Immortal: Unchained14.09.2018, Jörg Luibl

Im Test: Shooter verfehlt Dark Souls

Die schwedischen Entwickler von Toadman Interactive wollen gleich mit ihrem ersten eigenen Spiel namens Immortal Unchained "neue Standards im RPG-Bereich" setzen. Dafür haben sie eine düstere Science-Fiction-Welt entworfen, in der ein gnadenloses Action-Rollenspiel mit Nah- und Fernkampf inszeniert werden soll. Das Besondere? Shooter-Elemente treffen auf Dark Souls - dessen Strukturen nahezu 1:1 kopiert werden. Ob sich die Schweden trotzdem vom großen Vorbild emanzipieren können, wie etwa Deck13 mit The Surge, verrät der Test für PC, PS4 und One.

Im Angesicht der Apokalypse...

...wurden schon viele großartige Spiele entwickelt, man denke an God of War. Und auch die Amnesie ist zwar ein inflationär gebrauchter Geisteszustand für einen Helden, aber kann zu spannenden Geschichten führen. Leider kann die schwache Story von Immortal: Unchained (ab 14,89€ bei kaufen) weder die drohende Zerstörung der Planeten interessant gestalten noch kann der Held mit seinem Gedächtnisverlust die Neugier wecken. Regelrecht ernüchternd sind später die Auftritte der Nichtspielercharaktere, denen jegliches Charisma fehlt. Es gibt dezente Inspirationen aus der nordischen Mythologie, was auch bei der Zahl Neun sowie der Namenwahl deutlich wird, aber diese Science-Fiction will nicht zünden. Viel zu schablonenhaft wird von sich erhebenden Toten erzählt, von faulen Winden und dem Tag der Prophezeiung, der mit dem Spielstart beginnt.

In der Charaktererschaffung kann man aus sechs Klassen mit anderen Gewichtungen wählen.

Da reißt man als unsterblicher Held die Ketten von sich, um seinen Gefängnisaufenthalt zu unterbrechen und die Welt zu retten. Vorher gibt es eine Charaktererschaffung samt üblicher Kosmetik für Gesicht und Haut. Dort stehen in männlicher oder weiblicher Variante sechs Klassen vom Fährtenleser bis zum Plünderer zur Verfügung, die sich hinsichtlich ihrer acht Attribute, Widerstände gegen Feuer, Frost oder Gift, Ausrüstung sowie den wichtigen Fähigkeiten in Nah- und Fernkampf unterscheiden. Bereits hier wird das Vorbild Dark Souls sichtbar, denn Gewandheit, Stärke, Beweglichkeit & Co wirken sich unmittelbar auf die verfügbaren Waffen, den Schaden, kritische Treffer, die Nachladezeit etc. aus. Und die Ausdauer spielt natürlich eine wichtige Rolle beim begrenzt möglichen Ausweichen sowie Sprinten.

Dark Souls mit Schusswaffen

Natürlich ist es vollkommen okay, wenn man sich inspirieren lässt, deshalb habe ich Salt and Sanctuary oder DarkMaus so gelobt. Aber diese haben das Flair in ein anderes Genre transportiert. Und Spiele wie The Surge oder Nioh sind zwar als Action-Rollenspiel näher dran am Vorbild, aber sie interpretieren deutlich mehr auf ihre eigene Art. Toadman Interactive
An Obelisken wird man nach dem Tod wiederbelebt. Dort kann man seine Attribute erhöhen und Waffen wechseln.
orientiert sich ähnlich wie Deck13 anno dazumal mit Lords of the Fallen nahezu werktreu am Vorbild. In den ersten Stunden begegnet man als Soulsfan einer nahezu identischen Struktur und vielen bekannten Elementen: Hinweise auf dem Boden, Seelen aka Bits, die man nach dem Tod wieder einsammeln muss, eine große Halle als Nexus mit Zugang zu den Welten, Lagerfeuer aka Obelisken, an denen man wiederbelebt wird, Fähigkeitenbeschränkungen für Waffen, wiederbelebte Feinde in besuchten Arealen, der erste Boss nach dem kurzen Tutorial, Fahrstühle und Leitern, die man von oben runtertritt, stärkere Feinde, die nur einmal erscheinen, die erwähnten Nebencharaktere, die irgendwo hocken und mehrmals angesprochen werden können, die heran schlurfenden Untoten, die aus der Ferne leuchtenden Bits, die versteckten Kisten hinter einer Ecke...

