Pinstripe12.02.2018, Mathias Oertel
Pinstripe

Im Test: Ein-Mann-Plattformer

Vor allem in den digitalen Vertriebsplattformen wie Steam, PSN oder Xbox Live kann es passieren, dass einem Titel in der Flut an Veröffentlichungen entgehen. Und mitunter kommt es vor, dass man durch einen Zufallskauf ein kleines überraschendes Highlight entdeckt. So wie der erzählerisch fokussierte Puzzle-Plattformer Pinstripe. Wieso uns das Ein-Mann-Projekt von Thomas Brush so fasziniert hat, klären wir im Test.

Pfarrer und Nadelstreifen

Es beginnt vergleichsweise idyllisch: Der Pfarrer Ted ist mit seiner Tochter Bo in einem Zug unterwegs. Im Rahmen eines Detektivspiels, in dem die beiden Sherlock Holmes und Watson nachahmen, bekommt der Spieler die Gelegenheit, sich mit der überschaubaren Steuerung anzufreunden und die zwar glückliche, aber leicht getrübt scheinende Familienatmosphäre in sich aufzunehmen. Allerdings dauert es nicht lang, bis sich die Ereignisse überschlagen. Sie lernen einen geheimnisvollen, bedrohlichen Mann in einem Nadelstreifenanzug kennen, der in einem merkwürdigen Gespräch Informationen über die zwei herausfinden möchte. Noch gelingt es Ted, diese eindeutig zweideutigen Avancen abzuwehren. Doch nachdem die zwei im nächsten Waggon einen Sack finden, dessen Gase ihn beinahe ohnmächtig werden lassen und Ted mit Bo in sein Abteil zurückkehren möchte, nimmt das Schicksal seinen Lauf: Bo läuft einem schwarzen Ballon hinterher und bevor sich Ted versieht, hat Pinstripe das kleine Mädchen entführt. Zu allem Übel verunglückt der Zug. Als Ted wieder zu sich kommt, findet er sich in einem von Frost überzogenen Land wieder. Bo ist weg und alle Fäden laufen bei Pinstripe zusammen, der über diese persönliche Hölle des Priesters zu regieren scheint.

In diesem düsteren Zug beginnt das unheilvolle Abenteuer.
Leider ist es nahezu unmöglich, die erzählerische Wirkung von Pinstripe ohne Spoiler wiederzugeben. Ich möchte auch nicht zu viel verraten über das gute halbe Dutzend an interaktiven Hinweis- oder Infoschnippseln, über die man sich zusammenreimt, was passiert ist und die auch für das eine oder andere Umgebungsrätsel nötig sind. Die teils sehr skurrilen Figuren, denen man begegnet, sind trotz mitunter unzusammenhängender oder absurder Dialoge ebenfalls alle ein Mosaiksteinchen auf dem Weg zur Auflösung, die einen irgendwann vollkommen überraschend trifft. Und hat man nach etwa dreieinhalb bis fünf Stunden (abhängig davon, wie schnell man die mitunter clever konstruierten, aber stets logischen Rätsel durchschaut) das Ende gesehen und startet ein neues Spiel, sieht man mit diesem Wissenshintergrund viele Aktionen und Gespräche in einem vollkommen anderen Licht – quasi der „Sixth-Sense“-Effekt. Es wird deutlich, wie sehr Thomas Brush nicht nur die comichafte Kulisse, die sehr schnell ihren ganz eigenen Charme entwickelt, sondern auch sämtliche Figuren und nahezu alle Dialoge dem Gesamtkontext untergeordnet hat, der auch vor schwer verdaulichen Themen wie Kindesmissbrauch nicht Halt macht.   

Das „Konzept“-Spiel

Immer wieder gibt es absurde Situationen mit skurrilen Charakteren.
Dementsprechend ist Pinstripe für mich auch eher die Spiele-Variante eines Konzeptalbums wie Pink Floyds The Wall oder Quadrophenia von The Who. Die einzelnen mechanischen Elemente kommen im Normalfall maximal an gehobene Durchschnittswerte heran. Die Sprungsequenzen z.B., die man in den umschaltenden, nicht scrollenden Bildschirmen vorfindet, sind unter dem Strich nicht besonders anspruchsvoll. Die Action, bei der man mit Bos Steinschleuder in Twinstick-Manier die Feinde traktiert, ist häufig sogar recht sperrig, wird aber nach etwa der Hälfte des düsteren Höllentrips auch für Puzzle genutzt, die schließlich den Weg in bis dahin noch nicht zugängliche Bereiche öffnen. Einzig die Rätsel präsentieren sich durch die Bank von ihrer besten Seite. Abwechslungsreich und zumeist auf ein Zusammenspiel von Geschick und Logik setzend, hilft es nicht allein, die Lösung zu kennen. Man muss auch in der Lage sein, entweder Ted oder die Umgebung so zu manipulieren, dass man der misslichen Situation entfliehen oder ein Tor zum nächsten Abschnitt öffnen kann, damit man der Lösung einen Babyschritt näher kommt.

