Valiant Hearts: The Great War24.06.2014, Jörg Luibl
Valiant Hearts: The Great War

Im Test: Rätsel-Abenteuer im Ersten Weltkrieg

Schützengräben, Giftgas und Frontbriefe: Ubisoft Montpellier entführt mit Valiant Hearts: The Great War (ab 13,95€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) in den Ersten Weltkrieg. Das 2D-Adventure enthält reichlich historisches Material und wird im Stile eines Comicromans mit überzeichneten Charakteren und Sprechblasen inszeniert. Damit reiht sich das Spiel in die vielen Veröffentlichungen zur hundertjährigen Wiederkehr des Kriegsausbruchs ein.

Zusammen durch den Weltenbrand

Das Spiel beginnt mit einer tragischen Familientrennung im Jahr 1914: Der Vater wird von der französischen, der Ehemann von der deutschen Armee eingezogen – zurück bleibt eine weinende Frau im Elsass. Der sehr gute deutsche Sprecher und die traurigen Klavierklänge sorgen zusammen mit dem markanten Zeichenstil für einen melancholischen, überaus stimmungsvollen Einstieg. Man fühlt sich wie in einem animierten Comicroman, wenn man seine ersten Schritte in der französischen Kaserne macht.

Das Spiel beginnt 1914 mit der Einberufung: Der Vater auf Seiten der Franzosen, der Schwiergersohn auf Seiten der Deutschen.
Die bulligen Soldaten mit den kleinen Füßen verschwinden quasi unter ihren Helmen, während sie die Befehle der Säbel schwingenden Offiziere empfangen – alle folgen quasi blind. Hier wird nicht verherrlicht, sondern augenzwinkernd ironisiert. Das Artdesign erinnert dabei sowohl an das satirische Flair der damaligen Wochenzeitschrift "Simplicissimus" als auch an moderne Graphic Novels wie z.B. „Elender Krieg“ von Jacques Tardi. Aber im Gegensatz zu diesem gnadenlosen Antikriegscomic, der das Grauen und die Brutalität schonungslos illustrierte, kann sich die Regie in Valiant Hearts nicht entscheiden.

Zwischen Beklemmung und Belustigung

Auch hier regnen Bomben, schreien Verwundete und rattern Maschinengewehre. Aber die Inszenierung schwankt zwischen Drama und Komödie, Beklemmung und Belustigung, Antikriegstendenz und heroischem Pathos – unter diesen Wechseln und Widersprüchen leidet auf lange Sicht auch die Identifikation mit den Charakteren, zumal die Story manchmal unnötig ins Kitschige abdriftet. Dass man z.B. einen deutschen Oberbösewicht in einem Waffen strotzenden Zeppelin verfolgt und in Bosskämpfe verwickelt wird, würde auch zu einem gewöhnlichen Beat’em Up oder Shoot’em Up passen.

Das Rätselniveau ist bescheiden bis solide: Erfahrene Spieler werden kaum gefordert.
Besser als die Regie ist die Integration der historischen Informationen, denn man wird fast nebenbei mit dem Alltag des Ersten Weltkriegs konfrontiert, weil jeder gefundene Gegenstand eine kleine Geschichte erzählt: Wusstet ihr, dass man Eisenspieße aus Zeppelinen warf? Dass man Socken in Talg und Formalin tränkte, damit sie besser gegen Kälte schützen?  Dass man sich vor den ersten Gasmasken uringetränkte Lappen vor das Gesicht hielt? Dass man im Schützengraben mit durchlöcherten Helmen grillte? Dass man Soldaten eine Mischung aus Magnesium und Pottasche spritzte, um sie moralisch zu aufzuputschen?

Historisch interessanter als erzählerisch

Alls das macht irgendwann  neugieriger als das eigentliche Schicksal der Familie oder Protagonisten. Man erfährt einfach so viel über versteckte Gegenstände, Archivmaterial und Tagebücher. Ich habe mich dabei ertappt, dass es wesentlich interessanter war, welche Erklärung sich hinter einer Uhr, einem Spaten oder einer Maske verbarg, als die Story um Emile, Klaus & Co zu verfolgen.

