Shadows of the Damned22.06.2011, Mathias Oertel
Shadows of the Damned

Im Test:

Während sich fast alle Publisher bemühen, mit ihren Spielen die größtmögliche Masse zu erreichen, schert ausgerechnet eine der Branchengrößen aus und serviert ein ebenso abgefahrenes wie brutales Abenteuer. Nachdem EA bereits mit Alice den Abgrund des Wahnsinns ausgelotet hat, geht man mit Shadows of the Damned (ab 25,86€ bei kaufen) noch einen Schritt weiter. Hier kredenzt man eine schaurige Pop-Kultur-Lovestory mit sprechenden Totenschädeln und so viel Blut, dass selbst Clive Barker schwindelig werden dürfte.

Meisterkoch #1: Suda

Spiele von Goichi Suda, auch bekannt als Suda51, spalten ebenso wie sie provozieren - und sie stechen zumindest künstlerisch aus dem Einheitsbrei heraus. Das war bei Killer 7 so, das war bei No More Heroes trotz mechanischer und vor allem technischer Defizite so und das ist auch bei seinem neuesten Projekt Shadows of the Damned (SotD) so. Hier lässt er als 'Executive Director' seine ganze provozierende Erfahrung und seine Kenntnis der Popkultur einfließen: Gespeichert wird bei einem fliegenden Auge, das erschreckt, wenn es einen sieht und dann einen stinkenden Haufen als Checkpoint hinterlässt. Upgrades und den Gesundheit aufbessernden Alkohol kann man bei einem Halbdämon erwerben, der einem Diamanten aus der Hand frisst und dafür die entsprechende Ware auskotzt. Manche Türen werden von dämonischen Schamhaaren versperrt, für die man erst einen gut versteckten Schalter finden muss.

Der Held Garcia Hotspur, ein mächtig tätowierter Dämonenjäger mexikanischen Ursprungs,  flucht und beschimpft seine Gegner nach allen Regeln der Kunst wie schon lange nicht mehr in einem Spiel, bevor er sie zerlegt. Man begegnet weinenden Baby-Gesichtern als Türschlösser, die man nur mit Erdbeeren, Gehirnen oder Augäpfeln dazu bewegen kann, die Pforte zu öffnen. Es gibt Penis-Metaphern und  sexuelle Anspielungen ohne Ende, angefangen von Garciaas Sidekick Johnson (einem sprechenden Totenschädel)  bis hin zu seiner Megawaffe, dem "Big Boner", mit dem er das Scarface-Zitat "Say hello to my little friend" samt seiner potenten Schrotflinte zu einem Spruch fürs Kindergarten-Freundebuch degradiert, bevor er nach einer wilden Geschützsequenz in ein Teleportationstor springt, das zwischen den gespreizten Beinen einer Werbeplakat-Schönheit in der Unterwelt erscheint.

Und wie man es von Suda-San kennt, werden zahlreiche Filme zitiert. In diesem Fall reicht das Repertoire vom Sam Raimi-Klassiker Tanz der Teufel (Evil Dead) über Ghostbusters bis hin zu modernen Horror-Slashern und endet erst bei den Zwischensequenzen, die hinsichtlich Schnitt- und Kameratechnik moderne Horrorfilme ebenso emulieren wie Klassiker.

Gewalt erzeugt Gegengewalt

Dementsprechend brachial gibt sich auch die Geschichte: Der Dämonenlord Fleming rächt sich an Garcia für die Dezimierung seiner Armee, indem er Hotspurs Freundin Paula gefangen nimmt und droht, sie immer wieder zu töten sowie wiederauferstehen zu lassen, um wieder von vorne zu beginnen. Die einzige Möglichkeit für Garcia, diesen Todeszyklus zu durchbrechen und sie zu retten, besteht darin, sich in die Unterwelt zu begeben und dort, in der Höhle des Löwen, Fleming und seinen Gefolgsleuten den aussichtslos scheinenden Kampf anzusagen. Wie bei True Romance oder Natural Born Killers steht im Kern eine sensibel erzählte Liebesgeschichte, bei der Gewalt zwar eine große Rolle spielt, aber letztlich nur eine Konsequenz ihrer Umwelt ist. Denn was erwartet man, wenn man sich mit Dämonen anlegt? Dass die Differenzen bei einer Runde Scrabble beigelegt werden? Nein: Hier werden Projektile durch die Gegend gejagt, um Rache zu nehmen. Und damit fällt der Startschuss für einen Höllenritt im wahrsten Sinne des Wortes. Die Kulisse geizt nicht mit düsteren, mitunter verstörenden Bildern, mit Opfern von Flemings sadistischer Dämonenarmee, Blut und Gewalt. Es werden gezielt Schockmomente eingesetzt, die den locker-flapsigen Humor kontrapunktieren sollen, der Shadows of the Damned im Allgemeinen und das Genre im Speziellen immer wieder satirisch aufs Korn nimmt. Und in guter alter japanischer Tradition gibt es viele Bosskämpfe, in denen man bis zum Letzten gefordert wird.