Pinstripe mischt Plattform, Twinstick-Action und viele Puzzles mit der Geschichte zu einer emotionalen Achterbahnfahrt
Ein zusätzlicher Anreiz zum erneuen Durchspielen, das mit Kenntnis aller Rätsellösungen sowie idealen Sprungwegen auch in unter einer Stunde erfolgen kann, sind auch die gelegentlich vorhandenen Dialogoptionen. Man kann in Gesprächen (ganz der Priester) auch die schlimmsten Anschuldigungen freundlich beiseite wischen. Oder aber man markiert den gestressten Vater und wirft seinem Gegenüber Beleidigungen an den Kopf. So oder so hat das allerdings keine größeren Auswirkungen auf den Spielverlauf. Selbst die Antwort des Gegenübers fällt manchmal erstaunlich mild aus, wenn man die „fiese“ Option wählt. Ebenfalls störend ist das mitunter überhand nehmende erneute Besuchen bereits erledigter Abschnitte („Backtracking“). Das wird zwar dadurch abgemildert, dass man in späteren Abstechern mit neuen Fähigkeiten ausgerüstet häufig etwas Neues entdecken kann. Dennoch gewinnt man hier immer wieder den Eindruck, dass in bestimmten Situationen das Erlebnis gestreckt werden sollte.

Fazit

Ja: Die Sprungsequenzen in Pinstripe sind nur selten fordernd und können dem Vergleich mit den modernen Nachfahren von Metroid oder Castlevania nicht standhalten. Und die ohnehin nur selten eingesetzte Twinstick-Action ist sperrig. Doch die Umgebungsrätsel und vor allem die Geschichte sorgen dafür, dass mich das morbide Abenteuer des Pfarrers Ted auf der Suche nach seiner entführten Tochter emotional packen konnte wie kaum ein anderes Spiel in den letzten Wochen und Monaten. Die spärlichen Hinweise auf das Familienschicksal und die teils absurden Dialoge, die man mit den surrealen Figuren führt, sorgen für Spannung, die sich nach etwa dreieinhalb bis fünf Stunden in einem überraschenden Finale entlädt. Startet man das Spiel danach neu, wird deutlich, dass Thomas Brush als Alleinverantwortlicher für Pinstripe nicht nur viel Liebe in die charmante Kulisse einfließen ließ, sondern auch, dass er alle Aktionen und Dialoge der Erzählung untergeordnet hat. Mit der Kenntnis um die Auflösung bekommen selbst alltägliche Gespräche eine neue emotionale Wendung. Und angesichts dessen kann ich über die sich häufig nur im durchschnittlichen Rahmen bewegenden Mechaniken oder das gelegentlich störende Backtracking hinweg sehen. Ein außergewöhnliches Projekt.

Pro

emotional starke Erzählung mit überraschendem Ende
liebevoll gestaltete Kulisse
absurde Dialoge mit gelegentlichen Wahlmöglichkeiten
saubere Steuerung
spannende Mischung aus Rätseln, Plattform-Elementen und Twinstick-Shooter-Einflüssen
Rätsel durch die Bank fordernd, aber logisch

Kontra

gelegentlich Backtracking
Dialogoptionen mit nur minimalen Auswirkungen auf direkten Spielfortschritt
nahezu jedes mechanische Element eher bieder bis durchschnittlich
sperrige Twinstick-Mechanik

Wertung

PlayStation4

Erzählerisch starkes, aber mechanisch biederes bis sperriges Abenteuer, bei dem neben der emotionalen Geschichte vor allem die clever konstruierten Rätsel auffallen.

XboxOne

Erzählerisch starkes, aber mechanisch biederes bis sperriges Abenteuer, bei dem neben der emotionalen Geschichte vor allem die clever konstruierten Rätsel auffallen.

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