Im Test: Mutanten-XCOM mit Echtzeit-Kniff
Eine post-menschliche Welt
Das von The Bearded Ladies entwickelte Spiel ist eine Adaption des schwedischen Pen-&-Paper-Rollenspiels "Mutant", das seine Premiere 1993 feierte. In dem Endzeit-Szenario gibt es keine Menschen mehr. Die Natur hat die Städte zurückerobert. In den Überresten treiben sich Mutanten, deformierte Humanoide und Tiere herum. Sie alle suchen nach Vorräten, ihren Platz in der Welt und Erlösung. Das halbwegs zivilisierte Zentrum der Welt ist "The Ark" - eine Zufluchtsstätte hoch oben in den Bäumen, in denen sich eigene Mutanten niedergelassen haben und ein "normales Leben" unter der Obhut des Ältesten führen. Das Drumherum ist als Zone bekannt und nur bewaffnete Stalker wagen sich in die ungastliche Außenwelt, in der es Rohstoffe und Gerätschaften gibt, die auf "The Ark" dringend benötigt werden. Als eines Tages die Wasserversorgung ausfällt und der einzige Techniker in der Zone verschwindet, werden Bormin, das brummige Kampfschwein und Dux, die vorlaute Ente, von dem Ältesten in die Zone geschickt, um den Vermissten zu suchen ...
Als Stalker in der Zone
Fortan steuert man Bormin und Dux in Echtzeit mit frei drehbarer Kamera durch die Gebiete der Zone, die von einer Weltkarte verbunden werden. Auf der Suche nach dem Techniker Hammon arbeitet man sich fast linear von Gebiet zu Gebiet vor, kann aber jederzeit zu "The Ark" zurückkehren, um dort Gegenstände zu kaufen, Waffen zu verbessern oder das Team aufzuwerten. Mehr kann man auf der Arche leider nicht machen und so richtig viel Leben herrscht dort ebenfalls nicht.
Das Stalker-Team besteht aus maximal drei Charakteren. Bei der Erkundung kann man nur eine Figur direkt steuern. Die anderen Figuren können folgen oder warten. Somit ist es möglich, die Mutanten an unterschiedlicher Position in Stellung bzw. in Deckung zu bringen, um zum Beispiel eine Falle zu stellen oder Gegner von mehreren Seiten zu attackieren. Doch dazu später mehr.
Story-Hintergrund im Vorbeilaufen
In den postapokalyptischen Gebieten läuft oder schleicht man umher und sammelt Schrott (Währung auf der Arche), eigenwillige Artefakte oder andere Hinterlassenschaften wie Notizen. Die Geschichte der Schnitzeljagd wird mit kurzen Dialogen zwischen den Hauptcharakteren (nur englische Sprachausgabe; deutsche Texte mit kleinen Macken), sehr wenigen Zwischensequenzen im Comicstil, bei Besuchen auf der Arche oder mithilfe der Umgebung erzählt. Letzteres ist wirklich gut gelungen, vor allem wenn es darum geht, auf subtile Weise zu erzählen, was in der Vergangenheit geschah. Es gibt zwar eine kurze Exposition am Anfang, aber die grassierende Seuche, die Quarantäne, die Polizei-Roboter usw. geben indirekte Hinweise auf die Geschehnisse, während bekannte Elemente unserer Welt wie Schiffe, Eisenbahn, Helikopter und Co. für die Mutanten einfach nur seltsame Relikte sind, deren Funktion sie nicht verstehen. Ergänzt durch eine detailliert ausstaffierte Spielwelt schaffen es die Entwickler, das Szenario interessant, mysteriös und dennoch vertraut wirken zu lassen. Selbst der Sammelkram stört kaum, da vergleichsweise wenig blinkt, glänzt oder leuchtet - höchstens die Artefakte. Dennoch könnten die Gebietskarten ruhig etwas größer sein (Level-Barrieren).
Prinzipiell marschiert man erst in den Norden der Zone und dann in den Süden. Die weitgehend lineare Schnitzeljagd wird an manchen Stellen durch optionale Passagen unterbrochen, in denen man gegen zusätzliche Feinde kämpfen und dadurch mehr Erfahrung und Gegenstände sammeln kann. Respawn gibt es nicht - einmal getötete Gegner bleiben tot, weswegen es nicht möglich ist, Erfahrungspunkte zu "grinden". Um nochmal auf die Geschichte zurückzukommen. Die eigentliche Story von der Suche nach Hammon ist tatsächlich eher unspektakulär und endet etwas abrupt. Es ist eher die Spielwelt die das Ganze interessant macht und auch Bormin und Dux sind als Charaktere gelungen. Die späteren Team-Ergänzungen schaffen es zumeist nicht über den Söldner-Status hinaus. Auch die Auswirkungen der Taten des Stalker-Teams werden höchstens vom Ältesten kommentiert, ziehen aber keine Geschehnisse nach sich. Ohnehin drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, dass zum Ende hin alles etwas "schneller" bei der Entwicklung gehen musste und es ein bisschen an Feinheiten, der Lebendigkeit der Welt und weiteren Zwischensequenzen fehlt.