Obwohl auch das legitim ist, obwohl auch Nioh oder The Surge einiges abkupfern, wirkt zu vieles leider wie eine oberflächliche Kopie, der die künstlerische Vision fehlt. Symptomatisch dafür ist "Aras", der in der zentralen Halle wartet. Er soll offensichtlich als archetypischer Mentor des Helden die mysteriöse Rolle der "Maiden in Black" sowie anderer Seelenhüterinnen einnehmen. Das Problem: Er wirkt wie ein riesenhafter Bot. Dass seine englischen gesprochenen Hinweise nicht lippensynchron sind, kann ich verschmerzen; es gibt übrigens für alle Dialoge und Menüs eine gute deutsche Übersetzung. Aber dass er keinerlei Ausstrahlung in dieser kalten Halle hat, deutet bereits auf die Ernüchterung der kommenden Stunden hin. Bereits beim zweiten Besuch der Halle war er für mich wie Luft.

Verschachtelte Labyrinthe

Das Positive: Die Spielwelt ist ähnlich verschachtelt, man erlebt also auch die angenehmen Déjà-vus, wenn man einen bekannten Ort aus anderer Richtung wieder entdeckt, weil man eine Abkürzung findet, eine Leiter runtertritt oder ein Tor öffnet. Allerding stellt sich bei der Erkundung der Areale viel früher eine grafische Gewöhnung ein. Obwohl es einige monumentale Aussichten gibt, kann das durchwachsene Artdesign allerdings keine Sogkraft entfalten. Schon das Gefängnis wirkt steril und das wird in den ersten Eis- sowie Waldgebieten zwar visuell vielfältiger, da gibt es tatsächlich mal Wind und Partikeleffekte, aber die Oberflächen glänzen künstlich und technisch gibt es einige Defizite von Pop-ups bis hin zu sporadischen Rucklern sowohl auf PS4 Pro als auch One X. Sehr lieblos wirken zudem die bruchstückhaften Texte mit ihren Beschreibungen von Natur, Story oder Umgebung, die man an einigen Stellen findet.

Man ist in der Schulterperspektive unterwegs, um zunächst aus der Distanz mit diversen Schusswaffen und Granaten zu

Gekämpft wird aus der Schultersicht ohne Deckungsfunktionen.

agieren, bevor die Gefechte nahtlos in den Nahkampf mit Finishern wechseln können - der ist zwar brachial, aber weit entfernt von den reaktiven Möglichkeiten der Soulsreihe. Je nach Klassenwahl startet ihr übrigens mit Dolchen, Äxten oder Schwertern auf dem Rücken. Der Spielrhythmus ist inklusive der Waffenwechsel und Feindfixierungen angenehm flüssig, aber gerade beim einzigen neuen Aspekt, den Schusswechseln, viel zu statisch. Und warum darf ich meine Fernwaffen nur an den Obelsiken wechseln, an denen ich wiederbelebt werde? Immerhin kann man bei gedrückter Schusstaste einen Spezialangriff wie sehr effiziente Feuerstöße mit dem Karabiner einleiten, der "Energie" verbraucht, und es ist möglich, die Gliedmaßen der Feinde abzutrennen. Das war es aber auch schon.

