Die Sims 307.12.2010, Benjamin Schmädig
Die Sims 3

Im Test:

Rote Punkermähne, Bart - das ist Walter. Walter ist »Gemüseschnitzerin«. Sein Gesicht glotzt durch die Mauer zwei Zimmer weiter. Sein Schatten räkelt sich fünf Meter hinter der Hauswand auf dem Rasen. Ein Auto steht in meinem Taxi. Meine Tochter ist männlich. Die laute Musik war vorhin nicht stumm. Meine Toilette fehlt. Absurdistan in Willkommen! Ich bin unsichtbar.

Eine unikate Neugeburt

Meine Freundin meint, ich wäre selten mit so viel Vorfreude in ein spielerisches Wochenende gestartet, um am Sonntagabend dermaßen fassungslos dreinzuschauen. Es war das Wochenende, an dem ich viel Die Sims 3 (ab 15,99€ bei kaufen) gespielt habe - auf Wii, wohl gemerkt. Denn sowohl am PC als auch auf den großen Konsolen lässt sich kaum ein krummes Haar an der Lebenssimulation finden. Und irgendwie ging ich davon aus, dass man dem Schicksalsspiel mit Remote und Nunchuk besondere Sorgfalt gönnen würde. Warum? Weil Wii-Simologen bis zu viert Geschicke lenken dürfen und weil sie anders als ihre mächtigen Gamepad-Kollegen sogar ohne Ladebildschirm bis in die weitesten Winkel der Stadt laufen...

Vista Beach heißt die Kleinstadt, in der sich Lebenssimulanten diesmal niederlassen - nachdem sie in der umfangreichen Charaktererstellung bis zu sechs Einwohner ihres ersten Hauses erschaffen haben. Der Editor ist erfreulich umfangreich, auch wenn die Figuren weniger ansehnlich aussehen und sich auch weniger unterscheiden als ihre Gegenstücke auf PC, PS3 oder 360: Schieberegler oder Zufallsgenerator bestimmen Körpermaße, die ansprechend gefüllte Kleiderkammer sowie fünf frei wählbare Charaktermerkmale machen echte Unikate aus den »Neugeborenen«. Im Handumdrehen erstellt man noch genetisch ähnlichen Nachwuchs und definiert im Stammbaum die Zugehörigkeiten. Es war das letzte Mal, dass ich richtig Spaß mit diesen Sims hatte.

Video. Was hat die Wii-Version alles auf dem Kasten?

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

Wüsste ich nicht, was ich hier eigentlich tun soll - die fehlende Einführung würde mich nur mit Mühe über die ersten Runden bringen. In den Menüs wird zwar sehr viele sehr vorbildlich beschrieben. Wer als Neuling vor seinem Haus »aufwacht«, steht da allerdings wie nicht abgeholt. Die deutsche Übersetzung ist ohnehin ein Quell vieler Fehler; besonders auffällig sind Dreher bei geschlechtsbezogenen Begriffen. Klar: Irgendwie muss man binnen 50 Spieltage so viele Zufriedenheitspunkte wie möglich sammeln, wofür man jedem Sim das selbst gesteckte Lebensziel oder tausend kleine Wünsche erfüllt. Wie genau man das anstellt, bleibt aber völlig offen - blöd für Einsteiger, die von den Bedürfnissen ihres Zöglings keine Ahnung haben!

Du bist was du willst

Schön ist das nur für Kenner, die ihrem Alter Sim umgehend den ersten Wunsch erfüllen. Da ist fast alles, was aus den Sims erneut einen hervorragenden Zeitvertreib macht: Sie wollen kochen, schlafen, pinkeln, duschen, quatschen, tanzen, fernsehen, küssen, arbeiten, lästern, grillen, musizieren, trainieren, aufräumen, reparieren - ganz nach Gesinnung, Lust und Laune. Sogar dem kriminellen Laster dürfen sie frönen. Gute Schicksalssteuermänner haben dabei stets ein Auge auf die Grundbedürfnisse, denn ohne geregelten Tagesablauf verhungert Familie Sim, fällt aus Müdigkeit in Ohnmacht oder hat plötzlich keine Lust auf gar nichts. Arbeit sichert einen gefüllten Kühlschrank und ermöglicht die Finanzierung des Hausbaus. Bücher, Trainingskurse und Übung machen aus Waschlappen Sportgranaten, zwei linke Hände werden zu begnadeten Musikstars.