Laut oder leise? Leise!
Trifft man auf Gegner, wird es richtig interessant und spannend - jeweils auf den höheren beiden Schwierigkeitsgraden; auf "Normal" ist es fast zu leicht. Hat man Feinde erspäht, steht man grundsätzlich vor der Wahl, ob man mittenrein stürmen und mindestens so laute wie effektive Waffen oder Granaten einsetzen möchte - oder ob man versucht, die Gegner möglichst unbemerkt zu dezimieren und mit lautlosen Waffen auszuschalten. Die lautlose Methode ist zu bevorzugen, denn die Gegner sind meistens in der Überzahl und haben eine höhere Stufe sowie mehr Lebenspunkte als das Stalker-Team. Gerade auf den höheren beiden Schwierigkeitsgraden ist es unablässig, dass man die Gegnerschaft vorher dezimiert, was in der Regel die Beobachtung der Laufwege und die Vorausplanung über den anstehenden Kampf mit einschließt.
Oft sind die Begegnungen so punktgenau ausbalanciert, dass man es mit lautlosen Waffen geradeso schafft, den Feind auszuschalten, wenn überhaupt. Schafft man es nicht, einen Gegner in einer Runde mit einem Überraschungsaufgriff zu töten, so ruft dieser nach Verstärkung und man hat mindestens ein neues Problem. Setzt man normale Schusswaffen oder Granaten ein, weiß sofort die halbe Karte Bescheid und rückt an. Manchmal können Gegnergruppen sogar komplett umgangen und erst später erneut angegriffen werden, wenn man stärker geworden ist.
Planung ist essentiell
Bei der Vorbereitung des Angriffs helfen praktische Kreise, die ab einer bestimmten Reichweite eingeblendet werden und den Aufmerksamkeitsradius der Feinde darstellen. Betritt man diesen "Kreis", beginnt der rundenbasierte Kampf, bei dem die Gegner den ersten Zug haben, weil sie die Angreifer auf frischer Tat ertappt haben. Wenn man aber das Mutanten-Team im geduckten Modus voran bewegt (der Aufmerksamkeitsradius des Gegners wird bei Stealth-Bewegungen reduziert) und man die Umgebung geschickt für seine Zwecke nutzt, kann man den Gegnern auflauern oder sie überraschen und ggf. mit leisen Waffen unauffällig ausschalten. Hierbei kann man selbst entscheiden, wann man den Kampf beginnen möchte. Es ist entscheidend, die Umgebung zu benutzen, sich Deckungen oder erhöhte Positionen zu suchen oder den Gegner zu flankieren, um die Deckung auszuhebeln. Und weil manche Gegner auch Deckungen zerstören können, sind die Gefechte nicht wirklich statisch. Hinzukommen Feinde mit Panzerung, "Beschwörer", Roboter, Anführer, Feuerteufel und Co., die jeweils neue Vorgehensweisen erfordern. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass sich das grundlegende Konzept bis zum Ende kaum ändert. Störend ist hingegen, dass die Gegner eine Leiche eines ausgeschalteten Mitstreiters nicht bemerken, obwohl sich diese in ihrem Aufmerksamkeitsradius befindet. Man hat zudem keine Möglichkeit hat, die Leichen von erledigten Gegnern irgendwie wegzuschaffen. Dieses Manko stößt sich mit der bevorzugten Stealth-Vorgehensweise.
XCOM light
Die Kämpfe sind hervorragend lesbar, zeigen die relevanten Informationen erstklassig visualisiert an und erinnern tatsächlich schwer an XCOM oder Mario + Rabbids. Man hat zwei Aktionen, die man zum Laufen, Sprinten (höhere Laufweite; kostet zwei Aktionen), Angreifen (Schießen, Granate werfen) oder zum Einsetzen einer Spezialfähigkeit nutzen darf. Auch die Kameraperspektive beim Zielen kommt einem sehr bekannt vor. Störend sind die bekannten Anleihen keinesfalls, zumal die Verknüpfung zwischen Echtzeit-Erkundung und -Schleichen zur Vorbereitung der Gefechte und dem Übergang in den Rundenmodus großartig ist. Schon bei Jagged Alliance 2 funktionierte die Mischung aus Echtzeit-Bewegung und Rundenkämpfen einwandfrei. Zumal die Kämpfe keineswegs langsam oder langatmig sind.
Kompakte Entwicklung
Darüber hinaus gibt es ein kleines Fortschrittssystem bei den Charakteren, dem etwas mehr Tiefe womöglich für unterschiedliche Spielstile (Stealth vs. Frontangriff) gutgetan hätte. Hier bietet XCOM deutlich mehr. Es gibt einen kleinen Skillbaum mit großen und kleinen Mutationen als Spezialfähigkeiten pro Charakter und passiven Talenten, ein dreistufige Waffenupgrades mit zwei Aufsätzen (Ressource: Waffenteile) und Verstärkungen für die gesamte Party (Ressource: Artefakte). Obgleich man Waffen auseinandernehmen kann, lassen sich andere Gegenstände wie Rüstungen, Granaten und Co. seltsamerweise nicht verkaufen.