Dabei hätte man aus der Geschichte und den Biographien dramaturgisch mehr herausholen können. Man erlebt die Reise durch die Kriegsjahre ja aus mehreren Perspektiven: Mal spielt man den Schwiegervater Emile mit seinem Kochlöffel, mal den blonden Karl und hinzu gesellen sich ein amerikanischer Fremdenlegionär sowie eine Sanitäterin namens Anna. Diese illustre Gruppe wird immer mal wieder getrennt und zusammengeführt, während man an zig Schauplätzen über vier Kapitel von Paris bis Verdun und Ypern Rätsel wie in einem klassischen Adventure löst, Reaktionstests sowie kleine Ausweichspiele meistert.

Bescheidene Rätselqualität

Die Qualität der Rätsel steigt zwar mit der Zeit etwas an, ist aber über weite Strecken bescheiden. Meist ist es offensichtlich, was wo zu tun ist. Also läuft man von links nach rechts, trocknet die Socke am Feuer, bekommt dafür das Tintenfass; lockt den Vogel mit Brot, sammelt dafür die Feder ein – und kann letztlich einen Brief schreiben. Zwar kann man im Veteranenmodus zumindest die optischen Hinweise abschalten, aber selbst so kommen erfahrene Knobler viel zu schnell vorwärts.

Ausweichen ist Trumpf: Ab und zu muss man dem Beschuss entgehen.
Das liegt auch daran, dass man nur einen Gegenstand tragen kann und die Lösung für ein Problem auch noch in Sprechblasen symbolisiert wird - so werden Tintenfass und Feder oder eine große Zahl an Männern zum Schieben auch noch angezeigt. Bis auf ein "Merci Madame" hier oder ein "Danke" dort, wird übrigens nicht gesprochen. Man kann Gegenstände weder genauer begutachten noch muss man sie clever mit anderen kombinieren. Es gibt keinerlei Dialogrätsel und selbst Zahlenkombinationen für einen Safe werden allzu offensichtlich ausgelegt. Kurzum: Man fühlt sich manchmal wie in einem Adventure für Anfänger.

Kombinierte Kooperation und Schleichanlagen

Aber Valiant Hearts punktet immerhin mit seiner Vielfalt an Aktionen und Gefahren in Echtzeit. Kooperative Abwechslung und damit auch etwas mehr Anspruch kommen z.B. über den Hund sowie die Begleiter ins Spiel. Dann werden auch hintere oder obere Ebenen der Kulisse genutzt, um den treuen Vierbeiner mit Befehlen durch Tunnel

Mit dem Hund kommt die Kooperation ins Spiel. Er kann Gegenstände apportieren und Hebel bedienen.
zu schicken, damit er entfernte Hebel bedient, Dynamit besorgt oder Wachen ablenkt. In diesen Situationen muss man endlich etwas mehr kombinieren und planen, um Plattformen oder Maschinen in Gang zu bringen – wobei man die Zahnräder und fehlenden Hebel wiederum viel zu leicht findet.

Dabei wird sogar geschlichen und ausgeknockt: Man kann sich hinter Mauern verstecken und eine Wache von hinten niederstrecken oder Attrappen als Köder aufstellen. Man wirft Gegenstände zur Ablenkung von Wachen oder um Leitern auszurollen, kann mit Dynamit Wege freisprengen oder sich mit der Schaufel durch die Erde graben, wobei man versteckte Sprengkörper meiden muss. Hinzu kommen einige Ausweichsituationen: Wenn es Granaten vom Himmel regnet, muss man ihren Schatten entfliehen; auch am Steuer eines Autos muss man bei quietschenden Reifen im Takt der Musik dem Beschuss entgehen – Rayman lässt grüßen.