Statische Gefechte

Die Schulterausrichtung der Waffe lässt sich nicht wechseln, in die Hocke oder in eine liegene Haltung geht es ebenfalls nicht und es gibt auch kein Deckungssystem oder akrobatische Manöver neben der Ausweichrolle. Und warum hat man nicht zumindest die Erkundung freier gestaltet? Die Vertikale findet gar nicht statt, obwohl das gerade in einer futuristischen Welt mit Jetpack & Co gut gepasst hätte. Man kann also weder über hüfthohe Hindernisse springen noch die eigentlich nützlichen Laserbarrieren verschieben. Es kommt zu recht monotonen Ballereien, bei denen man die Feinde aus der Distanz mit Projektilen, Lasern & Co eindeckt, sobald die Zielerfassung rot leuchtet, während man immer wieder von links nach rechts hinter einen Felsen oder eine Säule in Deckung geht; die Feinde klettern keine Leitern

Obwohl es durchaus monumentale Aussichten gibt, kann die Spielwelt auf lange Sicht nicht faszinieren.

hoch oder runter, verfolgen nur selten konsequent und manche haben das Bewegungsprofil einer Schildkröte. Immerhin gibt es fiese Fallen, die plötzlich aus dem Boden schießen, aber die fairerweise zu erkennen sind, und die Munitionsknappheit sorgt manchmal für Engpässe.

Die Aufstufung der Attribute ist unheimlich wichtig, um mehr Schaden zu versursachen. Umso ärgerlicher, dass bei diesem Fokus auf Schusswaffen die Stärke noch so relevant für viele Waffen ist - mein Fährtenleser, der als Fernkämpfer beschrieben wurde, startete mit sechs Punkten und konnte viele Wummen lange Zeit nicht effizient einsetzen. Dass man schwere Schrotflinten so einschränkt, kann ich ja noch verstehen, aber Pistolen? Hinzu kam, dass über fünf Stunden (!) keine Karabiner oder Gewehre in Truhen zu finden waren. Auch wenn ich eine andere Waffe wie die Waldläuferpistole erfolgreich einsetzen konnte: Ich habe mich geärgert, dass ich nicht mit einem Wanderer, Söldner oder Plünderer gestartet bin, die höhere Basiswerte in der Stärke haben. Es ist nämlich nicht so, dass man im Nahkampf weniger Chancen hätte. Man kann überflüssige Flinten übrigens zerlegen und alles mit Zutaten in mehreren Stufen aufrüsten; außerdem kann man so genannte Aspekte aktivieren, die Spezialfähigkeiten freischalten.

Hoher Anspruch, wenig Identität

Toadman Interactive hat ein "gnadenloses" Abenteuer angekündigt und kann das zumindest hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades bestätigen. Der erste Boss "Huskarl-Invasor" rennt einen über den Haufen, wenn man nicht sofort wegrollt und verlangt Konzentration, so dass man möglichst seinen verwundbaren Rücken anvisiert - danach wird es immer kniffliger, auch wenn der zweite Boss schon zu sehr wie eine Kopie des ersten wirkt; kein Vergleich zu den bizarren Kreaturen

Die Schusswechsel laufen alle ähnlich ab.
der Soulsreihe oder Nioh. Trotzdem: Wer sich zu früh vorwagt, kann sehr schnell sterben. Und zur Motivation trägt bei, dass man auch kleine Fortschritte innerhalb der Entwicklung seiner Fähigkeiten oder beim Tausch einer Waffe im Kampf spürt. Nur bei der Rüstung wird es wieder statisch: Man kann sich nicht manuell einkleiden, sondern findet ab und zu automatisch aktivierte Rüstungen oder kann an Obelisken permanent bestimmte defensive Werte steigern. Warum habe ich da keinen Einfluss?

Was viele bei der Diskussion über die Soulsreihe vergessen, wenn sie über die Schwierigkeit, die Bosse, den Kampf oder die zig Tode sprechen, ist die geniale Weltschöpfung mit ihren vielen Geheimnissen. Erst die kreative Vision hinter dieser Fantasy macht sie so anziehend. Erst die vielen magischen Momente abseits (!) der Klingentänze sorgen für diese Sogwirkung. Man kann zwar ein Dark Souls über seine Spielmechanik kopieren, wie etwa in Lords of the Fallen, aber damit es keine seelenlose Hülle bleibt, braucht es auch kreatives Feuer auf Seiten des Storytellings, des Artdesigns und der Weltkonzeption. Und all das fehlt Toadman Interactive. Das unabhängige Studio aus Stockholm hat sich da zu viel vorgenommen. Vielleicht brauchen sie noch etwas Zeit. Auch Deck 13 konnte sich erst im zweiten Anlauf mit The Surge vom japanischen Original emanzipieren.

