Cuphead02.10.2017, Jan Wöbbeking

Im Test: Knallhart und wunderschön

Selten war ein Shoot-em-up so schön und knifflig: Die Brüder Moldenhauer haben ihren spielbaren Cartoon Cuphead (ab 19,98€ bei kaufen) wie die Vorbilder aus den Dreißigern komplett am Lichttisch animiert – Bild für Bild. Kein Wunder also, dass sich der Release um Jahre verschob. Wir stürzen uns in den Kampf gegen mutierte Riesenhexen und andere unheimlich grinsende Monstrositäten.

You’re dead!

„Man kann da schon mal sterben, ne?“ – „Na, macht’s noch Spaß?“ – „Und - wie lange hast du fürs Tutorial gebraucht?“ Wer beim Testen von Cuphead eine Pause einlegt, kann sich sicher sein, dass es sofort Fragen zum Schwierigkeitsgrad hagelt. Um es schon mal vorwegzunehmen: Ja, das klassische horizontale Shoot-em-up ist richtig knifflig! Derart knifflig, dass so viele Flüche durchs Konsolenbüro hallten wie schon lange nicht mehr. Manche Levels müssen auch gestandene Contra-Veteranen gleich zehnmal oder häufiger starten. Gleichzeitig hat man dabei aber fast immer das Gefühl, ein bisschen weiter gekommen zu sein: „Nur noch ein Stückchen, diesmal schlüpfe ich mich geschickter an den Hummelgeschossen der Bienenkönigin vorbei und decke sie gleichzeitig mit zielsuchenden Geschossen ein!“ So oft man auch fassungslos den Controller fallen lässt, man will es immer gleich nochmal versuchen, was dank unendlich vieler Leben zum Glück problemlos möglich ist. Im Prinzip nehmen die bizarren Verwandlungen der Bosse nämlich nur wenige Minuten in Anspruch – falls man es denn beim ersten Anlauf schaffen sollte.

Wenn man im lokalen Koop loslegt, darf sich die zweite Figur ebenfalls im Shop mit Waffen eindecken, sofern man vorher schon genügend Münzen gesammelt hat.
Die erwähnte Bienenkönigin etwa schickt zunächst ihre Minen legenden Wachmänner und mürrischen Arbeitsdrohnen im Anzug vor. Weiter geht es mit fies durch den Raum schwirrenden Magiepollen und feuernden Waben - bis der Kopf der Königin schließlich an einer langen Kette aus dem Rumpf rutscht und selbst fette Kanonenkugeln ausspuckt. Noch cooler animiert ist die fliegende Riesenhexe auf ihrer bizarren Mischung aus Flugzeug und Einrad. Immer wieder verwandelt sie sich in Sternbilder wie einen Schützen oder einen blitzschnell mit den Hörnern attackierenden Wolkenstier. An bizarren Momenten mangelt es nicht: Froschboxer verwandeln sich in Einarmige Banditen und Harlekins mit Luftballonköpfen rammen rüpelhaft in Autoscootern über den Rummel. In den Fluglevels kann sich sogar der Held in einen unheimlich putzigen Miniflieger verwandeln, der schneller durch die Geschosse taucht als seine große Form. In solchen Momenten weckt Cuphead immer wieder Erinnerungen an die abgefahrenen Welten der Parodius-Reihe.

Fast wie in den Dreißigern

Dank der Animationen im Dreißiger-Design entwickelt sich aber eine ganz eigene, faszinierende Atmosphäre. Zunächst versuchten die Entwickler bei Studio MDHR (kurz für Moldenhauer), den typischen Look alter Disney-Cartoons und der Fleischer Studios am Computer zu imitieren. Da das Ergebnis aber nie wirklich ihren Vorstellungen entsprach, setzten sie sich noch einige Jahre an den Lichttisch, um Bild für Bild von Hand zu animieren. Dass sich die Mühe  gelohnt hat, ist offensichtlich: Am meisten stechen die abrupten Bewegungen und bizarren Verformungen heraus. Die Pioniere früher Cartoons ließen schließlich noch ohne Rücksicht auf Verluste oder Familienfreundlichkeit ihre Fantasie spielen. Die unruhig wackelnde Linienführung ist ebenfalls ein bekanntes Merkmal, das sich offenbar gar nicht so leicht authentisch imitieren lässt.

