaren oder fragwürdiger Physik beim Einsatz von Gegenständen konfrontiert wird. Dennoch: So viel Spaß wie mit WWE '13 hatte ich als "Old-Schooler" mit keinem anderen Wrestling-Titel in den letzten Jahren.

Pro

Kampagne mit über 60 Matches
Roster mit gut 100 Superstars, Diven und Legenden...
"Attitude"-Ära wird adäquat widergespiegelt
astimmungsvolle Einbindung "alter" Original-Kommentare... 
authentische Einmärsche
gute Steuerung mit gelungener Konter-Mechanik
haufenweise Matchtypen inkl. Konfigurations-Optionen
neue Kamera-Einstellungen sorgen für zusätzliche Dynamik
umfangreiche Editoren
passabler Online-Modus
Austausch von Community-Inhalten
haufenweise freischaltbares Material

Kontra

"neue" Kommentare wiederholen sich zu schnell
... bei wenigen leidet allerdings der Wiedererkennungswert
technische Macken (Clipping, lange Haare, fragwürdige Physik)
... die allerdings mitunter besser abgemischt sein könnten
"Welt" und Editoren mitunter umständlich zu bedienen
es gibt immer noch nicht unterbrechenbare Moveschleifen
visuell schwache Zuschauerkulisse
Ladezeiten
Attitude-Videos ohne Untertitel

Wertung

360

Mechanisch wurde WWE 13 konsequent weiterentwickelt. Doch es ist vor allem der gut umgesetzte Attitude-Modus, der trotz manchmal anfälliger Technik für einen Motivationsschub sorgt.

PlayStation3

Mechanisch hat sich WWE 13 weiterentwickelt, hinsichtlich des Umfangs ist es monströs, doch die Technik bremst den Spaß im Detail immer wieder aus.

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