The Inner World: Der letzte Windmönch10.11.2017, Jan Wöbbeking

Im Test: Rückkehr ins Erdinnere

Klassische Point&Click-Adventures haben es schwer in Zeiten von Telltale-Serien und Life Is Strange. Nach Thimbleweed Park herrschte lange Flaute bei kniffligen Rätselspielen, doch mittlerweile haben sich auch die Entwickler von The Inner World an eine Fortsetzung gewagt. Können Robert, Laura und Taube Hack erneut Asposien vorm faschistischen Regime retten?

Nicht schon wieder!?

Na toll – kaum hat der naive Held Robert die Hohlwelt gerettet, stolpert er schon ins nächste Fettnäpfchen. Hat man scheiße am Schuh, hat man eben Scheiße am Schuh – oder in seinem Fall ein mechatronisches Monstrum namens „Basyl“, an dem er auf der Flucht hängen blieb, so dass er mit einem knisternden Energiestrahl versteinert wurde. Auch anderswo in der Welt finden sich Überreste der mechanischen Drachen, mit deren Hilfe Roberts Ziehvater Conroy die Welt unterwerfen wollte, indem er sie seinen Untertanen als Götter präsentierte. Kurz bevor der Held und seine Freunde den Schwindel öffentlich aufdecken konnten, ging die Aktion schief. Daher glaubt die Bevölkerung weiter an die rassistisch-religiöse Doktrin und macht die Spezies der Flötennasen für die Versteinerung Conroys und die Zerstörung der Basylen verantwortlich. Nicht gerade das Happy End, das man sich nach dem Abschluss von Teil 1 ausgemalt hatte.

Die Acht mit einmal umsteigen, soweit ich weiß. Aber frag lieber noch mal nach!
Die allgegenwärtige Nazi-Symbolik und erste Gespräche macht sofort klar, wie stark sich der Großteil der Bevölkerung bereits der Hirnwäsche hingegeben hat. In persönlichen Gesprächen kann kaum einer von ihnen auf den Punkt bringen - woher ihr Hass gegen die Minderheit rührt. Weder den grenzdebilen Wachen noch den an Hans Landa angelehnten „Trötenjäger“ haben Argumente parat, welche über die offizielle Legende hinausgehen. Trotzdem halten sie sich strikt an die Vorgabe ihres neuen Führers Emil, den sie sogar standesgemäß mit „Heil Emil!“ grüßen. Das Heldentrio und ihre Verbündeten wissen es natürlich besser. Sogar der Verschwörungstheoretiker mit Aluhut im liberaleren Alt-Aspen weiß genau, wie die Hohlwelt im Inneren des Planeten in Wahrheit funktioniert: Seit Urzeiten lebt die Spezies der Flötennasen versteckt in den Wäldern, um ihre Lieder auf ihren Riechkolben zu spielen. Diese Melodien lassen frische Luft durch vier großen Windbrunnen in die Innenwelt strömen. Die Asposer sehen den Flötennasen ziemlich ähnlich – bis auf die gelöcherte Nase natürlich, die Robert auf seiner Reise lieber unter einer Tarnhaube versteckt.

Kleiner Robert, große Verantwortung

Für Robert steht also viel auf dem Spiel: Er soll die alte Ordnung herstellen, die übrigen Flötennasen vor der Exekution retten und das Ersticken der übrigen Bevölkerung verhindern. Schön, dass die Autoren dem naiven Protagonisten dabei Figuren zur Seite stellen, welche ihn mit ganz eigenen Vorstellungen auf die Probe stellen. Seine Freundin Laura will ihn dazu bewegen, endlich selbst Verantwortung zu übernehmen und seine ihm traditionell zustehende Rolle als König anzunehmen. Robert selbst vertraut allerdings lieber auf eine Erscheinung der alten Mama Dola. Sie trägt ihm auf, sich auf eine Reise ans andere Ende der Welt zu begeben, um dort den letzten Windmönch zu finden. Er wird schon wissen, wie man alles wieder ins Lot bringt – so Roberts Vorstellung.