Willkommen im spielbaren Wahnsinn!
Auch das aufgekratzte Klaviergeklimper in typischen Jazz- und Ragtime-Stücken trägt seinen Teil zur Atmosphäre bei. Passend zum durchgeknallten Thema nimmt sich auch die kurz gehaltene Geschichte ein zwielichtiges Thema vor: Im Casino hat der gierige Protagonist Cuphead seine Seele an den Teufel verspielt. Um sich aus dem Fluch freizukaufen, muss er nun die Seelen anderer Übeltäter einsammeln. Auf Wunsch hilft ihm ein zweiter Spieler dabei und übernimmt die Steuerung seines Freundes Mughead. Das ist leider nur lokal möglich ist, sorgt dann aber für ein lustiges Koordinationschaos. Auch die Balance passt im Koop: Ist man schnell genug, kann man den Partner wiederbeleben – andererseits leidet schnell mal die Übersicht, was die Sache wieder kniffliger gestaltet.

Boss, Boss, Hüpfen, Boss

Im Laufe des Abenteuers ist man abwechselnd zu Fuß oder in einem Flieger unterwegs, während man kleine Gegnerschwärme und fette Endgegner mit Projektilen eindeckt. Der Fokus liegt eindeutig auf den Bosskämpfen. Zwischendurch werden aber auch einige Hüpflevels und eine Oberwelt eingestreut, auf der man sich beim grunzenden Händler mit frischen Waffen eindeckt. Das überschaubare Arsenal wurde motivierend aufeinander abgestimmt: Wer sich in etwas gefährlichere Ecken der Levels wagt, kann dort Münzen einsammeln und sie etwa in einen gefächerten Streuschuss oder einen praktischen Boomerang investieren, der Gegner hinter dem Helden besonders effektiv aus dem Weg räumt. Sehr nützlich ist auch der aufgemotzte Dash, der den Tassenkopf einen Sekundenbruchteil lang unbesiegbar macht, so dass er sich noch rechtzeitig aus einem Gegnerpulk stehlen kann. Rosa eingefärbte Objekte lassen sich per Sprungknopf „parieren“. Mit dem passenden Timing lädt man so schneller Spezialattacken auf, um z.B. einen angenehm fetten Energiestrahl abzufeuern.

Zunächst planten die Entwickler ein reines Boss-Rush-Spiel, später wurden jedoch noch Plattformlevels wie dieser bizarre Mondausflug eingebaut.
Schade allerdings, dass die Waffen so unspektakulär an den Gegnern verpuffen. Während in Metal Slug, Broforce & Co. effektreich die Fetzen fliegen, sich Panzerungen lösen oder die Gegner blaue Flecken bekommen, bleiben sie hier fast immer unversehrt. Erst nach einer Verwandlung oder beim Exitus bekommt man eine visuelle Rückmeldung. Vorher signalisiert lediglich ein leichtes Aufleuchten, dass man ihnen Schaden zufügt – nicht gerade motivierend. Vielleicht ist bereits derart viel Aufwand in andere Zeichnungen geflossen, dass keine Zeit mehr für die Feedback-Animationen übrig war. Ein weiteres kleines Manko ist der Umstand, dass man trotz zwei Analogsticks nur digital steuern und in acht Himmelsrichtungen schießen kann. Vor allem im Spielzeughaus erwischt man im Gewusel manchmal den einen oder anderen schwebenden Gegner nicht, den man sonst einfach hätte anpeilen können.