Ohne Schweiß kein Preis
Ganz elementar für das Spielerlebnis von Mutant Year Zero ist die Wahl des Schwierigkeitsgrades, denn auf "Normal" ist das Kampfgeschehen viel zu einfach, da sich die große Mutationen bei jedem Kampf neu einsetzen lassen. Man kann jeden Kampf im Prinzip mit einem "Sauer-Lauf"
Auf "Schwer" und "Sehr schwer" ist der Name dann Programm, selbst für eingefleischte Taktiker, da sich die Trefferpunkte der Charaktere nach dem Kampf nicht selbst regenerieren und die großen und kleinen Mutationen über eine Abklingzeit verfügbar, die nur durch Kills zurückgesetzt werden. Man muss sich also genau überlegen, wen man wann ausschaltet und ob man zwischendurch nicht noch irgendwie die Fertigkeit durch einzelne Gegner zurücksetzen kann. Zudem ist man auf Healthpacks angewiesen und diese sind wie alle Ressourcen in der Zone ziemlich rar - zum Glück gibt es ein freies Speichersystem, auch in den Kämpfen. Gelegentlich ist man dabei auf den "Zufall" angewiesen, wenn man zum Beispiel ganz dringend einen Roboter betäuben möchte, der Waffenaufsatz aber nur eine 20%-Chance hat. Die Entwickler empfehlen übrigens auf "Sehr schwer" zu spielen, da dieser Modus die angestrebte Spielerfahrung bieten würde.
Gerade auf "Schwer" und "Sehr schwer" sind die Kämpfe sehr motivierend. Die Gefechte mögen zwar fordernd sein und manchmal bis an die Schmerzgrenze gehen, doch wenn am Ende die Gegner im Staub liegen, stellt sich ein sehr erhebendes Gefühl ein, wenn ein Plan funktioniert hat, was auf "Normal" nicht immer gegeben ist. Apropos Spannung. Ein dynamischer, stimmiger Soundtrack untermalt das Geschehen sehr passend je nach Erkundung, Kampf oder beginnender Konfrontation.
Kleinere technische Macken
Getrübt wird der Spielspaß von einigen technischen Macken. So ist mir das Spiel mehrfach beim Laden von Speicherständen abgestürzt, ohne dass die Speicherstände beschädigt wurden oder beschädigt waren. Hinzu gesellten sich unschöne und unnötige Grafik-Popups und Fade-ins beim Erkunden der Karte. Auf Konsolen kam es bei Kameraschwenks in seltenen Fällen zu minimalen Bildraten-Störungen (Xbox One) und beim Wechsel der Ausrüstung mussten Texturen nachgeladen werden. Auf der PlayStation 4 gab es ab und zu kurze Soundaussetzer zu Beginn der Zwischensequenzen. Bis auf die Abstürze sind es dies jedoch kleinere Macken.
Fazit
Mutant Year Zero: Road to Eden ist ein spannendes Taktikabenteuer, dem zum Ende hin leicht die Puste ausgeht! Die Verknüpfung von Erkundung und Schleichen in Echtzeit mit den rundenbasierten Kämpfen à la XCOM sorgt für eine überaus unterhaltsame Mischung. Vor allem die leise Variante rund um das lautlose Ausschalten von einzelnen Gegnern macht Laune. Seltsam ist nur, dass man Leichen nicht verstecken kann. Dank der guten Computerintelligenz, der zerstörbaren Umgebung und der Deckungsmöglichkeiten sind die Gefechte taktisch motivierend und mitreißend. Auf "Schwer" oder "Sehr Schwer" gewinnen sie an Anspruch und erfordern aufgrund der Ressourcenknappheit sowie der kompromisslosen Ausbalancierung stetige Vorausplanung. Klasse designt ist die düstere und zugleich vertraut wirkende post-menschliche Spielwelt. Allerdings ist es bedauerlich, dass die Entwickler gerade an der Lebendigkeit am zentralen Sammelort (der Arche) und im späteren Spielverlauf sparen, die grundlegende Story eher mäßig ist und die späteren Mutanten-Söldner oberflächlich bleiben. Sowohl der Fortschritt als auch die Entwicklung der Figuren könnten etwas mehr Tiefe vertragen. Hinzu kommen kleinen technische Macken, so dass das richtig gute Mutant Year Zero: Road to Eden leider knapp am Gold-Award scheitert.
Pro
Kontra
Wertung
XboxOne
Mutant Year Zero: Road to Eden ist ein spannendes Taktikabenteuer in einer erstklassigen Welt, dem zum Ende hin leicht die Puste ausgeht!
PlayStation4
Mutant Year Zero: Road to Eden ist ein spannendes Taktikabenteuer in einer erstklassigen Welt, dem zum Ende hin leicht die Puste ausgeht!
PC
Mutant Year Zero: Road to Eden ist ein spannendes Taktikabenteuer in einer erstklassigen Welt, dem zum Ende hin leicht die Puste ausgeht!
Echtgeldtransaktionen
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