Madden NFL 1829.08.2017, Mathias Oertel

Im Test: Longshot und Frostbite im Fokus

Die Zeit von Ignite scheint vorbei. Zum Start von PS4 und One als die neue Grafik- und Physikengine für die EA-Sports-Titel eingeführt, hat nach FIFA nun auch die Madden-Serie auf Frostbite von Dice umgestellt. Doch nicht nur hier orientiert man sich an den erfolgreichen Fußballern. Denn nachdem man letztes Jahr Zeuge wurde, wie das Talent Alex Hunter in der Premier League aufsteigt, begleitet man nun den Quarterback Devin Wade auf seinem Weg in die NFL. Ob es neben Kulisse und dem neuen Modus noch weitere Änderungen gibt, verraten wir im Test.

Underdog à la Madden

Was den FIFA-Kollegen recht ist, kann den American Footballern nur billig sein: Alex Hunters Leidensweg durch die britische Premier League war zwar nicht die erste erzählerisch motivierte Karriere bei Sportspielen (man denke nur an 2Ks NBA-Serie), aber dennoch eine willkommene Abwechslung im ansonsten eher stagnierenden Kicker-Alltag. Und der Story-Modus wurde von den Fans auf breiter Front gut angenommen. Dementsprechend rückt dieses Jahr die Madden-Serie nach, die mit ihrer Premiere im Jahr 1988 auf dem PC bzw. der Konsolen-Veröffentlichung  1990 auf dem Mega Drive die langlebigste Sportspiel-Reihe nicht nur für EA, sondern auch allgemein darstellen dürfte. Wo man bei FIFA allerdings überdurchschnittlich viel Zeit auf dem Platz verbringen durfte, um entweder in Minspielen zu trainieren oder sich unter Wettkampfbedingungen beweisen musste, hält man sich in den etwa fünf bis sechs Stunden, die die „Longshot“ betitelte Geschichte dauert, gefühlt maximal ein Viertel der Zeit auf dem Feld auf.

Der Story-Modus "Longshot" wird gut inszeniert und profitiert von einem cleveren Skript, überzeugenden Darstellern sowie Cameo-Auftritten wie z.B. von Dan Marino.
Den Rest der Zeit ist man damit beschäftigt, eine zwar auf dem Papier typische, aber dennoch interessante Underdog-Geschichte zu verfolgen. Hier fällt der Engine-Wechsel von Ignite zu Frostbite sehr positiv auf: Was die virtuellen Darsteller über einen Großteil der Zeit an überzeugender Mimik zeigen, ist beeindruckend. Natürlich hilft es dabei, dass alle relevanten Szenen mit echten Schauspielern in Motion-Capture-Anzügen sowie mit entsprechend markierten Gesichtern aufgezeichnet und digital umgearbeitet wurden. Vor allem J.R. Lemon in der Hauptrolle als Quaterback Devin Wade sowie Scott Porter als sein langjähriger bester Freund und bevorzugter Pass-Empfänger Colt Cruise (aka „Cruise Missile“) fallen positiv auf. Doch auch der schmierige Fernsehproduzent Ross  Fountain (gespielt von Ricky Wayne), Oscar-Gewinner Mahershala Ali als Devins Vater Cutter Wade oder Rus Blackwell als einstmals gescheiterter NFL-Coach Jack Ford liefern wie eigentlich alle anderen Darsteller eine mindestens gut, meist aber sehr gute Leistung ab. Adrian Todd Zuniga und Michael Young (letzterer ist auch der Regisseur) haben ein spannendes und häufig emotionales Drehbuch geschrieben, das von den Akteuren überzeugend zum Leben erweckt wird.