Um einem Sim des dritten Teils eine Anweisung zu erteilen, klickt man dabei erstmals nicht aufs Ziel und wählt die gewünschte Aktion. Stattdessen lenkt man ihn per Analogstick durch Vista Beach. Ein Knopfdruck aktiviert das Ziel, sobald man ankommt. Ist man so näher am Geschehen dran? Vielleicht. Mit Sicherheit würde ich meiner Familie aber lieber aus der Entfernung heraus mehrere Befehle im Voraus erteilen. Mit Sicherheit möchte ich nicht jedes Mal warten, bis irgendjemand irgendein Buch gelesen hat, bevor ich ihn oder sie zur Toilette führe, anschließend zur Dusche und dann auf dem Weg zur Arbeit begleite. Ich würde meine sechsköpfige Rasselbande gerne mit Übersicht anleiten, anstatt immer und immer und immer und immer wieder zwischen den Sims zu wechseln, um den Tagesablauf zu aktualisieren.              

Hollow Man

Natürlich ist das Beobachten von drolligen Unterhaltungen, tapsigen Turnübungen und Missgeschicken ungemein unterhaltsam. Dafür mussten Handlungs- und Bewegungsfreiheit allerdings nicht eingeschränkt werden; das gab es vorher schon. Mehr noch: Nur weil man Mittendrin steht, sieht man erst, wie hässlich und leblos dieses Vista Beach ist! Matschige, richtig hässliche Häuserwände begrüßen mich immer dort, wo die Details noch nicht geladen wurden. Objekte wie Bäume, Grabsteine oder Zäune fehlen einfach. Manchmal verschwinden sie urplötzlich, wenn man neben ihnen steht, manchmal tauchen sie ebenso spontan überhaupt erst auf. Selbst die eigenen Sims können sich auflösen, um sich irgendwann wieder zu materialisieren. Zeitungen sind beim Entfalten mal sichtbar, mal nicht. Schatten befinden sich mehrere Meter von ihrem Ursprung entfernt.

Fährt man im Taxi an einen neuen Ort, geschieht dies über eine elendig lange Kamerafahrt - ich wünsche mir die Ladezeiten von PS3 und Xbox 360 zurück! Sinkt die Kamera schließlich aus der Vogelperspektive zurück auf den Sim, gleitet sie gnadenlos durch Gebäude hindurch. Es ist jämmerlich, dem zuzusehen. Immer wieder stockt das Spiel, weil irgendwo irgendwas geladen wird. Mir tut sie leid: die DVD, die so ohrenbetäubend um Hilfe rotiert, dass man ihr Trost zuschreien möchte. In der einen Minute ist Musik zu hören, in der anderen bleibt das schallende Radio stumm.

Schlafen mindestens zwei Personen im Haushalt, kommt die Zeitbeschleunigung nur mit ständigen Unterbrechungen voran - jede Nachtruhe bedeutet minutenlanges Nichtstun! Meine Gitarre schwebt über dem Kopf meines Sims. Autos drehen nicht um, sondern werden von einem Moment auf den nächsten in eine andere Richtung gesetzt. Sie stehen sinnlos auf Kreuzungen herum. Andere Fahrzeuge rollen durch sie hindurch. Überall steht ein Auto mitten in einem anderen.

Es ist leider selten, das nicht irgendwo unscharfe Oberflächen zu sehen sind.
Man braucht nicht viel Glück, um fünf oder sechs ineinander stehende Vehikel zu finden. Erweitere ich mein Haus um eine Etage, fehlt plötzlich die Toilette. Baue ich eine Treppe im Leuchtturm, endet sie wegen der hohen Decke in der Mitte des Raums - meine Sims kommen trotzdem oben an. Im automatisch gebauten Obergeschoss sind Löcher im Boden. In einem von den Entwicklern gefertigten Häusern führt eine Wand genau in ein Fenster.

Technischer Totalschaden?

Das sind gleich mehrere Absätze voller Scheußlichkeiten und sie stehen nur an der Spitze des Eisbergs. Wenn EA keinen Bock auf Wii-Spieler hat, soll man es ihnen sagen. Sie stattdessen dummdreist zu verarschen, ist eine bodenlose Frechheit. Ich bin der Letzte, der sich ein gutes Spiel von technischen Patzern vermiesen lässt, aber das hier ist eine atmosphärische Katastrophe! Die Sims 3 ist unfertig und jeder, der es wenigstens einmal gespielt hat, weiß das. Es sind ja nicht nur technische Unzulänglichkeiten - man hat die banalsten inhaltlichen Fehler übersehen. So musste ich meinem Neugeborenen einen Namen geben, bevor ich überhaupt ahnen konnte, welches Geschlecht es haben wird. Leute...! Mal ganz davon abgesehen, dass die Wii-Sims keine Babys bekommen, sondern sofort ein Schulkind im Haus stehen haben.