Meisterkoch #2: Mikami

Kaum jemand kennt sich mit Bosskämpfen, visuellem Horror und Terror besser aus als die zweite treibende Kraft hinter SotD: Shinji Mikami, der hier als 'Creative Producer' mit von der Partie ist. Von vielen als Vater des Survival-Horror bezeichnet, hat er mit seiner Arbeit an Titeln angefangen von Resident Evil über Dino Crisis, Devil May Cry bis hin zu Dead Rising, Lost Planet und Resident Evil 5 nicht nur ein Genre beinahe im Alleingang definiert, sondern auch gezeigt, was mit kreativer Phantasie bei Bosskämpfen alles möglich ist.

Die mehrstufigen Bosskämpfe gehören zu den Highlights der brachialen Horror-Action.
Die mehrstufigen Bosskämpfe gehören zu den Highlights der brachialen Horror-Action.
Dementsprechend gehören die Bosse hier zu den Highlights des Action-Stakkatos, das sich nur selten Ruhepausen erlaubt und nach etwa achteinhalb Stunden mit einem ebenso emotionalen wie imposanten Cliffhanger-Finale endet, das wie ein guter Film Lust auf mehr macht. Man muss die wechselnden Taktiken der Gegner in den häufig mehrstufigen Auseinandersetzungen erkennen und sich darauf einstellen, damit man die drei zur Verfügung stehenden Waffen (Pistole, Schrotflinte, Maschinengewehr) entsprechend nutzen kann, die allesamt mit dämonischer Macht verändert werden können. Oder man muss sich die Umgebung zu Nutze machen, wie bei dem Kampf auf dem Marktplatz in der Hölle, bei dem Garcia von einem Kollegen des Nemesis aus Resident Evil 3 verfolgt wird und den man nur mit Schüssen in explosive Fässer kurzzeitig verwundbar machen kann.

Doch nicht nur hier ist Mikami-Sans Mitwirken zu spüren. Die Action-Mechanik erinnert mit ihrer Perspektive positiv an die letzten Resident Evil-Spiele, die sich jedoch deutlich behäbiger gaben. Hier zeigt Mikami, wie er sich Arcade-Ballereien vorstellt: In den schnellen, mitunter hektischen Gefechten fliegen die Projektile durch die Gegend, springen die Gegner wie wild auf einen zu, während man versucht, diesen Attacken zu entgehen und wird kurz in eine detaillierte Zeitlupe geschaltet, wenn man in all dem Trubel einen Headshot abliefert und der Kopf des Dämonen wie eine reife Melone zerplatzt, die man aus dem Fenster im ersten Stock auf die Straße wirft.

Meisterkoch #3: Guarini

Die letzte kreative Triebfeder schließlich hatte als Regisseur dafür zu sorgen, dass nicht nur die Action mit der Geschichte zusammengefügt wird, sondern dass auch die weiteren Elemente wie Rätsel oder die unaufhaltsame Dunkelheit, gegen die auch Garcia keine Chance hat und in der er nur temporär überleben kann, gut eingepasst werden. Und diese Rolle fiel Massimo Guarini zu. Bitte wem? Der Name ruft auf Anhieb keine Assoziationen hervor und birgt auf den ersten Blick auch nicht den Reiz seiner japanischen Kollegen.

Doch er hat einige namhafte Titel zu verantworten, die größtenteils aus der Zeit stammen, in der er noch für Ubisoft

Kein Suda51-Spiel bleibt ohne Hommage an die gute alte Zeit.
Kein Suda51-Spiel bleibt ohne Hommage an die gute alte Videospiel-Zeit, in der Helden noch von links nach rechts laufen (oder fliegen).
tätig war. Dazu gehören z.B. Naruto - Rise of a Ninja für die Xbox 360 oder Rainbow Six 3 Raven Shield. Aber auch an dem Rennspektakel S.C.A.R. und Way of the Samurai 3 hatte er seine Finger im Spiel.