Störende Kleinigkeiten

In "Longshot" begleitet man den desillusionierten Quarterback Devin Wade bei seinem möglichen Weg in die NFL. Die virtuellen Darsteller haben großteils Filmerfahrung und sind im Fall von  Mahershala Ali sogar Oscar-prämiert, was sich positiv auf die Glaubwürdigkeit der Figuren auswirkt,
Dass beim Weg von der Darstellungs-Aufnahme über die Digitalisierung Streuverluste in manchen Bereichen der Mimik wie etwa den etwas übertriebenen  Augenbewegungen das immer wieder an Joes Pescis Leo Getz (Lethal-Weapon-Serie) erinnernden Ross Fountain zu beobachten sind, ist schade. Zudem sorgen ebenfalls sauber inszenierte Echtfilmeinspielungen von NFL-Coaches/Kommentatoren wie Pat Kirwin & Jim Miller dafür, dass es zu einem leichten Bruch mit der ansonsten stimmigen Kulisse kommt. Das Script kann ebenfalls über weite Teile überzeugen. Es gibt zwar keine schonungslose Abrechnung wie in „An jedem gottverdammten Sonntag“ (Any Given Sunday) von Oliver Stone oder „Das schnelle Geld“ (Two for the Money), beide übrigens mit Al Pacino. Und hinsichtlich der beim Zuschauer entstehenden Emotionen muss man sich zweifellos dem Sandra-Bullock-Film „Die große Chance“ (Blind Side) geschlagen geben. Doch mit dem vor fünf Jahren kläglich in einem Finale gescheiterten Devin Wade, der in der Reality-TV-Show „Longshot“ mit anderen Quarterbacks darum kämpft, in den NFL-Draft aufgenommen zu werden, schafft man ein interessantes Fundament, auf dem sich die Figuren entwickeln können.  Man hat an zahlreichen Stellen die Möglichkeit, über Entscheidungen die Dialoge nachhaltig zu beeinflussen, wobei man hier im Wesentlichen das „David-Cage-Prinzip“ verfolgt: Anfang und Ende einer Szene sind vorbestimmt, der Weg von A nach B kann aber durch den Spieler beeinflusst werden.

Doch auch wenn es nicht die gut getimte Dramaturgie beeinflusst, haben einige Antworten und Entscheidungen auf dem Spielfeld Auswirkungen auf die Berichte der Scouts sowie Devins so genannten Football-IQ. Allerdings muss nochmals betont werden, dass man im Vergleich zu anderen Story-Karrieren wie bei FIFA oder NBA vergleichsweise wenig Zeit auf dem Platz mit Training oder Spiel entscheidenden Situationen verbringt. Erst gegen Ende verschiebt sich dieser Anteil dramatisch, doch bis dahin wird man Zeuge einer emotionalen und häufig bewegenden Freundschaft zwischen Devin und Cole, die konsequent sowohl von einem gelungenen Original-Soundtrack als auch gut eingepflegten Lizenz-Songs eingerahmt wird, die vornehmlich aus den Bereichen Country sowie Southern Rock stammen. Zwischen Selbstzweifeln, Schuldgefühlen und Flucht vor Verantwortung bekommt man vor dem Hintergrund des American Football sowie mit coolen Cameo-Auftritten u.a. von Miami-Dolphins-Legende Dan Marino eine clever konstruierte Underdog-Geschichte, die Sylvester Stallones Rocky nicht nur zitiert, sondern auch nachahmt. Ich habe hier unter dem Strich mehr Spaß gehabt und wurde mehr mitgerissen als mit einigen der letzten Telltale-Abenteuer. Schade ist allerdings, dass manche Spielsituationen tatsächlich nur alternativlos zu lösen sind. Sprich: Es gibt eine Hand voll Momente, in denen ein Scheitern dafür sorgt, dass man einen weiteren Versuch starten muss und es keinen dramaturgischen Plan B gibt. Dadurch wird der kinoreife Eindruck, der sich einstellt, immer wieder leicht entwertet.

Gewohnte Qualität, erweiterter Umfang

Der Umstieg von Ignite auf Frostbite macht sich visuell in allen Bereichen bemerkbar.
Nicht nur bei der Mimik in „Longshot“, auch bei der Darstellung des Taktik-Spektakels American Football auf dem Feld ist der Engine-Wechsel spürbar. Obwohl Ignite in den letzten Jahren nach leichten Anlaufschwierigkeiten einen guten bis sehr guten Job gemacht hat, scheint die Allround-Engine von Dice in vielen Details vom Start weg effektiver zu sein: Die Mimik der Spieler ist überzeugend (insofern sie nicht von einer Helmmaske verdeckt ist). Die prall gefüllten Stadien sehen gut aus und flimmern vor allem nicht mehr so wie noch zu Ignite-Anfängen. Die Zuschauer hinterlassen ebenfalls einen besseren Eindruck als bislang, doch es ist weiterhin ein Abstand zu den Basketball- bzw. Baseball-Kollegen aus den 2K- und Sony-Studios festzustellen.

