Machinarium13.11.2009, Bodo Naser
Machinarium

Im Test:

Ein kleines Spiel überraschte uns in der Vorschau mit knuffiger Besetzung, stilvoller Aufmachung und intelligenten Rätseln. Jetzt ist Machinarium (ab 24,99€ bei kaufen) bei Daedalic erschienen. Kann das erste echte Adventure der Browsergame-Macher Amanita Design die Vorschusslorbeeren bestätigen?

Träumen Roboter?

Haben Roboter eine Kindheit? Normalerweise nicht, denn Roboter 

Je weiter der Held nach oben steigt, desto mehr erfährt man über sein früheres Leben und worum es sonst geht.  
entwickeln sich nicht in Phasen wie Menschen, sondern sie bleiben abgesehen von Reparaturen und Upgrades wie sie sind. Wenn ein Roboter wie beim Film AI: Künstliche Intelligenz ein Kind ist, durchläuft er dann eine nicht enden wollende Kindheit? Er wird schließlich nie erwachsen. Warum ich das frage: Ganz einfach - der Roboter, den man in Machinarium spielt, scheint durchaus eine Kindheit gehabt zu haben. Jedenfalls denkt der Kleine öfters nach, wie er früher von den Größeren gemobbt wurde. Die schweren Jungs ließen ihn stolpern, nahmen ihn in den Schwitzkasten und knöpften ihm sein Geld ab. Wozu braucht ein Blechhaufen eigentlich eigenes Barvermögen?

Fragen über Fragen, die in Machinarium durchaus berechtigt scheinen, denn man spielt einen Roboter namens Josef, der seinen Weg zurück nach Hause finden muss. Alles beginnt auf einem Schrotthaufen in einer endzeitlichen anmutenden Welt, die von seltsamen Apparaturen besiedelt ist. Der Beginn ist fast märchenhaft, wäre da nicht die heruntergekommene Umgebung: In der Nähe einer Stadt wurde Josef auf den Müll geworfen. Eigentlich funktioniert er noch, allerdings erst nachdem er seine Einzelteile gesucht und zusammengeschraubt hat. Zunächst mutet er unscheinbar an, aber er wächst einem im Laufe des Spiels regelrecht ans Herz. Warum er rausflog, muss man erst noch rausfinden. Wollte man ihn etwa loswerden?

Interessante Mischwelt

Die eigentliche Verschwörungsstory kommt zwar nur zögerlich in Schwung, je mehr man in der Stadt der Maschinen in die

Die Herren in der Mitte sind Verbrecher, die Josef an den blechernen Kragen wollen. Sie klauen, spielen im Hinterzimmer Karten und tragen schwarze Hüte. 
Höhe steigt, aber dafür ist die Welt vielschichtig: Bald wird nämlich klar, dass die Roboter nicht von Menschen beaufsichtigt werden sondern sich selbst organisieren. Sie verhalten sich ziemlich menschlich, ohne freilich ihre eigene Identität zu verleugnen. So sieht die Stadt aus wie eine mittelalterliche Burg mit hohem Turm, aber bewacht wird sie von Maschinen, die wiederum eine Mischung aus Polizist und Ritter darstellen. Die Hunde stehen nicht auf Knochen sondern auf Öl, wie es sich für einen bellenden Apparat gehört.

So hat natürlich auch Josef ein Leben vor seinem Rauswurf geführt, das menschlich erscheint: Er hatte eine Kindheit und war in eine kleine Roboterfrau verliebt, deren Augen noch größer sind als seine. Je mehr man in raren Häppchen über ihn erfährt, desto liebenswürdiger erscheint der kleine Kerl. Es gibt allerdings auch Leute, die Josef nicht wohlgesonnen sind. So landet er unvermutet im Gefängnis, wo er nur mit einigem Geschick wieder rauskommt. Dunkle Gestalten treiben in der Stadt ihr Unwesen, die an ihren schwarzen Mützen und Brillen zu erkennen sind, Glücksspiel betreiben und sogar Knarren tragen. Was führen sie im Schilde und wieso hassen sie den gänzlich ungefährlichen Blechkameraden?