Ob Guarini in diesem Triumvirat letztlich dafür verantwortlich ist, dass SotD von allen Suda51-Spielen das zugänglichste und das westlichste ist, lässt sich nicht einfach beantworten. Doch egal, wer von den Dreien letztlich welche Entscheidung getroffen hat: Das Ergebnis ist inhaltlich ein Erlebnis, das mit seiner Rohheit, seiner Schonungslosigkeit sowie seinem ungehobelten Charme fasziniert. Hier wird nicht darauf geachtet, Hollywood-Explosionen für die Masse aufzubereiten und mit einer nichts sagenden Military-Story zu versehen.

Garcia Hotspurs Unterwelt-Abenteuer eckt an, erschreckt, fordert, schockiert (mitunter in den falschen Bereichen), provoziert und spaltet die Gemüter. Und auch wenn es mechanisch im Kern nur wenig mehr macht als andere Ballereiern mit Schulterperspektive, ist mir die Ambition, "anders" zu sein, lieber als der x-te Shooter, der technisch ohnehin nicht mit den Schwergewichten mithalten kann und spielerisch vollkommen austauschbar ist.

Technisches Mittelmaß

Wobei auch Shadow of the Damned  technisch nicht zu den Vorzeigespielen gehört. Zwar verwendet man die Unreal Engine, doch neben den üblichen Texturstreaming-Problemen, die sich beim Start bzw. Neuladen eines Abschnitts zeigen, hat das Grasshopper-Team die Engine nur hinsichtlich der abwechslungsreichen Hintergründe sowie beim gelungenen Charakterdesign im Griff. Sobald es jedoch an die Animationen geht, wurden die Designer von allen guten Geistern verlassen. In den Kämpfen geht es immer wieder zu ruckhaft zur Sache, was in einer eigentümlichen Art und Weise jedoch zu den hektischen Gefechten passt.

Doch gerade in den Ruhephasen und Gesprächen fällt die grobschlächtige Mimik auf, die ganz weit von dem entfernt ist, was z.B. Bioware mit der Unreal Engine in den Mass Effects vom Stapel lässt. Und über allem liegt ein Filter, der mit seiner Grobkörnigkeit eine Hommage an japanische Horror-Filme à la Ringu oder noch frühere Kreativ-Meisterwerke wie Tetsuo - Body Hammer erinnert. Im Gegenzug überzeichnet man hier Farben und Strukturen, so dass viele Bilder an Comics erinnern, wobei ein sehr dunkles Rot meist ein verbindendes Element darstellt.

Dafür jedoch weiß das Leveldesign zu überzeugen, das mit seinen Straßenzügen, die mal aus europäischen Städten, mal aus den Südstaaten der USA stammen könnten sowie Sümpfen, gotischen Ansätzen, Friedhöfen oder Katakomben ein breites Spektrum abdeckt, um den Schauplatz für die meist als Arenakämpfe konzipierten Gefechte darzustellen.

Und über allem schwebt der Soundtrack aus der Feder von Akira Yamaoka, der unter anderem bereits für diverse Silent Hill-Teile seine markanten Melodien beigesteuert hat. Dementsprechend fühlt man sich auch hier in ruhigen Momenten immer wieder an die Nebel verhangene Stadt erinnert, während die hektischen Kämpfen von ebensolchen Kompositionen dynamisch begleitet werden und akustische Gitarren der mexikanischen Herkunft des Helden Tribut zollen.

Interessante Ideen

Damit der Unterwelt-Ausflug auch abseits der Kulisse nicht zu einem austauschbaren Shooter wird, haben sich Guarini, Mikami und Suda einiges einfallen lassen, wobei vor allem das Element der Dunkelheit eine beherrschende Rolle einnimmt. Mal als Bedrohung eingesetzt, mal als Hintergrund für ein Zeitdruck-Rätsel, mal als Teleport-Verbindung zwischen einzelnen Abschnitten, nur um schließlich den Schauplatz für eine der Paula-Fantasien des Hauptdarstellers zu markieren, wird in diesen düsteren Gebieten nicht nur die Wahrnehmung verzerrt. Darüber hinaus

Garcia Hotspur macht keine Gefangenen.
Garcia Hotspur nimmt keine Gefangenen. Dämonen, die sich ihm in den Weg stellen, erhalten die Höchststrafe.

ist Garcia hier enorm verwundbar: Bleibt er zu lange im Dunkeln, verliert Johnson als Fackel seine Standfestigkeit, heißt es "Game Over" und man kehrt nach einer akzeptablen Ladephase wieder an den letzten Kontrollpunkt zurück.