Zwar tragen die Helden keine Waffen, aber es wird auch geschossen, wenn man z.B. per Fadenkreuz eine Kanone auf feindliche Stellungen ausrichten muss. In der Haut von Anna gilt es schließlich Patienten zu heilen, indem man in Reaktionstests die richtigen Knöpfe zur richtigen Zeit während der Behandlung drückt. Das ist ebenfalls sehr einfach, wird etwas zu oft eingesetzt und hat in einer Situation zu einem Bug geführt, der zum Neuladen zwang. Wenn man nach der Ersten Hilfe für eine Frau in einem Haus zu schnell drückt, bleibt Anna regungslos stehen und lässt sich nicht mehr bewegen. Aber das war die einzige Fehlersituation.

Fazit

Hallo, ihr Geschichtslehrer da draußen: Valiant Hearts ist vielleicht das ideale Spiel für den Unterricht in der Unter- und Mittelstufe, denn das markante Comic-Adventure weckt fast im Vorbeigehen die Neugier auf die Zeit des Ersten Weltkriegs. Interessante Informationen zum Alltag der Menschen werden über Gegenstände, Tagebücher und Archivmaterial so clever integriert, dass man historisch geködert wird. Das kann man von der Familiengeschichte leider nicht sagen, die zu Beginn zwar berührt, aber dann seltsam kalt lässt. Also ein weiteres Hallo an die Deutschlehrer da draußen: Anhand dieses Spiels könnte man vielleicht zeigen, warum die emotionale Anbindung an die Charaktere von der wankelmütigen Regie ausgebremst wird. Die Inszenierung schwankt zwischen Drama und Komödie, Beklemmung und Belustigung, Antikriegstonalität und kitschigem Pathos - mir fehlt die klare Linie. Dieses Wechselbad setzt sich spielerisch fort, denn die über weite Strecken magere, im besten Fall solide Rätselqualität wird immerhin von Kooperation mit dem Hund sowie Abwechslung in Echtzeit aufgefangen. Man schleicht, verarztet oder fährt allerdings auch nur auf Reaktionstestniveau. Unterm Strich über etwa acht Stunden ein solides Abenteuer mit ausgezeichnetem Artdesign, aber zu viel spielerischer Gewöhnlichkeit und vertanen erzählerischen Chancen. Wer wissen will, wie man das Thema Erster Weltkrieg auch in Comicform erwachsener, konsequenter und eindringlicher umsetzen kann, dem empfehle ich „Elender Krieg “ von Jacques Tardi.

Pro

ausgezeichnetes Comic-Artdesign
angenehm satirischer Unterton
Story aus mehreren Perspektiven
je nach Charakter andere Aktionen verfügbar
historische Bildung im Vorbeirätseln
sehr guter deutscher Sprecher
kooperative Rätsel mit Hund
einige Bosskampfsituationen
viel anschauliches Archivmaterial
melancholische Klaviermusik

Kontra

sehr viele offensichtliche, zu leichte Rätsel
Regie schwankt zwischen Kriegskritik und Kitsch
Story verliert an Reiz & emotionaler Anbindung
Reaktionstests auf Minispielniveau
manche Innenräume schwach illustriert
"Veteranenmodus" macht Spiel nicht viel schwerer
Bug zwang zum Neuladen

Wertung

360

Unterm Strich ein solides 2D-Adventure mit ausgezeichnetem Artdesign, das allerdings besser bildet als unterhält.

PlayStation3

Unterm Strich ein solides 2D-Adventure mit ausgezeichnetem Artdesign, das allerdings besser bildet als unterhält.

PC

Valiant Hearts fehlen zwar eine klare Regie und kreativere Rätsel, aber dafür besticht das Artdesign, man wechselt Perspektiven sowie Fähigkeiten und wird fast im Vorbeigehen historisch informiert.

PlayStation4

Valiant Hearts fehlen zwar eine klare Regie und kreativere Rätsel, aber dafür besticht das Artdesign, man wechselt Perspektiven sowie Fähigkeiten und wird fast im Vorbeigehen historisch informiert.

XboxOne

Unterm Strich ein solides 2D-Adventure mit ausgezeichnetem Artdesign, das allerdings besser bildet als unterhält.

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