Ist Robert reif für seine Amtszeit?
Ein lustiges Detail ist auch die Stimme Conroys, welche den gutmütigen Helden ununterbrochen aus dem Off traktiert. Eigentlich wurde sein fieser Ziehvater versteinert, doch Robert hört ihn weiterhin als Stimme im Kopf, die ihn bei jeder Gelegenheit runterbuttert. Klingt fies, aber Roberts naive Antworten ans gehässige „Über-ich“ ziehen die Seitenhiebe schön ins Lächerliche. Auch Anspielungen an politische und gesellschaftliche Debatten sind enthalten: Mal zieht Laura das Wort „übergriffig“ durch den Kakao, kurz danach benennt sie Hack als „autonome Taube“, die selbstverständlich niemandem gehöre außer sich selbst. Auf seiner rund zehn Stunden langen Reise trifft Robert neben hörigen Regime-Anhängern auch auf sympathischere Figuren wie die künstlerisch begabte Libretta, welche beim Fälschen diverser Dokumente aushilft. Immer wieder wechselt man zwischen Robert, Laura und Hack, um auf klassische Weise intensiv miteinander verwobene Puzzles zu lösen. In manchen Szenen wie dem Seilbahnhof darf man frei zwischen ihnen wechseln, um Hacks Flugfähigkeit oder Lauras Kraft auszunutzen. Robert wiederum kann auf der Flötennase Lieder spielen, um z.B. am Windbrunnen einen kräftigen Luftschwall heraufzubeschwören.

Kopfstand der Gehirnwindungen

In einem verwinkelten Bahnhof etwa muss man mit Hilfe der drei Freunde Gerüche durch den Lüftungsschacht befördern. So bringt man einen verträumten, etwas unheimlich anmutenden Synästhetiker auf andere Gedanken, damit er sein Dasein als Gestrandeter aufgibt und den dringend benötigten genormten Reisekäfig für Hack zurücklässt. Vorher muss man sich aber erst einmal in die obskure Logik der Entwickler hindenken. Um ans schwer erreichbare Karamellbonbon zu gelangen, das von der gelangweilten Wache rhythmisch in die Luft geworfen wird, wechselt man zu Hack. Er flattert zu einem angewinkelten Rohr und hackt es in die passende Richtung. Als Taube kann er lediglich kleine Objekte greifen oder Schnabelattacken starten – was sich allerdings als äußerst nützlich erweist. Hat man das Karamellbonbon ins Lager zu Laura gesogen, muss man es zur Geruchs-Erzeugung auf der Heizung schmelzen und danach die Lüftung manipulieren, damit der Duft auch seinen Empfänger erreicht.

Im Krämerladen erwartet euch die coolste Verkleidung der Adventure-Geschichte!
Dumm nur, dass der Lüftungs-Motor in Wahrheit ein hamsterartiges Kleintier im Laufrad ist, das man natürlich ebenfalls manipulieren muss. Und danach folgen noch zahlreiche weitere Gerüche, deren Erzeugung ebenfalls für verknotete Gehirnwindungen sorgt. Erschwert wird die Angelegenheit dadurch, dass die obere Hälfte des Bahnhofs auf dem Kopf steht – vermutlich passend zur Ausrichtung des Zielbahnhofs. Wir befinden und schließlich nach wie vor in der Hohlerde! Ihr habt es sicher schon bemerkt: Adventure-Profis und Freunde bizarrer Rätsel bekommen hier endlich wieder zahlreiche, meist angenehm knackige Aufgaben für die grauen Zellen. Manchmal übertreiben es die Entwickler aber mit seltsamen Ideen oder verschachtelten Lösungswegen.

Nichts für Weicheier?

Es war gar nicht so leicht zu durchschauen, mit welcher Logik man die Ratte im Gefängnis mit Hilfe von Rohrgeklapper verscheuchen sollte. Im Vergleich zu Daedalic-Highlights wie Deponia mangelt es an Hinweisen, die in die Dialoge eingeflochten wurden. Zudem haben mich auch ein paar verwirrende Formulierungen aus dem Konzept gebracht – z.B. in dem eigentlich logischen Ausschlussrätsel, in dem man den die passende Pflanze für einen Kakteen-Nerd malen muss.