Auch die aus der »großen« Konsolenversion übernommenen Karmakräfte wirken so, als hätte man sie mit Ach und Krach ins Spiel gepresst. Gibt es auf Xbox 360 und PS3 nämlich ein unabhängiges Konto für Karmapunkte, kauft man die speziellen Ereignisse hier mit Zufriedenheitspunkten. Weil Zufriedenheitspunkte aber leicht verdientes Geld sind, weil man den Karma-Geldsegen hier nicht erst freischalten muss und weil die entsprechende Finanzspritze ungleich großzügiger ausfällt als in den anderen Versionen, ist man schneller stinkreich als man den überflüssigen Job kündigen kann.

An die Arbeit!

Apropos: Geht ein Sim auf Arbeit, gibt man ihm keine generelle Arbeitsweise vor, so dass er entweder mit Kollegen abhängt oder sich durch tüchtiges Schaffen hervortut. Vielmehr führt man Tätigkeiten aus, die von 30 Minuten bis zu zwei Stunden oder länger dauern und entweder den Kollegen, dem Boss, dem Training der eigenen Fähigkeiten oder der guten Laune zuträglich sind. Schleimt man sich bei Chefe ein, runzeln die Kollegen freilich die Stirn - geht man es zu locker an, rückt die Beförderung in weite Ferne. Cleveres Taktieren ist angesagt! Arbeitet man sich so ins Vertrauen von Arbeitgeber oder Mitarbeiter, darf man neue Tätigkeiten übernehmen, die zwar länger dauern aber auch das entsprechende Verhältnis stärken - das Stirnrunzeln der anderen Partei aber vergrößern.         

So stört es zwar umso mehr, dass man den Lebenssimulanten nicht über die Schulter schauen darf: sie verschwinden einfach im Haus und wie gehabt darf man in öffentliche Gebäude nicht hineinschauen. Das aktive Arbeiten ist aber besser als die passive Zeitbeschleunigung auf den anderen Plattformen. Das heißt: Es ist so lange besser wie man nicht ständig zwischen zwei arbeitenden Sims hin und her schaltet. Hier haben die Entwickler nicht mitgedacht, denn obwohl die virtuellen Damen und Herren alleine zurechtkommen, möchte ich ihnen doch sagen, ob sie eine Beförderung oder eine bessere Beziehungen zu den Kollegen ins Auge fassen sollen. Das Kombinieren beider Systeme - damit hätten die Wii-Sims glänzen können!

Psychologisches Tauziehen

Ähnlich sinnvoll und ebenso unausgereift wirkt die Mehrspielervariante. Zu zweit, dritt oder viert ein Sim-Leben gestalten? Pustekuchen! Sitzt man mit bis zu drei Freunden vor der Konsole, spielt man nämlich nur ein Kartenspiel - mit Die Sims wie man es kennt hat das sehr wenig zu tun. Zunächst einmal wählt man einen Namen, das Geschlecht und ein Talent (z.B. kreativ, böse oder sportlich),

Was guckst du? Den Sims zuzuschauen, macht trotz der vielen atmosphärischen Störungen in ihrem Umfeld Spaß. 
anschließend entscheidet man sich in verschiedenen Situation für eine von drei Aktionen. Es sind in jedem neuen Spiel die gleichen in Textform erklärten Situationen, in denen man entweder sein Talent nutzen, zusammenarbeiten oder eine Minispiel-Herausforderung der Marke Memory oder Preisraten annehmen will. Nimmt mindestens ein Mitspieler an der Kooperation teil, gewinnt man die Herausforderung oder gelingt die Wahrscheinlichkeitsprobe aufs Talent, sammelt man Punkte. Verweigern die anderen Spieler ihre Zusammenarbeit, verliert man die Herausforderung oder geht die Talentprobe schief, verliert man Zähler. Für wenige Minuten ist das ein unterhaltsames psychologisches Tauziehen im Kleinen - mehr nicht.

Der kleine Baumarkt

Zurück in den Alltag des Einzelherrschers, dem selbst der Hausbau, der Kauf neuer Kleider sowie das Zeichnen eigener Designs für Tapeten oder Shirts - immerhin Dreh- und Angelpunkte für Kreativsimologen - gekürzt wurden. Eine Kleiderhandlung existiert nämlich nicht und eigene Designs darf man nicht erstellen. Den Hausbau gibt es immerhin, allerdings darf man den Grundriss eines Gebäudes nicht beeinflussen. Stattdessen wählt der Wii-Architekt aus vorgegebenen Häusern, die er um vorgegebene Zimmer erweitert.