Fazit

Shooter-Mechaniken in einer futuristischen Welt, die ähnlich konzipiert ist wie die Soulsreihe? Was mich auf dem Papier neugierig gemacht hat, sorgt in der Praxis schnell für Ernüchterung. Toadman Interactive haben viel zu viel vom großen Vorbild kopiert, ohne ihre eigene Idee, nämlich den Fernkampf mit Schusswaffen, wirklich kreativ zu integrieren. Zwar kann man Körperteile abtrennen, aber man vermisst Dynamik und Wucht in den ewig gleichen Ballereien. Während man in Dark Souls trotz der zig Tode vom Artdesign sowie der Inszenierung immer wieder auf gefährliche Pfade gelockt wird, sorgen die oftmals sterilen Kulissen, die lieblosen Nichtspielercharaktere, die beschränkten Erkundungen und die technischen Defizite zusammen mit der statischen Kampfmechanik sowie der schwachen KI für frustrierende Wiederholungen. Zwar hat dieses Action-Rollenspiel seine Momente, das Leveldesign ist angenehm verschachtelt, aber selbst in den solide inszenierten Bosskämpfen will keine Faszination aufkommen. Was einige bei der Diskussion über die Soulsreihe vergessen, wenn sie über die Schwierigkeit, die Bosse oder die Gnadenlosigkeit sprechen, ist die geniale Weltschöpfung, die für magische Momente sorgt. Erst die kreative Vision hinter dieser Fantasy macht sie so anziehend. Daran scheitern die Schweden mit ihrer Science-Fiction, auch weil sie sich strukturell so nah an das erfolgreiche Original heran begeben. Wer "neue Standards im RPG-Bereich" setzen will, muss viel innovativer sein und sollte deutlich weniger kopieren. Spiele wie Salt and Sanctuary, The Surge und vor allem Nioh konnten sich über eigene Ideen emanzipieren. Immortal Unchained ist kein kompletter Murks, aber hier wiegen die Beschränkungen und Wiederholungen der Soulsreihe viel schwerer, sie sorgen für deutlich mehr Frust und Langeweile, weil es kein kreatives Gegengewicht gibt.

Pro

Dark-Souls-Gefühl mit Shooter-Elementen
Charaktererstellung mit sechs Klassen
verschachteltes Leveldesign mit Abkürzungen
Fernkampf mit abtrennbaren Gliedmaßen
Attribute wirken sich spürbar aus
Ausdauer begrenzt Ausweichen und Sprints
begrenzte Munition und Energie für Spezialangriffe

Kontra

viel zu viel offensichtlich von Dark Souls kopiert
öder Einstieg, schwache Story
wenige eigene Ideen nicht kreativ umgesetzt
Schussgefechte sind viel zu statisch
Nebencharaktere wirken wie Bots
unbefriedigender Nahkampf
sehr begrenzte Bewegungsmöglichkeiten
viele Waffen benötigen Stärke als Attribut
schwache KI, benutzt keine Leitern
wenig beeindruckende Bosse
teils künstlich und steril wirkende Kulissen
technische Defizite (Pop-ups, Bildrate etc.)

Wertung

PlayStation4

Shooter-Mechaniken in einer Welt à la Dark Souls? Was mich auf dem Papier neugierig gemacht hatte, sorgte trotz gutem Leveldesign in der Praxis schnell für Ernüchterung.

XboxOne

Shooter-Mechaniken in einer Welt à la Dark Souls? Was mich auf dem Papier neugierig gemacht hatte, sorgte trotz gutem Leveldesign in der Praxis schnell für Ernüchterung.

Echtgeldtransaktionen

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  • Ab dem ersten Verkaufstag konnten Spieler das so genannte Primes Pack als DLC mit exklusiven Waffen, Rüstungen & Co erwerben.
  • Es gibt keine Käufe.
  • Dieses Spiel ist komplett echtgeldtransaktionsfrei.
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