An jeder Ecke Mysterien

Zuerst wandelt Josef durch fast leere Eingeweide der 

Hier muss man das Wasser wieder zum Sprudeln bringen. Das geht nur, wenn sich Kollege Kneifzange auch einbringt.
Stadt, wo allenfalls ein paar Lichter auf die Existenz von Leben hinweisen. Hier unten scheint es nur Maschinen zu geben, aber nach und nach trifft er immer mehr Leute, die was von ihm wollen. Das zeigen sie ihm in Form von Sprechblasen an, die mit Piktogrammen gefüllt sind, denn das Spiel verläuft praktisch ohne Sprache. Der eine will eine Zigarette, der andere fürchtet sich vor Josefs ausfahrbarem Arm und die Frau an der Ecke sucht ihren blechernen Hund. Obwohl sich zunächst niemand groß für ihn zu interessieren scheint, geht's nur weiter, wenn er die Aufgaben löst - da ist das sonst eher ungewöhnliche Spiel ein ganz klassisches Adventure.

Er muss seine künstlichen Neuronen anstrengen, um zur Lösung zu kommen. Und der Spieler seine grauen Zellen. Es gibt Rätsel, die Intelligenz, Kombinationsgabe und ein wenig Geschick erfordern. Man löst vertrackte Apparaturen, Logikpuzzle oder Knobelaufgaben. Einmal muss man sogar "Fünf gewinnt" gegen jemanden in einer Bar spielen, um die Belohnung zu kassieren, die einen weiter bringt. Die KI ist nicht schlecht, da man oft verliert, bis man ihn endlich besiegt hat. So ist man sogar stolz, wenn man es schließlich geschafft hat. Zum Glück darf man die Rätsel im weiteren Spielverlauf in beliebiger Reihenfolge lösen, je größer die Areale werden.

                             

Maschinelle Eigenheiten

Obwohl es nicht so viele Sachen gibt, muss man mehrere im

Wer die simplen Piktogramme nicht versteht, der kann sich Hilfe holen, die sogar bis zur Komplettlösung gehen kann. 
einfach zu bedienenden Inventar kombinieren, um neue zu kreieren. So muss man die gewünschte Zigarette aus zwei Komponenten fertigen, von denen man die eine auch noch trocknen muss. Nur wie? War da nicht irgendwo eine heiße Lampe? Nur wie hochkommen? Zum Glück kann sich der Roboter von Welt ja strecken, so dass er länger wird. Um in Löcher schauen zu können, duckt er sich, indem er seine Scharniere staucht. Wenn gar nichts mehr geht, kann er sogar noch seine Hand ausfahren, was sogar ein wenig an Inspektor Gadget erinnert.

Wer auf dem Schlauch steht, dem kann geholfen werden, denn es gibt eine Spielhilfe: Rechts oben über die Schaltfläche Sprechblase bekommt man einen Lösungstipp, der schon recht gut hilft. Dort sieht man als Comic, was grob zu tun ist; aber man sieht nicht, wo sich die Sachen befinden, die man dafür braucht. Wer lieber die Komplettlösung haben möchte, muss witzigerweise erst ein Minispiel machen, wobei man Monstern ausweichen muss. Da man nicht den kleinsten Fehler machen darf, ist es gar nicht mal so einfach wie gedacht.

Altmodische Bedienung

Neben diesen praktischen Hilfen lässt es Machinarium leider etwas an Komfort missen: Es gibt weder eine Hot-Spot-Anzeige

An detailreichen Orten kann es bisweilen schwer sein, alle wichtigen Sachen zu finden. Eine Hot-Spot-Anzeige fehlt leider. 
noch eine Schnellreisefunktion, weshalb man doch einige wichtige Punkte schwer findet. Zudem kann manch Stelle erst angeklickt werden, wenn Josef direkt daneben steht. Außerdem muss man doch bisweilen an bekannte Schauplätze zurückkehren. Das kommt zum Glück nicht zu oft vor, so dass man es verschmerzen kann, dass ein Doppelklick nicht zum erhofften schnellen Gehen führt. Immerhin läuft Josef etwas zügiger, wenn er normale Größe hat, denn ausgefahren schwankt er hin und her wie eine Bohnenstange.