Innerhalb des Grundrisses darf man dann Wände ziehen, Fließen legen und Fenster einsetzen Und zumindest gibt es eine stattliche Auswahl Bauelemente sowie Einrichtungsgegenstände. Aber wieder übersehen die Entwickler wichtige Feinheiten, denn wieso darf ich Wände beim Einrichten nicht ausblenden? Wieso gelten meine Einstellungen für die Steuerung der Kamera während des Bauens nicht? Natürlich sind das Kleinigkeiten -groß genug, um den Spielfluss zu stören.

Warum darf ich meine Freunde nach getaner Arbeit eigentlich nur nach Hause einladen oder am Telefon mit ihnen plauschen? Abgesehen von Schludrigkeit oder Zeitdruck der Marke »So, das Spiel muss morgen fertig sein!« gibt es keinen erkennbaren Grund dafür, dass ich Kumpels und Geliebte nicht wie in den anderen Versionen an den Strand oder vor der Bibliothek treffen darf. Warum darf ich keine Kinder adoptieren und bei defekten Duschen oder Fernsehern nicht Klempner oder Techniker anrufen? Und wieso stehen eigentlich überall die Grabsteine verstorbener Einwohner herum? Dass ich die Überreste geliebter Sims einsammeln und eigenhändig auf dem Friedhof beerdigen darf, betont eine emotionale Spielweise. Ich habe doch aber keine Lust, gleich vier der mannshohen Denkmäler nur vom Eingang des Kinos wegzuräumen!  Wobei: So hat das Zu-Grabe-Tragen wenigstens konsequent Methode.        

Fazit

Würde man die Art und Weise bewerten, mit der EA seine Fans abzieht, man müsste diesem unfertigen Schnellschuss eine Sechs minus verpassen! Selten war es dermaßen offensichtlich, dass man hier mehrere Stufen der Qualitätssicherung einfach übersprungen hat - ob aus Zeitgründen oder Inkompetenz, spielt gar keine Rolle. Immer wieder sticht dieser Sims-Verschnitt salzige Messer in eine atmosphärisch kraftlose Kulisse: Stimmungsvolle Akzente tauchen zu spät oder gar nicht auf und grafische Fehler findet man an jeder Ecke. Dazu kommt inhaltlicher Quatsch wie gefühlte tausend Grabsteine auf den Bürgersteigen oder der fehlende Hinweis auf das Geschlecht des Nachwuchses. Das Einzige, das den Umzug auf Wii vor einer totalen Katastrophe bewahrt ist die Tatsache, dass der bekannte Kern tatsächlich Spaß macht. Es ist ja weiterhin spannend, den Sims in allen Lebenslagen zuzuschauen. Auch wenn nicht nur der Hausbau stark gekürzt wurde, Modedesigner außen vor bleiben und die Karmafähigkeiten mal sinnlos, mal übermächtig sind: Die große Handlungsfreiheit ist trotz der einschränkenden Steuerung vorhanden. Mit neuen Ideen wie dem aktiven Berufsleben weht sogar ein frischer Wind durch Vista Beach. Es ist ein etwas kleineres, aber immer noch enorm umfangreiches Spiel des Lebens - das atmosphärisch allerdings aus dem allerletzten Loch pfeift!

Pro

umfangreiche, offene Lebenssimulation
liebenswerte Animationen und Sprachausgabe
unterhaltsames Mehrspieler-Minispiel
gut erklärte Menüpunkte
zahlreiche Belohnungen für gelungene Aktionen
aktives Arbeiten...
umfangreiche Sims-Erstellung...

Kontra

ständige Ladeunterbrechungen
Objekte und Details verschwinden oder tauchen plötzlich auf
überall stehen Grabsteine herum
Bedürfnisse nicht jederzeit sichtbar
katastrophaler Straßenverkehr- ... das auf Dauer ermüdend und zeitraubend ist- ... aber keine eigenen Designs oder neue Kleider
eingeschränkter, fehlerhafter Hausbau
unausgewogene Karmakräfte
Handlungen können nicht im Voraus geplant werden
selbst alte Lebensgefährten haben kaum entwickelte Fähigkeiten
Geschlecht des Kindes wird erst nach Namensgebung verkündet
keine Kleinkinder
unzulängliche Einführung für Neulinge
schlechte deutsche Übersetzung
Freunde: lediglich nach Hause einladen oder am Telefon quasseln

Wertung

Wii

Ein gutes Spiel wird von vielen atmosphärischen Fehlern fast kaputt gemacht und die direkte Steuerung bietet weniger Kontrolle als die anderer Plattformen.

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