Exklusiver Crossplay-Shooter

Ein kleine Spaßbremse sind auch die ständige Anspannung und der Fokus auf superknifflige Bosse. Viele Attacken lassen sich auf Anhieb nur schwer einschätzen, so dass das Auswendiglernen auf Dauer ein wenig ermüdend und monoton werden kann. Es fehlen Momente zum Durchatmen, in denen man sich einfach mal mächtig fühlen und die wunderhübsch gezeichnete Kulisse genießen darf. Manch eine lustige Animation im Hintergrund fällt einem erst dann auf, wenn man einem anderen Spieler zuschaut oder sich Aufnahmen ansieht. Im Gegenzug versetzt einen der knallharte Ballermarathon aber in ein regelrechtes Wechselbad aus Verzückung, Hass und dem Ansporn, den Boss diesmal doch besiegen zu wollen. Neulinge sollten also lieber komplett die Finger vom Spiel lassen, Fortgeschrittene bekommen vor Bosskämpfen aber immerhin eine Option, den Schwierigkeitsgrad ein wenig zu senken. So lassen sich auch ohne hohe Skills die nächsten Welten freispielen. Der Teufel pocht dann allerdings darauf, dass Cupheads Seele nur mit „echten“ Kämpfen gegen die übrigen Schuldner befreit werden kann.

Boss-Koller im Anmarsch!
Dank der Unterstützung von Microsofts Crossplay- Programm „Play Anywhere“ reicht der Kauf eines Keys, woraufhin man frei zwischen der Xbox One und einem PC mit Windows 10 wechseln kann. Auch der Speicherstand wird zwischendurch in die Cloud hochgeladen, was bei unserem Test von einer Ausnahme abgesehen auf Anhieb klappte. Auf beiden Systemen liefert das Spiel ein technisch sauberes Ergebnis (auf der Konsole mit etwas langen Ladezeiten) ab. Lediglich im Koop auf der Xbox One haben wir manchmal kleine Ruckler erlebt. Einen Punktestand oder weltweite Bestenlisten haben sich die Entwickler leider gespart, lokal kann man aber seine Zeiten und die Level-Wertungen verbessern.

Fazit

Was für ein Flashback: Als Liebhaber alter Cartoons ist Cuphead für mich ein Spiel gewordener Kindheitstraum. Ich bin zwar eher Fan von Warners Looney Tunes mit ihrem flapsigen Humor, aber auch der exzentrische frühe Animationsstil von Disney und Fleischer (Popeye, Betty Boop) üben nach wie vor eine große Faszination auf mich aus. Das gilt natürlich besonders, wenn die Vorbilder so wunderhübsch nachgeahmt werden wie in Cuphead: Abgesehen von fehlenden Treffer-Animationen merkt man an jeder Ecke, wie viel Liebe in die albernen Animationen geflossen ist, die mit ihren Unmengen verrückter Ideen und Verwandlungen beinahe schon wie ein psychedelischer Trip wirken. Auch der knallharte und trotzdem meist faire Schwierigkeitsgrad hat mich immer wieder angespornt, mich ein Stückchen weiter durch den bunt morphenden Wahnsinn zu kämpfen. Auf Dauer kann es allerdings ein wenig ermüdend werden, jederzeit angespannt und hochkonzentriert vorm Fernseher zu sitzen. Schade, dass die Entwickler nicht mehr und leichtere Plattformlevels eingestreut haben, um einen besseren Rhythmus aus An- und Entspannung zu schaffen - damit man auch mal durchatmen und die Grafik genießen kann. Doch auch in seiner Form als hübscher Hardcore-Marathon ist aus Cuphead ein gelungener Arcade-Shooter geworden.

Pro

schön durchgeknallte Figuren
fantasievolle Transformationen
liebevoll am Lichttisch erstellte Animationen
sehr fordernd, aber trotzdem meist fair
sehr abwechslungsreiche Bosskämpfe
schwungvolle Musik aus der Zeit der Vorbilder
punktgenau umgesetzte Steuerung und Kollisionsabfrage
per Crossplay frei auf PC und One spielbar

Kontra

auf Dauer etwas ermüdend, da es keine entspannenden Passagen gibt
manche Passagen bauen zu stark auf Auswendiglernen
Begrenzung auf acht Schussrichtungen machen einige Abschnitte unnötig fummelig
kleine Framerate-Probleme im Koop (Xbox One)
lange Ladezeiten (vor allem Xbox One)

Wertung

PC

Wunderhübsch animierter Cartoon-Shooter mit motivierend knackigen Bossen, der auf Dauer aber ein wenig monoton werden kann.

XboxOne

Wunderhübsch animierter Cartoon-Shooter mit motivierend knackigen Bossen, der auf Dauer aber ein wenig monoton werden kann.

0