Vor allem im letzten Drittel, wenn auch Bosskämpfe mit diesem Element versehen werden und man nicht nur den Boss im Auge behalten muss, sondern gleichzeitig nach einem der Kronleuchter tragenden Ziegenköpfe Ausschau hält, die man mit einem speziellen Lichtschuss aktivieren muss, um die Dunkelheit beiseite zu schieben, sind Koordination und Reaktion gefragt.  Glücklicherweise leistet sich die jederzeit gut reagierende Steuerung keine Aussetzer, so dass man sich voll und ganz auf die Action konzentrieren kann.  Einzig in den seitwärts scrollenden 2D-Abschnitten im Stile eines surrealen sehr grobschlächtigen Paper Mario (inkl. Boss versteht sich), die für einige Zuschauer ein Affront wider gutes Design darstellten, mir aber eine angenehme Abwechslung boten, ist die Kontrolle über Garcia nicht so akkurat wie in der dreidimensionalen Unterwelt.

Mit den immer wieder eingestreuten Trial & Error-Situation hingegen kann ich mich nach wie vor nicht anfreunden. Wenn ein Spiel mich fordert und ggf. sogar zur Weißglut treibt (wie z.B. seinerzeit die olle Hexe Bayonetta), werde ich angespornt. Wenn mir das Design mangels Alternativen oder Schlampigkeit das Leben schwer macht, ich mehr oder weniger auf Zufall oder Glück angewiesen bin und mir daher nahezu keinen Fehler erlauben darf, wie es hier in einer Hand voll Momente der Fall ist, dann reagiere ich genervt.

Fazit

Shadows of the Damned ist ein wahrer Höllenritt mit einem Helden, der beinahe ebenso viele Schimpfworte oder sexuelle Anspielungen wie Projektile verschießt. Überhaupt gibt sich die Dämonenjagd nicht zimperlich: Sudo51, Shinji Mikami und Massimo Guarini servieren einen kompromisslosen, angenehm scharfen Cocktail aus Horror, Action, Sex und Gewalt. Ja: Die Action verläuft auf Dauer mit ihrem Fokus auf Arenakämpfe zu eintönig. Und die Levelstrukturen legen letztlich zu viel Wert auf "Finde den richtigen Schlüssel" als auf ernsthafte Erforschung. Doch die gnadenlosen Bosse sowie die eingestreuten Rätsel lockern das Geschehen fast immer zum richtigen Zeitpunkt auf - ganz zu schweigen von den interessanten Zwiegesprächen zwischen Garcia und seinem Sidekick Johnson. Wenn das Team die Unreal Engine beherrscht hätte, wer weiß, in welche Regionen der Dämonenjäger vorgestoßen wäre? Doch da abseits der typischen Probleme wie Textur-Streamen auch die Animationen sowie die Mimik nicht mit der bizarren Unterweltkulisse mithalten können, steht sich der ballistische Horrortrip neben seiner inneren Wiederholungsanfälligkeit auch äußerlich selbst im Weg. Dennoch: Shadows of the Damned ist für mich eine der größten Überraschungen des Jahres - zumal meine Erwartung angesichts der letzten Spiele von Suda-San gering war. Mir ist dieser feurige Trip in die Abgründe der Hölle jedenfalls lieber als die langatmige Reise in den Verstand einer gewissen Alice!

Pro

brachiale Baller-Action... 
Dunkelheit als vielseitiges Element (Bedrohung, Rätsel)
stimmungsvoller dynamischer Soundtrack von Akira Yamaoka
düster-blutiges Leveldesign
Rätsel
abgefahrenes Figurendesign
kompromisslose Gewaltüberzeichnung

Kontra

...die sich allerdings zu sehr auf Arena-Gefechte fokussiert
hakelige Animationen in den Kämpfen
schwache Mimik
technische Schwächen (u.a. beim Texturstreamen)
Action kämpft mit Abnutzungserscheinungen
Levelstrukturen mit Schlüsselsuchen werden vorhersehbar
unnötige Trial&Error-Sequenzen nerven

Wertung

360

Shadows of the Damned ist ein wilder Höllenritt mit klasse Bosskämpfen und coolen Charakteren, dessen Potenzial in erster Linie von der Technik ausgebremst wird.

PlayStation3

Mikami und Suda liefern einen brachialen Höllenritt ab. Die Horror-Action überzeugt mit klasse Bosskämpfen, stolpert aber über die technische Umsetzung.

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