Flauschig: In der Wollinger Schererei werden die durch Asposien schwebenden Wollmäuse geschoren.
Im Gegenzug bietet das Spiel aber die vielschichtigste Hilfe-Funktion, die mir je begegnet ist. In sorgsam sortierten Themenlisten gibt es zu jeder Aufgabe stufenweise Hinweise, die einen ganz behutsam auf die richtige Fährte bringen. Hier ein Beispiel aus dem oben erwähnten Rätsel mit dem Koala-Hamster (Hoala) im Laufrad der Lüftung. Mit jedem Mausklick wird die Hilfe ein wenig konkreter: „-Wie könntest du ihn dazu bringen seine Richtung zu wechseln? - Robert hat etwas dabei, was den Hoala besonders interessiert. - Hast du dir schon mal das Urlaubsplakat angeschaut? Darauf ist ein Hoala in seiner natürlichen Umgebung abgebildet. Also wenn ich ein Hoala wäre, dann würde ich dahin schauen.“ Ganz zum Schluss wird dann noch einmal in Kurzform die komplette Lösung vorgekaut. So spart man sich den Weg zur Komplettlösung und kann sich in kniffligen Momenten auch ganz behutsam auf die Sprünge helfen. Ein wenig schade ist lediglich, dass all das ohne Bedingungen angezeigt. In Professor Layton muss man schließlich zuerst eine entsprechende Währung (Pikarat) fürs Freischalten sammeln.

Esoterischer Support

Der Humor des Spiels hat meist genau meinen Nerv getroffen: Weil z.B. die Service-Hotline eines Ticketautomaten nicht mit einem Techniker besetzt ist, muss man sich stattdessen mit den rätselhaft esoterischen Phrasen einer Telefon-Astrologin herumschlagen. Ein echter Hingucker sind auch die Animationen der extrem wurstigen Taube Hack: Sie flattert auf derart bescheuerte Weise durch den Raum, dass ich nach dem Spielstart erst einmal eine Minute lang mit der Controller-Steuerung herumspielte, ohne mich auch nur ansatzweise um die Puzzles zu kümmern. Mit dem Analogstick lassen sich die Figuren nämlich direkt bewegen. Trotzdem würde ich davon abraten, denn die Steuerung wurde klar für die Maus konzipiert. Auch mit dem Controller kam ich irgendwann klar, es fühlt sich aber nie so intuitiv an wie die klassische Alternative. So muss man etwa umständlich die Hotspots per Tastendruck sichtbar machen und darf sich vor einer Aktion nicht mehr bewegen, weil die Interaktionspunkte sonst verschwinden und erneut aufgerufen werden müssen.

Manche Puzzles werden auf einen eigenen Bildschirm ausgelagert. Meist trifft man aber auf klassische Inventar- und Umgebungsrätsel, während man jeweils ein Areal von einigen Bildschirmen Größe abklappert.
Mit der Maus flutscht es deutlich besser, aber nicht ganz so reibungslos wie etwa in Spielen von Daedalic oder King Art. Warum haben sich die Entwickler nicht einfach an übliche Standards wie das Anzeigen von Hotspots per Leertaste gehalten? Stattdessen muss man dafür umständlich die linke Maustaste geklickt halten. Schade, dass man die Steuerung nicht einmal nach eigenen Vorlieben konfigurieren oder umbelegen darf. Auch die lahmen Animationen beim Start und Ende von Gesprächen werden etwas lästig – vor allem, wenn man nur mal schnell abchecken wollte, ob bei einem bekannten Gesprächspartner neue Dialogthemen zur Verfügung stehen. Statt sich subtil durchzuhangeln, muss man in den Unterhaltungen meist lediglich sämtliche Optionen abklappern. Es gibt aber auch Ausnahmen wie ein cooles Dialogrätsel, bei dem man sich aus seinen Fesseln befreien soll. Bringt man seinen Peiniger mit der passenden Reihenfolge aus Schleimerei und Sticheleien zur Weißglut, kann man kurze Zeit später seinen Wutanfall für sich ausnutzen.

Stimmungswechsel

Manchmal wirkt der Wechsel zwischen Geblödel und bedrückenden Themen zu abrupt: In einem Moment piesackt man noch einen überkorrekten Paragraphenreiter, der sich vorschriftsmäßig mit 0,2 Liter Flüssigkeit und voller Blase auf dem Bahnhofshocker windet. Kurze Zeit später muss man ihn allerdings verpfeifen, wodurch er als Flötennase enttarnt und zur Exekution abtransportiert wird. Die vorbildlich betonte deutsche Synchro passt bestens zu den Figuren und ihren Macken. Der Soundtrack hält sich währenddessen stark im Hintergrund – im Nachhinein kann ich mich trotz des Flöten-Themas kaum an bestimmte Melodien erinnern.