Allerdings wird das durch die intuitive Steuerung ausgeglichen, die nicht lange erklärt werden braucht. Alles ist sehr einfach gehalten, lockt zum Erkunden und wer schon mal ein Adventure gespielt hat, wird keine Probleme haben. Doch auch Unbeleckte werden schnell mit der Bedienung warm: Man klickt einfach irgendwo und schon passiert was. So spielerisch wie die Geschehnisse um den Roboter verlaufen, so spielerisch muss man auch an die Lösung herangehen. So ist es das ideale Spiel für zwischendurch.

Noch ein Browsergame?

Einige werden nun anführen, dass man ein Browserspiel nicht kauft

Flatternde Vögel auf Knopfdruck. Fast überall gibt es was zu entdecken und anzuklicken.  
, sondern umsonst im Internet spielt. So war das auch mit dem Vorgänger Samorost 2, der übrigens ebenso beliegt wie die sphärische Musik auf CD. Das ist nur zum Teil richtig, denn der Umfang geht doch weit über ein kostenloses Spiel hinaus, da es eine durchgehende Geschichte erzählt. Das Abenteuer des kleinen Josef bietet für viele Stunden Unterhaltung, die doch mehr bietet als die übliche Rätselei. An jeder Ecke gibt es was zu entdecken, etwa wenn Musikanten ein Lied spielen. Man kann auch Sachen anklicken, die gar nichts mit der Story zu tun haben: Etwa ein paar Vögel auf der Leine, die was fallen lassen und davon flattern.

Machinarium hat einen ganz besonderen Grafikstil, der schwer zu beschreiben ist, aber das Spiel zusätzlich zu etwas Besonderem macht: Die Umgebung wirkt recht düster und verbraucht, aber auch wieder heiter, da es viele komische Typen gibt. All das geht qualitativ weit über ein Browsergame hinaus, obwohl es keinen starken Rechner braucht, um es zu genießen: Die Systemvoraussetzungen sind mit 1,6 GHz-Prozessor und 1 MB RAM mehr als moderat und kommen sogar ohne 3D-Karte aus. Dennoch entsteht eine ganz neue, überaus sympathische Welt, die ihre ganz eigenen Gesetze hat.

               

Fazit

Machinarium zeigt, was für ein vergleichsweise unbekanntes Studio alles möglich ist, wenn man seiner kreativen Linie treu bleibt und eigene Welten schafft: So klein und unbedeutend wie der Roboter am Anfang ist, so mausert er sich doch zum Retter der Stadt. Genau so entwickelt sich auch das Spiel, das vor der Stadt noch unspektakulär beginnt, zum ausgewachsenen Adventure, das sogar Genrefans ins Schwitzen bringt. Alles ist liebevoll gemacht: Die Akteure, die Umgebung und der Hintergrund. So wirkt die Stadt trotz bescheidener Mittel lebendiger als so manche große Produktion - vor allem, weil man hier eine Seele entdeckt. Man trifft auf Roboter, die melancholisch und vom Leben gezeichnet sind und bisweilen sogar Böses im Schilde führen. Jeder will etwas von Josef, der einem Raum für Raum mehr ans Herz wächst. Er ist kein Waffenroboter, sondern gelangt mit friedlichen Mittel ans Ziel. Leider ist das für den Spieler nicht immer sofort zu erkennen, denn eine Hot-Spot-Anzeige fehlt und ohne Sprachausgabe ist man auf Sprechblasen mit Zeichen angewiesen. Trotzdem kommt man intuitiv und ohne Frust vorwärts: Es gibt ein wenig Tragödie, erstaunlich viel zum Schmunzeln und eine Menge zum Staunen. Die skurril anmutende Welt der Maschinen ist nicht nur kunstvoll designt, sie wird von der Musik auch perfekt untermalt und lädt zum Erkunden ein. Wer schon Samorost gespielt hat, wird in etwa wissen, was ihn erwartet. Dennoch bietet diese Premiere mehr, denn hier will man trotz dahin plätschernder Story am liebsten ganz tief in die Welt abtauchen.

Pro

Knobelspiel
Endzeit-Setting
knuddliger Held
fast menschliche Maschinen
Köpfchen gefragt
Rätsel für jedermann

Kontra

manches schwer zu finden
zum Verständnis nur Piktogramme
Story kommt nur schwer in Gang

Wertung

PC

Hier kommt ein kleiner Roboter groß raus und mit ihm das liebevoll gemachte Adventure.

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