Und auf dem Platz bleibt es bei geschmeidigen Animationen und krachenden Tacklings, die physikalisch korrekt durchgeführt werden – zumeist zumindest. Schon Ignite hatte hier immer wieder leichte Probleme. Und auch Frostbite verliert im Rahmen der hinsichtlich der Geschwindigkeit ohnehin leicht entschleunigten bzw. trägeren Darstellung gelegentlich den Bezug zu jeglicher physikalischer Realität. Niemals so, dass es den Spielverlauf stört oder einen Spielzug nachhaltig beeinflusst. Doch wenn sich beim Aufstehen nach einer Kollision beide betreffenden Spieler an Knien oder Ellbogen verhaken und wieder umfallen, ist dies nicht nur unfreiwillig komisch, sondern reißt auch aus dem ansonsten sauber inszenierten Football-Spektakel, das auch von coolen Zeitlupeneinspielern und fernsehreifen Kamerafahrten profitiert. Umso mehr, wenn man sich bei den drei zur Verfügung stehenden Realismus-Einstellungen für „Arcade“ entscheidet. Hier gibt es weniger Penalties, allgemein mehr Chancen, Punkte und spektakuläre Manöver zu erzielen. Simulation entspricht den mechanischen sowie KI-Einstellungen der letzten Jahre. „Competitive“ wiederum reduziert Verletzungen und zufällige Geschehnisse, so dass hier zunehmend die Fähigkeit des Quarterbacks am Pad und seine Spielintelligenz wichtig wird.

Nicht viel neu

Die Präsentation befindet sich durchweg auf einem hohen Niveau.
Dass man in Madden NFL 18 (ab 12,10€ bei kaufen) den Fokus vorrangig auf die neue Engine sowie „Longshot“ gelegt hat, wird beim Modus-Umfeld bzw. Verbesserungen bei Angriff oder Verteidigung spürbar. Zwar schicker präsentiert als je zuvor, sucht man neue Spielmöglichkeiten meist vergebens – was allerdings durch die leicht reduzierte Spielgeschwindigkeit etwas relativiert wird, da man sich auch als erfahrener Madden-Spieler erst einmal daran gewöhnen muss. Doch nachdem es Jahre gab, in denen man sich entweder um die Erweiterung des Franchise-Modus, ein neues Stick-basiertes Tackling-System, Stärkung der Defensiv- oder Offensiv-KI oder Verbesserungen im Bereich Ultimate Team wie z.B. dem hoch motivierenden Draft-Modus gekümmert hat, stagniert man dieses  Jahr weitgehend. Bei Ultimate Team (MUT) gibt es zwar einen ganzen Batzen neuer Herausforderungen sowie ein Level-System, über das man erst Zugriff zu bestimmten Optionen oder Modi bekommt.

Doch sowohl in der Franchise, mit dem Skills Trainer oder dem Draft sollten langjährige Madden-Spieler keine Überraschungen erwarten. Immerhin: Es gibt bei den MUT-Herausforderungen auch einen Bereich, der auf die Fortsetzung der Karriere von Devin Wade zugeschnitten ist. Und man hat mit "MUT Squads" jetzt die Möglichkeit, kooperativ 3-gegen-3-Partien mit seinen Ultimate Teams zu bestreiten. Dabei übernimmt ein Spieler die Kontrolle über die Defensive und einer über die Offensive, während der Head Coach die Zeit im Auge behält, Stadion sowie Uniformen festlegt. Als Head Coach fühlt man sich zwar ab und an wie das fünfte Rad am Wagen, da die Eingriffsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Doch wenn man als Team gewinnt, ist die Freude dennoch groß – und spannend ist das Zuschauen und Diskutieren mit den Coach-Kollegen allemal.

Bekannte Qualität

Und mit der Möglichkeit, seine Karten nicht nur zu verkaufen, sondern sie auch einzusetzen kann, um Spieler zu verstärken, hat man einen zusätzlichen Anreiz auf Kartenjagd zu gehen. Hat man die Enttäuschung überwunden, dass es abseits der angepassten Geschwindigkeit oder Physik und (endlich, möchte man sagen) der verbesserten KI, deren Schnitzer-Frequenz erfreulich nach unten gegangen ist, pendelt sich die Motivation auf dem gleichen Niveau ein wie in den vergangenen Jahren – vor allem, wenn man die Versionen der letzten zwei Jahre ausgelassen hat. Der Franchise-Modus mit seinem skalierbaren Tiefgang ist so fordernd, wie man es gewöhnt ist. Und die Motivationsspirale im Ultimate Team dreht mit ihrem ständigen Kreislauf aus neuen Karten, Verbesserungen des Teams, dadurch höheren Siegchancen sowie daraus folgenden besseren

Mimik, Animationen, Umfeld: Dank Frostbite setzt Madden NFL 18 visuell neue Standards im American Football.
neuen Karten auf Hochtouren. Wermutstropfen in dieser Hinsicht sind allerdings weiterhin die möglichen Mikrotransaktionen, die ähnlich wie bei gleichnamigen Modus in FIFA darauf setzen, dass man sich mehr (und vor allem bessere) Kartenpacks für Echtgeld kauft.