Soap-Opera in der Hohlerde: Libretta fühlt sich zu Laura hingezogen, schafft aber nicht gerade, es ihr subtil zu vermitteln.
Die verschrobenen Zeichnungen dagegen werden mir aber noch länger im Gedächtnis bleiben – z.B. vom abgehalfterten Einhorn-Bingopferdchen oder dem irgendwie sympathischen, aber auch etwas gruseligen Herrklein mit seinem Silberblick. Wie im Vorgänger werden die Kulissen allerdings in nahen Einstellungen ziemlich unscharf. Auf den Konsolen (Xbox One, PS4 Pro und Amateur) muss man zudem mit dauerhaftem Tearing leben – was hat das bitteschön in einem 2D-Adventure zu suchen? Lediglich die Xbox One X schafft es, die technisch anspruchsvolle 2D-Engine ohne Zerreißen des Bildes darzustellen. Besitzer von Microsofts neuem Powerpaket bekommen allerdings trotzdem noch kurze Micro-Ruckler zu Gesicht. Zudem müssen Konsolenspieler mit der oben erwähnten, nicht optimalen Controllersteuerung leben. Von solchen Macken abgesehen unterscheidet sich das Spiel aber nicht von der PC-Fassung. Wie Headup heute verkündete, erscheinen am 22. November übrigens auch Umsetzungen für iOS und Android.

Fazit

Endlich wieder Anspruch für die grauen Zellen: Nach rätseltechnisch seichten Abenteuern wie Batman: The Telltale Series oder Die Säulen der Erde tut es richtig gut, sich mal wieder nach Herzenslust das Inventar vollzustopfen, abstruse Kombinationen auszuprobieren oder mit der wurstigen Taube Hack herumzublödeln. Im Vergleich zu Daedalic-Highlights wie Deponia mangelt es hier und da zwar deutlich an Feinschliff im Rätseldesign oder Hinweisen in Dialogen. Der Großteil der wilden Gedankenexperimente wurde aber motivierend ausgearbeitet, zumal man zur Not auf die subtil integrierte Komplettlösung zurückgreifen kann. Auch der Humor der Hohlwelt und die Geschichte um Roberts märchenhafte Reise zum letzten Windmönch haben mich schnell wieder in der obskuren Spielwelt versinken lassen. Trotz des eigentlich finsteren Themas musste ich noch häufiger laut lachen als im Vorgänger - die Autoren scheinen ein gutes Gespür für Situationskomik entwickelt zu haben. Von kleinen Steuerungs-Macken und Tearing auf den Konsolen abgesehen funken diesmal auch keine technischen Probleme dazwischen. Studio Fizbin hat unterm Strich ein gutes klassisches Adventure abgeliefert.

Pro

verschrobenes Design
bizarre Figuren
surreal verwinkelte Areale
extrem cooler und wurstiger Tauben-Sidekick
Großteil der Rätsel bietet eine angenehm knackige Herausforderung
sehr vielschichtige Hilfefunktion ersetzt externe Komplettlösungen
gelungene deutsche Vertonung

Kontra

etwas umständliche, eigenwillige Steuerung
kaum Konfigurationsmöglichkeiten
unbeschwert infantiler Humor und die düstere Story passen nicht immer zusammen
gezeichnete Kulissen wirken manchmal zu unbelebt
manche Puzzles sind aufgrund fehlender oder schlecht formulierter Hinweise schwer zu durchschauen
Tearing (alte Xbox One, PS4 Pro und Amateur)

Wertung

PlayStation4

Tearing und eine etwas umständliche Controller-Steuerung trüben den Spaß am Knobeln auf den Konsolen ein wenig.

PC

Humorvolles klassisches Adventure mit angenehm kniffligen Rätseln, von denen manche Exemplare aber mehr Feinschliff vertragen könnten.

XboxOne

Tearing und eine etwas umständliche Controller-Steuerung trüben den Spaß am Knobeln auf den Konsolen ein wenig.

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