Denn die Qualitäten, die die Serie in den letzten Jahren auszeichneten, sind natürlich ebenfalls weiterhin vorhanden. Man hat eine große Bandbreite an Spielzügen zur Auswahl, die man auch manuell durchforsten kann, wenn einem die dynamischen Vorschläge nicht behagen. Die Steuerung ist punktgenau, die Kollisionsabfrage gibt nur bei gelegentlichen Clippings von Spielern und Boden und seltenen Körperteil-Überschneidungen nach Spielzug-Ende Anlass zur Klage. Die Kommentare und Analysen passen meist akkurat zum Geschehen. Die Kollisionen auf dem Feld sind knackig. Alles ist so, wie man es von der langjährigen Erfolgsserie erwartet – bis auf die weiterhin schwachen Halbzeit-Analysen. Das wiederum hinterlässt allerdings auch den Eindruck, dass sich das Tiburon Studio kein Bein ausreißt. Wieso auch? Die einzige nennenswerte Konkurrenz sind die Vorjahres-Versionen...

Fazit

Gäbe es den schick inszenierten, größtenteils überzeugend gespielten sowie mitunter emotionalen Story-Modus "Longshot" nicht, wäre Madden NFL 18 definitiv nicht mehr als ein (Grafik-)Upgrade zum Vollpreis. Ja: Mit dem Umstieg von der ursprünglich exklusiv für EAs Sportspiele entwickelten Ignite- auf die Frostbite-Engine hat man sowohl bei der Qualität der Präsentation (Stichwort: Zuschauer), Physik, KI als auch allgemein bei der visuellen Güteklasse zugelegt. Doch mit dem Fokus auf den Engine-Wechsel sowie den von einem guten Drehbuch profitierenden „Longshot“ ist es nicht überraschend, dass sich hinsichtlich der Modi und des trotz reduzierter Spielgeschwindigkeit weitgehend unveränderten Spielgefühls wenig getan hat. Dementsprechend können alle, die auf die Story verzichten können und keine Lust auf die neuen kooperativen 3-gegen-3-Duelle im Ultimate Team haben, dieses Jahr warten oder ganz verzichten. Wer andererseits jedoch in den letzten Jahren pausiert hat, kann sich sicher sein, mit Madden NFL 18 das visuell ausgereifteste sowie ein spielerisch umfassendes American-Football-Gesamtpaket zu bekommen,  dessen mechanische Stärken und Schwächen trotz Modifikationen hier und da weitgehend identisch zum Vorjahresmodell sind.

Pro

überzeugend inszenierter Story-Modus mit glaubwürdigen Darstellern
starke Kommentatoren mit abwechslungsreichen Analysen
saubere sowie stylische Präsentation
neue Engine (Frostbite) sorgt für höhere visuelle Qualität
gut reagierende Steuerung
neuer kooperativer Ultimate-Team-Modus (3-gegen-3)...
überarbeitete KI-Systeme
fernsehreife Präsentation
ordentlicher Netzcode
gewaltige Spielzugauswahl
umfangreiche Tutorials und Trainingsmöglichkeiten
abwechslungsreicher Soundtrack
knackige Kollisionen
drei Spielweisen: Arcade, Simulation, Competitive

Kontra

trotz Änderungen bei Physik und KI kein neues Spielgefühl
schwache Halbzeit-Analysen
KI immer noch nicht über alle Zweifel erhaben
keine eigenen Spielzüge erstellbar, nur Playbooks veränderbar
Ladezeiten
... bei dem der "Head Coach" nur eine untergeordnete Rolle einnimmt

Wertung

XboxOne

Vor allem der gut inszenierte Story-Modus "Longshot" sorgt dafür, dass das mechanisch routinierte und mit wenig Überraschungen ausgestattete Football-Spektakel mehr ist als nur ein (Grafik-)Update.

PlayStation4

Vor allem der gut inszenierte Story-Modus "Longshot" sorgt dafür, dass das mechanisch routinierte und mit wenig Überraschungen ausgestattete Football-Spektakel mehr ist als nur ein (Grafik-)Update.

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